Gedanken zum Fastenbild „Flüchtlingslager Abu Shouk“ in der Pfarrkirche Salzburg-Parsch
Ein Beitrag von Günther Jäger
Im Zentrum der Kirche von Parsch hängt das Bild des Flüchtlingslagers Abu Shouk
Die Fastenzeit, zur Vorbereitung auf Ostern hin, verstehen wir als eine Zeit, in der wir unser Leben, unseren Lebensstil bedenken und überdenken. Für viele bedeutet die Fastenzeit auch „Reduktion“, ein Sich-Zurücknehmen. Eine Zeit, in der man auf Liebgewonnenes oder Gewohntes verzichtet, damit der Blick frei wird für das Wesentliche im Leben.
Auch die Tradition der Fastentücher – die, soweit mir bekannt ist, bis ins Jahr 1000 zurückreicht – zielt auf Reduktion, auf Verzicht. Mit dem Fastentuch werden Altar, Kreuze, Bilder verhüllt. Neben das körperliche Fasten tritt dadurch ein sinnliches Fasten; gleichsam ein „Fasten für die Augen“.
Das Fastenbild, das wir in der Pfarrkirche Parsch heuer aufgehängt haben, verhüllt nicht den Altar. Es schränkt auch nicht den Blick ein. Ganz im Gegenteil, es möchte uns anregen, unseren Blick zu öffnen und zu weiten.
Das aus vielen Kilomentern Höhe gemachte Satellitenbild zeigt uns einen Teil unserer Erde in ihrer faszinierenden und staunenswerten Schönheit. Es wurde bereits während der „Offenen-Himmel-Woche“ Anfang Oktober letzten Jahres mit 11 weiteren Satellitenbildern am Salzburger Domplatz gezeigt.
Das Satellitenbild zeigt mir aber auch wie brüchig das Leben auf unserer Erde ist. Die Erde: ein für den Menschen von Menschen bedrohter Ort. Die Aufnahme bildet das Flüchtlingslager Abu Shouk im afrikanischen Nordsudan ab. In diesem Flüchtlingscamp leben als Folge des Dafur-Konflikts 50.000 aus ihren Heimatdörfern vertriebene Flüchtlinge. Insgesamt verloren in diesem Konflikt, der ab 2003 den Sudan erschütterte, über 2,5 Millionen Menschen ihre Heimat.
Ich denke, dieses Bild steht für die Situation, in der wir uns heute befinden. Es könnte nicht aktueller sein. Ich brauche Ihnen nichts über die aktuelle Flüchtlingssituation sagen. Tagtäglich berichten die Medien davon, und wir sind direkt und persönlich damit konfrontiert. Ich weiss nicht, wie es Ihnen geht; ich aber fühle mich inmitten dieser beklemmenden Ereignisse meist ohnmächtig, zerrissen, schockiert und traurig.
Mir ist aber bewußt, dass mein Tun entscheidend ist für die Situation, die wir zu bewältigen haben. Mein Handeln prägt. Und als Christ weiss ich mich eingebunden in die Verantwortung für dieses Welt und für die Menschen.
Wenn es in der Fastenzeit darum geht, auf das Wesentliche in unserem Leben zu schauen, es zu suchen und zu finden, dann möchte ich Ihnen gerne einen Gedanken mitgeben, der mir in den letzten Wochen – inmitten der anhaltenden Flüchtlingskrise – wichtig geworden ist.
Wenn ich mich als Christ eingebunden weiß in die Verantwortung für die Welt und für die Menschen, dann merke ich gleichzeitig, dass diese Verantwortung wie eine Last auf meinen Schultern liegt und mich verzweifeln lässt. Ganz einfach: Sie überfordert mich.
Weiß ich denn, ob mein Protest gegen Krieg auch nur ein Menschenleben in Syrien und im Irak rettet; oder in Afghanistan oder in der Ukraine, in der Zentralafrikanischen Republik, im Sudan, in Somalia, in Libyien, im Ghasastreifen oder auf einem anderen der zahlreichen Kriegsschauplätzen dieser Welt? Oder weiß ich, ob meine konsumkritische Haltung im Alltag nur einen Menschen vor Hunger und Ausbeutung bewahrt?
Vielleicht bin ich ja für das Schicksal der Menschen in Syrien oder im Sudan gar nicht verantwortlich?! Vielleicht bin ich auch für das Kind im Kongo nicht verantwortlich, das für die Handyindustrie in einer Koltanmine schuftet?! Vielleicht bin ich für diese Menschen nicht verantwortlich, weil ich diese globale Verantwortung gar nicht übernehmen kann! Weil die Vorgänge auf der Welt bereits so komplex sind, dass es unmöglich ist, sie zu durchschauen.
Aber ich fühle mich mit den Menschen verbunden. Ihr Schicksal ist mir nicht gleichgültig, ihr Schicksal berührt mich. Ja, es ist mein größter Wunsch, dass sie ihr Leben selbstbestimmt führen können.
Wenn wir uns als Teil dieser Welt und des lebendigen Geschehens auf ihr begreifen, dann denken, fühlen und handeln wir anders. Flüchtlinge, Fremde, Notreisende begegnen uns dann nicht als Problemfälle, die wir „lösen“ müssen, sondern sie begegnen uns als Mitmenschen, deren Augen uns zur Begegnung auffordern, unmittelbar.
„Verbundenheit ist etwas anderes als Verantwortung“, so der Soziologe Hartmut Rosa aus Jena, „in ihr liegt nicht eine Verpflichtung, sondern vor allem ein Motivationsgrund, globale Zusammenhänge in unserem Handeln mit zu bedenken“.
Wir dürfen uns bei einer globalen Verantwortung überfordert fühlen. Verantwortlich aber sind wir dafür, ob wir uns als abgetrennt oder als verbunden begreifen.
Das Fastenbild, das uns einen Erdteil zeigt, der weit entfernt von uns liegt, möchte uns einladen, uns als Teil dieser Welt zu begreifen. Auch wenn ich immer wieder Ohnmacht den Ereignissen der Geschichte und meinem Leben gegenüber verspüren, möchte ich doch immer wieder Mut aufbringen, zu Handeln. Diesen Mut, tatkräftig zuzupacken, Gottes Ruf an uns bewußt zu werden, sich mit den Menschen verbunden zu fühlen, wünsche ich Ihnen in dieser Fastenzeit.