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Wir sind mitten in einer Pflegedebatte und jeder ist Experte. Hat er oder auch sie Verwandte im Seniorenwohnhaus oder eine Cousine, die Pflegekraft ist, dann kann man schon mitreden. Oder ist Politikerin, so wie ich. Politiker wissen sowieso immer alles am Besten.

Und mitten in dieser Pflegedebatte haben viele Menschen über den Nachtdienst gesprochen und geschrieben. Ich auch, obwohl ich das nur vom Hörensagen kannte. Also hab ich mir gedacht, dass ich es jetzt wirklich wissen will, wie so eine Nacht im Seniorenwohnhaus abläuft. Als verantwortliche Politikerin habe ich mich selbst zu einem Dienst im Seniorenwohnhaus Hellbrunn eingeteilt. Natürlich nur als Beiwagerl zu einer echten Pflegekraft.

Hier mein Bericht:

Hausgemeinschaft Hellbrunn

Um 19 Uhr komme ich ins Seniorenwohnhaus. Drei Hausgemeinschaften mit insgesamt 41 BewohnerInnen. Um 19.30 ist die Dienstübergabe an den Nachtdienst. Penibel wird über jede Bewohnerin, jeden Bewohner berichtet. Um 20 Uhr bin ich mit Frau Elisabeth alleine, sie ist heute Nacht zuständig für alle Menschen in den drei Hausgemeinschaften. Wir beginnen die erste Runde. Weit kommen wir nicht. Frau M. hat Angst vor Frau B., die sich gerade am Gang entkleidet. Beide Damen sind sehr dement. Frau Elisabeth bringt Frau M. in ihr Zimmer, beruhigt sie und versichert ihr, dass sie jetzt keine Angst mehr zu haben braucht, weil wir beide für sie da sind. Währenddessen verschwindet Frau B. auch in ihrem Zimmer. Bis auf die Unterwäsche lässt sie ihre Kleidung über einem Sessel am Gang hängen. Herr H. läutet dazwischen, er möchte auf die Toilette. Wir gehen zu ihm, aber jetzt muss er doch nicht mehr. Frau Elisabeth geht jetzt durch alle Zimmer, fragt nach dem Rechtem, schaut, ob etwas zu trinken da ist, erkundigt sich nach dem Wohlbefinden. Schaltet einen Fernseher für eine Bewohnerin ein, für eine andere aus. Um halb zehn dann, bringt sie Herrn K. zu Bett. Das ist nicht einfach, Herr K. sitzt im Rolli und ist sehr kräftig. Er gibt genaue Anweisungen, wie Frau Elisabeth das machen soll, damit er keine Schmerzen hat. Es dauert fast 20 Minuten bis Herr K. im Bett liegt.

Dazwischen läutet es, Herr H. will jetzt doch auf die Toilette. Er muss sich noch ein paar Minuten gedulden, bis wir bei ihm sind. Das sagt ihm Frau Elisabeth mit ruhiger Stimme über den Schwesternnotruf. Auf dem Weg zu ihm erzählt sie mir, dass er oft bis zu  acht Mal in der Nacht auf die Toilette will. Diese Nacht wird er nur zwei Mal wollen, eine seltene Ausnahme. Dafür wünscht er sich ein Butterbrot, was er natürlich auch bekommt.

Alltag

Apropos Toilette. Ich lerne in dieser Nacht, dass jeder Bewohner, jede Bewohnerin nach seinen Wünschen den Toilettgang erledigt. Herr H. sitzt am liebsten am Leibstuhl. Frau F. will selbstständig auf die Toilette gehen. Herr M. besteht auf seiner Urinalflasche. Andere, die sich nicht mehr artikulieren können, bekommen eine Einlage. Und weil Frau F. selbstständig auf die Toilette möchte, passiert es immer wieder, dass sie es nicht schafft. Beim Rundgang um Mitternacht entdecken wir Frau F. in ihrem Badezimmer, sie schimpft, dass es wohl erlaubt sei, alleine auf die Toilette zu gehen und da schon mal was passieren könnte. Von ihrem Bett bis ins Bad zieht sich eine Urinspur. Frau Elisabeth wischt auf und wechselt das Leintuch. Dabei muss sie sich von Frau F. anhören, dass sie das bitte selber machen kann. 

Dazwischen läutet wieder Frau M., weil sie sich fürchtet. Wir gehen zu ihr, Frau Elisabeth gibt ihr zu trinken und versichert ihr, dass wir beide auf sie aufpassen. Nach dem Rundgang, bei dem Frau Elisabeth manchen Bewohner umgelagert hat, ist es ruhig. Frau Elisabeth dokumentiert das bisher Geschehene, richtet die Medikamente für den Tagdienst. Ich husche davon und gehe ins Haupthaus in Hellbrunn. Dort ist es nach Mitternacht auch sehr ruhig. Auch im Stöckl, der kleinsten Einheit in Hellbrunn ist es ruhig und ich plaudere ein bisschen mit der Nachtschwester. Dann gehe ich wieder zu „meinen Bewohnern“. Ich komme gerade rechtzeitig für den Einlagenwechsel. Frau Elisabeth weiß genau, welche Bewohner eine frische Einlage benötigen. Mit ruhiger Stimme erklärt sie jedem, was sie genau tut. Im Halbschlaf bekommen die meisten nur wenig mit. Die ruhige Stimme von Frau Elisabeth lässt sie gleich weiterschlafen. Eine Bewohnerin begegnet uns am Gang, sie will schon zum Frühstück, es ist 4 Uhr. Wir können sie überzeugen, dass sie sich noch ein bisschen hinlegen soll. Die Vögel beginnen zu zwitschern. Jetzt zieht sich jede Minute, zumindest für mich. Frau Elisabeth dokumentiert am Computer weiter alle Geschehnisse der Nacht. Gegen 5 Uhr früh machen wir die letzte Runde. Die meisten schlafen, eine Bewohnerin sieht fern. Frau W. kommt aus ihrem Zimmer und fragt wie lange sie denn hier gebucht hätte. Frau Elisabeth erklärt ihr, dass es ihr Zimmer ist, sie könne immer hier bleiben. Frau W. fragt nochmals nach, ganz kann sie das nicht glauben. Jetzt läutet Frau M., sie hat wieder Angst. Wir kommen in ihr Zimmer, sie ist putzmunter und will wissen, wann ihr Mann kommt. Um 9 Uhr sagt ihr Frau Elisabeth und lädt sie ein mit uns zu kommen. Sie macht ihr einen Kakao, den Frau M. genussvoll trinkt. Dann schläft sie auf dem Stuhl ein. Das ist jeden Morgen so, sagt Frau Elisabeth. Gegen halb sieben kommen die Alltagsbetreuerinnen und beginnen das Frühstück zu richten. Um 7 Uhr sind die Pflegekräfte vom Tagdienst da und es beginnt das Dienstübergabegespräch. Um 7.30 Uhr ist Schluss für Frau Elisabeth und mich.

Was hat der Nachtdienst gebracht?

Notrufanlage

Ich bin froh, dass ich diesen Dienst mitgemacht habe. Ein großes Danke an Frau Elisabeth, die mir diesen Einblick gegeben hat. Sie ist eine wunderbare Frau, die hochprofesionell und mit großem Herz ihre Arbeit macht. Sie mag die Menschen, das spürt man bei jedem Wort und jeder pflegerischen Tätigkeit. 

Kein Nachtdienst ist wie der andere. Man weiß nie, was geschehen wird. Ich durfte eine relativ ruhige Nacht erleben. Es gab keine besonderen Vorkommnisse. Herausfordernd finde ich den Umgang mit demenziell erkrankten Menschen. Sie in ihrer Wirklichkeit zu verstehen und die Verbindung zu den Notwendigkeiten des Alltags in einem Seniorenwohnhaus herstellen. Ruhig zu bleiben, wenn drei Bewohnerinnen gleichzeitig etwas brauchen. Und es auszuhalten, dass man innerhalb einer Minute in einer ganz anderen Situation sein kann, auf jede Überraschung gefasst sein. 

Und wir müssen über die Rahmenbedingungen sprechen. Passt es so? Oder braucht es mehr? Wie viel Geld wollen wir als Gesellschaft für die Pflege ausgeben. Wann beginnen wir umzudenken und Ausgaben für Soziales als Investition zu sehen. So wie es die Politik seit Jahrzehnten sieht, wenn sie Bauten in Auftrag gibt. Diese Millionen werden immer als Investition in die Arbeitsplätze gesehen, das kurbelt die Wirtschaft an, heißt es, wenn man Gebäude und Infrastruktur baut. Arbeit für Menschen wird noch viel zu selten als Investition gesehen. Fangen wir damit an! Bei den Menschen, die in einem Seniorenwohnhaus arbeiten, im Kindergarten oder in einem Frauenhaus. Geben wir dieser Arbeit mehr Wert. Das hat mir der Nachtdienst wieder vor Augen geführt.

Wenn Andrea Sigl, Chefin vom Seniorenwohnhaus Hellbrunn, aus dem Nähkästchen plaudert, bringt sie einem zum Nachdenken.

Sie ist seit ihrem 18. Lebensjahr im Bereich der Pflege und Betreuung von Menschen tätig, davon lange Zeit in diversen Seniorenwohnhäusern. Ihr ist nichts Menschliches fremd und ihr täglich Brot ist die Zusammenarbeit mit Menschen. Natürlich mit alten Menschen und mit deren Angehörigen. Viele Bewohnerinnen in ihrem Haus sind dement. Demenz heißt in vielen Fällen, dass Menschen sich nicht mehr so benehmen, wie es „die Gesellschaft“ eigentlich erwartet. Gerade diese Woche hat die Polizei eine Bewohnerin ins Seniorenwohnhaus zurückgebracht, weil sie sie in der Stadt aufgegriffen haben. Mit zwei verschiedenen Schuhen an den Füßen. Ja, geht denn das? Ja, das geht, meint Andrea Sigl. Und wenn Menschen mit Demenz einfach nicht mehr mit dem Besteck essen wollen oder können, dann ist das auch gut, ergänzt Peter Speringer von der Küche, dann machen wir halt Fingerfood.

Warm, satt, sauber. ist das genug?

Die größten Sorgen der Angehörigen, aber auch mancher Mitarbeiter kann man mit „Sind die Senioren satt, sauber und haben sie es warm?“ zusammenfassen. Andrea Sigl erzählt, dass die Fragen der Angehörigen sich immer um das Körperliche drehen: Hat meine Mutter ihre Tabletten bekommen? Wann wird meinem Vater wieder der Bart gestutzt? Warum hat er schon wieder das gleiche Hemd an? Hat meine Mama zu Mittag alles aufgegessen?

Was sie in ihren langen Berufslaufbahn noch nie gehört hat: „Hat meine Mutter heute schon gelacht?“ Und genau so führt sie ihr Haus, der Mensch im Mittelpunkt, das Wohlfühlen die Basis, die Entscheidungsfreiheit der Bewohnerin Normalität und das Lachen eine Selbstverständlichkeit.

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