Abgedroschen aber wahr ist das Sprichwort: „Wenn einer eine Reise tut! dann…“ ja was dann?
Ich war jetzt vier Tage in Rumänien, mit einer Gruppe, die etwas erfahren wollte, was viele Menschen in Europa, in Österreich in Salzburg beschäftigt. Ja, warum kommen denn die Bettlerinnen und Bettler zu uns? Setzen sich auf die Straße und wollen Geld von uns. Es gibt viele Meinungen dazu, Vorurteile, Wissen und Nichtwissen. Ich möchte meine Erfahrung einbringen, die ich in den 4 Tagen in Rumänien machen durfte. Wir haben viele Programmpunkte gehabt und ich will fünf davon herausnehmen und davon berichten. Ich will kein Urteil abgeben, kein Vorurteil widerlegen noch bestätigen. Ich will versuchen einfach zu schildern, was ich gesehen, gehört und gefühlt habe. Und ich will versuchen nicht zu werten.
Die Romasiedlung
Wir fahren durch eine Romasiedlung. Es sind mehr Hütten als Häuser. Daneben Verschläge. Überall sind Kinder, Frauen, Männer, Hühner, Kühe, auch ein Schwein. Die Menschen winken, einige deuten uns, wir sollen Geld da lassen. Das Wetter ist sonnig, fast fühlt man sich versetzt in einen Roman von Ebner Eschenbach aus dem 19. Jahrhundert. Außen die dörfliche Idylle, dahinter der Kampf ums Überleben. Ich stelle mir kurz vor, wie es hier wohl aussieht, wenn es regnet, wenn es Winter ist. Kann man die Straße dann überhaupt noch befahren? Wie wird es warm in den Hütten? Das Schwein ist dann sicher geschlachtet, auch ein Teil der Hühner.
Sebes – es geht doch
Der Vizebürgermeister und die Leiterin der Sozialabteilung empfangen uns im Saal des Rathauses. Sie schildern, was sie machen. Wie viele oder besser wie wenig Gelder sie zur Verfügung haben, um soziale Maßnahmen in der Stadt zu setzen. Wir spüren, es ist ihnen ernst. Sie wollen in ihrer Stadt das Bestmöglichste tun. Sie wollen nicht nur die wenigen Gelder an einzelne Personen verteilen, sie wollen nachhaltig was tun. Eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung, geführt von der Diakonie, ist so eine nachhaltige Maßnahme, in der auch Gelder der Stadt stecken. Die Menschen hier erleben einen Tagesablauf, der ihnen Sinn gibt, sie stellen etwas her, sie erfahren Respekt. Sie sind ein bisschen Teil der Gesellschaft. Im Altenheim von Sebes sehe ich das große Bemühen um ein menschenwürdiges Leben für die alten Männer und Frauen. Über Stufen geht es in die Zimmer, zwei bis vier Personen sind hier untergebracht. Ein niedriges Bett, ein Kasten, ein Nachttisch. Bei den Frauen stehen hier Plastikblumen, Heiligenbildchen und Fotos von früheren Zeiten. Bei den Männern steht fast nichts. Über Stufen geht es in die Duschen, auf die Toiletten. Die Küche ist EU-konform. Nirosta, HCCP – geprüft, ein Raum für das Gemüse, ein Raum für das Fleisch. Der Veranstaltungsraum ist im ersten Stock über beschwerliche Treppen hinauf. Die Direktorin sagt, dass dieser Raum ins Erdgeschoss verlegt wird, das ist die nächste Maßnahme. Im Garten Apfelbäume voll mit Früchten, dazwischen Bänke. Es ist alles sehr sauber, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wirken sehr freundlich, sehr bemüht. Die alten Menschen sitzen auch draußen, rauchen, schauen in die Sonne, haben sich in ihr Schicksal ergeben.
Das stille Kinderheim
Wir fahren in ein staatliches Kinderheim. Wir sind zu fünft. Knapp 200 Kinder wohnen hier. Am Tor macht uns der Sicherheitsmann auf. Fünf mehrstöckige Blöcke, ein paar einstöckige Häuser und dazwischen viel Fläche. Ein Teil davon ist mit vielen Blumen bepflanzt. Ein paar Spielgeräte und ein kleiner Fußballplatz. Alles verlassen, leer. Die Direktorin empfängt uns. Wir gehen gleich zu den Blöcken, hier wohnen die Kinder. Sie sagt es ist gerade Schlafenszeit, von zwei bis vier Uhr. Wir betreten einen Block. Im Erdgeschoss ein paar Zimmer, voll mit Spielsachen, vor allem Plüschtieren. Die Wände sind leer, keine Bilder, keine Poster. An jeder Tür hängt eine Liste mit etwa 20 Namen, es ist jeweils der Gruppenraum. Wir gehen in den ersten Stock. Hier sind die Schlafräume für je drei bis vier Kinder. Und hier liegen sie auch. Auf jeder Matratze ist eine Plastikhülle, darauf ein verrutschtes Leintuch. Die Kinder liegen in den Betten. Manche schauen uns an, nicht schlaftrunken, sondern eher weggetreten. Eigentlich sehen sie uns nicht. Die Direktorin öffnet den Kleiderkasten, zeigt uns die ordentlich gestapelten Kleidungsstücke. An den Wänden nichts, kein Bild, kein Poster, nur die weiße Wand. Es gibt auch keine Nachttischchen. Nur die Betten und der Kasten. Und die Kinder drinnen mit ihren vier, fünf, sechs Jahren.
Im nächsten Block kommen wir zu den älteren Kindern, eigentlich sind sie schon Jugendliche. Unten wieder die Gruppenräume. In einem sitzen aufgefädelt auf zwei alten Sofas sieben Mädchen und starren in den Fernseher. Sie schenken uns einen kurzen Blick, erwidern das Hallo aber nicht. Sofort richtet sich ihr Blick wieder auf den Fernseher. Im nächsten Raum spielen zwei Mädchen, Schwestern wie die Direktorin erklärt, Mensch ärgere dich nicht. Wir unterhalten uns mit wenigen englischen Worten mit ihnen. Nicht nur ich habe das Gefühl, dass sie für uns Mensch ärgere dich nicht spielen. In den oberen Stockwerken die Schlafräume, Betten, zwei Kästen, sauber aufgeräumt und einige Plüschtiere. Keine Bilder, keine Poster, nichts was darauf hinweist, dass hier junge Mädchen wohnen. Jetzt gehen wir mit der Direktorin in die Bibliothek und das Musikzimmer. Bildung ist wichtig erklärt sie uns. Im Bücherkasten verstauben die Druckwerke. Im Musikzimmer stapeln sich neben alten Sachen eingepackte Gitarren.
Wir gehen weiter zum Speisesaal. Daneben ist die Küche, EU-konform wie uns die Direktorin erklärt, natürlich Nirosta und HCCP-geprüft. Im Raum mit der Abwasch sind fein säuberlich die Blechteller gestapelt. Wir sind am Ende unseres Rundgangs und gehen wieder über den Hof. Dort steht eine Erzieherin mit einem Küberl voller blauer Zuckerl. Die Direktorin erklärt uns, dass es immer um vier Uhr nachmittags eine Süßigkeit für die Kinder gibt. In diesem Moment kommen sechs Kinder aus einem Block, stellen sich in einer Reihe an und empfangen aus der Hand der Erzieherin jeweils ein Zuckerl. Wir bedanken uns für die Führung und machen uns wieder auf den Weg. Wir stellen fest, dass wir von den zweihundert Kindern nicht einen Laut, kein Lachen und keinen Schrei gehört haben.
Im staatlichen Behindertenheim
Am letzten Tag fahren wir nach einem interessanten Gespräch mit dem Stadtrat von Sibiu in einen Ort eine Viertelstunde entfernt von dort. Wir kommen an, der Sicherheitsmann öffnet das Tor für uns. Langsam fahren wir zum Parkplatz. Aus mehreren Gebäuden kommen uns Menschen entgegen. Neugierig, lächelnd, einige abwartend. Als wir alle ausgestiegen sind, sind wir schon umringt von ihnen. Sie geben uns die Hand, manche berühren uns an der Kleidung, an der Schulter, an den Armen. Einige schmiegen sich an uns und reden drauf los. Sie sagen ihre Namen, schnell macht ein Wort die Runde: Austria. Die Direktorin, eine Frau, die Management studiert hat und ihre Pflegedienstleiterin führen uns durch die einzelnen Wohnhäuser. Im Erdgeschoss der Wohnraum mit Tisch, Stühlen und dem Fernseher. Daneben sind eine Dusche, ein Waschbecken und ein WC. Oben sind die Schlafräume. Wir gehen weiter in ein größeres Haus, hier sind Menschen, die nicht so agil sind. Manche schauen durch uns durch, andere wippen hin und her. Immer wieder kommen aber auch jene, die uns begrüßt haben, berühren uns wieder und wieder und immer wieder die Frage: Austria? Die Direktorin lädt uns in das Verwaltungsgebäude, damit wir reden können. Bei Kaffee, Wasser und Keksen stellen wir unsere Fragen. Wie kommen die Menschen hierher? Viele sind aus Behinderteneinrichtungen für Kinder und müssen mit 18 Jahren ins Heim für Erwachsene. Wie sieht der Tagesablauf aus? Um sieben Uhr aufstehen, frühstücken, Beschäftigungstherapie, um 10 Uhr gibt es eine medizinische Abklärung, Jause, Freizeit, Therapie, Mittagessen, medizinische Abklärung, Freizeit, Essen, medizinische Abklärung, Abendessen, Freizeit, schlafen. Was ist ihr pädagogisches Konzept hier? Wir sprechen mit ihnen, wie mit Kindern und zu den Pflegerinnen sagen sie Mama. Was wünschen sie sich für die Zukunft? Wir wollen neue Fenster, einige Dächer müssen repariert werden und die Wasserleitung muss endlich funktionieren.
Das Reussdörfchen oder „Sie wollen doch“
Kinder sind die Hoffnung für die Zukunft. Kinder wollen lernen und gleichzeitig unbeschwert sein. Auch Kinder aus Romafamilien. Eine pensionierte Lehrerin sieht das so und hat gehandelt. Sie hat einen Kinderbauernhof in der Nähe von Sibiu aufgebaut. Kinder aus der Stadt und Kinder aus dem Dorf sollten hier Betreuung und Unterstützung finden, lernen, lachen, leben. Die Kinder sollten eine Chance für ihre Zukunft bekommen. Auch wenn viele, wie sie sagt, meinen, die Roma wollen nicht, dass ihre Kinder lernen. Sie hat ein Haus im Reussdörfchen, einer Ansiedlung von Sachsen, zum Kinderbauernhof umgewandelt. Sie sagt, Bildung ist der Schlüssel für ein menschenwürdiges Leben. Und sie sagt, dass sie die Kinder und ihre Familien dort abholt, wo sie sind. Wir kommen auf den Bauernhof, ein altes Haus, hergerichtet mit dem Charme der 1950er Jahre. Ein schöner Garten, viele Kinder, die schon ungeduldig auf uns warten, weil es Mittagessenzeit ist. Wir erleben fröhliche, selbstbewusste Kinder, die uns einen Tanz zeigen. Sie sind ein bisschen nervös, aber auch stolz. Sie haben großen Erfolg bei uns, wir sind begeistert, sehen in glückliche Kinderaugen, unterhalten uns mit Händen und Füßen. Die pensionierte Lehrerin entlässt uns mit den Worten“Steckt die EU-Gelder nicht in die Büros, sondern in die Bildung der Kinder“
Und jetzt?
Ich habe versucht möglichst objektiv meine Eindrücke von fünf der mehr als zehn Stationen in Siebenbürgen zu schildern. Am Anfang habe ich geschrieben, dass ich nicht werten will. Aber ich will versuchen aus dem Gesehenen, Erlebten und Gefühlten ein Resümee zu ziehen, das auch in der Gruppe so diskutiert wurde:
Ausgang und Grund unserer Reise war die Situation um und mit den Bettlerinnen und Bettlern in Salzburg? Viele von ihnen sind Roma. Die Plattform „Armut hat Platz“ aus Salzburg, unter der Federführung der Diakonie hat diese Reise organisiert. Damit wir nicht nur über ein Land und seine Leute reden, sondern mit ihnen, vor Ort. Tja und was ist jetzt das Resümee?
Es gibt nicht das eine Problem und es gibt nicht die eine Lösung. Wir sehen einen Bruchteil der extremen Armut auf unseren Straßen. Im Land selbst ist die Armut der Roma eine Armut neben vielen anderen. Es fehlt an so vielen Ecken und Enden, dass die Kommunen und Landkreise einfach überfordert sind mit den Defiziten, die es gibt. Wir haben Politiker und Verwaltungsbeamte kennengelernt, die es besser machen wollen, sich bemühen, das Beste aus der Situation zu machen. Wir haben welche kennengelernt, die die Situation einfach hinnehmen. Aber wir haben auch gesehen, dass eine Gruppe von Menschen am schwersten zu kämpfen hat, weil sie schon über Jahrhunderte nicht Teil der Gesellschaft waren, sondern immer am Rande der Gesellschaft gelebt haben. Und es wird noch Jahrzehnte brauchen die Situation der Roma zu verbessern. Bis dahin werden sie sich auf den Weg machen zu Orten, wo sie glauben, dass sie ihre Situation verbessern können. Keine Grenze, kein Gesetz kann Menschen davon abhalten dem letzten Zipfelchen Hoffnung zu folgen, auch wenn das eine Straße in Salzburg ist. Aber was kann ich, was können wir tun? Das was die alte Pädagogin aus Reussdörfchen gesagt hat, der Schlüssel ist die Bildung der Kinder und eines hat sie noch gemeint:
„Wir müssen es einfach tun, jeder von uns ist dazu aufgerufen!“