Von unserer Gastautorin Brita Pilshofer
Wenn ich an Solidarität denke, denke ich immer an Deide, unsere Haushälterin in Sao Paulo, Brasilien. Sie lebt in einer favela in Interlagos, zusammen mit ihren 5 Kindern und 2 Enkelkindern. Abwechselnd gehen sie und ihre Kinder arbeiten und jeder unterstützt die anderen in der Familie mit, ob sie nun in Ausbildung, arbeitslos oder in Mutterschaftskarenz sind. Die Solidarität zwischen mir und ihnen war eine spontane von Beginn an, bei mir gab es ein tägliches großes Mittagessen mit allen Kindern, sie lernten miteinander, wir gingen miteinander aus, mein Garten wurde gepflegt, ich konnte Ausbildungsstätten vermitteln. Als ich eine Gehaltserhöhung bekam, scherzte Deide mit realem Hintergrund: “ Verdienst du mehr, kannst du noch besser mit mir teilen!“
Es war Leben in meinem Haus, niemand war jemals alleine, mit Freundinnen und Nachbarinnen und deren Haushälterinnen traf man sich mindestens einmal die Woche um Maniküre und Pediküre in meiner sala zu machen, alle saßen zusammen und es wurde “ fofokiert „, das heißt man erzählte Wissenswertes über Marktangebote, Alltag, Bekannte, Gefahren etc.
Die favela war ein weiterer Mikrokosmos in dieser großen Stadt, in dem Deide sehr geachtet war und den Schutz der dort Mächtigen hatte. Ich war samt meiner Familie in diesem Schutz eingeschlossen, da ich ja Deides padroa war und dadurch sakrosankt. Ich konnte mit meinem Auto zu ihrem Haus mitten in der favela fahren, man passte auf dieses auf, solange ich dort war, damit kein jugendlicher Übeltäter einen Schaden anrichten konnte, und meine Handwerker kamen alle von dort und ich war immer bestens versorgt.
Favelas werden immer noch von den ärmeren Bewohnern der Städte dem sozialen Wohnbau, genannt Cingapura, vorgezogen, da es in ihnen eine funktionierende Infrastruktur gibt mit Kaufläden, Schulen und einem persönlichen Schutzsystem. Dass sich leider immer wieder Drogenhändler in ihnen festsetzen, trübt natürlich die Idylle, jedoch solange man sich an den Verschwiegenheitscode hält, passiert einem nichts.
Als ich zurück nach Österreich kam, erlebte ich einen Kulturschock. Niemand auf der Straße redete miteinander ( in Brasilien wird jeder auch noch so fremde Vorbeikommende nach seinem Befinden gefragt und oft ergeben sich Gespräche daraus, wenn man es nicht eilig hatte ), man rief sich in Österreich im Freundeskreis in Abständen von 2 Wochen einmal an, traf sich alle 3 bis 4 Wochen nach vorheriger langer Terminabsprache. Ich musste mich daran gewöhnen, da meine Kinder bereits erwachsen waren und nicht mehr bei mir wohnten, ganz allein zu sein und Deide fehlte mir unglaublich. Weiterlesen
Kultur pur in Düsseldorf
KulturEigentlich wäre ich nie auf die Idee gekommen, ein Wochenende in Düsseldorf zu verbringen. Wenn da nicht vor Wochen eine Meldung in den Tagesthemen gewesen wäre: „In Düsseldorf gibt es eine Werkschau von Andreas Gursky“. Da war klar, ich musste dorthin, denn ich liebe die Bilder von Andreas Gursky.
Gursky versteht es in seinen „bearbeiteten“ Fotografien zentrale Botschaften zu vermitteln. Ob der globale Massenkonsum in seinem Bild „99 cent“ oder die häusliche Individualität in einem Pariser Wohnblock „Montparnasse 1993“. Es war ein Genuss.
Aber Düsseldorf hat noch mehr zu bieten. Die Ausstellung der britischen Fotografin und Videokünstlerin Gillian Wearing wird mir nachhaltig in Erinnerung bleiben. Hier ein kurzer Blick auf ihre künstlerische Vielfalt:
Ein Tagesausflug nach Aachen bot eine große Überraschung für mich. Nein, das waren nicht die berühmten Aachener Printen. Es war der Dom, der mir ein großes AHA-Erlebnis bescherte. Ich war nicht darauf gefasst, als ich die Kirche betrat, hier quasi ein Kind meines Lieblingsgebäudes zu finden. Der Dom ist die Minitaturausgabe der Hagia Sophia in Istanbul- wie schön!
Am Abend ein Theatererlebnis der besonderen Art. Das Schauspielhaus in Düsselsdorf gab den „Prozess“ von Kafka. In einer wilden Abfolge von verrückten Bühnenbildern war man plötzlich mitten im schauerlichen Strudel des Josef K, dem der Prozess gemacht wird, ohne dass er bis zum tödlichen Ende den Grund für die Anklage kennt.
„Der Prozess“ ist eine Warnung, wie schnell ein System die Macht über das Individuum bekommt. Das System ist alles, der einzelne Mensch nichts.
Und noch ein berühmter Fotograf ist in Düsseldorf zu bewundern. Er ist auch allen „Germanys next Topmodel“-Fans ein Begriff! Rankin bietet einen bunten Fotoreigen berühmter und nicht berühmter Leute. Er erwischt in seinen Portraits oft den zentralen Charakterzug der Personen. Besonders spooky war das Bild der Rolling Stones, jünger werden sie nicht mehr- das war auf dem Bild eindeutig zu sehen ;)
Also Düsseldorf hat sich ausgezahlt und abgesehen von all der Kultur kann man wunderbar am Kö oder am Rhein flanieren und die ungezwungene und lockere Atmosphäre der Stadt genießen. Düsseldorf sieht mich wieder :)
Spannend, spannend – die US-Wahl 2012
WeltDer größte Einwanderungsstaat der Erde wählt mal wieder und alle sind gespannt ob Obama nochmals vier Jahre im Weißen Haus wohnen bleiben darf. Oder hat Mitt Romney ab Jänner eine neue Adresse? Genaueres wissen wir Mittwoch früh.
Spannend an der Wahl ist aber auch das Vorher und Nachher. Es beginnt schon bei den Vorwahlen, eine echte basisdemokratische Einrichtung. Es stellen sich mehrere KandidatInnen der Vorwahl in der eigenen Partei, mühsam und eine kräftezehrende Herausforderung, die Obama dieses Mal erspart blieb. Romney musste sich gegen einige gewichtige Mitbewerber wie Newt Gingrich und Rick Santorum durchsetzen. Nach den Parteikongressen der Republikaner und Demokraten, wo der jeweilige Kandidat gekürt wird, geht es direkt in die Schlammschlacht!
Cool das Video mit Richard Hayes, dem Müllmann, der den Dreck vor Romneys Haus wegräumt und beklagt, dass seine Arbeit nicht wertgeschätzt wird.
Ein Video der Republikaner zielt auf die Hispanics in den USA und warnt auf Spanisch vor Obama, der vom Sozialisten Hugo Chavez unterstützt wird.
Besonders umkämpft sind die Swing States, die nicht eindeutig demokratisch oder republikanisch sind. Hat ein Kandidat die Stimmenmehrheit in einem Bundesstaat, dann bekommt er alle Wahlmännerstimmen, daher kommt das „The winner takes it all“. Interessant sind die Bundesstaaten, die besonders viele Wahlmännerstimmen haben, wie Kalifornien, Florida oder New York.
Interesssant ist, dass die Wahlen seit 1845 immer am Dienstag nach dem ersten Montag im November stattfinden. Damals war der Sonntag heilig und gehörte Gott. Viele Wähler mussten eine beschwerliche Tagesreise auf sich nehmen, um an der Wahl teilnehmen zu können. Sie konnten erst am Montag weg und so wurde der Dienstag als Wahltag bestimmt.
Die Vereidigung des alten oder neuen Präsidenten findet dann im Jänner statt. Ein Termin, der auch den Umständen in früheren Jahren geschuldet ist. Die Stimmen der Wahlmänner mussten im jeweiligen Bundesstaat beglaubigt und versiegelt werden, dann wurden sie an den Regierungssitz versandt. Das konnte dauern.
Seien wir gespannt und wer noch mehr wissen will, hier ein spannender Blog zur US-Wahl:
http://www.usa2012.at/
Die ent-solidarisierte Gesellschaft
Europa, Geschichte, Gesellschaft, Kultur, Miteinander, WeltVon unserer Gastautorin Brita Pilshofer
Wenn ich an Solidarität denke, denke ich immer an Deide, unsere Haushälterin in Sao Paulo, Brasilien. Sie lebt in einer favela in Interlagos, zusammen mit ihren 5 Kindern und 2 Enkelkindern. Abwechselnd gehen sie und ihre Kinder arbeiten und jeder unterstützt die anderen in der Familie mit, ob sie nun in Ausbildung, arbeitslos oder in Mutterschaftskarenz sind. Die Solidarität zwischen mir und ihnen war eine spontane von Beginn an, bei mir gab es ein tägliches großes Mittagessen mit allen Kindern, sie lernten miteinander, wir gingen miteinander aus, mein Garten wurde gepflegt, ich konnte Ausbildungsstätten vermitteln. Als ich eine Gehaltserhöhung bekam, scherzte Deide mit realem Hintergrund: “ Verdienst du mehr, kannst du noch besser mit mir teilen!“
Es war Leben in meinem Haus, niemand war jemals alleine, mit Freundinnen und Nachbarinnen und deren Haushälterinnen traf man sich mindestens einmal die Woche um Maniküre und Pediküre in meiner sala zu machen, alle saßen zusammen und es wurde “ fofokiert „, das heißt man erzählte Wissenswertes über Marktangebote, Alltag, Bekannte, Gefahren etc.
Die favela war ein weiterer Mikrokosmos in dieser großen Stadt, in dem Deide sehr geachtet war und den Schutz der dort Mächtigen hatte. Ich war samt meiner Familie in diesem Schutz eingeschlossen, da ich ja Deides padroa war und dadurch sakrosankt. Ich konnte mit meinem Auto zu ihrem Haus mitten in der favela fahren, man passte auf dieses auf, solange ich dort war, damit kein jugendlicher Übeltäter einen Schaden anrichten konnte, und meine Handwerker kamen alle von dort und ich war immer bestens versorgt.
Favelas werden immer noch von den ärmeren Bewohnern der Städte dem sozialen Wohnbau, genannt Cingapura, vorgezogen, da es in ihnen eine funktionierende Infrastruktur gibt mit Kaufläden, Schulen und einem persönlichen Schutzsystem. Dass sich leider immer wieder Drogenhändler in ihnen festsetzen, trübt natürlich die Idylle, jedoch solange man sich an den Verschwiegenheitscode hält, passiert einem nichts.
Als ich zurück nach Österreich kam, erlebte ich einen Kulturschock. Niemand auf der Straße redete miteinander ( in Brasilien wird jeder auch noch so fremde Vorbeikommende nach seinem Befinden gefragt und oft ergeben sich Gespräche daraus, wenn man es nicht eilig hatte ), man rief sich in Österreich im Freundeskreis in Abständen von 2 Wochen einmal an, traf sich alle 3 bis 4 Wochen nach vorheriger langer Terminabsprache. Ich musste mich daran gewöhnen, da meine Kinder bereits erwachsen waren und nicht mehr bei mir wohnten, ganz allein zu sein und Deide fehlte mir unglaublich. Weiterlesen
Gesucht: der perfekte Österreicher!
Gesellschaft, Miteinander, SalzburgWenn man will, dann kann man es Menschen so richtig schwer machen. Es wird wieder mal die Staatsbürgerschaft diskutiert in unserem Land. Aber statt es einfacher, günstiger und einladender zu machen, lässt man sich ein paar zusätzliche Hürden einfallen. Warum einen ein ehrenamtliches Engagement bei der Feuerwehr qualifiziert, aber ein ebensolches bei einem Jugendzentrum nicht, bleibt rätselhaft.
Ja und die Deutschkenntnisse erst! Wenn wir so weitermachen, bürgern wir nur noch Menschen ein, die eine Dissertation auf der Germanistik geschrieben haben, vielleicht über den um sich greifenden sekundären Analphabetismus in unserem Land. Tja und verdienen sollte man natürlich auch mehr als der Durchschnittsösterreicher. Aber das Geld braucht man eh, unter 2000€ Gebühren bekommt man keinen österreichischen Pass. Was interessiert uns die demografische Entwicklung und die globalisierte Welt?
Was ExpertInnen zum Staatsbürgerschaftsrecht sagen ist auch egal. Die meinen nämlich, dass man erfolgreiche Integration nicht so richtig messen kann. Die meinen auch, dass es vernünftig wäre in Österreich geborenen Kindern von Drittstaatsangehörigen automatisch die österreichische Staatsbürgerschaft zu geben. Das alles wird nicht diskutiert. Hauptsache wir verlangen von anderen der perfekte Österreicher zu sein, der wir selbst nicht sind!
Welt-Wasser: Vom Wassermangel und der Wasserverschwendung
Europa, Gesellschaft, Menschenrechte, Welt, WirtschaftArtikel von unserem von Gastautor Wolfgang K. Heindl
Der Kongo-Zufluss Tshuapa in der Dem. Rep. Kongo: Gemessen an der Wasserführung ist der Kongo der zweitgrößte Fluss der Welt
Der blaue Planet: Vom Weltall aus betrachtet ist unsere Erde blau. 1,4 Milliarden Kubikkilometer Wasser sind für dieses Farbenspiel verantwortlich. Zwei Drittel der Erdoberfläche sind mit Wasser bedeckt. Doch nur 2,5 Prozent dieser Menge sind Süßwasser. Ein Vergleich verdeutlicht die Dimension: Stellt man sich das gesamte Wasser der Welt in einer Badewanne vor, dann macht das verfügbare Trinkwasser gerade mal einen Teelöffel voll aus.
Dieses Süßwasser ist von „Mutter Natur“ ungerecht verteilt. Wasserreiche Länder wie Österreich verfügen über bis zu 10.000 Kubikmeter Wasser pro Person und Jahr, während wasserarmen Ländern oft nur wenige hundert Kubikmeter bleiben. Diese natürliche Ungleichverteilung wird durch die Verfügungsmacht des Menschen über das „blaue Gold“ verschärft: Wasser hat, wer es sich leisten kann. 600 Millionen Menschen haben zu wenig Trinkwasser. Mehr als 2 Milliarden Menschen verfügen über keine zufriedenstellenden Sanitäreinrichtungen. Die Folgen dieser Ungleichverteilung sind dramatisch: Alle vier Sekunden verdurstet bzw. verhungert ein Kind unter fünf Jahren oder stirbt an durch Armut verursachten Krankheiten. Das sind weltweit pro Jahr in etwas so viele Kinder wie Österreich Einwohner/innen hat.
Dieser Zahlen zum Trotz vermeldetet die UNO kürzlich erfreuliche Erfolge: Der Prozentsatz jener Menschen, die über keine ausreichende Trinkwasserversorgung verfügen, konnte im Vergleich zu 1990 halbiert werden. Das im Jahr 2000 als eines der Millenium-Entwicklungsziele definierte Vorhaben, wurde bereits heuer, drei Jahre vor der Zielsetzung erreicht. Trotz dieses Erfolgs bleibt der Ausblick kritisch: Durch den Klimawandel drohen Dürren und verstärkter Wassermangel und Forscher des Wuppertaler Instituts für Klima, Umwelt und Energie schließen nicht mehr aus, dass mein heute vier Jahre alter Sohn im Laufe seines Lebens einen Anstieg des Meerwasserspiegels um bis zu zwei Meter erleben wird.
Durst ist hier bei uns Gott sei Dank kein Thema. Wasser gibt es im Überfluss. Und doch importiert Österreich enorme Mengen an Wasser. Betrachtet man neben dem direkten Verbrauch durch Kochen, Trinken oder Duschen (130-150 Liter am Tag), auch den indirekten Wasserverbrauch, kommt man auf bis zu 4.000 Liter am Tag. Das entspricht 25 Badewannen. Jeden Tag. Pro Person. Dieser indirekte Wasserverbrauch rechnet das für die Landwirtschaft oder die Industrie aufgewendete Wasser mit ein. Eine ganze Menge wasserintensiver (landwirtschaftlicher) Produkte werden importiert: Kaffee aus Brasilien, Kakao aus Ghana oder Gemüse aus Spanien. Wir verbrauchen also täglich schon alleine mit den Hauptmahlzeiten tausende Liter Wasser. Besonders wasserintensiv ist Rindfleisch. In einem Kilo Rindfleisch stecken an die 15.000 Liter Wasser. Beim auf den ersten Blick wasserintensivem Reis sind es hingegen „nur“ 3.000 Liter pro Kilo. Auch Baumwolle verbraucht viel Wasser. Für 1 Kilo Baumwolle werden 10.000 Liter Wasser benötigt. In jedem Baumwoll-T-Shirt stecken somit 2.900 Liter Wasser. Hinzu kommt, dass Baumwolle oft in ohnehin schon wasserarmen Regionen angebaut wird. Mit dramatischen Folgen: Der Wasserhunger der Baumwollplantagen in Usbekistan hat maßgeblich zum Austrocknen des Aralsees beigetragen.
Besonders hoch ist der Wasserverbrauch auch bei Produkten aus Aluminium, Edelmetall, Stahl oder Erzeugnissen der Chemieindustrie: Für 1 Kilogramm Aluminium werden etwa 100.000 Liter Wasser aufgewendet. Weitere Beispiele gefällig?
Der Computer mit dem Sie gerade auf zartbitter.co.at surfen, hat in der Herstellung 20.000 Liter Wasser verbraucht. Wenn Sie diesen Artikel auf ein Blatt Papier ausdrucken, steigt ihr individueller Wasserverbrauch um weitere 10 Liter.
Leben im Jetzt: Wanderapostel
Augenblicke, Gesellschaft, Leben, Miteinander, SpirituellHermann (Mitte) und Peter „erarbeiten“ sich Gespräch in Kirchberg bei Kitzbühel
Das Experiment „Wanderapostel“ startete in Hopfgarten bei Kitzbühel im Tiroler Unterland. Mittags bei strömenden Regen gingen wir los. Ohne Geld, Verpflegung, nicht wissend, wo wir schlafen würden. Es gab kein geographisches Ziel, wohl aber ein inhaltliches. Auftrag war es, aufmerksam zu machen für die Aktionswoche „Offener Himmel“ der Erzdiözese Salzburg einerseits, andererseits mit Menschen direkt ins Gespräch zu kommen über Lebens- und Glaubensfragen. Wir ließen uns führen von der Intuition. Wir läuteten an den Häusern und stellten uns als Wanderapostel vor. Die Reaktion der Menschen war sehr unterschiedlich: Von totaler Ablehnung, über „darüber wollen wir euch ein andermal hören“ bis hin zu echtem Interesse. Viele Menschen waren dankbar, einmal ihre Meinung zur Kirche loszuwerden. Dabei kam vieles zur Sprache: Der Pflichtzölibat (Verpflichtung zu Ehelosigkeit und sexueller Enthaltsamkeit) für Priester solle aufgehoben werden. Der Kirchenbeitrag (1% des Bruttoeinkommens in Österreich) sei zu hoch. Die junge Generation interessiere sich nicht mehr für Religion und Kirche. Ein großes Ärgernis sind die Missbrauchsfälle, die in der Kirche stattgefunden haben. Manchmal fühlten wir uns wie Mülleimer für Abfall, den wir nicht produziert haben.
Wir hörten auch viele Sorgen: Wie wird der Kirchenbesuch in 20 Jahren aussehen? Sind die Kirchen dann leer? Sollte Friedrich Nietzsche Recht behalten wie im bekannten Aphorismus 125 in seiner „Fröhlichen Wissenschaft“? „Was sind denn diese Kirchen noch, wenn sie nicht die Gräber und die Grabmäler Gottes sind?“ Die Menschen machen sich Sorgen um die Umwelt. Wird ihre schöne Tiroler Landschaft schon in naher Zukunft unwiederbringlich zerstört sein? Welche Welt hinterlassen wir unseren Kindern?
Uns wurden auch Einblicke in soziale Härtefälle gewährt, aus denen es sehr schwer ist, sich zu entziehen. Wo man gleich helfen möchte, aber merkt, dass die Verstrickungen und Abhängigkeiten so groß sind, dass es hier keine einfachen Lösungen gibt. Da war ich auch froh, dass es kirchliche Stellen gibt, die Auffangnetze und konkrete Hilfe anbieten.
Wir führten auch Glaubensgespräche. Viele Menschen glauben an Gott, oder an eine letzte Wirklichkeit, möchten aber mit Kirche nichts oder nur wenig zu tun haben. Andere wünschen sich eine stärkere Kirche, die sich wirklich auf die Lebensfragen der Menschen einlässt.
Die Aktion „Offener Himmel“ mit ihren zahlreichen Veranstaltungen mit zum Teil experimentellem Charakter fand bei den Menschen Anklang. Hier wird eine Kirche sichtbar, die auf die Menschen zugeht, offen ist für neue Formen und die sich an andere Religionen annähert. Eine Kirche, die das Verbindende sucht. In diesem Klima wurden wir Wanderapostel voll respektiert. Wir spürten die Gastfreundschaft der Tiroler und fanden für jede Nacht ohne Probleme eine Bleibe. Für die Tage brauchten wir keinen Cent.
Das Projekt ist gelungen. Du hast im Grunde keine andere Wahl, als dich spontan und radikal auf alles einzustellen, was dir begegnet. Jede Begegnung war Anstoß für die eigene Entwicklung. Wir wurden mit jedem Kontakt selbst verändert. Leben ist nichts Statisches, sondern ist in ständiger Veränderung. Diese Form des Gehens macht letztendlich zufriedener, vertrauensvoller und nimmt Ängste vor der eigenen Zukunft. Und es macht mich offener für Menschen auf der Flucht. Menschen, die unfreiwillig aufbrechen müssen, weil sie keine Zukunft mehr haben in ihrer Heimat. Vor allem aber stärkt es die eigene Dankbarkeit, dass alles im Leben Geschenk ist.
http://www.youtube.com/watch?v=DUjX1FwD-ew