von Ayad Salim

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Ich konnte es nicht glauben, als ich die Grenze meiner Heimat, Irak, überquerte und die Türkei betrat. Es war Ende August 2014. Das waren meine ersten Schritte in eine unsichere Zukunft. Was mich antrieb, war nur ein kleines Licht der Hoffnung. Aber, was mich am meisten schmerzte, waren die Sorgen und die Belastung, die Erinnerungen und das Leid in meiner Heimat. Meine erste Frau, die Mutter meiner drei Kinder, ließ sich 2010 von mir scheiden. Sie konnte die Gefahren meines Berufs nicht mehr ertragen. Ich bin nicht mehr bei meinen Kindern und ich werde nicht miterleben, wie sie aufwachsen. Ich werde Ihnen nichts von dem mit auf den Weg geben können, was ich selbst über das Leben gelernt habe.

Der schwierigste Moment meines Lebens war, als ich meiner Familie eröffnete, dass ich das Land verlasse. Ich konnte es ihnen nicht früher sagen – aus Angst vor Verfolgung. Auch meine neue Frau, die mich verstand und liebte, hatte keine Ahnung. Sie kam nicht mit, weil sie ihre einzige Tochter nicht alleine zurücklassen wollte. Und so nahmen wir Abschied voneinander. Es ist sehr schwierig, diese Belastungen zu tragen – und all die Abschiedstränen. Es war nicht leicht, eine lange Geschichte und das, was ich trotz widriger Umstände erreicht hatte, zurückzulassen.

Ich wanderte in den Straßen der Türkei und kannte niemanden. Ich sah die Straßen, die Lichter, die Gebäude und Leute an. Manchmal lächelte ich, weil ich auf eine bessere Zukunft hoffte. Andere Male lamentierte ich, weil ich nicht wusste, was mich erwartete. Nach stundenlangem Wandern hatte ich nichts als einige Namen und Adressen von Hotels, die mir Freunde gegeben hatten. Ich musste die Nacht irgendwo verbringen und meine Verwandten, die in einer anderen Provinz lebten, kontaktieren, mich organisieren und herausfinden, wie ich zu ihnen komme. Ich fand eine billige Bleibe und verstaute meine Sachen in einem kleinen Zimmer für eine Person. Ich setzte mich hin, um mich zu erholen. Aber wovon erholte ich mich? Ich weiß es nicht. Von der Müdigkeit? Von den Sorgen? Oder von dem, das als Nächstes kommt?

Ich blieb ungefähr anderthalb Stunden im Badezimmer unter der Dusche, wo ich nachdachte und träumte. Dann lag ich auf meinem Bett und starrte an die Decke und malte mir aus, was ich in den nächsten Tagen erreichen wollte. Ich versuchte, negative Bilder zu verdrängen, bis ich erschöpft war. Trotzdem wälzte ich mich nur im Bett herum. Ich weiß nicht, wann ich einschlief. Die Minuten vergingen sehr langsam in den schlaflosen Stunden und meine Träume schienen so lange zu sein, als ich endlich schlief. Ich weiß noch nicht, ob es ein schöner Traum oder ein Alptraum wird.
Fortsetzung folgt …

Why Austria … Episode 2
I couldn’t believe it when I crossed the borders of my country Iraq and entered Turkey. It was the end of August 2014. These were my first steps into an uncertain future. What kept me going was a small flame of hope, but what hurt me were the worries and burdens, memories and suffering in my country. I had worked long and hard to become a well-known journalist and to raise a family. My first wife, the mother of my three children, and I separated in 2010, because she couldn’t bear the dangers of my career. My children are not with me; I can’t see them grow up before my eyes and teach them life lessons I have learned.
The most difficult moment was when I told my family I was leaving. I couldn’t tell them beforehand for fear of prosecution, so they only found out just before I left. Even my new wife, who was a friend and sweetheart, did not know about it. She didn’t come with me, because she was afraid to leave her only daughter alone, and so we parted. It is very difficult to carry all these burdens and all the farewell tears. So hard leaving behind a long past and achievements, despite the odds.
I walked in the streets of Turkey and didn’t know anyone. I looked at the streets, lights, buildings and people. I smiled at times, because I hoped for a better future, but also lamented at other times because I didn’t know what lay ahead. After hours of walking around, I knew no more than the names and addresses of some hotels given to me by friends. I had to spend the night somewhere and contact my relatives in another province in order to arrange my situation and get details on how to find them. I found a cheap place to stay and put my stuff in a very small room for one person. I sat down to recover. But to recover from what? I do not know. Because I was tired? Or from worries? Or from what would happen next?
I stayed in the bathroom for almost an hour and a half, thinking and dreaming under the shower. Then I lay on my bed looking at the ceiling and visualising what I wanted to realise in the days to come, and trying to utterly blot out negative images until I was exhausted yet only able to toss and turn in bed. I don’t know when I fell asleep. The minutes seemed too long during those sleepless hours, and my dreams seemed too long when I finally slept. I don’t know whether I will achieve a nice dream or whether it will turn into a nightmare.
To be continued …

لماذا النمسا .. الحلقة الثانية
لم اصدق اني عبرت العراق بلدي ووصلت الى تركيا في اواخر شهر آب من عام 2014. اولى خطواتي نحو مستقبل مجهول لا احمل في طريقه سوى شعلة من الامل. لكن ما كان يؤلمني هو اثقال الهموم والذكريات والمعاناة في بلدي. عمرٌ ليس بالقصير وجهد ليس باليسيرفي بناء اسمي الصحفي وتكوين عائلتي. زوجتي ام اطفالي انفصلت عني لانها لم تتحمل معي اخطار مهنتي. اولادي ليسوا معي لكي اراهم وهم يكبرون امامي واعلمهم دروس الحياة التي مررت بها.
اصعب اللحظات وانا اقول لاهلي اني راحل الان. لم يعلموا برحيلي الا عندما غادرت البلاد. لم اكن استطيع اخبارهم قبل ذلك خوفا من الملاحقة. حتى زوجتي الثانية التي كانت صديقة وحبيبة لم تعلم باني مسافر. لم تاتي معي لانها تخاف على ابنتها الوحيدة ان تبقى لوحدها ولهذا افترقنا. صعب جدا ان تحمل كل هذه الاعباء وكل دموع الوداع دون ان تذرفها. صعب ان تجر معك ماض طويل وانجازات رغم الصعاب.
مشيت في شوارع تركيا لا اعرف احدا. انظر الى الشوارع والانارة والبنايات والناس. ابتسم تارة لاني آمل بمستقبل افضل واتحسر تارة اخرى لاني لا اعرف ماذا سيحصل. ساعات اتجول لا اعرف سوى عناوين اعطاها لي بعض الاصدقاء لاسماء فنادق. لابد ان اقضي الليلة في مكان ما حتى اتصل باقرباء لي في محافظة اخرى من اجل ترتيب الاوضاع. وجدت مكانا رخيصا ووضعت اغراضي في غرفة صغيرة جدا لشخص واحد. جلست استريح لكن لااعرف مما استريح، هل من التعب؟ ام من الهموم؟ ام من الذي سيحصل بعد ذلك؟
اتصلت بمن اعرفهم في تركيا. عرفوا اني وصلت وبدؤا بوضع خطة من اجل الوصول اليهم. بقيت حوالي ساعة ونصف تقريبا تحت ماء الدوش بين التفكير وبين الهدوء وبين الحلم. بعدها، استلقيت على فراشي انظر الى السقف وارسم صورا اريد ان تتحقق في ايامي القادمة، واحاول ان امحو صورا لطالما ارقتني واتعبتني ولا اريدها ان تتكرر. لا اعلم متى نمت لكنها كانت ليلة طويلة في دقائق التفكير وطويلة في دقائق النوم من اجل حلم لا اعرف هل سيتحقق ام سيتحول الى كابوس.
الى اللقاء في الحلقة المقبلة .. لتكملة القصة

Die Insassen der Justizanstalt Puch können in zwölf Betrieben arbeiten. In Gesprächen erzählen zwei Inhaftierte über ihre Vergangenheit und Gegenwart. Der Blick in die Zukunft ist ungewiss, obwohl die Maßnahmen zur Resozialisierung immer mehr greifen.

Mit vollster Konzentration schraubt Insasse Fritz am Motor eines roten Minis. Der Ölwechsel und ein paar kleinere Reparaturen sind fällig. Der 60-Jährige ist seit März im Gefängnis. „Es war wieder Mal ein Diebstahl. Ich kann es einfach nicht lassen“, seufzt der Pensionist. Fritz ist Wiederholungstäter. In der neuen Justizanstalt in Puch fühlt er sich wohl. „Das Essen ist gut und es gibt auch die Möglichkeit zu arbeiten. So vergeht die Zeit schneller.“ Er ist von 7.15 bis 14 Uhr in der Werkstatt und führt diverse Arbeiten an den Autos durch.

Zwei Inhaftierte reinigen im Innenhof einen Opel.

Zwei Inhaftierte reinigen im Innenhof einen Opel.

Insgesamt zwölf Betriebe umfasst die Anlage. Es gibt unter anderem eine Wäscherei, eine Schlosserei, den Küchendienst oder eben die Autowerkstatt. Zwei andere Insassen waschen unterdessen im Innenhof einen Opel, sowohl außen als auch innen. Werkstattmeister Gerhard Schöcklitsch überwacht das Geschehen. „Es kann jeder zu uns kommen, um sein Auto reparieren zu lassen. Wir führen allerdings nur kleine Arbeiten durch, weil wir kein Meisterbetrieb sind.“ In den meisten Fällen mache man ein gutes Geschäft. „Für die komplette Reinigung innen und außen zahlt man 15 Euro. Das bekommt man sonst nirgends günstiger“, sagt der gelernte Spengler und Lackierer. Ein Inhaftierter bekommt sechs Euro pro Stunde, von denen er vier Euro für Versicherung, Kost und Logis abgeben muss. Das restliche Geld kommt entweder auf ein Sparbuch oder es wird ausbezahlt. Die neue Justizanstalt verfügt über einen kleinen Supermarkt, in dem man zu bestimmten Zeiten einkaufen kann.

„Mich nimmt ja niemand ohne Leumundszeugnis.“

In der Autowerkstatt arbeiten insgesamt fünf Insassen. Neben Fritz ist auch Herbert mit dem Mini beschäftigt. Er tauscht den Auspuff. Der 48-Jährige wurde beim Einbrechen erwischt. Auch bei ihm war es nicht das erste Vergehen. Angefangen habe er mit Versicherungsbetrug. „Ich habe Auffahrunfälle inszeniert, irgendwann ist mir die Verischerung auf die Schliche gekommen“, erzählt Herbert. Das Einbrechen in Firmen sei zur Gewohnheit geworden. Der gebürtige Niederösterreicher, der in Salzburg erwischt wurde, ist äußerst geschickt im Umgang mit Schraubenzieher und Lötkolben. Kein Wunder, Herbert deutet mit Stolz auf seinen Kfz-Meisterbrief. Noch zehn Monate muss er in Puch absitzen. Er blickt in eine ungewisse Zukunft. „Ich habe keine Ahnung, wie es weitergehen soll. Mich nimmt ja niemand ohne Leumundszeugnis. Zum Glück habe ich hier eine Beschäftigung.“ Werkstattmeister Gerhard Schöcklitsch ist mit seinen Mitarbeitern zufrieden: „Es ist noch nichts Negatives vorgefallen und es gab auch keine Beschwerden. Die Inhaftierten machen einen sehr guten Job.“

So sieht ein Zimmer in der Justizanstalt Puch aus.

So sieht ein Zimmer in der Justizanstalt Puch aus.

Die Justizanstalt in Puch, die rund 34 Millionen Euro gekostet hat, umfasst 100 Mitarbeiter. Von den 227 Betten für die Inhaftierten sind derzeit rund 200 belegt. Der stellvertretende Anstaltsleiter David Klingbacher sorgt mit seinem Team für einen reibungslosen Tagesablauf. Dieser beginnt um 6.45 Uhr mit dem Frühstück. Danach können die Insassen ihren Arbeiten bis 14 Uhr nachgehen. Die Justizanstalt verfügt über mehrere Aufenthaltsräume, eine Bibliothek und auch sportlich kann man sich zum Beispiel im Kraftraum betätigen. Manche der Inhaftierten sind Freigänger. Sie verlassen die Anstalt in der Früh, um ihrer Arbeit nachzugehen, und müssen am Abend wieder pünktlich zurück sein. Es gibt entweder Einzel- oder Doppelzimmer. Die Zimmer sind mit einem Bad, Kühlschrank und einem Fernseher ausgestattet. Telefonieren ist ebenfalls möglich. Zugang zum Internet gibt es allerdings keinen.

„Die Rückfallquote liegt bei 50 Prozent. Das ist ein sehr guter Wert. Die Maßnahmen zur Resozialisierung tragen Früchte“, sagt David Klingbacher. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer im Gefängnis in Puch liegt bei acht Monaten. „Auf 185 Männer kommen ungefähr 15 Frauen. Der jüngste Inhaftierte ist 16, der älteste 78 Jahre alt“, erklärt er. Vor der Entlassung führt das psychologisch geschulte Personal Gespräche, wie es weitergehen soll. „Wenn jemand zum Beispiel abhängig vom Alkohol ist, schauen wir, dass diejenige Person eine Therapie bekommt. Wir schicken die Leute auch zum Arbeitsmarktservice. Zusätzlich bieten wir regelmäßig Bewerbungshilfen an.“

Pünktlich um 14 Uhr legt Fritz seinen Schraubenzieher zur Seite und zieht sich um. Er kann sich nun seinen Hobbys widmen. Im schlimmsten Fall muss er noch 18 Monate im Gefängnis bleiben. Er weiß, was er in Zukunft machen will. „Ich muss mich um meine schwer kranke Frau kümmern und nebenbei will ich ein wenig die Pension genießen. Ich hoffe nicht, dass ich rückfällig werde“, sagt der 60-Jährige.

Georg, Maria, Rupert, Agathe, Maria Franziska, Werner, Hedwig, Johanna, Martina, Rosemarie, Eleonore und Johannes. Ihretwegen kommen jährlich mindestens 300.000 Menschen aus aller Welt nach Salzburg. Wegen Flüchtlingen, die vor 77 Jahren Österreich in Richtung Amerika verließen. Der Musical Film „The Sound of Music“, der heuer das 50 Jahre Jubiläum feiert, erzählt ihre Geschichte. Von Australien über China bis in die USA kennt jedes Kind diesen Film.

Die Geschichte einer singenden Familie, die nach ihrer Flucht in die USA weltberühmt wurde. Flüchtlinge, die sich den Nazis nicht beugen wollten. Was auch heute manchen unverständlich ist. Sie waren ja keine Juden und hätten nichts zu befürchten gehabt und nur weil Krieg war laufen die weg, die meisten anderen Nichtjuden sind geblieben. Aber sie waren klassische politische Flüchtlinge, sie konnten den Nationalsozialismus nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren, ein mit der Mehrheit mitlaufen, kam für den Baron von Trapp nicht in Frage. Die Trapp-Familie nutzte eine Konzertreise in Italien, um in die USA zu flüchten.

In ihrer neuen Heimat mussten sie bei Null anfangen. Vater, Mutter, 10 Kinder und ein Freund. Und heute? Fliehen Menschen aus Afghanistan, dem Irak und Syrien. Mit der Hoffnung im Gepäck hier in Europa, in Österreich, in Salzburg Schutz zu finden und ein neues Leben aufbauen zu können. Wir verdanken einer Flüchtlingsfamilie einen Teil unseres touristischen Erfolgs. Millionen Euro fließen dadurch jährlich in unsere Kassen. Vergessen wir das nicht, wenn heute Menschen an unsere Tür klopfen, die Hilfe suchen!

Einkaufswägen

Die gefüllten Einkaufswägen stehen für die Flüchtlinge bereit.

Salzburg Hauptbahnhof: Zwei leere Semmeln, eine Packung Butterkekse, ein Apfel und eine Tafel Schokolade. Fertig geschnürt wandert ein Jausensackerl nach dem anderen in den Einkaufswagen. Daneben steht bereits einer mit Mineralwasser und zwei weiter einer mit Hygiene-Artikel. „Wie kann ich mich nützlich machen?“, fragt eine Frau mittleren Alters. Keine Minute später hat die freiwillige Helferin das erste Sackerl gefüllt, abgepackt und mit einem Mascherl versehen.

„Ein Einkaufswagen mit Lebensmittel, einer mit Getränken. Nicht mehr als drei Personen pro Wagen“. Caritas-Direktor Johannes Dines gibt die letzten Anweisungen an die Freiwilligen. Dann setzt sich die Kolonne in Bewegung. Im Zick-Zack-Kurs bahnt sich der Hilfskonvoi seinen Weg zwischen Geschäftsreisenden, Touristen, Urlaubern, Schülern und Studenten hindurch. Je ein Caritas-Mitarbeiter begleitet die Helfer Richtung Bahnsteig. Mit dem Aufzug geht es nach oben zu den Gleisen des Salzburger Hauptbahnhofs. Eine ältere Dame mit Koffer nähert sich den Helfern. Ihr Dank kommt spontan und von Herzen: „Thank you for helping people. Great work!“

„Thank you for helping people. Great work!“

Wie viele Flüchtlinge in dem ÖBB-Railjet aus Wien sein werden, weiß keiner genau. Gestern Abend waren es bis zu Tausend pro Zug. „Die Ungarn haben die Grenze zu Österreich schon wieder dicht gemacht“, macht eine Nachricht schnell die Runde. Das Rote Kreuz steht mit Sanitätern bereit, die Polizei hat Beamte abkommandiert. Alles wartet auf die Ankunft des Zwölf-Uhr-Zugs aus östlicher Richtung. Für eine Gruppe junger Männer geht es nach einem Wochenend-Trip zurück in ihre Heimat nach Vorarlberg. Für die ankommenden Flüchtlinge heißt es in Salzburg umsteigen in den Anschlusszug nach München. Die Destination ist unbekannt. Der Regionalexpress steht am gegenüberliegenden Bahnsteig zur Abfahrt bereit.

Minderjährige syrische Flüchtlinge sind gekommen, um zu übersetzen. Durch das Megaphon sollen sie den Menschen in ihrer Sprache erklären, dass es gleich gegenüber  nach Deutschland weitergeht. Die Helfer machen sich bereit. Sie bringen ihre mit Semmeln, Keksen, Äpfel, Bananen und Mineralwasser gefüllten Einkaufswagen in Position. Der Zug rollt ein, die Türen öffnen sich. Hastige Blicke scannen den Bahnsteig. Eine Mutter hält ihre Tochter im Arm. Der Vater streckt schnell die Hand für eine Flasche Wasser aus. Dann verschwinden die Drei im Zug Richtung München. Ein kleines Mädchen löst sich kurz von ihrer Mutter. Ihr Blick trifft auf jene zwei Helfer, die unweigerlich seufzen. Ein Pfiff. Die Türen schließen und der Zug fährt ab. Die Menschen im Zug winken zum Abschied. Die Helfer tun es ihnen gleich. Dann sind die Flüchtlinge wieder verschwunden. Zurück bleibt ein leerer Einkaufswagen und das gute Gefühl geholfen zu haben. Wenn auch nur für einen kurzen Moment.

Ich verfolge schon seit Beginn der ersten Flüchtlingsströme die Berichte hierüber via Fernsehen (z.B. Weltspiegel), Zeitungen und Facebook. Bei letzteren von Fall zu Fall auch die Kommentare hierzu. In letzter Zeit allerdings immer weniger, da mich der viele Hass und die Hetze zu sehr belasten. Ich kann es einfach nicht verstehen, dass Erwachsene Menschen so abgrundtief böse sein können. Aber zum Glück ist der Großteil der Bevölkerung nicht so und hilft, wie es nur möglich ist.

Gestern haben die zaunbauenden Ungarn die ins Land drängenden Flüchtlinge unkontrolliert Richtung Deutschland ausreisen lassen. Die Fahrten mit der Bahn gingen über Salzburg. Einige kamen durch, einige strandeten für eine Nacht in Salzburg. Dank Facebook tat sich eine große Welle der Hilfe auf. Auch wurden dankenswerter Weise Bilder gemacht. Somit konnte ich die Hilfe mitverfolgen. Zu gerne wäre ich auch vor Ort gewesen, ich bin aber aufgrund eines Nervenleidens momentan an den Rollstuhl angewiesen. Mit so einer Mobilitätshilfe ist man aber nur eingeschränkt mobil, zumal die Busverbindung vom Land in die Stadt in der Nacht logischerweise lückenhaft ist. Das einzige was mir gestern möglich war ist, dass ich über Facebook jemanden bat, diverse Lebensmittel auf die Schnelle beim Spar am Bahnhof einzukaufen und für mich zu verauslagen. Prompt meldete sich umgehend eine sehr junge Helferin und wir vereinbarten, dass sie für mich ca. 20 Euro auslegen soll. Ich werde ihr das Geld umgehend überweisen.

Mit Rolli und Rollator unterwegs zum Bahnhof

Mit Rolli und Rollator unterwegs zum Bahnhof

Dienstags und freitags kommt immer Muttern zu Besuch. Die verfolgt auch immer die Berichte über die Flüchtlinge. Gestern sah sie auch Maybrit Illner dazu und regte sich maßlos darüber auf. Da kam mir die Idee, sie zu fragen, wie sie denn momentan drauf sei. Körperlich meinte ich. Sie sagte, es ginge ihr soweit gut und fragte, warum ich das wissen wolle. Neben dem Wäschewaschen in der Gemeinschaftswaschküche, zischen wir auch immer zusammen zum Einholen in den hiesigen Spar Markt. Auf dem Weg dahin trainiere ich mit dem Rollator und Muttern schiebt den Rollstuhl hinterher. Retour nimmt Muttern den Rollator, mal mehr, mal weniger mit den Einkäufen bepackt. Heute fragte ich sie, ob wir denn auch unseres dazu beitragen wollen und gemeinsam das Nötige mit dem Bus zum Bahnhof zu bringen. Muttern ist immer sofort zur Stelle, wenn sie helfen kann. Wir überlegten, was wir alles kaufen und staksten nach dem Befüllen der ersten Waschladung los. Im Facebook lasen wir, was so alles benötigt wird und danach richteten wir uns. Normalerweise legt Muttern mittags immer die Fussi hoch und macht ein Nickerchen. Zeitlich ging sich das heute nicht aus, nach dem Einkauf mussten wir noch zum zweiten Mal die Waschmaschine bemühen. Gleich nach der Befüllung zum zweiten Waschgang gingen und rollten wir zur Bushaltestelle. Die Fahrt zum Hauptbahnhof war kürzer als ich dachte, somit hatten wir keinen Stress. Nachmittags war nicht viel los, die Truppe vom Roten Kreuz war aber vor Ort und steht im Bedarfsfall habt Acht! Dort gaben wir unsere Einkäufe ab, die wurden zu den anderen Gaben der vielen Helfenden gelegt.

Danach gönnten wir uns noch einen Kaffee und Kuchen in einem Gastgarten beim Bahnhof. Um 16.05 Uhr fuhren wir wieder mit der Linie 25 zurück ins beschauliche Grödig. Auf der Fahrt lies ich noch mal alles Revue passieren und freute mich, dass wir auch einen kleinen Teil zur Hilfe beitragen konnten. Aber ich stellte mir auch die Frage, ob wir denn das Richtige gekauft haben. Die Menschen aus dem Süden sind ja eine andere Ernährung gewöhnt. Bei der Babynahrung kann man nicht viel falsch machen, aber zum Beispiel beim Brot. Ist hier Vollkornbrot opportun? Wir kauften beides, Vollkornbrot in Scheiben und Weißbrot in Scheiben. Da lern ich sicher noch dazu, es war sicherlich nicht die letzte Aktion von Muttern und mir!

P.S.: Es gibt auch noch was Erfreuliches zum heutigen Tag zu berichten! Ich bekam bei der Hinfahrt zum Bahnhof einen Anruf mit Grödiger Nummer. Ich dachte schon, dass es vielleicht eine hysterische Nachbarin ist, weil irgendwas aus der Wohnung kam. Aber nein, es war die Chefin des hiesigen Spar Marktes. Ich steckte mal einen Kassenzettel mit meinem Namen und Telefonnummer versehen in eine Gewinnbox bei der Kasse. Wenn man auf dem Bon ein Bio-Produkt von Spar Natur hatte, durfte man mitmachen. Und siehe da: ich habe den Hauptpreis, einen Grill gewonnen!

Erst waren es Menschen mit Migrationshintergrund, dann bettelnde Roma und seit einigen Monaten die Flüchtlinge – bei diesen Themen der letzten Jahre hat sich die Stimmung unter der österreichischen Bevölkerung ordentlich aufgeheizt.

Meinungsverschiedenheiten gibt es immer. Man kann aber auch dafür sorgen, dass daraus richtige Kluften in der Gesellschaft entstehen. Manche Parteien und Gruppen, hetzen die einen gegen die anderen auf – und leisten dabei ganze Arbeit.

Vorurteile, die nach hinten losgehen
Es wird dabei freilich das Wir-Gefühl der Österreicher angesprochen (jenes der Österreicherinnen nicht, denn das Gendern ist in diesen Kreisen verpönt). Unsere anständigen Leut’, unsere Bräuch’, unsere Kultur und so fort. Es gilt, all diese Schätze vor dem Fremden zu schützen, denn es ist eine Bedrohung und hat die unmittelbare Auslöschung alles Österreichischen zur Folge.

Unlängst geh ich in der Stadt Salzburg am Müllner Bräu vorbei. Es war ein herrlicher Sommertag und hinter der Mauer des Bräustübl-Gartens war eine zünftige Blasmusik zu hören. Augenblicklich zuckte ich zusammen: Sicher so ein Treffen dieser ganz besonders aufrechten Österreicher, die da hinter der Mauer die heilige Österreicher-Kultur zelebrieren, in Mir-san-mir-Seligkeit schunkeln und paschen – und allem anderen gegenüber feindselig gegenüberstehen: Den Ausländern und Schwulen genauso wie dem Binnen-I.

Und kaum hatte mich dieser Gedanke durchfahren, zuckte ich ein zweites Mal zusammen: So weit ist es also schon mit mir! Ich hab ein völlig irrationales Feindbild aufgebaut: Trachten, Blasmusik und Volksfeststimmung – mit sämtlichen volkstümlichen Ausformungen.

Volksmusik_CDsTuba-Phobie?
Ich selbst hab zwar kein besonderes Interesse an Brauchtum und Volksmusik, aber ich kenne es aus meiner Kindheit. Als Teenager hab ich dann oft das Wohnzimmer verlassen, wenn mein Papa Mei liabste Weis oder den Musikantenstadl im Fernsehen schaute. Nur zum Kirtag und an Fronleichnam hab ich alles mitgemacht: Tracht, Volksmusik und Weihrauchschwaden. Denn als Belohnung gab’s Grillhendl mit Pommes Frites – und einen Almdudler dazu.

Und heute ist mir also etwas, das zu meinen größten Kindheitsfreuden gehörte, äußerst suspekt: der Anblick eines Trachtenpärchens. Wie konnte ich zulassen, dass sich diese Vorurteile in mir festsetzen? Nur weil das Brauchtum nicht zu meiner Welt gehört, darf ich es nicht als rückschrittlich und „eingnaht“ abtun. Das lässt mich selbst als nicht gerade weltoffen dastehen. Ich kann doch Leuten, die Freude an unseren Traditionen haben, nicht einfach eine intolerante Gesinnung unterstellen nur weil eine Partei mit Volkstümlichkeit und selektiver Pseudo-Nächstenliebe auf Stimmenfang geht. Und nur weil diese Partei die Unterstützung eines Alpin-Elvis hat, der mit manchen Wortmeldungen seinen eigenen eingeschränkten Horizont preisgibt.

Bald ist wieder Wahl – in Wien und auch in Oberösterreich. Es werden die Trachten wieder ausgepackt und die Musikkapellen werden spielen.

Kulturen kennen Brücken
Liebe Fans der österreichischen Volks- und volkstümlichen Kultur: Lasst nicht zu, dass gewisse Politiker etwas vereinnahmen, das ihr liebt, und ihm den Stempel von Intoleranz und Engstirnigkeit aufdrücken. Ein großartiges Beispiel ist das Fest der Volkskulturen in Salzburg: Dort sind alle Menschen mit ihrer jeweiligen Heimatkultur willkommen und alle gehen offen auf einander zu. (Lest hier über das Fest der Volkskulturen nach.)

Und oft wünsch ich mir von den Stars der Volksmusik ein Statement wie von Hubert von Goisern, der sich gegen die Vereinnahmung der Rechten gewehrt hat. Denn ein Schweigen dazu klingt wie ein: Je suis Gabalier!

 

Vorschaubild: By Harald Bischoff (Own work) [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons