von Gertrud Mavrakis

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Auch sehr zufrieden: Gertrud Mavrakis

Lebenszufriedenheit kann man nicht kaufen, nein, aber in sich tragen kann man sie. Ich habe sie schon oft gesehen in Augen, aus Herzen strahlend, einfach, ehrlich, sich übertragend, ja, ansteckend! Eine ältere Frau war da. Sie war schlank, eher dünn. Weißes Haar, Krücken, mühsam weiterkommend. Dazu leuchtende blaue Augen, Ausstrahlung, Fröhlichkeit, irgendwie unwiderstehlich positiv und besonders. Ich habe sie dann einfach darauf angesprochen, ihr gesagt, wie sie auf mich wirkt. Sie schaute mich erstaunt an.

Dann sagte sie: „Es geht mir doch auch sehr gut! Mein Mann lebt zwar seit einem Jahr nicht mehr, aber wir hatten 46 wunderbare Jahre zusammen. Meine Hüfte ist auch nicht mehr so wie sie war, aber ich kann gehen. Ich besitze alles was ich brauche und habe einen warmen Platz  zum Leben. Warum soll ich also unzufrieden dreinschauen?“ Einige Tage später traf ich sie wieder, hatte oft an ihre Worte gedacht und wollte gerne wissen wie alt sie wohl ist. Also fragte ich. Ihre Antwort kam prompt mit einem schalkhaften Lächeln: Ich fühle mich wie höchstens 60, sehe aus wie  mindestens 80 und bin 75!

Die Schlagzeile des Tages lautet: Die 62 reichsten Menschen der Welt besitzen so viel wie die ärmere Hälfte der Welt. Kurze Empörung in den Medien. Wie kann das sein, dass die einen immer schneller immer mehr Geld haben?

Irgendwie schon ein bisserl unmoralisch, aber dann die Rückkehr zum medialen Alltag, der da heißt, die Reichen wieder außen vor zu lassen, die mit den anderen Themen ja gar nichts zu tun haben.

Themen  wie:

Was machen die Flüchtlinge da? Die Mindestsicherung soll gekürzt werden, überall Sozialschmarotzer. Wer braucht schon eine Erbschafts- oder Schenkungssteuer?  Eine richtige Vermögenssteuer ist etwas ganz Schlimmes. Hast gelesen vom XY? Der ist schon ein Hund, hat sein Geld in der Schweiz. Wer will, kann immer arbeiten. Hast du schon davon gelesen, da gibt es in Italien und Spanien richtige Sklaven für die Gemüseernte? Was das Kilo Tomaten kostet mehr als zwei Euro? Wird auch immer teurer! Die Staatsschulden steigen auch immer mehr! Typisch, naja die öffentliche Hand kann halt nicht wirtschaften! Die Banken machen das viel besser! Schon wieder ein Terroranschlag! Krieg, Konflikte! Umweltverschmutzung!

Was ich allerdings ganz sicher weiß von meiner Oma, die immer gesagt hat: Das letzte Hemd hat keine Taschen und man kann die Lebenszufriedenheit nicht kaufen. Das ist kein Trost, wie viele vielleicht sagen würden, aber Gewissheit!

 

Nun ist es soweit, ich habe die Flugtickets nach Teheran in Händen für meine Geschäftsreise in den Iran. Mit einer Salzburger Firma sind wir eingeladen worden, unsere Bildungsprodukte zu präsentieren, das Interesse an Österreich ist groß.

Meine Vorbereitungen erstrecken sich über die Formulierung von Präsentationen, Übersetzung von Lehrplänen, unzähligen Emails zur Abklärung aller Erfordernisse und Einbeziehung aller Kontakte bis hin zu den Gedanken, die passende Kleidung zu finden, um der Höflichkeit gegenüber dem Gastgeberland und den Regeln der Schicklichkeit zu entsprechen, ohne außer Acht zu lassen, dass ich eine autonome Frau westlicher Prägung bin, die ihr Leben alleine im Griff hat und sich als gleichberechtigt fühlen will.

Ich werde einen Schal tragen, weite Hosen, einen Gehrock und meine Figur verbergen nicht aus Angst vor Zudringlichkeit, sondern um den Respekt zu erhalten, der mir als Großmutter und Geschäftsfrau, die interkulturelle Verbindungen herstellen und pflegen will, hoffentlich zukommt.

Die Iraner sind mir als kosmopolitische Menschen geschildert worden, ich kann das durch die Kontakte, die ich bereits herstellen konnte, bestätigen. Frauen sind zu einem großen Prozentsatz (70 % ) an der Bildung partizipierend. Sie sprechen Englisch oder Französisch genauso gut wie die Männer einer höheren Bildungsschicht. Die Repräsentantin der Wirtschaftskammer in Teheran, die nach Salzburg kam, sprach fließend Deutsch und trug Make-up und westliche Kleidung.

Und trotzdem bin ich froh, mit österreichischen Männern in der Delegation zu reisen und von der Wirtschaftskammer betreut zu werden.

Woher kommt die Unsicherheit?

Woher kommt die leichte Unsicherheit einer Frau, die wie ich in den Favelas Brasiliens zu Besuch war, um dort einen Beitrag zur Unterstützung zu leisten, die allein reist seit ihrem 16. Lebensjahr und ihre Töchter Furchtlosigkeit, aber auch Vorsicht gelehrt hat?

Meine Tochter hat mir Karim El Gawhari`s Buch “ Frauenpower auf Arabisch“ als Einstimmung geschenkt. Die Frauen, deren Leben beschrieben wird, haben sich durchgesetzt, ihr Leben zu bestimmen und zu beruflich zu tun, was ihnen wichtig war. Sie sind auf einem Weg, den wir auch beschritten haben- und der noch nicht allzu lange her ist.

Vielmehr ist es den Frauen im Laufe der Geschichte immer wieder einmal gelungen, Selbstbestimmung zu erlangen, besonders in wirtschaftlich guten Zeiten. Ich denke da an die Griechin der Dark Ages, deren bedeutsame  Rolle wir bei Homer sehen können, ich denke an die reiche Römerin der Kaiserzeit, die sogar ihr eigenes Ziegelwerk managen konnte, ich denke an das Mittelalter ( z.B. Chaucer- Wife of Bath ) bis herauf in die 20er Jahre des 19. Jahrhunderts, als es sogar eine eigene Frauenpartei gab, die allerdings dann ausgerechnet von der Wirtschaftspartei geschluckt wurde. Nach dem Krieg gab es vermehrt selbständige Frauen in Europa, die Beruf und Familie in Einklang brachten. Meine Mutter hatte allerdings noch die Pflicht, bei ihrem Ehemann zu wohnen, die Kinderbeihilfe bekamen bis in die 70er Jahre allein die Männer, sie waren der Haushaltsvorstand etc. etc.

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Brita Pilshofer

Vielleicht macht es mich nachdenklich, dass ich in eine Rolle schlüpfen soll, die ich selber als junges Mädchen und als junge Frau noch vorgefunden habe? Belästigung war ein Kavaliersdelikt, die Frau hatte die alleinige Bürde des Haushalts und der Kindererziehung zu tragen (meine Töchter können das gar nicht mehr verstehen- und doch galt Zuwiderhandlung als Scheidungsgrund und man brauchte das ausdrückliche Einverständnis des Mannes, um berufstätig sein zu dürfen).

Ich weiß auch, wie schnell die derzeitigen Übereinkünfte zwischen den Geschlechtern wieder über den Haufen geworfen werden können, wenn die Frauen nicht weiterhin immer nachverhandeln oder sich zurückdrängen lassen. Auch das können sich meine Töchter nicht mehr vorstellen.

Ich werde also hoffentlich nicht einen Teil meiner Lebensgeschichte Revue passieren lassen müssen. Ich bin neugierig, was ich nach meiner Rückkehr erzählen kann und hoffe, es wird die Geschichte eines Landes sein, das in die Modernität aufbricht und, wie ich schon vielfach gehört habe, wunderschön und weltoffen ist!

Wissend dass ich für derartige Hinweise dankbar bin, erhielt ich die Info, dass es da ein Lokal im Herzen von Schallmoos gibt, das barrierefrei nutzbar sei. Wir planten uns mit Freunden zu treffen. Eine gute Gelegenheit das empfohlene Lokal zu testen. Ich mache mir einfach gerne selbst ein (Fachfrau-)Bild. Zu oft habe ich mich auf Einschätzungen verlassen und wurde dann herb enttäuscht.

Als erstes prüfte ich die Homepage www.fuxn.at, ob es irgendwelche Infos zur Barrierefreiheit gibt. Ein hippe moderne, aber leider nicht barrierefrei nutzbare Homepage informierte mich über Vieles, aber nicht zu den barrierefreien Gegebenheiten.

Dann prüfte ich die Online-Reservierung. Immerhin ist dies für gehörlose Menschen eine wichtige Möglichkeit zur Reservierung. Leider funktionierte diese nicht.

Also Telefon. Trotz Abendzeit eine freundliche Stimme, die ebenso freundlich meine Reservierung niederschrieb. Bewusst erwähnte ich nicht, dass bei den sechs reservierten Plätzen eine Rollstuhlnutzerin dabei ist. Ich wollte testen ob und wie das Fachpersonal darauf reagiert. Ich gab auch noch den Hinweis, dass die Online-Reservierung nicht funktioniert. Professionell entschuldigte sich der Mitarbeiter sofort und fragte auch noch nach meinem Browser. Er meinte, dass man sich sofort darum kümmere. Am Schluss sagte er noch äußerst freundlich, aber nicht übertrieben, „Danke für die Reservierung, wir freuen uns auf euch“. Wie nett, da fühlt sich Gast so richtig willkommen!

Wir fuhren also am Reservierungstag mit dem Auto zum Parkplatz. Es gab einen als barrierefrei markierten Parkplatz. Allerdings war er nur am Boden markiert. Daher bei vollem Parkplatz und auch bei Schnee schwer zu finden. Es wäre gut, wenn er auch stirnseitig gekennzeichnet wäre. Er war auch nicht der nächste zum Eingang. Daher wählten wir einen anderen Platz.

Dann ging‘s zum Eingang. Ein gut berollbarer breiter Weg führt hin, vorbei an einem Gefäß, dass uns mit einem lodernden Holzscheit warm empfing. Eine große schwere nicht automatisierte Tür musste ich mir öffnen lassen. Mit Rollstuhl nicht möglich. Wir wurden sofort freundlich begrüßt und gefragt, ob wir zu dem reservierten Tisch gehören. Frau wies uns ebenso freundlich den Weg. Wir kamen in einen Raum mit äußerst angenehmer Atmosphäre. Die Stube ist überwiegend in Holz gehalten und verfügt über großzügigen Platz um zu den Tischen zu kommen.

Die Tische selbst sind teilweise für Rollstuhlnutzerinnen unterfahrbar. Alle anderen haben diese unangenehmen Querbalken unter der Tischplatte, die ein Unterfahren unmöglich machen. Die Speisekarte ist vielfältig, hat aber leider keine Fotos der Speisen. Diese wäre für alle Nichtdeutschsprechenden oder Analphabetinnen (ja, es gibt eine hohe Dunkelziffer!) und Menschen mit Lernschwierigkeiten sehr wichtig. Für unsere blinden Mitmenschen wäre eine Audioversion oder eine Karte in Brailleschrift äußerst hilfreich. Für unsere (stark) sehbeeinträchtigten Mitmenschen müsste die Schrift größer und ohne Serifen sein. Auch der Kontrast spielt eine große Rolle.

Wir wurden freundlich und zuvorkommend bedient. Sonderwünsche waren kein Problem. Das Essen war exzellent und nicht 08/15, die Preise ok.

Dann natürlich CAM00467unvermeidlich: die Toilette. Sie befindet sich im EG neben der Eingangstür. Was mir sofort auffiel war der außen angebrachte Türschließer, der nicht als barrierefrei gilt. Wie sollte eine Rollstuhlnutzerin gleichzeitig die Tür aufmachen, gegen den Druck des Türschließers ankämpfen und dann mit beiden Händen den Rollstuhl antreiben? Hier wäre eine Automatisierung der Tür oder ein Entfernen des Türschließers notwendig. Vor allem da von innen keine Anfahrmöglichkeit zur Türschnalle gegeben ist.

Drinnen bot sich ein Bild zum Heulen. Genug Platz, doch am erforderlichen Umsitzplatz für Rollstuhlfahrerinnen war ein Pissoir montiert! Nicht nur dass dies so dicht neben einem WC unhygienisch ist, im barrierefreien WC ist es vollkommen fehl am Platz.

Der Stützgriff neben dem WC lässt sich Hochklappen, kann aber nicht fixiert werden. CAM00466Der knallt jeder Person auf den Kopf, wenn sie sich neben das WC positionieren möchte um umsitzen zu können. Kein Spülknopf in Greifnähe. Wie soll sich eine Rollstuhlfahrerin verdrehen, dass sie zum an der Rückwand vorhanden kommt? Ein Rufknopf ist vorhanden, doch wie so oft hängt die Schnur zusammengefaltet direkt am Knopf. In einer Höhe wo sie kein Mensch erreicht, wenn er am Boden liegt und um Hilfe rufen möchte. Das WC hat keine Rückenlehne für Menschen mit Querschnitt und weist auch eine zu geringe Tiefe auf. An der Wand fehlt der Winkelgriff. Die WC-Bürste ist für Rollstuhlnutzerinnen nur erreichbar, wenn sie sich bäuchlings über das WC legen.

Auch ein Klassiker: der Spiegel. Er hängt so hoch oben, dass er aus sitzender Position überhaupt nicht eingesehen werden kann. Die Armatur ist ebenso nicht den Anforderungen entsprechend. Auch das Handpapier hängt in einer Höhe, die für so manche Rollstuhlnutzerinnen weit entfernt des Möglichen liegt.

Alles in allem ist dieses WC als nicht barrierefrei einzureihen – schade. Aber Nachjustieren ist natürlich möglich. Ich hoffe drauf, das Lokal ist es Wert!

(Die Autorin ist Sachverständige für barrierefreies Bauen und Gestalten und Rollstuhlnutzerin.)

 

Hinweis: Der Text ist bewusst in der weiblichen Form geschrieben, da er die männliche automatisch mit einschließt.

Ihr erinnert euch vielleicht an Nina Vasiltshenko aus Georgien und Mohammad Sadeqi aus Afghanistan? Im Dezember habe ich eine ganz tolle Performance der beiden gesehen. Da ging es um die Flucht. Und jetzt gab es die Fortsetzung. Nina und Mohammad sind angekommen. Und was macht ein guter Flüchtling? Er oder sie macht sich sofort mit den Regeln des Zusammenlebens vertraut. Mohammad sitzt in seiner Asylschachtel und liest den Welcome Guide der Stadt Salzburg vor. So vertraut und doch befremdend. Realität und Satire liegen ganz knapp nebeneinander. Bedingen einander. Und was macht Nina? Genau. Sie sitzt in ihrer Asylschachtel und lernt laut Deutsch.  Die Regeln des Zusammenlebens und der deutschen Sprache verschwimmen, werden ein Wörterstrom aus Anweisungen, Tipps und Ausnahmen. Und Mohammad schenkt Nina den Akkusativ, den Genetiv und die dazugehörigen Artikel. Und aus zwei Asylschachteln wird eine. Aus zwei einsamen Flüchtlingen werden Freunde. Dann die Anerkennung. Endlich, der positive Asylbescheid. Und als die neuen Flüchtlinge dazukommen sind Nina und Mohammad schon österreichischer als jeder Österreicher.


Beiden gelingt wieder eine Performance, die mit ganz starken Szenen im Gedächtnis bleibt. Dieses Mal kommt die Leichtigkeit dazu. Die Flucht ist geschafft. Das Leben ist nicht mehr bedroht. Es gibt viel Platz fürs Lachen. Und wahrlich Nina und Mohammad schaffen es mit Slapstick UND tiefgründigem Humor die Menschen in die Höhen und Tiefen der Integration mitzunehmen. Auch die Mülltrennung spielt eine Rolle. In der Realität und auf der Bühne. Und alles schaffen die beiden in der deutschen Sprache, die nicht ihre Muttersprache ist. Eine grandiose Leistung. Das Stück haben die beiden selbst geschrieben und auf der Bühne erarbeitet. Ich ziehe meinen Hut und freue mich auf einen hoffentlich dritten Teil!

Fotos: Zarif Karimi

Nach Jahrzehnten Integrationsarbeit habe ich gedacht, dass ich schon alle Statements zur Integration gehört habe. Sehr überheblich von mir! Heute gab’s für mich eine große Überraschung. Eine Podiumsdiskussion im Rahmen des Monats der Vielfalt. Es ging um Integration und wie sie gelingen kann. Nein nicht die Diskussion war die Überraschung. Ein Satz war DIE Überraschung. Zerina Hadzihajdarevic, eine Juristin. Sie ist in 1990er Jahren aus Bosnien nach Österreich geflüchtet. War zuerst lange im Gastgewerbe tätig. Hat sich Deutsch selbst beigebracht. Und seit Jahren schon in der Flüchtlingsarbeit tätig. MigrantInnen begleitet oft ihr Leben lang, dass sie zugewandert sind. Es gibt dann immer das WIR, die aus Österreich, und die ANDEREN. Das betrifft auch meist noch die Kinder. Aber Zerina Hadzihajdarevic hat es nach über 20 Jahren in Österreich bei der Podiumsdiskussion für sich und das Publikum ganz selbstbewusst klargestellt: „Ich bin jetzt wir“. JA, Zerina du bist Österreich und das ist gut so!