Darf man Arschloch sagen?
So viele erschütternde Bilder in den letzten Tagen: im Lastwagen erstickte Menschen, an den Strand gespülte Leichen, verzweifelte Flüchtlinge am Bahnhof in Budapest. Das Entsetzen darüber ist groß und die Hilfsbereitschaft der Menschen wächst. Doch einige haben weiterhin nichts anderes als Hass und Gewalt für die Flüchtlinge übrig.
Darum beschloss ein Musiklehrer, den Ultra-Rechten eine lautstarke Botschaft entgegenzuschleudern – und zwar den 22 Jahre alten Song „Schrei nach Liebe“ der Punk-Band DIE ÄRZTE. So startete er die Aktion Arschloch, benannt nach der bekannten Textzeile des Songs „Schrei nach Liebe“, die schlicht und eingängig einfach „Arschloch, Arschloch, Arschloch“ lautet. Die Ärzte veröffentlichten den Song 1993, als Asylbewerberheime in Rostock brannten. Jetzt, wo wieder Asylquartiere die Zielscheibe von Flüchtlingshassern sind, war es naheliegend, gerade diesen Song auszuwählen.
Die Absicht der Aktion Arschloch. „Schrei der Liebe“ soll auf Platz 1 der deutschen Charts – als Zeichen gegen die Rechte Hetze und Gewalt. Die Ärzte begrüßen die Aktion, wollen aber nichts daran verdienen. Es wird alles an die Organisation Pro Asyl gespendet – und zwar auch die Erlöse durch Airplay.
Die Aktion ist ein voller Erfolg. Es gibt viel Zustimmung von der Presse und auch die Verkäufe von „Schrei nach Liebe“ sind in die Höhe geschnellt, auch in der Schweiz, in Österreich und Luxemburg.
Tadellose Aktion? Nicht für alle.
Es gibt auch herbe Kritik an der Aktion. Schindluder.net, sonst spezialisiert darauf, uns mit lustigen Bildchen und Sprüchen zu erfreuen, nennt das Ganze die „Aktion der Arschlöcher“.
[Sorry, den folgenden Absatz musste ich streichen. Hier hab ich den Sin der Aussage von Schindluder.net völlig entstellt – ohne Absicht, einfach durch Schlampigkeit. Ich entschuldige mich.]
Die Argumente gegen die Aktion Arschloch sind einerseits subjektiv:
Es ist nicht cool, […] „Schrei nach Liebe“ anzuhören […] macht auch definitiv keinen Spaß.
Das mag für manche stimmen. Ich mag den Song und singe gerne lauthals mit. Und viele andere offenbar auch.
Andere Die Argumente sind finde ich naiv:
Man muss immer, immer, immer, immer, immer und immer wieder mit Flüchtlingsgegnern reden und ihnen die Ängste nehmen. Nur wenn sie verstehen und sehen, dass Flüchtlinge verdammt arme und hilfsbedürftige Menschen sind, dann überlegen sie es sich vielleicht zweimal ob sie ein Heim anzünden.
Wie bitte? Das ist idealistisch aber nicht realistisch. Rassisten sind für Argumente und das Leid der anderen nicht offen. Sie sind Hasser, keine Skeptiker und keine „besorgten Bürger“. Menschen mit Ängsten und Sorgen zünden nichts an, verbreiten keine Gewalt und urinieren nicht auf Flüchtlingskinder.
Ist es ok, Ultra-Rechte als Arschlöcher zu bezeichnen?
Es ist sicher nicht der feine Ton. Argumente gehen den Rechten am, ‘Tschuldigung, Arsch vorbei. Und ob man sie Nazi, Pack oder sonstwas nennt, ist ihnen auch egal. Gerade das ist für alle normalen, empathischen Menschen so frustrierend – Argumente und Beschimpfungen bringen nichts. Aber: Man kann sich so seiner Frustration einfach Luft machen und es rausschreien: Arschloch!
[Hier zur Auflockerung das Lyrics-Video – bitte weiter unten weiterlesen]
Freilich, ist es ein Schrei der Ohnmacht, doch wenn viele ihn gemeinsam schreien, dann fühlt man sich nicht allein. Dann weiß man, dass es viel Menschlichkeit gibt und es sich lohnt, den Rechten gegenzuhalten.
Dieses Gefühl tut auch einfach mal gut. Besonders wenn die Flüchtlingsgegner sich von ihrer hässlichsten und unmenschlichsten Seite zeigen. Zum Bild des 3-jährigen ertrunkenen Aylan, das dieser Tage wieder viele Menschen bewegt hat, tauchte auf Facebook dieses Posting auf:
Werden solche Unmenschen durch Argumente klüger? Nein. Sorry, aber in solchen Augenblicken fällt mir auch nichts anderes ein, als laut zu schreien: Arschloch! Arschloch! Arschloch!