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von Michael König

Nantes. Eine kreative, eine kunstsinnig coole Stadt. Eine Stadt in der konstruktive Auseinandersetzungen in vielen Feldern der Gesellschaft stattzufinden scheinen. Im Feld der Architektur genauso wie in der Kunst, in der Kulinarik (und Vinologie sowieso!) oder im Bereich Armut und Ökologie.  Und in Bezug auf die eigene Geschichte.

 

Nantes

Nach langer Auseinandersetzung erinnert ein Mahnmal seit dem Jahr 2012 direkt am Ufer der Loire, wo einst die Sklavenschiffe anlegten, an die größte erzwungene afrikanische Migrationsbewegung der Neuzeit. Nein, die Rede ist nicht von der aktuellen Fluchtbewegung nach Europa. Die Rede ist von jenen 13 Millionen AfrikanerInnen, die innerhalb von rund 400 Jahren als SklavInnen zwischen dem 14. und dem 19. Jahrhundert von europäischen Menschenhändlern  – angesehenen Kaufleuten – gekauft und mit saftigen  Renditen wieder weiter verkauft wurden. Die europäischen Kolonien in Amerika brauchten  Arbeitskräfte. Das französische Nantes war ein bedeutsamer Umschlagplatz des interkontinentalen Sklavenhandels und verdankt einen nicht unerheblichen Teil seines Reichtums dem Blut der afrikanischen Sklavinnen und Sklaven.

Gibt es eine Pflicht zur Wiedergutmachung?

Gerettete Flüchtlinge

Beim Mahnmal von Nantes verweilend denke ich mir: Wir könnten durchaus einmal die aktuelle afrikanische Fluchtbewegung der vergangenen europäischen Greifbewegung nach den 13 Millionen afrikanischen SklavInnen gegenüberstellen. Und so die aktuelle Diskussion um den ethisch verantworteten Umgang mit den afrikanischen ArmutsmigrantInnen um eine historische Sichtweise erweitern.

Europa hat sich 400 Jahre in der brutalst vorstellbaren Weise an Afrikas Bevölkerung vergangen. Es mangelte weder an Logistik noch an Schiffen, Millionen Afrikaner außer Land zu bringen.

Ich frage mich hier in Nantes: Gibt es nicht für Europa so etwas wie eine historische Wiedergutmachungspflicht, eine Restitutionspflicht menschlicher Würde für die Nachfahren der afrikanischen SklavInnen? Und wenn ja, was könnte das für die aktuelle Flüchtlingsdiskussion heißen? Können wir es uns so einfach machen und die Erinnerung an das Blut der afrikanischen SklavInnen  bei der Frage nach der angemessenen Solidarität mit den afrikanischen ArmutsmigrantInnen im Jahr 2017 außen vor lassen?

Kann Europa etwas zurückgeben?

Historischer Sklavenhandel

Mir fehlt in der aktuellen Flüchtlingsdiskussion die Hereinnahme dieses historischen Geschehens. Registrierungslager in Libyen hin oder her. Diese und andere Fragen der angemessenen Bewältigung der derzeit im Gang befindlichen afrikanischen Fluchtbewegung sind letztlich nur mehr reaktiver Natur. Sie sind zu beantworten und das raschest möglich. Die humanitären und politischen Antworten scheinen mir allerdings nicht ganz so einfach. Weder in die eine noch in die andere Richtung, die derzeit an der Diskursfront stehen.

Das eigentliche Thema dahinter ist aber ein viel Grundsätzlicheres: Wie wollen Afrika und Europa künftig ihre Beziehung proaktiv gestalten? Und wie könnte Europa in diesem Prozess der Neurorientierung der Beziehung dem afrikanischen Kontinent vielleicht etwas zurückgeben, was unsere Vorfahren einst aus diesem Kontinent genommen haben, und damit sind nicht nur die humanitären Ressourcen gemeint, an denen sich Europa bediente.

Übrigens: ca. 1,5 Mio afrikanischer SklavInnen sind bei der Überfahrt nach Europa und weiter nach Amerika umgekommen.

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von  Michael König

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Selbst ist der Mann. Auch in der Waschküche.

Was für Ängste waren da im Vorfeld zu kalmieren. 60 Männer aus mehreren Nationen bezogen vor 15 Monaten das Diakoniewerk-Flüchtlingsquartier in der Münchner Bundesstraße in der Stadt Salzburg. Heute, am 23. November 2016, wurde das Quartier geschlossen. Wie ein Film laufen die Monate nochmals in mir ab. „Ihr werdet euch noch anschauen“, sagten uns manche vor einem Jahr. „Die werden die Autos der Nachbarn zerkratzen“, meinten andere. „Die Ratten sollen heimgehen“, schrie der bierbauchige Herr in die Anrainerversammlung hinein. „Die werden uns unsere Töchter wegnehmen“, wandte eine besorgte Dame ein.

Und nichts von alldem ist passiert. Es gab keine Belästigungen, es gab keine Beschädigungen irgendwelcher Art. Es gab im Quartier keine Gewaltszenen, die nur annähernd an das heranreichen, was sich am Salzburger Rudolfskai jede zweite Nacht abspielt.

Es ist gut gegangen. Es ist so gut gegangen, dass sich das eigentlich für einen Doppelseiter jeder Zeitung eignen müsste. Aber, mir ist die Medienlogik unserer Zeit natürlich bekannt: Es ist ja nichts passiert.

Und doch: Es ist viel passiert. Das war nämlich kein humanitärer Spaziergang. Es hätte auch ganz anders kommen können. Da waren einmal die 35 Schlüsselkräfte aus dem Diakoniewerk, die sich im Sommer 2015 innerhalb von 48 Stunden mit vollem Einsatz hinter den Aufbau dieses Quartiers gestellt haben und angepackt haben. Da waren Beamte des Landes Salzburg, mit denen wir oftmals unkonventionelle, rasche und praktikable Lösungen gefunden haben, damit dieses kahle, leerstehende Bürogebäude innerhalb von wenigen Wochen zu einem Flüchtlingsquartier umgewandelt wurde. Seither weiß ich, wie das geht, wenn man über seinen eigenen Schatten springt. Da war eine Eigentümerfamilie, die 60 Matratzen gespendet hat und auch sonst stets hilfreich zur Stelle war.

Was ist wirklich passiert im Flüchtlingsquartier?

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Miteinander im Quartier in der Münchner Bundesstraße

Und da waren unsere 150 Freiwilligen. Sie haben sich ab der Quartierseröffnung beherzt und tatkräftig eingebracht: In der Organisation des Materiallagers, beim Essensdienst, beim Bewohnerempfang, beim Aufbau von zahlreichen Integrationsaktivitäten und bei der Bildung von 25 Sprachtrainingsgruppen. Da waren die evangelischen Pfarrmitglieder von Salzburg, die auf die Bewohner zugegangen sind und für sie da waren. Ungezählte SpenderInnen sind einfach vorbeigekommen und haben gefragt, was wir brauchen. Und sie haben geliefert. Einer hat binnen zwei Wochen eine hHmepage erstellt, eine andere hat ein Kunstatelier aufgebaut, die Mitarbeiter einer Firma, gleich nebenan, haben 60 Fußballdressen vorbeigebracht und jemand anderer spendete wöchentlich reichlich frisches Obst und Gemüse.

Da war ein Konzept, das getragen war von Klarheit, Wertschätzung, aber auch mit einem strengem Reglement. So ein Männerquartier ist kein Experimentierfeld für gruppendynamische Übungen. Rasch war klar: Die Bewohner brauchen Sicherheit – in mehrerlei Hinsicht. Und diese Sicherheit muss erlebbar sein, vom ersten Tag an. „Null Toleranz gegenüber Gewalt“. Die Botschaft wurde verstanden.

Würde und Respekt

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Einfach dankbar.

Und noch was war da: Ein MitarbeiterInnenteam, das von Tag zu Tag sich vorgearbeitet hat, Ordnung in das anfängliche Chaos zu bringen und das Quartier von A bis Z gut zu organisieren, die Doku aufzubauen, Notfalllisten zu erstellen, interne Rufbereitschaften aufzubauen und diese auf lückenloses Funktionieren zu überprüfen; Kontakt mit Traumaexpertinnen herzustellen u.v.a.m. Und es war eine hochkooperative Bewohnerschaft, die sich in der Quartiersorganisation eingebracht hat, die Verantwortung übernommen hat dafür, dass dieses, in den Rahmenbedingungen nicht einfache Quartier, von einer guten Atmosphäre geprägt war. Wir haben die Betroffenen immer wieder zu Beteiligten gemacht. Manche Prinzipien bewähren sich in allen Feldern sozialen Engagements.

1000ende Stunden haben die vielen Freiwilligen mit den Bewohnern verbracht, sind in Beziehung gegangen, haben sie unterstützt am Weg in unsere Gesellschaft, haben Ausflüge gemacht, sie zu sich nach Hause eingeladen und haben vor allem eines vermittelt: „Ihr habt Würde und wir behandeln euch mit Würde“. Sie sind in Beziehung getreten. Das ist gelebte Integration! Viele Bewohner sind zwischenzeitlich schon ausgezogen und werden auch jetzt noch am Weg in unsere Gesellschaft von diesen Freiwilligen begleitet. Wir haben bald die Übersicht verloren, wie viele unterstützende Netzwerke entstanden sind. Und das ist auch gut so. 80% unserer Freiwilligen waren Frauen zwischen 20 und 80 Jahren. Angstfrei sind sie täglich in das Quartier gegangen und angstfrei sind aus dem Quartier gegangen. Auch das gehört zur Geschichte dieses Flüchtlingsquartiers und sollte gerade in Zeiten wie diesen deutlich gesagt sein.

So viel ist passiert

Die Bewohner erlebten wir dankbar für die behelfsmäßige Herberge ebenso wie gefrustet vom langen Warten und von den schlimmen Nachrichten aus ihren Heimatländern. Sie waren erleichtert, endlich sicher zu sein, so wie viele unter der Trennung von ihren Familien schwer litten. Manche lernten hoch motiviert Deutsch, manche waren dafür zu blockiert, aus vielen Gründen. Manche waren sehr hilfsbereit, manche waren es nicht. Manchmal gab es ernüchternde Erfahrungen und oftmals bewegende, bereichernde und sinnstiftende Erfahrungen. Eine lange Narration von Erlebnissen zwischen und mit den Bewohnern könnte hier noch fortgesetzt werden.

Das Projekt „Flüchtlingsquartier Münchner Bundesstraße“ ging jetzt zu Ende. Zurück bleibt am heutigen Tag bei mir ein dominierendes Gefühl: Jenes tiefer Dankbarkeit. Für das Diakoniewerk wird dieses Flüchtlingsquartier wohl immer zu einem besonderen Stück seiner Organisationsgeschichte zählen. Man geht aus so einer Erfahrung letztlich gestärkt hervor. Wir haben unsere humanitäre DNA gekräftigt. Wir haben das getan, worin unser Urauftrag liegt. Diakonie ist Nächstenliebe in unserer Zeit. Ich verneige mich vor allen MitarbeiterInnen, Freiwilligen und UnterstützerInnen, die dieses Flüchtlingsquartier 15 Monate lang getragen haben. Ich danke Ihnen. Ich danke euch, dass so viel passieren konnte.

Stellt euch ein Land vor, das groß ist wie Tirol. In diesem Land leben 4,5 Millionen Staatsbürger. Dazu kommen etwa 400.000 palästinensische Flüchtlinge, die schon in der zweiten und dritten Generation dort wohnen. Und noch einmal 400.000 GastarbeiterInnen aus Asien und Afrika. Und etwa 1,5 – 2 Millionen syrische und irakische Flüchtlinge. Das Land hat einen langen Bürgerkrieg hinter sich. Es lag im Krieg mit Syrien und Israel. Dieses kleine Land mit den vielen Menschen ist der Libanon. 18 anerkannte Religionsgemeinschaften sind Teil der politischen und  gesellschaftlichen Identität. Der Durchschnittslohn sind etwa 500 Dollar im Monat. Viele Libanesen haben in den letzten Jahren ihre Arbeit verloren. Syrische Flüchtlinge, die alten Feinde, arbeiten wesentlich billiger.

Kinder, die es nicht gibt

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Auf der Flucht geboren: Die kleine Ayla* ist nicht registriert und damit nicht existent für die Behörden.

Der Staat lässt die Flüchtlinge zu, kümmert sich aber nicht um sie. Gibt ihnen keinen rechtlichen Status. Das heißt besonders für die im Libanon geborenen syrischen Kinder, dass sie nicht existieren. NGOs gehen von 300.000 bis 400.000 Kindern aus, die im Libanon leben, die aber nicht registriert sind. Die auch keine Schule besuchen, später nie heiraten werden können. Die aber auch jederzeit benutzt werden können für Kinderarbeit, Zwangsarbeit oder Missbrauch. Wer soll für ein Kind, das nicht existiert, Rechte einfordern können?

Alle Gesprächspartner auf meiner Libanonreise haben eines gesagt:“Wir Libanesen sind kurz vor der Zerreißprobe. Wir haben selbst unsere ehemaligen Feinde, die Syrer, in unser Land gelassen. Das Ausland sieht nur die Syrer, hilft ihnen. Aber auch unzählige libanesische Familien leben unter der Armutsgrenze. Sie verlieren ihre Jobs an die Flüchtlinge. Auch sie brauchen Hilfe.“

Welche Hilfe braucht es?

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Mit ihrer Mutter, einem ehemaligen Hausmädchen, hat die kleine Vinita* Zuflucht im Frauenhaus gefunden.

Noch hält der Libanon, es ist eine ganz zerbrechliche Stabilität. Es braucht nur einen Funken und das Land schlittert in eine Krise. Millionen Menschen, die sich auf den Weg machen. Nach Europa? Was dann? Oberste Priorität der europäischen Flüchtlingspolitik muss die Stabilisierung der Lage im Libanon und in den anderen Nachbarstaaten Syriens sein. Jeder von uns kann dazu einen kitzekleinen Beitrag leisten, damit die Organisationen vor Ort den Menschen helfen, medizinisch, sozial und mit Bildung. Ich mache das gerne, weil ich vor Ort gesehen habe, dass die Hilfe auch ankommt:

Beth Aleph hilft Kindern von Migrantinnen und Flüchtlingen

Broumanna versucht die Integration von Flüchtlingskindern in die Schule

Rayfon ist ein Frauenhaus für Hausmädchen, Ehefrauen in Gewaltbeziehungen und Zwangsprostituierte  

*Namen geändert

Wie soll man sich auf den Besuch informeller Flüchtlingslager vorbereiten? Darüber lesen wir alle, sehen die Bilder im Fernsehen. Aber was ist die Realität? Wie geht es den Menschen wirklich? Wie schaut es dort aus? Wie riecht es? Gibt es Wasser? Strom? Wie organisieren die Menschen ihren Alltag? Wie kommen die Flüchtlinge dort hinein? Und gibt es eine Hoffnung auch wieder rauszukommen? Viele Fragen. Ich habe viele Antworten gefunden.

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Die Bekaa-Ebene im Libanon

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Ramsi aBojzid, Leiter der Caritas in der Bekaa-Ebene

Wir fahren nach Zahle , eigentlich bekannt für seinen Weinanbau, in der Bekaa-Ebene im Libanon. Dort hat die Caritas einen Stützpunkt und betreut Menschen in mehreren informellen Flüchtlingslagern. Der Caritasleiter für die Bekaa-Ebene, Ramsi aBojzid, empfängt uns in seinem Büro. Er ist Jurist, war Manager und ist seiner Berufung gefolgt in einer NGO zu arbeiten. Über ein Jahr macht er den Job. „Unsere Mission ist helfen. Unabhängig von der Religion oder Herkunft der Menschen. Unsere größte Schwierigkeit ist es, dass wir jeden Tag entscheiden müssen, wer Hilfe bekommt. Es ist nie genug für alle da.“

Ein besonders großes Problem ist die medizinische Versorgung. Wenn Menschen körperlich oder geistig erkranken, ist die Situation noch unerträglicher. Besonders für Kinder und Alte. Dazu kommen Rahmenbedingungen, die die Zukunft der Flüchtlingskinder, die im Libanon auf die Welt kommen fast hoffnungslos machen. Sie können nicht registriert werden. Der libanesische Staat tut das nicht. Nach Syrien können nur die allerwenigsten zurück, um ein Baby registrieren zu lassen. Aktuell sind es um die 300.000 Kinder im Libanon, deren Existenz im besten Fall durch eine Krankenhausbestätigung nachgewiesen ist. Alle anderen sind illegal. Kein regulärer Schulbesuch, keine Identifikation, keine richtige Arbeit oder Heirat ohne Papiere. Das heißt, keine Zukunft als Mensch des 21. Jahrhunderts.

Offiziell gibt es knapp eine Million registrierte Flüchtlinge im Libanon, doppelt so viele sind hier. In einem Land mit 4,5 Millionen Einwohnern. Unvorstellbare Realität.

Die Schawis sind die Chefs

Aber warum kommen so viele in den Libanon? Schon vor dem aktuellen Krieg gab es viele syrische Saisonarbeiter, besonders in der Landwirtschaft und am Bau. In der Bekaa-Ebene haben viele dieser Menschen von ihren alten Arbeitgebern gegen gutes Geld Land gepachtet. 30.000 Dollar zahlen sie für ein Grundstück.

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Das erste Lager, das wir in Zahle besuchen

Hier entstehen die informellen Lager, die die Menschen selbst bauen und die nicht etwa von der UNHCR errichtet werden. Schawis heißen diese Pächter, die anderen Flüchtlingen wiederum ermöglichen Zelte zu errichten. Für ein Zelt kassieren sie bis zu 1000 Dollar im Jahr. Die Schawis sind die Lagerchefs. Sie sorgen für Strom und Wasser. Sie vermitteln Saisonarbeit, dafür kassieren sie einen Teil des Lohns. 4-5 Dollar verdienen die Menschen am Tag in der Landwirtschaft. 1-2Dollar davon gehören dem Schawis. Es sind vor allem die Frauen, die raus müssen zur Arbeit. Auch der kleine Lagerladen gehört dem Schawis, hier gibt es Grundnahrungsmittel und Hygieneartikel.

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Unser Besuch ist eine willkommene Abwechslung für die Kinder

Mit diesem neuen Wissen fahren wir zum ersten Lager. Als wir ankommen bildet sich innerhalb von Sekunden eine Traube von Kindern. Da stehen wir nun, mitten unter ihnen. In einem Lager mit Zelten aus Plastikplanen über die Stromleitungen laufen. Die Wege dazwischen staubig. Ein Vertreter des Schawis kommt. Wir setzen uns mit ihm zusammen, stellen Fragen über Fragen. Ein Caritasmitarbeiter übersetzt.

Die größte Sorge der Menschen hier ist, wie sie sich auf den Winter vorbereiten können. In der Bekaa-Ebene kann es bis zu minus 10 Grad haben. Sie brauchen Decken, warme Kleidung, kleine Öfen und Heizmaterial.
Im Zelt einer Familie


Wir dürfen uns ein Zelt anschauen. Es ist kein gutes Gefühl, ich fühle mich unwohl. Frauen und Kinder sitzen am Boden. Ich gehe wieder raus. Ein Junge folgt mir. Er nimmt mich an der Hand und sagt „mutfak.“ Das verstehe ich. „Küche“ Das Zelt hat Nebenzelte. Zwei Schlafräume, ein kleiner Waschraum. Eine Miniküche. Stolz zeigt er mir den Kühlschrank, der nicht funktioniert. Darin sind Essen und ein paar Medikamente. Für Grippe erklärt er mir. Ich gebe ihm zu verstehen, dass er ein sehr höflicher und gastfreundlicher Junge ist.

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Freundlich verabschieden uns die Kinder – es gibt auch einen Luftkuss

Wir verlassen das Lager nicht ohne noch viele Bilder mit den Kindern gemacht zu haben. Jedes von ihnen will auf jedes Bild.

Keine Gebetsräume in den Flüchtlingslagern

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Der Gehilfe des Schawis führt uns durch das Lager

Das zweite Lager ist wesentlich schlechter. Es gibt nicht für jeden Strom. Das Wasser muss beim Wasserlastwagen gekauft werden, der jeden Tag vorbei kommt. Auch hier gehen wir mit dem Gehilfen des Schawis durchs Lager. Aus einem Lautsprecher tönen religiöse Gesänge. Es ist eines der ganz wenigen Lager, das auch einen kleinen Gebetsplatz hat. Das ist den guten Beziehungen des Schawis zu den Behörden geschuldet. Ansonsten verbietet der libanesische Staat Gebetsräume und kleine Moscheen, sie fürchten die Freitagspredigten, die die Menschen radikalisieren könnten. Oft werden informelle Lager auch um einige hundert Meter verlegt, weil die Armeeposten in der Nähe angegriffen werden könnten. Auch dieses Lager wurde verlegt.

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Wie ist es erst bei Regen hier im Flüchtlingslager?

Die Wege zwischen den Zelten sind uneben. Vor manchen Zelten steht eine Feuerschale, hier wird Wasser erhitzt. Bei einer unbeaufsichtigten Feuerstelle liegen glühende Kartonteile herum. Der Gehilfe schreit die Menschen aus dem Zelt heraus, deutet auf die glühenden Kartons, zertritt sie energisch. Es ist ein größeres Lager.

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Ein Schluck Kaffee für alle – Gastfreundschaft auch in größer Armut

Wir werden ins Empfangszelt gebeten und bekommen einen Kaffee serviert. Der Schawis-Helfer schenkt abwechselnd in zwei Tassen je einen kleinen Schluck starken Kaffees ein. Diese Zeremonie kenne ich aus der Südosttürkei. Und wieder stellen wir viele Fragen. „Möchten Sie weg aus dem Libanon? Nach Europa?“ Seine Antwort verblüfft uns:“Ich hätte für die ganze Familie eine Ausreise der UNHCR für Kanada bekommen. Ich, meine Frau und die 13 Kinder. Das wollte ich nicht. Dort habe ich keine Kontrolle über meine Familie. Mein Cousin ist schon dort. Er musste in Kanada für vier Tage ins Gefängnis, weil er eines seiner Kinder geschlagen hat.“

„Die Hoffnung, dass es besser wird, treibt uns an. Jeden Tag!“

Es wird uns klar, dass die Menschen sich auf längere Zeit im Libanon einrichten. Ihr Leben ist davon bestimmt, das Überleben für den nächsten Tag zu sichern. Die Caritas unterstützt in diesem Lager vor allem die Kinder, sie sorgt für den Transport in verschiedene Schulen, wo Flüchtlingskinder Unterricht bekommen. Dazu gibt es Nahrungsmittelspenden und manchmal eine kleine Geldsumme für die Familien.

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Stolz zeigt das kleine Mädchen ihr Bild in einer Publikation der Caritas Salzburg. Mit Hilfe von Spenden aus Salzburg kann sie eine Schule besuchen.

Ohne die Hilfsorganisationen wäre ein Überleben für den Großteil der Flüchtlinge nicht möglich. Sie sorgen dafür, dass es eine fragile Stabilität gibt. Ansonsten würde im Libanon das Chaos ausbrechen.

Wir haben zwei Lager gesehen von unzähligen, die es in der Bekaa-Ebene gibt. Mir wird klar, dass hier auch ein Teil der Zukunft Europas bestimmt wird. Wenn der Libanon zusammenbricht, dann steht Europa vor einer Herausforderung, die das Jahr 2015 nur als kleines Vorspiel erscheinen lässt. Es liegt auch in unserer Hand, dies zu verhindern. Oder um es mit den Worten eines Caritasmitarbeiters zu sagen: „Die Hoffnung, dass es besser wird, treibt uns an. Jeden Tag!“

Wir sollten alle unseren Beitrag leisten, dass der Funken der Hoffnung weiterglüht.

In einer Moschee in Afghanistan detoniert eine Bombe. 14 Menschen sterben. Pilger, die in dem Gotteshaus einen religiösen Feiertag begehen wollten. Einen Tag zuvor werden 17 Menschen in Kabul bei einem Bombenanschlag in den Tod gerissen. Männer, Frauen, Väter, Mütter, Söhne, Töchter, Brüder und Schwestern. Sie müssen sterben, weil einige Fanatiker es so wollen. Weil sie sich dazu berufen fühlen. Seit Generationen ist das Land am Hindukusch Kriegsgebiet. 1979 marschieren sowjetische Truppen dort ein. Zehn Jahre später ziehen sie sich aus der „abtrünnigen“, schwer kontrollierbaren Teilrepublik zurück und hinterlassen das Feld der Zerstörung den Mudschaheddin. Von der Außenwelt unberücksichtigt nimmt die Radikalisierung ihren Lauf. Die afghanische Gesellschaft verliert ihre Basis und ihre Mitte. Stattdessen regieren Chaos und Gewalt in den Straßen von Kabul. Gottesfürchtige Krieger, die in pakistanischen Flüchtlingslagern aufgewachsen sind und dort das Kämpfen und den Islam verinnerlicht haben, wollen angeführt von dogmatischen Talibanführern in einem „Heiligen Krieg“ einen Gottesstaat installieren. Bis Anfang der 1990er-Jahre werden die Mudschaheddin zunächst mit fünf Milliarden US-Dollar unterstützt. Sie sollen die Sowjets abschütteln und bekommen dafür Waffen und Munition. Ein Jahrzehnt später bekämpft die US-Regierung die Taliban mit Milliardenbeträgen aus amerikanischen Steuergeldern. Die Appelle der UNO dazwischen finden kein Gehör. Die internationalen humanitären Hilfsmittel sind im Vergleich zu den Militärausgaben Peanuts. Stattdessen verwandelt sich Afghanistan auf der Suche nach Osama Bin Laden und weil seit jeher Öl durch die kaspische Region fließt einmal mehr zum internationalen Kampfschauplatz.

In der syrischen Stadt Aleppo begräbt ein eingestürztes Wohnhaus 25 Menschen unter sich. Syrische Kampfjets haben im Duett mit russischen das Gebäude in Schutt und Asche verwandelt. In den Trümmern werden später die Leichen von Kindern geborgen. Sie sind Opfer eines Bürgerkrieges, der das Land im Nahen Osten in die Steinzeit katapultiert hat. Doch jenseits der Grenze im Irak sieht die Situation nicht wesentlich besser aus. In drei sogenannten Golfkriegen und immer wiederkehrenden Wirtschaftsembargos hat die Bevölkerung über Generationen hinweg das Überleben aber auch das Kämpfen gelernt. Krieg, Zerstörung und Armut haben dem IS-Staat und seiner Miliz den Weg geebnet und einen Nährboden für unendlichen Hass geschaffen.

Der Tod ist in diesen Regionen der Welt ein ständiger Begleiter. Er löscht Leben aus und begräbt die Hoffnung. In der fernen Schweiz verhandeln indes Vertreter von Großmächten über die Lage im Bürgerkriegsland Syrien. Sie schmieden Allianzen, besprechen ihre taktische Vorgehensweise, entwickeln Strategien mit Bündnispartnern und setzen neue Ziele für ihre politischen und militärischen Missionen. Währenddessen treffen Waffentransporte in Saudi-Arabien ein. Die selbstgesteuerten Raketen, entwickelt in einem westlichen Industriestaat, werden später Häuser im Jemen dem Erdboden gleichmachen und Menschen unter den Trümmern begraben. Diese Menschen werden Opfer einer vermeintlich hochentwickelten Technologie und eines zweifelhaften Fortschritts.

Krieg ist global. Er ist ein lukratives Geschäft und kennt keine Grenzen. Warum sollte er auch? Wer seine Spielregeln bestimmt, kann gut von diesen leben. Ähnlich verhält es sich mit dem Terror. International gesehen ist der Terrorismus, von einem Staat ausgeübt oder einer radikalen Gruppierung, ein Big Business. Ein globaler Wirtschaftszweig, hinter dem bestimmte Interessen und Absichten stecken – irrational, unbegreiflich und menschenverachtend – aber selbst wenn Millionen sterben, profitieren einige wenige von ihrem Tod. Religionen und Ideologien sind den wahren Beweggründen vorgeschoben. In Wirklichkeit geht es um Bereicherung, Machtentfaltung, Ausbeutung, Unterdrückung und Unterwerfung ganzer Bevölkerungen.

Nationalismus kann diesem Terror nichts entgegensetzen. Er ist eine hilflose Antwort, die wiederum Unfrieden stiftet. Nationalismus ist die Triebfeder für kriegerische Auseinandersetzungen. Europa sollte das aus seiner Vergangenheit wissen. Ultra-Nationalisten und Faschisten haben den europäischen Kontinent und die Welt im 20. Jahrhundert in zwei Kriege und in den Untergang geführt. Nationalisten haben nicht nur Neid, Missgunst und Hass geschürt, sondern Millionen Menschen auf dem Gewissen. Sie haben die Massen mit falschen Idealen und Versprechen auf ihre Seite gebracht. Familienväter wurden zu Henkern und Totengräbern, Mütter zu Vollzieherinnen eines Unrechtssystems.

Im 21. Jahrhundert machen Autokraten ihre Grenzen dicht, um Flüchtlinge auszusperren, zensurieren oder verbieten Oppositionsmedien und verletzten Persönlichkeitsrechte der eigenen Bevölkerung. Militärbudgets werden aufgestockt und Sozialleistungen eingespart. Von öffentlicher Seite finanzierte Bürgerwehren sollen Städte und zuweilen das Land sicherer machen. Videokameras in Straßenbahnen sollen Passagiere vor Übergriffen schützen. In politischen und medialen Diskursen bestimmen Bedrohungszenarien die Debatten, gesellschaftliche Probleme werden kaum diskutiert. Bevölkerungsgruppen werden zu Sündenböcken abgestempelt. Neonazis marschieren auf Plätzen und Straßen auf. Unterkünfte von Asylsuchenden brennen.

Rechtspopulistische Politiker scheinen einfache Antworten auf komplexe Fragen zu kennen. Sie befinden sich mit ihren national-chauvinistischen Spinnereien und Phobien im Aufwind und fühlen sich im Glauben bestärkt „ihre“ Bürger beschützen zu können, während sich die Spirale der Gewalt unaufhaltsam weiterdreht, weil die Gier nach der eigenen Macht keine Grenzen kennt und die Welt zu verschlingen droht.

Wenn ich in ein Land fahre oder fliege, das ich nicht kenne, spreche ich vorab üblicherweise mit Menschen, die von dort kommen. Da hatte ich es in den letzten Jahren wirklich einfach. Als Deutschlehrerin durfte ich Schülerinnen aus fast 100 Nationen unterrichten. Von Albanien, über den Kongo, Südkorea bis Venezuela. Aber Libanon? Ich kenne niemanden aus dem Libanon.

Du fliegst zu Gaddafi?

Also muss ich mich ganz klassisch vorbereiten. Mit Büchern und dem Internet. Nächste Woche fliege ich mit der Caritas nach Beirut. Dort besuchen wir Caritas-Einrichtungen, die auch von Spendengeldern aus Österreich unterstützt werden. Eine Schule, Flüchtlingslager, ein Frauenhaus. Natürlich erzähle ich allen, die es wissen oder auch nicht wissen wollen davon. Und immer kommen die drei Bemerkungen:

  1. Von den älteren Semestern: Ja früher war der Libanon ein wunderbares offenes Land und Beirut das Paris der Levante. Aber mit dem Bürgerkrieg ist alles kaputt gemacht worden
  2. Von jenen, die sich für Flüchtlinge interessieren: Der Libanon hat doch mehr als eine Million Flüchtlinge aufgenommen, obwohl die so ein kleines Land sind.
  3. Von einigen, die null Interesse haben: Was tust denn beim Gaddafi?

Periscope und Elendstourismus

Und ich? Was weiß ich? Auch nicht viel mehr. Bücher und Internet helfen da weiter. Jeden Tag schau ich auf Periscope, da sieht man Livevideos aus aller Welt, um ein bisschen einen Eindruck zu bekommen. Interessant war die Busfahrt mit einer italienischen Reisegruppe durch Beirut. Und die Videos einer Hochzeitsfeier, da ging die Post ab.

Aber wie soll ich mich auf ein Flüchtlingslager vorbereiten? „Was machst du denn auch so eine Elendstourismus-Reise?“ meinte jemand zu mir. Das hat mich lange beschäftigt. Ich fliege dorthin, bin fünf Tage unterwegs und mein Reisepass ermöglicht mir wieder nach Europa zurückzukommen. Ohne Schlepper, Boot, Kleinlastwagen. Seit 1993 habe ich mit Flüchtlingen zu tun. In meiner politischen Funktion bin ich seit 2014 zuständig für die Integrationsagenden in der Stadt Salzburg. Mehr als je zuvor sind Flüchtlinge in den Focus der Integrationsarbeit gerückt. Natürlich sieht jeder von uns tagtäglich die Bilder aus den Flüchtlingslagern, kennt die Reportagen der Auslandsmagazine im Fernsehen. Und wer mit Flüchtlingen arbeitet, kennt die unzähligen Erzählungen der Menschen. Aber ich will es selbst sehen, ich möchte selbst zu einem Urteil kommen. Ich will auf dieser Caritasreise in den Libanon lernen und erfahren. Damit ich in Salzburg in der Integrationsarbeit vielleicht etwas besser machen kann. Im Sinne aller, der Salzburger und der Flüchtlinge.

Mit diesen Gedanken und dem Wissen aus Büchern und Internet fliege ich und komme wahrscheinlich mit unerwarteten Eindrücken zurück. In zwei Wochen weiß ich mehr!