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Seit mehr als zwei Jahren gibt es am Sozialamt der Stadt Salzburg einen Mitarbeiter, Herrn Toporis, der Hausbesuche macht. Hausbesuche bei Menschen, die die Mindestsicherung bekommen. Er kontrolliert, ob die Menschen zu viel oder zu wenig bekommen und ob es sonst Probleme gibt.

Heute durfte ich ihn begleiten. Am Vormittag besuchten wir Klienten, um Nachschau zu halten. Nicht alle waren zu Hause. Von zweien will ich euch erzählen.
Ein großes Haus in einem noblen Stadtteil in Salzburg. Wir läuten an und ein Mann macht uns auf. Herr Toporis erklärt, dass er vom Sozialamt kommt und die Wohnung und die Wohnumstände sehen möchte. Auch mich stellt er vor. Der Mann bittet uns höflich einen Stock höher.
Wir betreten eine kleine Wohnung mit zwei Zimmern und einer kleinen Küche. Zwei Personen teilen sich diese Wohnung. Sie ist sehr sehr spärlich eingerichtet. Nur das notwendigste ist da. Ein Sofa, ein Bett, ein Kasten, ein Stuhl. Es gibt zwei Kühlschränke, ein paar Küchen Kästchen, ein wenig Geschirr. Und ein kleines Bad. Alles ist sehr abgewohnt, alt und auch nicht mehr richtig sauber zu kriegen. Aber es ist alles da, mehr gibt es nicht. Im Haus sind noch mehr Bewohner, insgesamt zwölf. Die meisten von ihnen sind anerkannte Flüchtlinge. Männer und Frauen. Alles ist sehr ärmlich, unwohnlich, eine absolute Notlösung. Mich erinnert es an die Unterkünfte für Flüchtlinge, die ich im Libanon gesehen

Das muss als Kochnische genügen

habe. Billig ist es nicht hier zu wohnen, bis zu 300 € pro Person ist an den Vermieter zu bezahlen. Zwischen den anerkannten Flüchtlingen wohnt eine Mindestpensionistin. In einem minikleinen Zimmer, voll geräumt mit Habseligkeiten. Sie sieht krank aus. Sie versichert uns, dass es ihr gut gehe, dass sie nichts brauche, dass sie alles habe. Wir sind sehr betroffen, wir werden die Seniorenbetreuung der Stadt Salzburg einschalten. Wir sprechen noch mit den anderen Bewohnerinnen, lassen uns das Gemeinschaftsklo und die Dusche zeigen und verabschieden uns dann.
Wir verlassen den noblen Stadtteil, jetzt geht es in einen Teil der Stadt, der nicht so einen guten Ruf hat. Wir wollen Klienten besuchen, die ein neues Bett beantragt haben, weil das alte kaputt sei. Auch hier läuten wir an und werden höflich hinein gebeten. Es ist eine schöne drei Zimmerwohnung, geräumig und hell. Wir lassen uns das Bett zeigen. Die Frau erklärt, dass die Matratze kaputt sei. Aber es ist nichts zu sehen, alles in Ordnung. Herr Toporis erklärt, dass sie kein neues Bett bekommen, weil das alte völlig ok ist.
Zwei Besuche, die sehr unterschiedlich waren. Einmal Menschen in großer Armut, die im Nobelviertel mehr hausen als wohnen. Der Mindestpensionistin werden wir helfen können, wenn sie die Hilfe auch annimmt.
Dann eine wirklich schöne Wohnung, nicht luxuriös aber alles sehr gepflegt. Das ältere Ehepaar schaut penibel darauf, aber ein neues Bett ist nicht zu rechtfertigen, das Sozialamt wird keine Kosten übernehmen.

Es war nicht das letzte Mal, dass ich mit Herrn Toporis mitgehe.

„Um die wirksame Ausübung des Rechts auf Wohnung zu gewährleisten, verpflichten sich die Vertragsparteien, Maßnahmen zu ergreifen, die darauf gerichtet sind: 1 den Zugang zu Wohnraum mit ausreichendem Standard zu fördern; 2 der Obdachlosigkeit vorzubeugen und sie mit dem Ziel der schrittweisen Beseitigung abzubauen; 3 die Wohnkosten für Personen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, so zu gestalten, daß sie tragbar sind.“ steht in  Artikel 31 der revidierten Europäischen Sozialcharta – Das Recht auf Wohnung.

Die Charta wurde von Bulgarien im Juni 2000 ratifiziert und trat mit 1.8.2000 in Kraft.

Die soziale Situation von Angehörigen der Roma in Bulgarien ist von absoluter Armut und massiver gesellschaftlicher Ausgrenzung geprägt. Teil dieses Komplexes sind auch die oft völlig unzumutbaren krank machenden Wohnverhältnisse: 40% der Roma besitzen keinen Frischwasseranschluss, 60% keine Kanalisation. 80% haben kein Bad. Die Lebenserwartung liegt deutlich unter dem Landesdurchschnitt, der Zugang zu guter medizinischer Versorgung ist fast unmöglich. Laut der Statistik besitzen Angehörige der bulgarischen Mehrheitsbevölkerung 23qm Wohnraum, Roma aber nur 10qm.
Eines der aus der Wohnsituation resultierenden Probleme für Roma-Familien auf dem Balkan stellt der Abriss ihrer meist ohne Baugenehmigung errichteten Häuser, Baracken oder Hütten dar. Da es sich in der Regel um ihre einzige Wohnmöglichkeit handelt, droht nach dem Abriss die Obdachlosigkeit. In Stara Zagora beispielsweise, einer Stadt mit knapp 140.000 Einwohnern, wurden stabile, neu gebaute Häusern abgerissen. Mit diesem Problem ist nun auch Stolipinovo, eine der größten Romasiedlungen auf dem Balkan, konfrontiert.

„Illegales“ Bauen in Stolipinovo

Vor 1989, also während der kommunistischen Ära, waren hundert Prozent der Baugründe im staatlichen Besitz. Hatte man eine notariell beglaubigte Genehmigung für den Hausbau, bekam man auch nach der Demokratisierung 1989 keine Probleme. Man konnte nun den Grund von Staat kaufen. In Stolipinovo entstand nach 1989 ein regelrechter Bauboom, und ein Großteil der Gründe ist nach wie vor in kommunalem oder staatlichem Besitz. 90 Prozent der Häuser stehen auf öffentlichem Grund und sind illegal errichtet. Anton Karagiosov, der Vorsitzende der Roma-Foundation stellt fest: Für die Roma im Stadtteil war und ist es kaum möglich, eine Baugenehmigung zu erhalten, auch wenn man alle erforderlichen Dokumente beibringen kann und bereit ist, das Haus entsprechend den geltenden Bauvorschriften zu adaptieren. Denn der derzeit gültige Bebauungsplan von Stolipinovo stammt aus dem Jahr 1965. Die gesamte Bautätigkeit seit dieser Zeit ist nicht erfasst worden. Darüber hinaus ist die Legalisierung eine in jeder Hinsicht aufwändige, bürokratische Prozedur, die für eine Roma-Familie kaum leistbar ist. Sie kostet alles in allem 2000 Leva (ca. 1000 Euro). Anton Karagiosov weist jedoch auf einen interessanten Widerspruch in der städtischen Wohnpolitik hin: Obwohl die Häuser in Stolipinovo illegal errichtet wurden, erhielten sie problemlos ihre Anschlüsse an das Stromnetz, das Wasser- und Kanalnetz der Stadt. Die staatliche Stromgesellschaft ist in den Besitz der niederösterreichischen Stromgesellschaft EVN übergegangen, und die Strompolitik der EVN ist die: Solange die Hausbesitzer ihren Stromverbrauch bezahlen (und Stolipinovo ist jenes Stadtviertel in Plovdiv mit der höchsten Zahlungsmoral!), spielt die fehlende Baugenehmigung keine Rolle.

Abrissaktionen sind auch für die BewohnerInnen von Stolipinovo nichts Neues: Alle zwei bis drei Jahre werden von der Stadtverwaltung die Roma-Viertel „gecleant“. Das bedeutet: Illegale Shops, völlig desolate, einsturzgefährdete Hütten aus Wellblech- oder Holzteilen werden abgerissen. Die Stadt hat sogar einen eigenen Budgetposten für das „Cleaning“, aus dem die Kosten bezahlt werden, die die Baufirmen für den Abriss, den Maschineneinsatz und die Beseitigung des Schutts verrechnen. Nun jedoch hat das „Cleaning“ eine völlig neue, für die BewohnerInnen bedrohliche Dimension angenommen: Eine ganze Teilsiedlung an der Banderitsa Straße, die am Rand von Stolipinovo liegt, soll dem Erdboden gleich gemacht werden. Im Herbst 2016 erschien eine von der Stadt eingesetzte Kommission, um die Häuser in dieser Siedlung zu kartographieren. Danach kamen die Abrissbescheide der Stadtverwaltung für ca. 30 Häuser am Ufer der Mariza. Fünfundvierzig Familien im Stadtteil sind aktuell durch die Abrissaktion der Stadt bedroht. Gegen diese Bescheide kann binnen einer Frist von vierzehn Tagen Einspruch erhoben werden. Danach wird noch eine Frist für den freiwilligen Abriss festgesetzt. Nach Verstreichen dieser Frist erfolgt der Zwangsabriss. Nach dem Zwangsabriss werden die Kosten durch die Kommune vom Hausbesitzer zurückgefordert – notfalls mit Gerichtsvollzieher. Das Bewusstsein, Rechte zu haben und das Wissen über die eigenen Rechte ist bei den BewohnerInnen von Stolipinovo äußerst gering. Deshalb wird dieses Einspruchsrecht kaum in Anspruch genommen. Dazu kommt, dass es kaum Möglichkeiten gibt, direkt gegen die Bescheide vorzugehen, meint der Rechtsanwalt der Roma-Foundation Todor Dimov. Der Einspruch erwirkt einen geringen zeitlichen Aufschub bis zum endgültigen Abriss der Häuser, aber nicht mehr. Er wird kaum zu einer Aufhebung der Bescheide führen.

Eine Salzburger Delegation in Stolipinovo

Da über 90 Prozent der privat errichteten Häuser in Stolipinovo ohne Baugenehmigung errichtet wurden, gibt es kaum eine rechtliche Handhabe gegen die Bescheide. Darüber hinaus sind die meisten der BewohnerInnen, die es trifft, nicht in der Lage, die ca. 150 Leva (ca. 75 Euro) zu bezahlen, die eine günstige Rechtsvertretung kosten würde.

Hausbau ohne Baugenehmigung

Der Hausbau ohne Baugenehmigung auf kommunalem Grund hat in Stolipinovo eine lange, z.T. hundert Jahre zurückreichende Geschichte und geschieht nicht willkürlich: Vor allem für die zu 98 Prozent erwerbslose Roma-Bevölkerung im Stadtteil war und ist es die einzige Möglichkeit, zu Wohnraum zu kommen. In der Stadt Plovdiv mit ca. 367.000 Einwohnern leben in vier verschiedenen Vierteln ca. 86.000 Menschen, die von der bulgarischen Mehrheitsbevölkerung der Minderheit der Roma zugerechnet werden. Stolipinovo ist mit seinen ca. 55.000 BewohnerInnen das bei weitem größte unter ihnen. Gerade Stolipinovo weist ein hohes Bevölkerungswachstum auf. Die Bautätigkeit ist rege, und die Menschen leben seit Jahren auf engstem Raum zusammen. Die Sprachbarrieren (eine Mehrheit der BewohnerInnen von Stolipinovo spricht türkisch, und viele können sich kaum in Bulgarisch verständigen, die absolute Armut und Segregation sowie die massiven Rassismen und Vorurteile der Mehrheitsbevölkerung gegenüber den Roma machen das Viertel zu einem der größten Ghettos in Südosteuropa. Auch für Angehörige der bulgarischen Mehrheitsbevölkerung ist es schwer, sich eine Wohnung zu leisten: In 22 der 28 EU-Staaten galt zum Stand Januar 2017 ein branchen­übergreifender gesetzlicher Mindest­lohn. Dabei verzeichneten die östlichen, ehemals sozialistischen EU-Staaten sehr niedrige Mindest­löhne von weniger als 500 Euro brutto im Monat. Das Schluss­licht bildete Bulgarien mit 235 Euro. Das sind umgerechnet 470 Leva. Allein die Stromrechnungen in diesem kalten Winter betragen im Schnitt 300 – 400 Leva. Logische Folge dieser katastrophalen sozialen Situation sind unzählige verschuldete Haushalte. Auch in Stolipinovo sieht man die Schilder der zahllosen, in Bulgarien allgegenwärtigen Easy-Credt-Firmen, die bis zu 40prozentige Zinsen für Kredite verlangen. Der einzige Ausweg für Roma, Wohnraum jenseits des Viertels zu bekommen, ist es, im Ausland zu arbeiten. Der Trend, ins Ausland zu gehen, um zu arbeiten, nimmt zu. Ein Familienmitglied, das in Deutschland arbeitet, kann von seinem Verdienst vier weitere ernähren. Nur wenige schaffen es allerdings, dabei genügend Geld zu verdienen, um sich im bulgarischen Nachbarviertel eine Wohnung zu kaufen.

Grundrechtliche Fragen

Im Zusammenhang solcher Abrissaktionen stellen sich eine Reihe von politischen und grundrechtlichen Fragen: Alle drei Punkte des Art. 31 der revidierten Europäischen Sozialcharta sind hier nicht eingehalten: Der Zugang für die Roma-Bevölkerung in Stolipinovo zu Wohnraum mit ausreichendem Standard ist in keiner Weise gewährleistet. Die Stadt Plovdiv hat es seit Jahrzehnten verabsäumt, die unzumutbaren Wohnverhältnisse im Stadtteil zu verbessern. Mit dem Abriss von Siedlungsteilen wird nicht der Obdachlosigkeit vorgebeugt. Er ist mit dem Ziel einer schrittweisen Beseitigung von Obdachlosigkeit unvereinbar; im Gegenteil: Er wird neue Formen der Obdachlosigkeit hervorrufen. Dass die Wohnkosten außerhalb Stolipinovos für Angehörige der Roma-Bevölkerung in ihrer sozialen Lage vollkommen untragbar sind, hat – neben der Diskriminierung und dem in der Mehrheitsbevölkerung verbreiteten Roma-Rassismus – zur Ghettobildung im Stadtteil wesentlich beigetragen.

Der Abriss bringt keine Lösung der katastrophalen Wohnsituation für die Romabevölkerung in Stolipinovo. Im Gegenteil: Er verschärft sie noch zusätzlich. Denn dort, wo die Menschen den absolut beengten, desolaten Wohnverhältnissen im Zentrum des Viertels mit der Bautätigkeit am Flussufer entkommen wollten, droht ihnen nun, mit dem Abriss, die absolute Obdachlosigkeit. Sie werden mitten im Winter mit ihren Kleinkindern in ausgebrannte Ruinen oder nicht fertiggestellte Rohbauten ziehen müssen, in denen es nichts gibt: keine Fenster und Türen, nackte Betonböden, keine Wasser-, Kanal- und Stromanschlüsse und keine Heizmöglichkeiten. Die Stadtverwaltung hat den Betroffenen nur einige wenige Übergangsnotwohnungen in Aussicht gestellt, die bei weitem nicht für alle reichen werden. Was die Menschen an der Banderitsa Straße nun beschäftigt: „Warum müssen unsere Häuser weg?“ Eine junge Frau mit zwei Kindern und kranken Eltern, die bei ihr wohnen, erzählt: „Ich habe sechs Jahre an diesem Haus gebaut und das Geld zusammengespart. Wieso kann es nun einfach abgerissen werden?“ Und: „Wo werden wir hingehen, wenn unsere Häuser weg sind? Wir wissen nicht wohin!“ Eine Frage, die in der Roma-Foundation diskutiert wird: Egal ob es sich um Garagen handelt oder um die einzige Wohnmöglichkeit einer vielköpfigen Familie, für den Abriss illegaler Bauten gelten dieselben gesetzlichen Bestimmungen, und es wird von der Stadtverwaltung dieselbe Vorgangsweise angewandt. Es ist für die bewohnerInnen vobn >Stolipinovo nicht nachvollziehbar, nach welchen Kriterien ihre Häuser auf die „Abrissliste“ kommen und nach welchen nicht. Denn prinzipiell sind im Stadtteil fast alle Häuser „illegal“. Die Bescheide kommen für die Betroffenen „aus heiterem Himmel“. Aus grundrechtlicher Perspektive jedochhat der Abriss von Wohnhäusern eine völlig andere Dimension als das „Cleaning“ von illegal errichteten oder baufälligen Shops und Garagen. Bei den Wohnhäusern  handelt es sich um die einzige Wohnmöglichkeit für die Betroffenen. Es gibt für sie keine Alternative.

Mögliche Lösungsschritte

Eine naheliegender Lösungsschritt wären Mediationsgespräche zwischen der Stadtverwaltung und der betroffenen Bevölkerung. Die Roma-Stiftung würde dabei als Vertreterin der BewohnerInnen auftreten können. Doch dazu ist es bisher in Plovdiv nicht gekommen. In Parvomay, einer Kommune im Bezirk Plovdiv, ist ein solches Projekt gerade angelaufen. Über Vermittlung der Roma-Foundation saßen die beiden Parteien zum ersten Mal an einem Tisch. Das Ergebnis der Mediationsgespräche wird im Mai dieses Jahres umgesetzt werden: Die Stadt bietet den betroffenen Roma-Familien zwanzig Baugrundstücke á 500 Quadratmeter zum Kauf an. Ein solches Grundstück wird 1000 Leva (ca. 500 Euro) kosten. Dieses Ergebnis der Mediation ist eine realistische Möglichkeit für die Familien, legales Wohnungseigentum zu erwerben. Die Foundation versucht, die Menschen dazu zu motivieren, dass sie diese Gelegenheit ergreifen, obwohl 1000 Leva für viele von ihnen eine kaum leistbare Summe bedeutet. Manche können sie aufbringen, manche nicht. Kredite von Banken sind kaum zu bekommen, da über 90 Prozent kein regelmäßiges Einkommen nachweisen können. Man versucht nun, mit der Kommune Ratenzahlungen auszuhandeln. Darüber hinaus ist für viele Betroffene dieser Schritt schwer einzusehen: Sie besitzen ja ein mit eigenen Mitteln und eigenen Händen gebautes Haus, das sie nicht verlassen wollen.

Dr. Josef Mautner

Ein Beitrag von Monika Rattey

Grau ist die Straße in der Nähe des Salzburger Hauptbahnhofs. Keine bunt herausgeputzten Barockbauten für aufgeregt herumwuselnde Touristen, die täglich in Reisebusgrößen aus allen Teilen der Welt in die Altstadt kommen, sondern unscheinbare Vor- und Nachkriegsbauten säumen die Plainstraße. Es ertönt kein helles, fröhliches Gebimmel vom Glockenspiel-Turm auf dem Salzburg Museum. Nein, hier zischt und rauscht es in den Ohren, wenn der ICE langsam auf Touren kommt und auf dem Weg von Wien nach München beschleunigt.SOMA_7_Rattey

Es ist Mittwoch, 14.00 Uhr, und eine lange Traube von Menschen sammelt sich um das Haus Nummer Zwei in der Plainstraße, ganz ähnlich wie vor Mozarts Geburtshaus. Aber hier sprechen die Menschen eine andere Sprache nicht jene der Touristen in Salzburgs Altstadt. Sie sprechen deutsch, serbokroatisch, bosnisch oder türkisch. Manchmal auch yoruba, vietnamesisch, bulgarisch, mongolisch oder arabisch. Sie stehen Schlange. Sie warten darauf, dass sich endlich die Tür zum SOMA (Sozialmarkt) öffnet.

Es reicht net aus

In der Reihe steht auch die 82-jährige Theresia G. Gebückt, vom Alter gezeichnet, hält sie sich mit ihren zittrigen Händen an ihrem Rollator fest und wartet wie die anderen mit blasser, geduldiger Miene. Es ist soweit, die Ladentür öffnet sich und die Menschen strömen in das Geschäft. Frau G. schiebt sich auf ihren wackeligen Beinen langsam hinterdrein.SOMA_6_ChristineWeißkind_ChristineSteiner_Rattey

„I kauf hier einmal die Woche ein, weil’s billig is, und i mir sunst nix leisten kann“, sagt die Salzburger Pensionistin aus Itzling, die erzählt, dass sie mit der bedarfsorientierten Mindestsicherung, das sind für den Lebensunterhalt 596,18 Euro und fürs Wohnen 380 Euro auskommen muss. Davon gehen für die Miete und Betriebskosten ihrer 50-Quadratmeter-Wohnung allein 450 Euro weg. „Was bleibt, reicht net aus, um im Supermarkt ums Eck einz`kaufen“, so die alte Dame.

Im Sozialmarkt in der Elisabeth-Vorstadt darf nicht jeder einkaufen. Es ist ein Lebensmittelmarkt für Menschen mit geringem Einkommen. Die Kunden müssen vor dem ersten Einkauf darüber einen Nachweis den Mitarbeitern des Geschäftes vorlegen. Dann erhalten sie eine Einkaufskarte, mit der sie dort jeweils am Montag, Mittwoch oder Freitag, von 14.00 bis 17.00 Uhr günstig Lebensmittel einkaufen können. Die Waren werden nicht kostenlos an bedürftige Menschen abgegeben, sondern zu einem fairen Preis. Durch die Ersparnis beim Einkauf im Sozialmarkt, werden Mittel frei, sodass anderweitig etwas Nötiges gekauft werden kann.

50 Freiwillige engagieren sich

Die alte Dame hat heute ihre Lebensmittelkarte in ihrer Zweizimmerwohnung vergessen, doch Georg Steinitz, Obmann vom SOMA kennt sie bereits und grüßt sie freundlich: „Grüß sie Frau G., i schick gleich meine Kollegin, die wird ihnen helfen“,  sagt Steinitz, der den SOMA vor elf Jahren mitgegründet hat und dort seither wie 50 andere Freiwillige ehrenamtlich tätig ist und er ist stolz darauf: „Wir sind der einzige Sozialmarkt in Österreich, der sich alleine – ohne Subventionen durch die öffentliche Hand trägt und alleine durch ehrenamtliche Hilfe ermöglicht wird.“SOMA_5_MairHelga_Rattey

Frau G. kramt in ihrem dunkelgrauen Lodenmantel nach dem Einkaufszettel: „Heut bräucht i Joghurt, Butter, Nudeln. Da Kaffee is ma a ausgangen. Habens vielleicht wieder einen kriegt?“ Die ehrenamtliche Mitarbeiterin ist schon zur Stelle, muss die Seniorin jedoch vertrösten: „Heute haben wir leider keinen Kaffee, aber am Freitag soll eine Lieferung kommen.“

Im Sozialmarkt ist nicht immer alles parat. Dieser wird von verschiedenen Firmen, wie etwa Recheis, Hipp, Efko, Inzersdorfer oder Pfanner und einigen mehr gratis beliefert. Die Produkte, die falsch etikettiert wurden, kurz vor dem Ablaufdatum stehen, oder aus dem Verkaufssortiment genommen wurden, werden dem SOMA geschenkt. Es kann dann schon mal passieren, dass sich Paletten mit Essig-Kombucha Getränken stapeln, oder Zitronenteegranulat in der Größe eines Kleinlieferwagens im rund 60 Quadratmeter großen Geschäftsraum untergebracht werden muss. „Aber die Menschen sind dankbar für alles und wir werden auch das ganze Sortiment los“, erklärt die SOMA-Mitarbeiterin und durchsucht aufmerksam das Kühlregal nach den Milchprodukten für Frau G.

Auf der Kühlregalleiste sind die Preise verzeichnet: vier Becher Bio-Joghurt von der Firma Alpro kosten 30 Cent, ein viertel Kilo Butter auch nur 30 Cent. In den Regalen daneben ist heute Machland Apfelmus um 20 Cent pro Viertelglas zu haben. Die Packung Tortellini von Barilla gibt’s um 40 Cent. Und das Schwarzbrot vom Bäcker Ketter ist heute gratis, weil es gestern abgelaufen ist.

Aber der Andrang ist groß und Frau G. kann gerade noch ein viertel Kilo Brot ergattern. Denn durchschnittlich 100 Menschen aus der Stadt Salzburg aber auch aus dem Umland kaufen in den drei Stunden, in denen das Geschäft offen hat, ein. Insgesamt sind es 1.200 Menschen, die eine Einkaufskarte des SOMA besitzen.

Viele  Jüngere schämen sichSOMA_4_Einkaufskörberl

„Nach einer neuester Erhebung sind in Salzburg fast 13 Prozent der Bevölkerung armutsgefährdet, sie leben also unter der Armutsgrenze“, erklärt Robert Buggler, Leiter der Salzburger Armutskonferenz. „In absoluten Zahlen sind das 66.000 Menschen; das ist rund jede beziehungsweise jeder Achte“, so Buggler.

„Nicht nur Mindestrentnerinnen und -rentner sind darunter, auch viele Alleinerzieherinnen mit Kindern. 60 Prozent der Kunden kommen aus anderen Ländern, hauptsächlich aus Ex-Jugoslawien und der Türkei. Sogar ausländische Studenten aus der Mongolei oder Flüchtlinge aus Nordkorea kaufen hier billig ein“, erklärt Steinitz.

Viele Österreicher, besonders Jüngere würden sich jedoch nach wie vor schämen in einem Sozialmarkt einzukaufen, obwohl laut Steinitz, in den letzten Jahren ein Anstieg an Bedürftigkeit auch unter Jüngeren zu bemerken war.

Frau G. hingegen schämt sich ihres Einkommens nicht: „I kauf hier ein, weil i mir was von meiner klanen Rente zammsparen kann, des Leben is einfach z` teuer und i hab schon zu viel erlebt, als dass i mi schämen müsst.“ Sie wackelt, den Rollator vor sich hinschiebend, zur Kasse, sucht ihr Geldbörsel und zahlt ihren Einkauf. Ein viertel Kilo Butter, ein Glas Marmelade, vier Joghurt,  zwei Packungen Tortellini, ein Apfelmus und ein Packerl Sauerkraut und zahlt 1,70 Euro. „Des Brot zahl i ah noch“, meint sie bestimmend.

„Nein Frau G.“, antwortet die Mitarbeiterin von SOMA, „das brauchen s` nicht. Das Brot ist heute gratis.“

INFOBOX:

Im Land Salzburg gibt es an insgesamt vier Standorten Sozialmärkte, in der Stadt Salzburg, Hallein, in St. Johann im Pongau und in Zell am See. Zusätzlich wird im Pinzgau ein mobiler Sozialmarkt angeboten. Weitere Informationen und Öffnungszeiten auf der Website der Laube GmbH. Die Laube GmbH ist Träger der Sozialmärkte in den Bezirken. In der Stadt Salzburg betreibt der Verein SOMA den Sozialmarkt. Informationen dazu unter der Website vom SOMA Salzburg Stadt.

Die Sozialmärkte suchen laufend Firmen, die ihre Lebensmittel und Produkte, statt diese teuer zu entsorgen, zur Verfügung stellen und damit soziales Handeln beweisen. Vor allem Grundnahrungsmittel, Hygieneartikel oder Waschmittel werden benötigt.