Angela

Mama war voll hysterisch. Mein Bruder hat in der Sandkiste gespielt, sie konnte aber nicht raus, weil es ja zu gefährlich war. Bis heute noch ist das eine Geschichte in der Familie. Und alle Fenster zu und es hat dauernd geregnet. Keine Schwammerl, erst Jahre später Entwarnung! Cashewnüsse isst sie bis heute nicht meine Mutter.

Anja

aja

Anja

Als die ersten Nachrichten andeuteten, dass was ganz Schlimmes passiert sei, hat unsere Mutter meinem Bruder und mir verboten in die Schule zu gehen. Wir durften nicht raus. Und danach gab es nie wieder die frische Milch von den Kühen unseres Nachbarn. Meine Eltern fuhren extra nach Salzburg Milch kaufen, weil es hieß, dass der Salzburger Milchhof ganz streng kontrolliert. Und Schwammerl, die meine Großeltern im Lungau an „ihren“ Geheimplätzen brockten, kamen Jahre nicht mehr auf den Tisch.

Christian

Da war ich 13 Jahre. War kein großes Thema im Internat. Nur eines weiß ich noch: die Bauern können das Gras nicht mehr verwenden und die Milch ist verseucht. Das war’s.

Eva

eva

Eva

1986 war ich zehn Jahre alt, ich bin mir nicht sicher, ob ich mit dem Wort Reaktorunfall etwas anfangen konnte. Ich erinnere mich nur, dass es geheißen hat, wir dürfen keine Milch mehr trinken und keine Schwammerl essen. Letzteres war mir ziemlich egal, ich mochte sowieso keine Schwammerl. Und dann waren da noch diese gelben Jod-Tabletten in der Schule. Ansonsten ging mein Kinder-Leben weiter wie bisher. Was uns aber auffiel waren Gruppen von Kindern und Jugendlichen im heimischen Freibad. Das seien die „Tschernobyl-Kinder“ wurde schnell herum geflüstert. Sie schauten nicht viel anders aus als wir, aber irgendwie fielen sie auf diese „Tschernobyl-Kinder“. Sie kamen jeden Sommer, mehrere Jahre hindurch, die „Tschernobyl-Kinder“. Gesprochen habe ich nie mit ihnen, aber sie taten mir leid, weil sie ohne Eltern da waren.

2004 war ich in der Ukraine, im „Tschernobyl-Museum“ in Kiew. Eine beeindruckende Ausstellung mit vielen Zeitzeugnissen, schockierend. 2015 kommt mein Kind in die Schule, wir müssen einen Zettel unterschreiben, dass wir mit der Gabe von Jod-Tabletten einverstanden sind im Fall eines Atomunfalls.

Ich hoffe, wir brauchen sie nie!

Gabriele

Ich weiß noch, dass die Bauern in meinem Dorf die Milch durch den Kaffeefilter laufen ließen, um die Strahlung raus zu filtern. Ich war 16 und mehr/sehr mit mir selbst beschäftigt. Aber dass das Bullshit war, hab auch ich gecheckt.

Gertrud

gertrud

Gertrud

Damals war ich 21 Jahre jung und hatte kaum Sinn für die Katastrophen des Lebens, hatte anderes im Kopf, einen Urlaub geplant. Und dann die Meldung – Es hat einen Atomunfall gegeben! Nur 1000 km entfernt. Die Wolke ist über uns.

Alles ist verseucht! Der Garten, aus dem wir viel Gemüse und Obst bezogen, der Wald, den ich so liebte, die Schwammerl, die dort wachsen würden, wir, einfach alles! Unsichtbar, nicht zu fühlen, zu erkennen, zu erschmecken… und doch da. Das fand ich ganz und gar unvorstellbar und unheimlich.

Monika

Ich selbst war 22 und hatte vor einem halben Jahr meinen Mann kennengelernt. Wir wussten, dass wir miteinander durch dieses Leben gehen wollen und wir hatten so viele Träume. Die schienen mit einem Mal alle geplatzt zu sein. Die Basis hatte sich geändert und das ohne unser Zutun. Machte es noch Sinn in eine Welt, in der die Sandkisten nicht benutzt und der Rasen nicht mit bloßen Füssen durchwatet werden darf Kinder zu setzen? Würden wir jemals wieder Schwammerl aus unseren Wäldern essen können? Und was ist mit unserem Gemüsegarten? Alles wegschmeißen? Die meisten Halbwertszeiten der giftigen Stoffe, die sich da gerade über Salzburg entleerten, würden wir nicht Mal erleben.

Phasenweise beneidete ich meine Großmutter, obwohl sie beide Kriege erlebt hatte. Ich wusste nicht was schlimmer ist. Weltuntergangsstimmung eben.

Und wie bei so vielen Katastrophen gewöhnt Mensch sich daran, spätestens dann, wenn die nächste Katastrophe über uns hereinbricht. (Damals war es Aids.) Der Mensch ist anpassungsfähig, was bleibt auch anderes übrig. Heute scheint das alles weit weit weg, aber das nächste Atomkraftwerk ist nah. Doch das vergessen wir im Alltag nur allzu gerne.

Peter

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Peter

Im Frühling 1986 herrschte bei uns zuhause große Freude. Die Ziegen hatten wieder Junge bekommen. Mama Peggy – eine echte Pinzgauer Ziege – und der alte Leo hatten wieder ganze Arbeit geleistet. Sie waren wirklich ein eingespieltes Team im Zeugen und Gebären. Immer, wenn ich konnte, verbrachte ich meine freie Zeit bei den Jungen. Sie waren so lieb, unbeholfen und kuschelig. Ja und besonders neugierig. Alles wurde angeknabbert… In den ersten Tagen des Monats Mai kam Ambros Aichhorn – der unkonventionellste Biologielehrer aller Zeiten – zu uns auf den Bauernhof, um die außergewöhnlichen Hörner unseres Leos zu begutachten. Sie glichen nämlich jenen eines Steinbocks. Diese Tage waren herrlich: Strahlender Sonnenschein, die Vegetation in voller Blüte und die Natur zeigte ihre unvergleichliche Pracht. In diese Schönheit sickerte langsam die Kunde von der entsetzlichen Katastrophe in Tschernobyl durch. Sie kam uns auch deshalb so nahe, weil sich Österreich in der klimatisch bevorzugten Route der Strahlungsentwicklung befand. Über uns das ominöse Strahlenband. Plötzlich wollte sich niemand mehr im Freien aufhalten. Trotz des wunderbaren Wetters. Unsere Kühe und Ziegen mussten dennoch von etwas leben. Wir fütterten natürlich das Gras von der Wiese. Die Ziegen holten sich so wie so das, was ihnen mundete. Was denn sonst? Wirtschaftlich war es katastrophal, denn wir durften keine Milch mehr liefern. So verfütterten wir sie den jungen Kälbern und Schweinen. Diese freuten sich für die köstliche Nahrung. Noch Jahre später sagte meine Mutter: „Das beste und feinste Fleisch hatten wir im Jahr 1986.“ In diesem Jahr lernte ich die Begriffe Atomkraftwerk, Cäsium und Halbwertszeit eindringlich kennen. Sicher mit einem klar negativen Beigeschmack. Das Besondere in dieser Zeit war diese ominöse Bedrohung, die weder körperlich noch optisch spürbar war und dennoch total präsent und gegenwärtig gewesen ist. Eines ist ganz klar: Bis heute bin ich absolut stolz darauf, dass in Österreich kein Atomkraftwerk in Betrieb genommen wurde.

Robert G.

robert

Robert

April 1986 – da stand ich kurz vor der Matura. Natürlich waren wir schon alle betroffen. Natürlich wussten wir, dass es sich um eine Katastrophe handelte. Aber das war in der UdSSR. Die war weit weg. Durch den eisernen Vorhang irgendwie weiter weg als die heutige Ukraine. Wie gefährlich konnte also die Strahlung hier in Salzburg schon sein? Außerdem hatten wir alle nur unsere Maturaprüfungen im Kopf.

Was sich mir am stärksten eingeprägt hat: In der Schule war es Schülern strikt verboten, Straßenschuhe zu tragen. Wegen der Strahlung. Die Lehrkräfte hingegen spazierten nach wie vor ruhig in Straßenschuhen herum. Darüber haben wir uns aufgeregt. Weniger, weil wir glaubten, wir würden jetzt total verstrahlt wegen der Lehrer, sondern weil es einfach ungerecht war. Wir waren immerhin Maturanten.
Ansonsten erinnere ich mich, dass wir vier Wochen Maturavorbereitungszeit hatten. Ein Tag war schöner als der andere. Schon am zweiten Tag hatte ich sämtliche Bedenken wegen der Strahlung vergessen. Ich wollte raus. Den ganzen Tag in der Sonne verbringen. Noch nie zuvor war ich so braun. Und noch nie zuvor waren meine Haare so ausgebleicht. Ich hoffe, das war nur von der Sonneneinstrahlung.

Robert H.

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Robert

Ich war damals erst 8 Jahre. Kann mich erinnern, dass es ein schöner sonniger Tag war, Ich spielte mit meinen Freunden draußen… Plötzlich kam meine Mutter und schickte alle nach Hause. Keiner von uns verstand, was los war. Wir waren ja im schönen Mühlviertel nur 1200 km von Tschernobyl entfernt. Wir durften danach das Gemüse aus unserem Garten zuhause nicht essen. Meine Mutter vernichtete alles, was an Gemüse gewachsen war. Eine eigenartige Stimmung war es schon. Auch wenn ich damals als Kind nicht wirklich verstanden habe, was passiert ist.
 

Sabine

sabine

Sabine

Es hat geheißen, man soll nicht mehr raus. Aber wir mussten ja raus. Zur Ausbildung zur Arbeit. Nur die Vermieterin war völlig hysterisch, die hatte einen Sohn mit 10 Jahren. Die hatte Panik.

Yvonne

Nicht mehr im Sandkasten spielen dürfen. Der Bruder war erst eineinhalb Jahre. Ich habe lange nicht mehr im Regen gespielt, von da an gab’s keine gebackenen Parasol mehr, allerdings musste man auch keinen Salat mehr essen! Erdäpfö schon!

Für die deutsche Version bitte hinunterscrollen!

von Anisa Halilović

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Anisa Halilović

Prije više od dvadeset godina moja porodica i ja smo bili primorani da napustimo našu domovinu. 1992. godine smo kao izbjeglice otišli iz Bosne i Hercegovine prvo u Hrvatsku, a zatim u Austriju, u Salzburg, kako bismo pobjegli od užasnog rata, od zločina i masakra.

Stigli smo sa nadom da ovdje možemo započeti novi život u miru. Situacija nije bila jednostavna, nismo imali ništa i bili smo sretni što smo našli zemlju i ljude koji su nas prihvatili. Redovno smo pratili vijesti da nebi propustili događanja u Bosni i šta se dešava sa komšijama i rođacima.

Onda se desilo ono najgore: masakar 1995. u Srebrenici. Srebrenica više nije samo ime jednog grada u istočnoj Bosni, Srebrenica je postala simbol strašnih zločina, koji su se događali od 1992. do 1995. godine u cijeloj Bosni i Hercegovini. Srebrenica je simbol za u roku od tri dana 8.372 ubijene osobe, pretežno dječaka i mladića. Svaka brojka je povezana sa jednim tragičnim završetkom nedužnog života.

Kao svake godine, i ove 2015, 11. Jula je ukopano 136 ljudi, čije su kosti nađene u masovnim grobnicama a zatim identifikovane od strane njihovih najblizih. Broj posjetilaca godišnje komemoracije u Srebrenici raste iz godine u godinu. I u gradu Salzburgu su bosanska udruženja, „Stadt Salzburg“ (grad Salzburg), „Friedensbüro“ (zavod za mir) i „Plattform für Menschenrechte“ (platforma za ljudska prava) su organizovali komemoraciju. Iako mnogi Srebrenicu upotrebljavaju za politicke svrhe, svaki posjetilac predstavlja jedan dio nade, kako bi dešavanja u Srebrenici ljudima služila kao opomena, do čega mržnja i neprijateljstvo u društvu dovode i da se protiv toga moramo boriti. Ostali su oni, koji su izgubili svoje najmilije u tom ratu, i koji i danas tragaju za ostacima svojih sinova, muževa i očeva, nadaju se da će oni 20 godina nakon njihove smrti na

i mir. Nisu oni ostali samo tada, u julu 1995., nego i ove 2015.godine 11. jula, kada se završi komemoracija ostaju sami u Srebrenici, sami sa svojom tugom, sa neizvjensnosti gdje se nalaze kosti njihove rodbine i sa sigurnosti da mnogi od onih koji su počinili zločine nisu odgovarali za svoja djela. Ostala sam i ja, moji roditelji su me uspjeli spasiti od onoga što je nama samo iz medija poznato. Spasili su me od onih, koji bi možda i meni oduzeli život, kao jednoj djevojčici iz Srebrenice, koju je srpski vojnik uzeo iz ruku njene majke, da joj da da pije, ali to nije učinio, nego je vratio majci njezinu ružicu, kako ju je zvala, bez glave. Nisam završila tako, nego sam dobila novi život u novoj zemlji, kao i mnoge druge izbjeglice iz Bosne, koje su protjerane iz svoje domovine. Tamo gdje su planirali svoju budućnost, gdje su imali egzistenciju, iz jednog u drugi dan njihov život i njihovo pravo na slobodu su postali borba. Nisu više vidjeli veliku budućnost pred sobom, nego su se pitali kako preživjetie taj dan i kako spasiti svoju djecu. Na takav način sam i ja došla u Austriju, državu koja mi je vratila moja prava. Bila sam na sigurnom, moji roditelji se nisu morali bojati za moj ili njihov život. Cijela Austrija i grad Salzburg su u to teško vrijeme mnogim izbjeglicama iz bivše Jugoslavije pružili pomoć. Vremenom je Austrija za neke postajala druga domovina, mjesto gdje se osjećaju sigurnim i prihvaćenim, sve ono što izbjeglicama treba. Danas smatram svojim zadatkom da one, koji su svoju domovinu napustili iz sličnih razloga kao moji roditelji, dočekam: u jednom gradu, koji će možda postati njihova nova domovina kako bi i oni osjetili šta to znači živjeti na sigurnom, gdje će imati osjećaj dobrodošlice, te da ponovo ili možda po prvi put u svom životu dobiju sva njihova prava.

Lernen aus Srebrenica

Vor mehr als zwanzig Jahren waren meine Familie und ich gezwungen, unsere damalige Heimat zu verlassen. 1992 flohen wir von Bosnien-Herzegowina nach Österreich, Salzburg, um dem schrecklichen Krieg, den Gräueltaten und den Massakern zu entkommen. Wir sind angekommen mit der Hoffnung, dass wir ein neues Leben in Frieden aufbauen können. Die Müdigkeit nach der schwierigen Reise stand uns ins Gesicht geschrieben, wir hatten nur die Kleidung mit, die wir anhatten und waren froh darüber, dass uns Menschen empfangen haben und uns willkommen hießen in unserer „neuen Heimat.“ In Österreich verfolgten wir die Nachrichten regelmäßig, um auf dem neuesten Stand zu bleiben, wie es Verwandten, Freunden und Bekannten wohl im Krieg in Bosnien geht. Dann der Schock: Das Massaker 1995 in Srebrenica. Es ist nicht lediglich der Name einer Stadt im Nordosten Bosniens, Srebrenica ist zum Symbol der menschenunwürdigen Grausamkeiten geworden, die sich von 1992 bis 1995 in Bosnien und Herzegowina abgespielt haben. Srebrenica steht für die innerhalb von drei Tagen 8.372 Ermordeten, überwiegend Jungen und Männer im wehrfähigen Alter. Jede Opferzahl ist mit einem tragischen Einzelschicksal verbunden.

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Gedenken an Srebrenica in Sarajewo

Wie jedes Jahr wurden auch heuer, im Jahr 2015 am 11. Juli, 136 Menschen beigesetzt, deren Knochen in Massengräbern gefunden und identifiziert wurden. Die Zahl der BesucherInnen, die dieser Gedenkveranstaltung beiwohnen steigt von Jahr zu Jahr. Auch in Salzburg fand eine Gedenkveranstaltung der bosnischen Vereine, der Stadt Salzburg, des Friedensbüros und der Plattform für Menschenrechte statt. Auch wenn die Gedächtnisfeier in Srebrenica vielfach zu politischen Zwecken missbraucht wird, stellen jede einzelne Besucherin und jeder einzelne Besucher auch gleichzeitig einen Funken Hoffnung mehr dar, dass die Geschehnisse in Srebrenica den Menschen als Erinnerung und Warnung dienen, was Hass und Feindseligkeit in einer Gesellschaft bewirken können und dass dem entgegengewirkt werden muss! Zurückgeblieben sind jene, die ihre Liebsten in diesem schrecklichen Krieg verloren haben, die auch heute noch nach den Überresten ihrer Kinder, Männer und Väter suchen und hoffen, dass diese 20 Jahre nach ihrem Tod nun endlich die letzte Ruhe finden können. Sie sind nicht nur damals im Juli 1995 zurückgeblieben, sondern werden auch heute wie jedes Jahr wieder nach der Gedenkveranstaltung und Beisetzung am 11. Juli zurückgelassen in Srebrenica, allein mit ihrer Trauer, mit der Ungewissheit mancher, wo sich die Überreste ihrer nächsten Verwandten befinden und mit der Gewissheit, dass viele Urheber dieser Gräueltaten noch immer nicht zur Verantwortung gezogen wurden. Zurückgeblieben bin auch ich, geflüchtet vor all den Schreckensbildern, die wir nur aus den Medien kennen. Geflüchtet vor jenen, die vielleicht auch mir das Leben genommen hätten, wie jenem Mädchen aus Srebrenica, das nur wenige Tage alt war und das die Soldaten der serbischen Armee ihrer Mutter aus den Armen genommen hatten und es ihr enthauptet zurückgaben.

Doch ich habe Zuflucht gefunden, so wie auch viele andere Menschen aus Bosnien, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Wo sie ihre Zukunft planten und wo sie sich eine Existenz aufgebaut hatten, wurde ihr Recht auf Freiheit und ihr Recht auf Leben von einem Tag auf den anderen zu einem Kampf. Sie sahen nicht mehr eine rosige Zukunft vor sich, sondern fragten sich, wie sie den Tag überleben und ihre Kinder in Sicherheit bringen konnten. Auf diese Weise gelangte ich nach Österreich, ein Land, in dem mir meine Rechte wiedergegeben wurden. Ich war in Sicherheit, meine Eltern mussten nicht mehr um ihr eigenes und um mein Leben bangen. Ganz Österreich und auch die Stadt Salzburg boten in dieser schwierigen Zeit vielen Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien Zuflucht. Im Laufe der Jahre wurde Österreich zu ihrer Heimat, zu einem Ort der Geborgenheit, der Sicherheit und des Miteinanders, nach dem sich die Geflohenen so sehr sehnten. Heute sehe ich es als meine Aufgabe an, andere Menschen, die aus ähnlichen Gründen wie meine Eltern geflüchtet sind, hier willkommen zu heißen: in einer Stadt, die vielleicht auch zu ihrer Heimat wird, die ihnen aber auf jeden Fall ein Gefühl der Sicherheit bietet und wo sie als Menschen behandelt werden, mit all ihren Bedürfnissen und Rechten.

Der Text ist aus dem Menschenrechtsbericht 2015 der Plattform für Menschenrechte

Erzabt Korbinian sprüht vor Energie, wenn er durch die Ausstellung „Vedi Napoli e poi muori- Neapel sehen und sterben“ im Domquartier Salzburg führt. Im Mittelpunkt stehen die Reisen der Benediktinermönche aus mehreren Jahrhunderten. Und es gibt einiges zu entdecken an Dingen, die die Klöster Einsiedeln, St. Gallen und St. Peter über lange Zeit angesammelt haben.

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Google Maps im Mittelalter!

Gern gesehen war es nicht, wenn die Mönche auf Reisen gingen. Der Bequemlichkeit halber durften sie dann aber Hosen tragen. Erst bei der Rückkehr mussten sie wieder in den Habit, die Ordenstracht, schlüpfen. Aber das Reisen war oft notwendig, um sich fortbilden zu können. Meist gab es einen reichen Gönner, der dies ermöglichte. Profitierte doch bei der Rückkehr nicht nur das Kloster von dem neu gewonnenen Wissen. Sehnsuchtsland war und ist Italien mit Rom als „Caput mundi- Haupt der Welt“. Auch die Salzburger Benediktiner eroberten sich Rom, aber auch Neapel, das von vielen als die schönere Stadt empfunden wurde.  Natürlich Vesuvbesteigung inklusive. Schon damals wollte man tolle Mitbringsel haben, so finden sich auch Lavasteine vom Vesuv  in der Ausstellung.

Und ohne Reiseführer ging es auch damals nicht. Eines der Prachtstücke ist ein uraltes Buch. An der Falz des Buches entlang ist der Reiseweg links und rechts beschrieben. Ein analoger Vorgänger von Google-Maps! In Reisetagebüchern hielten die Mönche die schönen Erlebnisse, Eindrücke und Erkenntnisse fest. Diese waren für die Öffentlichkeit bestimmt. Abenteuer und Erfahrungen, die man besser nicht allen erzählt, wurden in Briefen an die zurückgebliebenen Mitbrüder festgehalten. Zum Glück sind auch diese noch erhalten ;)

Das alles und mehr gibt es in der Sonderausstellung zu sehen, zu hören und zu lesen. Und ich wurde dort von Erzabt Korbinians Begeisterung angesteckt und kann nur empfehlen sich auf den Weg ins Domquartier zu machen.

Nehmen wir an, Sie schreiben ein Kapitel in einem Jubiläums-Sammelband, den das Land Salzburg in Auftrag gegeben hat. Dieses Kapitel beschreibt die Beziehung zwischen Salzburg und Wien während der NS-Zeit. Ebenso wie die vorangegangenen Kapitel schildert dieses das Verhältnis der Provinz zur Metropole, beschreibt aber speziell die Machtkämpfe der damals von den Nationalsozialisten eingesetzten Gauleiter untereinander und beleuchtet die gewisse Sonderstellung des Gaus Salzburg innerhalb des Deutschen Reiches und in der österreichischen Reichshälfte. Es ist eine sachliche Bestandsaufnahme historischer Verhältnisse, die zeigen soll, wie Salzburg durch den Gauleiter und seiner Machtfülle aufgewertet worden ist. Die ebenso den Inszenierungs- und Größenwahn von Salzburger NS-Funktionären aufzeigt und damit die Perversion einer Diktatur, deren Verbrechen wir alle kennen. An denen Millionen Menschen zu leiden hatten und zugrunde gingen, aber auch Tausende beteiligt waren. Und gerade die Konfrontation mit Letzterem schmerzt selbst über 70 Jahre nach Kriegsende, weil die späte und in manchen Bereichen nach wie vor fehlende Aufarbeitung gesellschaftliche Tabus entstehen hat lassen, die mit der Erkenntnis einhergehen, dass die österreichische Bevölkerung im großen Stile das verbrecherische NS-System mitgetragen hat, selbst wenn es positive Ausnahmen gab.

Diese Tatsache ist immer noch schwer einzugestehen. Auch bei der Nachgeborenen-Generation. Aus diesem emotionalen Schleudertrauma entsteht dann eine persönliche Meinung zweier „ schwer irritierter Staatsbürger“, die den Autor als Historiker bewusst oder unbewusst diffamiert. Ein Email dieses Unternehmer-Ehepaares aus Wien ergeht deshalb an den Salzburger Landeshauptmann, kurz nachdem das Paar vom Empfang in der Wiener Hofburg heimgekehrt war. Wohlgemerkt geht die Email an ihn persönlich und nicht an den Verfasser des Kapitels. Dieser erfährt von der Kritik zunächst nichts. Ein unerwarteter Anruf vom Landeshauptmann trifft den Autor unvorbereitet. Er weiß noch immer nicht Bescheid, was ihm angelastet wird. Der Autor erklärt seinen Standpunkt ohne die genauen Anschuldigungen gegen seinen Text zu kennen. Er sagt, es sei nicht die Ziel- bzw. Schwerpunktsetzung des Sammelbandes oder seines Beitrages gewesen, den NS-Terror und die Verbrechen gegen die Menschlichkeit darzustellen, sondern, wie der Titel der Publikation schon suggeriert, die Beziehung zwischen Salzburg und Wien in den Jahren zwischen 1938 und 1945 und Stellung Salzburgs als NS-Gau im Deutschen Reich. Der Landeshauptmann nimmt die Argumentation an und meint, er werde diese bei der für nächsten Tag geplanten Präsentation vertreten. Das Gespräch ist beendet, doch die Spirale dreht sich weiter. Der Landeshauptmann sagt die monatelang vorab geplante Präsentation noch am selben Abend ab und will aufgrund des Emails bei einem eigenen Pressetermin in die Offensive gehen. Es folgt ein persönliches Antwortschreiben des Landeshauptmannes an das Unternehmer-Ehepaar. Darin bedankt sich dieser für die Kritik und dass diese Ausschlag dafür gegeben habe, die grundsätzliche wissenschaftliche Erforschung politischer Verfolgung und Unrecht in der Salzburger Geschichte zu veranlassen. Erst jetzt auf Aufforderung erhält auch der Autor das Email von dem Unternehmer-Ehepaar, und ist plötzlich mit schwerwiegenden Anschuldigungen seines Textes gegenüber konfrontiert. Da ist von „Verherrlichung der Nazi-Zeit“ die Rede. Ein ungutes Gefühl beschleicht den Autor und was nun passiert ist gleichermaßen bezeichnend wie bizarr. Nach dem Wochenende melden sich die Salzburger Nachrichten. Warum? Gibt es da eine Verbindung? Woher und von wem weiß die Zeitung Bescheid? Sind es die Kontakte der Unternehmerin aus Wien, die mit ihrem Mann das Email verfasst hat? Immerhin schreibt diese regelmäßig Kolumnen für den Wirtschaftsteil der Salzburger Nachrichten. Auf jeden Fall wird der Autor von einer SN-Redakteurin mit einem im Raum stehenden Vorwurf konfrontiert. Diese möchte allerdings die Quelle woher dieser kommt nicht nennen. Merkwürdig. Am selben Tag setzt der Landeshauptmann für den folgenden Vormittag eine Pressekonferenz an. Das Buch „Salzburg-Wien, eine späte Liebe“ soll vor Salzburger Medien präsentiert und die Kritik abgefedert werden. Doch das ganze nimmt eine Eigendynamik. Am Tag der Pressekonferenz erscheint in den Salzburger Nachrichten ein erster Artikel, der Vorwurf der „NS-Verharmlosung“ steht im Raum. Die Quelle wird allerdings nicht genannt. Der Autor nimmt Stellung, auch der Mitherausgeber kommt zu Wort. Der Vorwurf wird entkräftet. Trotzdem oder gerade deswegen kommt es zur Pressekonferenz. Der Landeshauptmann stellt den Jubiläumsband vor, freut sich über die gelungene Publikation, weist aber daraufhin, dass eine Unrechtsgeschichte und jene über Verfolgung in Salzburg in den vergangenen 200 Jahren fehlen. Er verkündet, dass er diese jetzt in einem eigenen Projekt aufarbeiten lassen will. Dann darf der Autor des umstrittenen Kapitels seine Version der Geschichte vortragen. Diese wird zum eigentlichen Thema der Pressekonferenz. Das vom Land mit dem Jubiläumsband begleitete Projekt 20.16 nimmt medial Fahrt auf. Der Ruf des Autors ist in Mitleidenschaft gezogen. Die Salzburger Nachrichten setzen mit einem Aufmacher im Kulturteil noch eins drauf und untergraben seine historische Kompetenz. Die gestiegene Nachfrage des Buches löst allgemeine Freude aus. Was bleibt ist ein bitterer Nachgeschmack und viele unbeantwortete Fragen.

 

 

Ich will da jetzt nicht groß Worte machen, sondern einfach ein paar Bilder zeigen, die ich heuer gemacht habe. An Orten des Krieges, in Frankreich, in Deutschland und in Bosnien. Die mich seither begleiten. Und die mir immer wieder unterkommen, wenn  jetzt von Krieg gesprochen wird. Bei all der Kriegsrhetorik, die gerade jetzt wieder in Europa zu hören ist, sollte man den Krieg von seinem Ende her sehen. Wenn die Menschen getötet sind, wenn die Städte zerstört sind und wenn das Leid unendlich ist. Am Anfang von Kriegen sollten eigentlich ALLE die Kriegsbilder der Vergangenheit sehen, vielleicht bringt einen das ein bisschen zum Nachdenken.

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Das ist das zerstörte Ulm. Am 17. Dezember 1944, das war der dritte Adventsonntag, fielen abends von 19.23 bis 19.50 Uhr 96.646 Bomben, in Worten sechsundneunzigtausendsechshundertsechsundvierzig auf die Stadt. Das heißt pro Minute 3.579 Bomben, das heißt jede Sekunde 59 Bomben. Unvorstellbar oder? 707 Tote, 613 Verletzte, 25.000 Obdachlose und 55% kaputte Häuser waren die Bilanz. Krieg…

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Gefunden in den zerbombten Häusern von Ulm. An jenem dritten Adventsonntag 1944 saßen vielleicht Kinder beim Abendbrottisch. Es gab vielleicht eine dünne Steckrübensuppe, Kriegskost. Aber eine warme Suppe und dann die 27 Minuten Bombenhagel. Die Löffel sind übrig. Krieg…

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Ein romantischer Wald oder? Ein bisschen außerhalb von Verdun. Vor 100 Jahren gab es da noch ein Dorf. Das gibt es nicht mehr. Zerstört und auch nach dem Krieg unbewohnbar. In den Granatkratern und Schützengräben wachsen die Bäume, auf verseuchter Erde, verseucht vom Giftgas, das im Ersten Weltkrieg seine Premiere feierte. Darunter so heißt es auch auf jedem Quadratmeter Granatsplitter, Knochen, Helme. Krieg…

ak4Die Knochen, die man aus den Feldern rund um Verdun zusammengetragen hat und keinem Soldaten zuordnen konnte, die liegen jetzt im Beinhaus von Douaumont. Deutsche und französische Gebeine, bunt durcheinander. Im ´Krieg gegenüber in den Schützengräben. Im Tod miteinander. Die Familien hatten kein Ort zum trauern. Damals nannte man die Soldaten einfach „Menschenmaterial“. Krieg…

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Am Busbahnhof von Mostar. Jeden Tag kommen unzählige Touristen, um die berühmte Brücke zu sehen. Gebaut 1556 bis 1566. Jahrhunderte die Menschen verbunden und dann zerstört am 9.11. 1993. Wiederaufgebaut. Jetzt ist die Brücke eine beliebte Sehenswürdigkeit. Touristen brauchen W-Lan und Erfrischungen. Beworben auf einer Tafel am Busbahnhof in Mostar auf einer zerschossenen Mauer. Entrisch, wie wir im Innviertel sagen. Krieg…

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Eine Ausstellung in Sarajevo über den Völkermord in Srebrenica. Riesige Bilder. Auch von den Exhumierungen. So berühren Tod und Leben einander. Krieg…

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Die Rose von Sarajevo. Man geht in der Stadt spazieren und trifft immer wieder unvermutet auf die Rose von Sarajevo an einem Ort, wo ein Mensch sein Leben im Krieg verlor. Erinnern auf Schritt und Tritt. Nach dem Krieg…

Und ich möchte mit den noch immer aktuellen Worten der großen Pazifistin Bertha von Suttner enden:

„Merkwürdig, wie blind die Menschen sind! Die Folterkammern des finsteren Mittelalters flößen ihnen Abscheu ein; auf ihre Arsenale aber sind sie stolz.“

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Spiegel Special 1/2004

Am Wochenende habe ich in einem alten Spiegel-Spezial Heft über den Ersten Weltkrieg geblättert. Was ich vor Jahren nicht gelesen habe, springt mir beim Durchblättern jetzt sofort ins Auge, ob der aktuellen Diskussion: Ein Artikel über einen Elektrozaun, den die deutsche Besatzung 1915 zwischen Belgien und der Niederlande baute.

Und heute 100 Jahre nach dem Elektrozaun dort und 26 Jahre nach dem Mauerfall in Deutschland diskutieren wir wieder über Zäune und Mauern. Wohl wissend, dass ein Zaun noch nie Menschen davon abgehalten hat, diesen zu überwinden. Das Gleiche gilt für Mauern.

Am belgisch-niederländischen Grenzzaun starben zwischen 1915 und 1918 etwa 2000 Menschen. Über 20.000 konnten den Zaun überwinden. Mit Hilfsmitteln wie Porzellanteller an den Händen und Beinen, da Porzellan den Strom nicht leitete. Andere klemmten Fässer zwischen die Drähte und krabbelten durch. Und nicht wenige bestachen ganz einfach die Wachen, damit sie den Strom abschalteten.

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Spiegel Special 1/2004

An der Berliner Mauer starben 138 Menschen und über 75.000 gelang die Flucht aus der DDR.

Übrigens die USA haben schon länger einen Zaun an der Grenze zu Mexiko, über 700 Meilen lang. Deswegen kommen aber die Mexikaner immer noch illegal in die USA. Die Israelische Regierung hat 2002 mit einem Grenzbefestigungsbau zum Westjordanland begonnen und trotzdem kommen und gehen Menschen, zum Frieden dort hat das auch nicht beigetragen.

Die Europäische Union betreibt schon seit Jahren den mittlerweile 6 Meter hohen Zaun in Ceuta, an der Grenze zu Marokko und immer noch klettern die Menschen drüber.

Und jetzt denken wir wieder über Zäune und Mauern nach. Mir scheint der Mensch lernt nicht dazu oder soll ich es mit Kreisky sagen: „Lernen Sie Geschichte!“