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Whatever happened to Fay Wray? In der Rocky Horror Show vermisst Dr. Frank-N-Furter die Eleganz des Hollywood-Stars. Doch das ist nicht das Einzige, wofür sie berühmt ist: Fay Wray ging für ihre Rolle in King Kong als erste Scream Queen in die Filmgeschichte ein – die Königin der Schreie.

Lange gab es keine würdige Nachfolgerin. Bis 1978 ein billiger Slasher-Film eine regelrechte Welle an Teenie-Horrorfilmen auslöste – und Jamie Lee Curtis zur neuen Scream Queen einer ganzen Generation machte.

Ghostface – eine der populärsten Halloween-Verkleidungen von creepyhalloweenimages (Ghostface Mask) [CC BY 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons

Ghostface – eine der populärsten Halloween-Verkleidungen

Aufstieg und Fall. Und Aufstieg
Slasher Movies wie Halloween, Freitag der 13., A Nightmare on Elm Street erhielten endlose Fortsetzungen, bis sie zur ramschigen Meterware verkamen. Doch nichts ist so grausig wie die Realität: Anfang der 90er Jahre erschütterte eine Mordserie in Florida ganz Amerika – vier Stundentinnen und ein Student wurden vom Gainesville Ripper erstochen und ihre Leichen so arrangiert, dass der Schock-Effekt beim Anblick möglichst groß war. Die Taten inspirierten Horrormeister Wes Craven und Drehbuchautor Kevin Williamson. 1996 hauchten Sie mit Scream dem Slasher-Genre neues Leben ein. Und wer bis dahin dachte, Drew Barrymore würde nur als der Kinderstar aus E.T. – der Außerirdische in Erinnerung bleiben, lag falsch. Die ersten unvergesslichen 10 Minuten des Films gehören ganz ihr. Als erstes Opfer des sadistischen Mörders mit der unheimlichen Maske hat sie sich einen Ehrenplatz als Scream Queen verdient.

Das Besondere an dem Film war, dass er in seiner Geschichte die Metaebene mit einbezog. Der gruselige Ghostface-Mörder versetzt seine jugendlichen Opfer zuerst am Telefon in Angst, indem er ihnen Quizfragen über Horrorfilme stellt, die Schüler spekulieren darüber, welche Rolle sie hätten, wenn das ein Horrorfilm wäre – und welchen Mustern und Regeln die Ereignisse dann folgen müssten. Unzählige Filmzitate machten Scream zum frischen hocherfolgreichen, satirischen Slasher-Hit. Und schon war eine neue Welle ausgelöst.

Jetzt, fast 20 Jahre später gibt es Scream als Fernsehserie. Zuerst auf MTV ausgestrahlt, steht sie jetzt auf Netflix zum Streamen bereit. Hier seht ihr den Trailer [Oder ihr scrollt nach unten und lest weiter]

 

Morde in Serie
Wes Craven trieb die Story seines Films Scream rasch voran – und jagte uns zwischen Komik und Schauer von einem Ereignis zum nächsten. Ob eine Serie dasselbe schafft? Die erste Folge war recht vielversprechend. Insgesamt kommt die Serie jedoch nicht an den Film heran. Sie spielt aber von Neuem mit der Metaebene, und die Highschool-Schüler stellen fest: Ein Slasher Movie treibt die Story rasch voran – er eignet sich nicht für eine Fernsehserie. Hätte das der Autor dieser Zeilen mal selbst beherzigt. Es wäre sicher möglich gewesen etwas mehr Tempo und Spannung in die Geschichte zu bringen. Zwischen Folge 4 und 9 bietet die Serie zu viel von einer typischen, harmlosen Teenie-Serie und zu wenige Mordeinlagen. Stellenweise waren die Dialoge lang und spannungslos. Sie wirkten manchmal wie aus Dawson’s Creek. Interessantes Detail am Rande: Kevin Williamson, der Autor des originalen Scream-Films, schrieb auch Scream, die Serie – und von ihm stammt auch Dawson’s Creek. Als ich das gelesen hatte, war mir alles klar.

Damsels in Distress
Der Fernseh-Herbst hat aber noch eine vielversprechende Neuheit: Scream Queens. Die Serie hat mit Jamie Lee Curtis, inzwischen Grand Dame des Filmschreis, einen echten Trumpf in der Hand. Aber das ist nicht alles: Sie stammt noch dazu von den Machern von Glee und American Horror Story.

Hier seht ihr den Trailer [Oder ihr scrollt nach unten und lest weiter]

Was darf man sich also erwarten? Ziemlich guten Horror in Quietschbunt, mit viel Satire und völlig überzeichneten Charakteren – nicht nur für Teenies. Auch Erwachsene, die mal eine Abwechslung zu den düsteren Serienwelten von The Walking Dead und Game of Thrones suchen, könnten Gefallen daran finden.
Die Studentinnenverbindung Kappa Kappa Tau wird von der schönen, aber skrupellosen Mega-Zicke Chanel regiert. Am Uni-Campus geschehen bizarre Morde, und zwar gleich mehrere pro Folge. Wie es sich für eine Slasher-Story gehört, sind alle verdächtig: Chanel, die ihr treu ergebenen Verbindungs-Schwestern, aber auch die Studienleiterin – denn diese verachtet die verwöhnten Gören.
Es sind bisher drei Folgen veröffentlicht und die waren eine völlig absurde Mords-Gaudi – mit höchst-skurrilen Morden und ganz wunderbar, schrillen Schreien. Und mehr wird einem ja gar nicht versprochen. Ich bin gespannt, wie’s weitergeht.

Vorschaubild: FOX

Bild Ghostface: von creepyhalloweenimages (Ghostface Mask) [CC BY 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons

 

Ahnen- und Familienforschung ist im Trend der Zeit. Was wenn aber jemand in seinem 8. oder neunten Lebensjahr damit durch neugierige Fragen begonnen hat? Und viele Familienangehörige miteinbezieht? Und damit auch aneckt? Dadurch an künstlerischer Kraft gewinnt? Dann ist es Friedemann Derschmidt. Aber überlassen wir ihm selbst das Wort und fragen ihn, wie es begonnen hat, ob es ein ausschlaggebendes Erlebnis gab?

Friedemann Derschmidt:

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Friedemann Derschmidt

Als etwa acht- oder neunjähriges Kind stand ich vor der Stammtafel in der Wohnung meiner Großeltern. Mir fiel natürlich als Besonderheit auf, dass da meine Großmutter und ihre acht Geschwister in sehr eigentümlicher Weise abgebildet waren. Jede Person war einmal von vorne, einmal im Profil und einmal im Halbprofil dargestellt. Das war erstaunlich – vor allem aber bemerkte ich, dass bei einem, nämlich dem Zwillingsbruder meiner Großmutter, nur eines dieser drei Bilder vorhanden war. Das regte mich an, zu fragen: „Großmutti, warum haben hier alle drei Bilder, nur der hier hat nur eines?“ „Weißt du, die anderen beiden Bilder haben wir abgenommen, das war nach dem Krieg zu gefährlich.“ „… aber warum gefährlich?“ „Da hatte mein Bruder eine SS-Uniform an.“ „Aha …“ (Damals wusste ich nicht, was das bedeutete.) „… aber warum kenn′ ich den nicht? Die anderen kenn′ ich ja mehr oder weniger.“ „Weißt du, der ist damals in Russland erschossen worden“, und nach einer kurzen Pause: „Das war wahrscheinlich auch besser so.“

Bin ich wer Besonderer?

In den späten 1960er- und den frühen 1970er-Jahren wurde ich in einer bekannten oberösterreichischen Großfamilie in dem Bewusstsein erzogen, etwas „Besonderes“ zu sein. Worin diese Besonderheit bestehen sollte, war unklar. Über die Jahre und nicht ohne die Hilfe einiger kritischer Mitglieder der Familie fand ich heraus, dass in der Großfamilie ein sehr komplexes Gespinst aus Mythen, Legenden und Lügen über die Vergangenheit und die Generationen der Großeltern und Urgroßeltern gewoben worden war. Ich erkannte, dass auch Menschen, die mir emotional sehr nahestanden, aktiv an dieser Selbstverherrlichung der Großfamilie teilhatten und teilweise daran bis heute festhalten. Innerhalb dieses Kokons aus Geschichten wurde mir schrittweise immer klarer, dass nicht wenige Familienmitglieder aktive und begeisterte Nazis gewesen waren. Von diesen waren viele NSDAP-Mitglieder, einige sogar hohe Offiziere bei SS und SA gewesen und manche hatten während des Dritten Reiches durchaus einflussreiche Positionen in allen Sparten der Gesellschaft bekleidet.

fd4Ich begann Interviews mit Verwandten zu führen und eine ungeheure Fülle an Material zu sammeln. Das war der Zeitpunkt, der mich zu einer Art Familienchronisten machte. Dennoch hatte ich vorläufig nicht die geringste Ahnung, was ich mit all der Information anstellen sollte. In dem, was ich als „das System der Familie“ bezeichne, spielte mein Urgroßvater offensichtlich eine zentrale Rolle. Er war Arzt und Universitätsprofessor und ein nicht unbekannter Vertreter der Eugenik in Österreich. Seinen Studierenden bläute er ein, dass Familien- und Ahnenforschung ein wichtiges Werkzeug der – wie es damals hieß – „Rassenforschung“ sei und dass es von großer Wichtigkeit sei, viele Kinder zu zeugen und aufzuziehen. Er war Gründungsmitglied des „Reichsbundes der Kinderreichen“ und ging selbst mit bestem Beispiel voran. Dies wurde in der Folge zum Angelpunkt meines Projektes. Selbst heute noch fühlt sich eine Mehrzahl meiner Verwandten auf die eine oder andere Weise der Idee der Großfamilie verpflichtet. Gemeinsam mit meinem Cousin Eckhart Derschmidt veröffentlichte ich im Oktober 2010 eine Internetplattform auf der Basis von Web 2.0 und forderte die Familienmitglieder auf, sich daran zu beteiligen. Der Text der Startseite war zugegeben sehr provokant formuliert und verfehlte daher nicht seine Wirkung. Er lautete sinngemäß so: „Hat der Eugeniker Dr. Heinrich Reichel zu Beginn des 20. Jahrhunderts sein ganz persönliches Vererbungsexperiment gestartet? Schließlich hat er neun Kinder, 36 Enkelkinder und über 80 Urenkel usw. Sind wir das Ergebnis eines genetischen Versuches? Lasst uns dieses Experiment evaluieren …“

Die Spiegelung des Urgroßvaters

Ich versprach den Familienmitgliedern (1), die Internetseite zwei Jahre lang geschlossen zu führen (2010–2012). Von der Gesamtzahl aller Familienmitglieder (kleine Kinder und alte Leute, die keinen Computer benützen, mitgezählt) traten im Zuge eines sehr schwierigen und schmerzhaften Prozesses bis dato etwa ein Drittel als User bei.

Ironischerweise wurde ich zu einer Art Gegenspieler meines Urgroßvaters. Wie in einer Spiegelung tue ich eigentlich jetzt genau das, was er verlangte: nämlich Familienforschung. Im Gegensatz zu ihm interessiert mich die genetische Weitergabe innerhalb des von den Eugenikern so genannten „Erbstroms“ nicht im Geringsten. Ich versuche hingegen, die Weitergabe von Weltanschauungen, Ideologie und politischen Haltungen über sechs Generationen in dieser bürgerlichen Großfamilie zu thematisieren. Daraufhin begann ich, HistorikerInnen, SoziologInnen, PsychologInnen und andere ExpertInnen zu kontaktieren. Ich lud sie ein, unserem Projektbeirat beizutreten. In der Folge wurde die Projektdatenbank durch eine Vielzahl von Dokumenten aus Archiven, theoretischen Texten und anderen Materialien angereichert.

Im Zusammenhang mit einem anderen meiner Projekte war ich im Jahr 2011 zu einem Vortrag nach Leipzig eingeladen. Beim Spaziergang durch die Stadt sprang mir bei der Gedenkstätte für die Große Synagoge folgende Inschrift ins Auge: „Hier wurde am 9. November 1938 die große Synagoge der israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig durch Brandstiftung faschistischer Horden zerstört. Vergesst es nicht.“ Ich fragte meinen Begleiter, wo denn diese „faschistischen Horden“ hergekommen und wohin sie danach wieder verschwunden seien. Für mich war diese Inschrift insofern sehr erhellend, weil sie etwas Grundlegendes über den Umgang mit den Verbrechen des Nationalsozialismus in vielen Bereichen und über sehr lange Zeit aussagt.

fd5Für dieses Projekt ist es von großer Wichtigkeit, zu verstehen, dass die Nazis nicht wie eine Horde Wahnsinniger aus dem Nichts kamen und wieder darin verschwanden. Sie waren auch keine von außen auftauchenden „Anderen“, sondern kamen aus der Mitte der Gesellschaft: Die eigenen Väter und Mütter, Großeltern, Tanten und Onkel waren „die Nazis“. Wenn man einen Schritt zurücktut und mit diesem größeren Blickwinkel auch das 19. Jahrhundert mitbetrachtet, kann man am konkreten Beispiel dieser bürgerlichen Großfamilie gut aufzeigen, wie sich die vielen, oft sehr unseligen Wechselwirkungen zwischen Nationalismus, Jugendbewegung, Erneuerungs- und Reinheitsfantasien und nicht zuletzt moderner Wissenschaft usw. ergeben haben müssen.

Nicht einzigartig

Diese spezifische Familie ist diesbezüglich alles andere als besonders oder einzigartig. Das Projekt „Reichel komplex“ kann vielmehr als Modell für viele österreichische, deutsche und andere europäische Familien dienen, die in den Holocaust verwickelt waren. Für die jetzt lebenden Generationen geht es vermutlich weniger um Schuld als um Scham. Die Scham muss sich auch nicht notwendigerweise auf die (möglichen) Taten der eigenen Eltern oder Großeltern beziehen. Ich habe mittlerweile den Eindruck gewonnen, dass es sehr oft auch um die Frage geht, wie es sein kann, dass „mensch“ ein ganzes Leben lang nicht gefragt hat und nicht wissen wollte; oder dass sogenannte „Werte“ unhinterfragt weitergetragen und gepflegt wurden, die man dem österreichischen Nachkriegsnarrativ (2) konform in ihrer ideologischen Verfänglichkeit bagatellisierte oder für harmlos hielt und teilweise immer noch hält. Auch wenn ich in meine mütterliche Herkunftsfamilie blicke, finde ich dort weder NS-Opfer noch Widerstand, auch dort finden sich Fotos mit HJ-Uniformen, NSDAP-Mitgliedschaften, ein Gemisch aus völkisch-jugendbewegten Ideen, in diesem Fall kombiniert mit ausgeprägtem Katholizismus. Ja, selbst einen Wissenschafter hat die Familie Klebel zu bieten: Dr. Ernst Klebel (3), einen Historiker, der – man forsche nach – aus irgendeinem Grund nach 1945 einen Karriereknick gewärtigen musste. Der Briefbomber Franz Fuchs zitierte in seinen Bekennerbriefen ausführlich aus dessen Forschungen zu den „Bajuwaren“. Ich selbst jedenfalls werde trotzdem immer Teil dieses Systems bleiben, ob ich will oder nicht. Da gibt es kein Entkommen…

…wird fortgesetzt

Friedemann Derschmidts Buch gibt es hier: Sag es Du deinem Kinde

Ein besonderes Projekt ist das „Zwei Familien Archiv“: Two Family Archives

Anmerkungen:

(1) Ich bin dabei von meinem Urgroßvater und seinen beiden Brüdern Carl Anton und Friedrich ausgegangen. Berücksichtigt man deren unmittelbare Nachfahren inklusive ihrer PartnerInnen, sprechen wir von etwa 350 Personen.

(2) Siehe Margit Reiters Beitrag „Framework. Postnationalsozialistische Familien(re)konstruktionen im österreichischen Kontext“ in diesem Buch.

(3) Vgl. Ziegler, Wolfram. Ernst Klebel (1896–1961) – Facetten einer österreichischen Historikerkarriere. In: Hruza, Karel (Hg.). Österreichische Historiker – Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 2 (S. 489–522). Wien, Köln, Weimar: Böhlau, 2012.

So viele erschütternde Bilder in den letzten Tagen: im Lastwagen erstickte Menschen, an den Strand gespülte Leichen, verzweifelte Flüchtlinge am Bahnhof in Budapest. Das Entsetzen darüber ist groß und die Hilfsbereitschaft der Menschen wächst. Doch einige haben weiterhin nichts anderes als Hass und Gewalt für die Flüchtlinge übrig.

Darum beschloss ein Musiklehrer, den Ultra-Rechten eine lautstarke Botschaft entgegenzuschleudern – und zwar den 22 Jahre alten Song „Schrei nach Liebe“ der Punk-Band DIE ÄRZTE. So startete er die Aktion Arschloch, benannt nach der bekannten Textzeile des Songs „Schrei nach Liebe“, die schlicht und eingängig einfach „Arschloch, Arschloch, Arschloch“ lautet. Die Ärzte veröffentlichten den Song 1993, als Asylbewerberheime in Rostock brannten. Jetzt, wo wieder Asylquartiere die Zielscheibe von Flüchtlingshassern sind, war es naheliegend, gerade diesen Song auszuwählen.

Die Absicht der Aktion Arschloch. „Schrei der Liebe“ soll auf Platz 1 der deutschen Charts – als Zeichen gegen die Rechte Hetze und Gewalt. Die Ärzte begrüßen die Aktion, wollen aber nichts daran verdienen. Es wird alles an die Organisation Pro Asyl gespendet – und zwar auch die Erlöse durch Airplay.

Die Aktion ist ein voller Erfolg. Es gibt viel Zustimmung von der Presse und auch die Verkäufe von „Schrei nach Liebe“ sind in die Höhe geschnellt, auch in der Schweiz, in Österreich und Luxemburg.

Tadellose Aktion? Nicht für alle.
Es gibt auch herbe Kritik an der Aktion. Schindluder.net, sonst spezialisiert darauf, uns mit lustigen Bildchen und Sprüchen zu erfreuen, nennt das Ganze die „Aktion der Arschlöcher“.

[Sorry, den folgenden Absatz musste ich streichen. Hier hab ich den Sin der Aussage von Schindluder.net völlig entstellt – ohne Absicht, einfach durch Schlampigkeit. Ich entschuldige mich.]
Die Argumente gegen die Aktion Arschloch sind einerseits subjektiv:
Es ist nicht cool, […] „Schrei nach Liebe“ anzuhören […] macht auch definitiv keinen Spaß.
Das mag für manche stimmen. Ich mag den Song und singe gerne lauthals mit. Und viele andere offenbar auch.

Andere Die Argumente sind finde ich naiv:
Man muss immer, immer, immer, immer, immer und immer wieder mit Flüchtlingsgegnern reden und ihnen die Ängste nehmen. Nur wenn sie verstehen und sehen, dass Flüchtlinge verdammt arme und hilfsbedürftige Menschen sind, dann überlegen sie es sich vielleicht zweimal ob sie ein Heim anzünden.
Wie bitte? Das ist idealistisch aber nicht realistisch. Rassisten sind für Argumente und das Leid der anderen nicht offen. Sie sind Hasser, keine Skeptiker und keine „besorgten Bürger“. Menschen mit Ängsten und Sorgen zünden nichts an, verbreiten keine Gewalt und urinieren nicht auf Flüchtlingskinder.

Ist es ok, Ultra-Rechte als Arschlöcher zu bezeichnen?
Es ist sicher nicht der feine Ton. Argumente gehen den Rechten am, ‘Tschuldigung, Arsch vorbei. Und ob man sie Nazi, Pack oder sonstwas nennt, ist ihnen auch egal. Gerade das ist für alle normalen, empathischen Menschen so frustrierend – Argumente und Beschimpfungen bringen nichts. Aber: Man kann sich so seiner Frustration einfach Luft machen und es rausschreien: Arschloch!

[Hier zur Auflockerung das Lyrics-Video – bitte weiter unten weiterlesen]

Freilich, ist es ein Schrei der Ohnmacht, doch wenn viele ihn gemeinsam schreien, dann fühlt man sich nicht allein. Dann weiß man, dass es viel Menschlichkeit gibt und es sich lohnt, den Rechten gegenzuhalten.

Flüchtlingsjunge_Aylan_übermalt

„Wir TRAUERN NICHT wir FEIERN ES“ Welche Unmenschen denken so? Arschlöcher?

Dieses Gefühl tut auch einfach mal gut. Besonders wenn die Flüchtlingsgegner sich von ihrer hässlichsten und unmenschlichsten Seite zeigen. Zum Bild des 3-jährigen ertrunkenen Aylan, das dieser Tage wieder viele Menschen bewegt hat, tauchte auf Facebook dieses Posting auf:

Werden solche Unmenschen durch Argumente klüger? Nein. Sorry, aber in solchen Augenblicken fällt mir auch nichts anderes ein, als laut zu schreien: Arschloch! Arschloch! Arschloch!

 

 

Bosnien – ich komme wieder“, habe ich vor nicht allzu langer Zeit versprochen [hier nachzulesen]. Jetzt hat mich der Weg tatsächlich wieder hier hergeführt. Meine erste Station: Sarajevo.

Ich betrete die alte serbisch-orthoxe Kirche von Sarajevo. In dem Augenblick beginnt der Muezzin mit seinem Ruf zum Mittagsgebet. In der Kirche vermischt sich der Ruf mit den leisen christlichen Gesängen, die vom Tonband kommen. Ich setze mich und lasse mich von diesem Moment tragen. Ich blicke auf, vorne steht eine Frau, versunken ins Gebet. Die Ikonen blicken stumm herunter, wie schon seit Jahrhunderten. Ein Mann betritt mit seiner kleinen Tochter am Arm die Kirche. Mit einem liebevollen „Haydi!“ ermutigt er das Kind das erste Bild zu küssen. Fasziniert schaue ich zu, wie er mit seiner Tochter reihum alle Bilder und Reliquien küsst. Ein Vater-Tochter Augenblick, der nur den beiden gehört. Dann verlassen sie die Kirche wieder, vielleicht auf dem Weg nach Hause.

In der serbisch-orthodoxen Kirche

In der serbisch-orthodoxen Kirche

Die Frau beendet ihr Gebet, auch der Muezzin ist nicht mehr zu hören. Ich zünde noch zwei Kerzen an, eine für die Lebenden, eine für die Toten, so habe ich es in der rumänisch-orthodoxen Kirche gelernt, ein schönes Ritual. Jetzt erst fällt mir auf, wie laut der Straßenlärm von draußen hereindringt.

Kolay gelsin!

Kolay gelsin!

Die Altstadt von Sarajevo ist geteilt, ersichtlich. Auf der Straße steht: Sarajevo- Meeting of Cultures. Die Touristen machen Posen, fotografieren sich gegenseitig und zeigen nach Westen und nach Osten. Hier der neuere Teil, mit europäischen Häusern, die sich von Wien bis Istanbul finden. Dort das alte Sarajevo, osmanisch geprägt. Mit niedrigen Häusern, Bazaren, Werkstätten und Wasserpfeifenlokalen in schönen Innenhöfen. Es ist ein entspanntes Miteinander. Ich gehe durch die Straße der Kupferschmiede, ein altehrwürdiges Handwerk. Männer schlagen das Metall zu Tellern, Kannen und Kühlschrankmagneten. Mir rutscht dauernd ein „Kolay gelsin!“ heraus. Das sagt man in der Türkei zu jemandem, der arbeitet, wenn man vorbeigeht. Aber ich bin in Bosnien, die Männer schauen mich nur lächelnd an, verstehen mich natürlich nicht. Aber ich kann nicht anders, ich bewege mich durch das Viertel wie in Istanbul. Es ist noch ganz viel Orient hier in Sarajevo!

Die Rose von Sarajevo

Die Rose von Sarajevo

Auch die nahe Vergangenheit ist noch immer präsent. An manchen Häusern finden sich die Einschusslöcher aus der über dreijährigen Belagerung Sarajevos. Bei der Stadtführung ist es immer wieder Thema. Auf der Straße findet sich an vielen Orten die „Rose Sarajevos“, die an die tausenden Toten erinnert. Man kann nicht einfach vorbeiflanieren, die Erinnerung ist überall. Ich gehe in die Ausstellung Srebrenica Memorial im Haus direkt neben der katholischen Kathedrale, vor der eine Statue des gebeugten Johannes Paul II steht. Im dritten Stock empfangen mich die Bilder der Toten. Ein Film über die Belagerung der Stadt läuft. Rennende Menschen, Schüsse von den umliegenden Bergen, Schreie von Kindern. Das bosnische Sinfonieorchester, das in einer Tiefgarage gegen den Krieg anspielt. Die Miss Wahl 1993, die Frauen in Badeanzügen halten ein Transparent hoch: Don’t let them kill us!

Ausstellung „Srebrenica Memorial“

Ausstellung „Srebrenica Memorial“

Und immer wieder Menschen, die vom täglichen Überlebenskampf berichten, dem Brot- und Wasserholen, das nur unter Lebensgefahr möglich ist. Und Kinder, die sich in ein zerschossenes Auto setzen und „Wir fahren ans Meer“ spielen. Das ist Krieg.
Als ich aus der Ausstellung hinauskomme, strahlt die Sonne, die Menschen gehen ihrem Alltag nach. In Sarajevo herrscht jetzt Frieden. Aber nicht in Aleppo, nicht in Mossul, nicht in Kabul. Der Film ist nicht Vergangenheit, sondern grausame Gegenwart.

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Unbeschreiblich schönes Mohnrot!

Viel hab ich gelesen diesen Sommer. Donna Leon entspannt ungemein, Schwarzeneggers Biografie ist gut zum Einschlafen, ich war immer ganz verwirrt ob der vielen Bodybuilder Posen und hab dann zum Vorstellen die Augen geschlossen und weg war ich! Black out bleibt mir in Erinnerung, ein europaweiter Stromausfall kann uns jederzeit treffen, dann gute Nacht Zivilisation! Wir erschossen auch Hunde ist ein Buch über den Irakkrieg. Amerikanische Soldaten erinnern sich: Krieg ist nur hässlich, gewalttätig und menschenverachtend. Die Folgen erleben wir jetzt. Millionen Männer, Frauen und Kinder sind auf der Flucht, verständlicherweise nicht aus wirtschaftlichen Gründen!
Nicht böse sein jetzt, aber ich möchte euch zwei Bücher ans Herz legen, die etwas ganz anderes zum Thema haben: Pflanzen.
Barbara Frischmuths „Der unwiderstehliche Garten“ und „Die Intelligenz der Pflanzen“ von Mancuso und Viola.
Wie langweilig denkt ihr vielleicht, unkritisch, unpolitisch?

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Wer nutzt wem? Der Schmetterling dem Schmetterlingsflieder?

Mir haben die beiden Bücher Kraft gegeben, weil sie mich sensibler gemacht haben. Nicht immer nur das Große zu sehen, das sofort ins Auge fällt. Vieles geschieht im Verborgenen, Schönes wie Hässliches. Manches, was uns missfällt, ist beim zweiten Hinsehen wunderbar. Und manch Schönes entpuppt sich als grausam. Pflanzen lehren einen, den Blick zu schärfen.

Barbara Frischmuth lässt uns teilhaben an ihrer Beziehungsgeschichte zu ihrem Garten. Sie ist keine Romantikerin, sie reißt aus, pflanzt um, gestaltet aus egoistischen Gründen Beete neu. Dabei bleibt sie aufmerksam, wird überrascht, wenn nach langer Zeit eine Pflanze auftaucht, die schon längst vergessen war. Eine große Liebe begleitet sie über all die Jahre, sie opfert sich für die Iris in all ihren Arten auf. Mir unverständlich, ich finde die Iris eher langweilig. Ich glaub ich habe nicht mal eine im Garten.

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Die „hilfsbereite“ Lupine

Aber ich kenne die Kraft des Umgestaltens. Meist schlummert ein Bild in einem drinnen, oft im Winter, wahrscheinlich ist das schon die Vorfreude auf die kommende Gartensaison. Ein neues Beet muss her, man pflanzt im Kopf schon alles voll. Man lässt das Fleckchen in den schönsten Farben erblühen. Und wenn man dann im April zur Tat schreitet, geht es einem leicht von der Hand. Die Überraschung kommt dann im Juni, plötzlich sieht man, dass alles ganz anders geworden ist. Weil zwei Pflanzen partout nicht kommen wollten, dafür steht plötzlich eine Akelei mittendrin und da kommt noch etwas. Was, das wird erst der Juli weisen. Also Geduld!
Pflanzen sind eigenwillige Geschöpfe denkt man und schreckt im nächsten Augenblick zurück. Pflanzen eigenwillig? Pflanzen sollen einen eigenen Willen haben?

Und da kommt mein zweiter Buchtipp ins Spiel: Die Intelligenz der Pflanzen ist spannender als ein Thriller. Pflanzen sind soziale Wesen, sie kommunizieren nicht nur miteinander sondern auch mit anderen Lebewesen. Das behaupten jedenfalls die beiden Autoren. Und wenn man dann liest, wie eine Lupine die fleißigen Bienen bei der Arbeit unterstützt, gesteht man ihr fast menschliche Eigenschaften zu. Eine Lupine hat unzählige Blüten. Damit sich die Biene Majas dieser Welt nicht umsonst abrackern, verfärbt die Lupine ihre Blüte zu Blau, sobald sie keine Pollen und keinen Nektar mehr zu bieten hat. Somit erspart sie den Insekten leere Meter. Ich muss nächstes Jahr die hilfsbereite Lupine besser beobachten!

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Inkagurke und Wein schließen sich zusammen, um sich zu stützen!

Die Orchidee ist das genaue Gegenteil, sie täuscht und trickst und geht sogar so weit, ihre Blüten als Solitärbienen, in Form, Gewebebeschaffenheit und Lockduft, zu präsentieren. Und die tierische Drohne kann nicht anders, als sich mit der Blüte zu paaren und dabei die ganzen Pollen aufzunehmen und sie zur nächsten Täuschungsblüte zu tragen. Die vielgerühmte Orchidee eine schnöde Betrügerin?
Mancuso und Viola entführen in die Welt der Pflanzen von der Wurzel bis zur höchsten Baumkrone. Mit vielen Geschichten und viel Wissenschaft.
Der Herbst nähert sich mit großen Schritten. Die Veränderungen an den Pflanzen im Garten werde ich jetzt genauer beobachten und mich daran erfreuen, denn es wartet sicher wieder die eine oder andere Überraschung. Und dieser Satz wird mich begleiten:

Pflanzen sind nicht nur Grundbestandteil des Lebens, sondern auch ein Geschenk an die Menschheit und ihre Intelligenz – das sie oft achtlos wegwirft

Ich will achtsam sein.

Erst waren es Menschen mit Migrationshintergrund, dann bettelnde Roma und seit einigen Monaten die Flüchtlinge – bei diesen Themen der letzten Jahre hat sich die Stimmung unter der österreichischen Bevölkerung ordentlich aufgeheizt.

Meinungsverschiedenheiten gibt es immer. Man kann aber auch dafür sorgen, dass daraus richtige Kluften in der Gesellschaft entstehen. Manche Parteien und Gruppen, hetzen die einen gegen die anderen auf – und leisten dabei ganze Arbeit.

Vorurteile, die nach hinten losgehen
Es wird dabei freilich das Wir-Gefühl der Österreicher angesprochen (jenes der Österreicherinnen nicht, denn das Gendern ist in diesen Kreisen verpönt). Unsere anständigen Leut’, unsere Bräuch’, unsere Kultur und so fort. Es gilt, all diese Schätze vor dem Fremden zu schützen, denn es ist eine Bedrohung und hat die unmittelbare Auslöschung alles Österreichischen zur Folge.

Unlängst geh ich in der Stadt Salzburg am Müllner Bräu vorbei. Es war ein herrlicher Sommertag und hinter der Mauer des Bräustübl-Gartens war eine zünftige Blasmusik zu hören. Augenblicklich zuckte ich zusammen: Sicher so ein Treffen dieser ganz besonders aufrechten Österreicher, die da hinter der Mauer die heilige Österreicher-Kultur zelebrieren, in Mir-san-mir-Seligkeit schunkeln und paschen – und allem anderen gegenüber feindselig gegenüberstehen: Den Ausländern und Schwulen genauso wie dem Binnen-I.

Und kaum hatte mich dieser Gedanke durchfahren, zuckte ich ein zweites Mal zusammen: So weit ist es also schon mit mir! Ich hab ein völlig irrationales Feindbild aufgebaut: Trachten, Blasmusik und Volksfeststimmung – mit sämtlichen volkstümlichen Ausformungen.

Volksmusik_CDsTuba-Phobie?
Ich selbst hab zwar kein besonderes Interesse an Brauchtum und Volksmusik, aber ich kenne es aus meiner Kindheit. Als Teenager hab ich dann oft das Wohnzimmer verlassen, wenn mein Papa Mei liabste Weis oder den Musikantenstadl im Fernsehen schaute. Nur zum Kirtag und an Fronleichnam hab ich alles mitgemacht: Tracht, Volksmusik und Weihrauchschwaden. Denn als Belohnung gab’s Grillhendl mit Pommes Frites – und einen Almdudler dazu.

Und heute ist mir also etwas, das zu meinen größten Kindheitsfreuden gehörte, äußerst suspekt: der Anblick eines Trachtenpärchens. Wie konnte ich zulassen, dass sich diese Vorurteile in mir festsetzen? Nur weil das Brauchtum nicht zu meiner Welt gehört, darf ich es nicht als rückschrittlich und „eingnaht“ abtun. Das lässt mich selbst als nicht gerade weltoffen dastehen. Ich kann doch Leuten, die Freude an unseren Traditionen haben, nicht einfach eine intolerante Gesinnung unterstellen nur weil eine Partei mit Volkstümlichkeit und selektiver Pseudo-Nächstenliebe auf Stimmenfang geht. Und nur weil diese Partei die Unterstützung eines Alpin-Elvis hat, der mit manchen Wortmeldungen seinen eigenen eingeschränkten Horizont preisgibt.

Bald ist wieder Wahl – in Wien und auch in Oberösterreich. Es werden die Trachten wieder ausgepackt und die Musikkapellen werden spielen.

Kulturen kennen Brücken
Liebe Fans der österreichischen Volks- und volkstümlichen Kultur: Lasst nicht zu, dass gewisse Politiker etwas vereinnahmen, das ihr liebt, und ihm den Stempel von Intoleranz und Engstirnigkeit aufdrücken. Ein großartiges Beispiel ist das Fest der Volkskulturen in Salzburg: Dort sind alle Menschen mit ihrer jeweiligen Heimatkultur willkommen und alle gehen offen auf einander zu. (Lest hier über das Fest der Volkskulturen nach.)

Und oft wünsch ich mir von den Stars der Volksmusik ein Statement wie von Hubert von Goisern, der sich gegen die Vereinnahmung der Rechten gewehrt hat. Denn ein Schweigen dazu klingt wie ein: Je suis Gabalier!

 

Vorschaubild: By Harald Bischoff (Own work) [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons