Späte Liebe rostet nicht – Eine Polit-Posse und viele Fragen

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Nehmen wir an, Sie schreiben ein Kapitel in einem Jubiläums-Sammelband, den das Land Salzburg in Auftrag gegeben hat. Dieses Kapitel beschreibt die Beziehung zwischen Salzburg und Wien während der NS-Zeit. Ebenso wie die vorangegangenen Kapitel schildert dieses das Verhältnis der Provinz zur Metropole, beschreibt aber speziell die Machtkämpfe der damals von den Nationalsozialisten eingesetzten Gauleiter untereinander und beleuchtet die gewisse Sonderstellung des Gaus Salzburg innerhalb des Deutschen Reiches und in der österreichischen Reichshälfte. Es ist eine sachliche Bestandsaufnahme historischer Verhältnisse, die zeigen soll, wie Salzburg durch den Gauleiter und seiner Machtfülle aufgewertet worden ist. Die ebenso den Inszenierungs- und Größenwahn von Salzburger NS-Funktionären aufzeigt und damit die Perversion einer Diktatur, deren Verbrechen wir alle kennen. An denen Millionen Menschen zu leiden hatten und zugrunde gingen, aber auch Tausende beteiligt waren. Und gerade die Konfrontation mit Letzterem schmerzt selbst über 70 Jahre nach Kriegsende, weil die späte und in manchen Bereichen nach wie vor fehlende Aufarbeitung gesellschaftliche Tabus entstehen hat lassen, die mit der Erkenntnis einhergehen, dass die österreichische Bevölkerung im großen Stile das verbrecherische NS-System mitgetragen hat, selbst wenn es positive Ausnahmen gab.

Diese Tatsache ist immer noch schwer einzugestehen. Auch bei der Nachgeborenen-Generation. Aus diesem emotionalen Schleudertrauma entsteht dann eine persönliche Meinung zweier „ schwer irritierter Staatsbürger“, die den Autor als Historiker bewusst oder unbewusst diffamiert. Ein Email dieses Unternehmer-Ehepaares aus Wien ergeht deshalb an den Salzburger Landeshauptmann, kurz nachdem das Paar vom Empfang in der Wiener Hofburg heimgekehrt war. Wohlgemerkt geht die Email an ihn persönlich und nicht an den Verfasser des Kapitels. Dieser erfährt von der Kritik zunächst nichts. Ein unerwarteter Anruf vom Landeshauptmann trifft den Autor unvorbereitet. Er weiß noch immer nicht Bescheid, was ihm angelastet wird. Der Autor erklärt seinen Standpunkt ohne die genauen Anschuldigungen gegen seinen Text zu kennen. Er sagt, es sei nicht die Ziel- bzw. Schwerpunktsetzung des Sammelbandes oder seines Beitrages gewesen, den NS-Terror und die Verbrechen gegen die Menschlichkeit darzustellen, sondern, wie der Titel der Publikation schon suggeriert, die Beziehung zwischen Salzburg und Wien in den Jahren zwischen 1938 und 1945 und Stellung Salzburgs als NS-Gau im Deutschen Reich. Der Landeshauptmann nimmt die Argumentation an und meint, er werde diese bei der für nächsten Tag geplanten Präsentation vertreten. Das Gespräch ist beendet, doch die Spirale dreht sich weiter. Der Landeshauptmann sagt die monatelang vorab geplante Präsentation noch am selben Abend ab und will aufgrund des Emails bei einem eigenen Pressetermin in die Offensive gehen. Es folgt ein persönliches Antwortschreiben des Landeshauptmannes an das Unternehmer-Ehepaar. Darin bedankt sich dieser für die Kritik und dass diese Ausschlag dafür gegeben habe, die grundsätzliche wissenschaftliche Erforschung politischer Verfolgung und Unrecht in der Salzburger Geschichte zu veranlassen. Erst jetzt auf Aufforderung erhält auch der Autor das Email von dem Unternehmer-Ehepaar, und ist plötzlich mit schwerwiegenden Anschuldigungen seines Textes gegenüber konfrontiert. Da ist von „Verherrlichung der Nazi-Zeit“ die Rede. Ein ungutes Gefühl beschleicht den Autor und was nun passiert ist gleichermaßen bezeichnend wie bizarr. Nach dem Wochenende melden sich die Salzburger Nachrichten. Warum? Gibt es da eine Verbindung? Woher und von wem weiß die Zeitung Bescheid? Sind es die Kontakte der Unternehmerin aus Wien, die mit ihrem Mann das Email verfasst hat? Immerhin schreibt diese regelmäßig Kolumnen für den Wirtschaftsteil der Salzburger Nachrichten. Auf jeden Fall wird der Autor von einer SN-Redakteurin mit einem im Raum stehenden Vorwurf konfrontiert. Diese möchte allerdings die Quelle woher dieser kommt nicht nennen. Merkwürdig. Am selben Tag setzt der Landeshauptmann für den folgenden Vormittag eine Pressekonferenz an. Das Buch „Salzburg-Wien, eine späte Liebe“ soll vor Salzburger Medien präsentiert und die Kritik abgefedert werden. Doch das ganze nimmt eine Eigendynamik. Am Tag der Pressekonferenz erscheint in den Salzburger Nachrichten ein erster Artikel, der Vorwurf der „NS-Verharmlosung“ steht im Raum. Die Quelle wird allerdings nicht genannt. Der Autor nimmt Stellung, auch der Mitherausgeber kommt zu Wort. Der Vorwurf wird entkräftet. Trotzdem oder gerade deswegen kommt es zur Pressekonferenz. Der Landeshauptmann stellt den Jubiläumsband vor, freut sich über die gelungene Publikation, weist aber daraufhin, dass eine Unrechtsgeschichte und jene über Verfolgung in Salzburg in den vergangenen 200 Jahren fehlen. Er verkündet, dass er diese jetzt in einem eigenen Projekt aufarbeiten lassen will. Dann darf der Autor des umstrittenen Kapitels seine Version der Geschichte vortragen. Diese wird zum eigentlichen Thema der Pressekonferenz. Das vom Land mit dem Jubiläumsband begleitete Projekt 20.16 nimmt medial Fahrt auf. Der Ruf des Autors ist in Mitleidenschaft gezogen. Die Salzburger Nachrichten setzen mit einem Aufmacher im Kulturteil noch eins drauf und untergraben seine historische Kompetenz. Die gestiegene Nachfrage des Buches löst allgemeine Freude aus. Was bleibt ist ein bitterer Nachgeschmack und viele unbeantwortete Fragen.