Vor kurzem hab ich einen wunderbaren Film gesehen, über den ich unbedingt berichten möchte. So einen Film sieht man nämlich nicht alle Tage. Und das sollte man vielleicht auch gar nicht. Denn, wenn man Filme wie diesen nur alle Nasen lang sieht, behalten sie ihren märchenhaften Zauber. Wes Anderson macht alle Nasen lang so einen Film. Großartig.
The Grand Budapest Hotel ist von den Novellen und Romanen Stefan Zweigs inspiriert. Das ist ungewöhnlich. Nämlich auch deswegen, weil Wes Anderson sich nicht einer bestimmten Geschichte des österreichischen Autors bedient. Es ist zwar lange her, seit ich zuletzt einen Roman von Stefan Zweig gelesen habe – in der Schulzeit, also seeehr, seeehr lange – aber ich habe trotzdem das Gefühl, er wäre mit der Hommage des amerikanischen Regisseurs zufrieden gewesen. Zugegebenermaßen dachte im beim Zuschauen sogar ein wenig mehr an einen anderen berühmten österreichischen Autor: Alexander Lernet-Holenia.
Im fiktiven Land Zubrovka, in fiktionalen 1930er Jahren, steht das Grand Budapest Hotel wie ein absurd riesiger, unförmiger Art-Deco-Klotz in Zuckerlrosa auf einem Berg. Es haftet ihm der Glanz imperialer Zeiten an. Das Hotel ist mit einer Zahnradbahn zu erreichen, die auf abenteuerlich steilen Schienen den fast vertikalen Felsen hochfährt. Der Besitzer des Hotels ist unbekannt, aber einer hat die absolute Kontrolle über alles, was in der luxuriösen Herberge geschieht: der köstliche Monsieur Gustave [Ralf Fiennes], seines Zeichens Concierge des Hauses. Er ist Herr über alle Mitarbeiter und behandelt sie streng. Beim Mittagessen belehrt er sie von einem Rednerpult aus. Jede berufliche Verfehlung der Hotelangestellten prangert er an, als wäre diese ein Verrat an ihm höchstpersönlich. Danach liest er den eben noch gescholtenen Mitarbeitern Liebes-Lyrik vor – während diese gierig und ohne zuzuhören ihr Essen hinunterschlingen. Den Pagen behandelt er einerseits wie seinen persönlichen Lakaien, andererseits betrachtet er ihn als seinen Protegé. Die Gäste lieben Monsieur Gustave, besonders die weiblichen. Alle Damen von hohem Stand und (Geld-)Adel sind ihm verfallen, beglückt er sie doch bis ins hohe Alter mit Diensten, die nicht seiner Stellenbeschreibung entsprechen dürften. Als eine der Damen [Tilda Swinton] stirbt, vermacht sie ihm ein Bild von unschätzbarem Wert – zum großen Missfallen ihrer hässlichen Töchter und sinistren Söhne. Kurz darauf wird Monsieur Gustave des Mordes an der alten Dame verhaftet.
Der ganze Film dreht sich um Monsieur Gustave. Er ist eine schillernde Figur, die fasziniert. Anfangs nur ein etwas aufgeblasener, parfümierter, leicht schmieriger Charmeur, bietet er den Schergen des neuen, strengen Militärregimes, dessen ZZ Flaggen bald das ganze Hotel zieren sollen, mit Vehemenz die Stirn, um seinen Pagen, einen Kriegsflüchtling aus einem arabischen (Fantasie-)Land, tapfer zu beschützen. Auch als er dafür harte Schläge einstecken muss, gibt er nicht nach. Mir blieb vor Überraschung darüber der Mund offen stehen.
Monsieur Gustave ist ein Charakter, der selbst in diesen, hier natürlich nicht akkurat gezeigten, 30er Jahren als ein Anachronismus gelten musste, ist er doch die Verkörperung der Diszipliniertheit eines k. u. k.-Offiziers des 19. Jahrhunderts. Ich hatte beim Zuschauen ein richtiggehend schlechtes Gewissen, als mir bewusst wurde, dass ich ihn wegen seiner Beziehungen zu den reichen Damen zu rasch als unmoralisch, opportunistisch und wegen seines Verhaltens gegenüber den Hotelangestellten als selbstgefällig schubladisiert hatte. Er belohnt die bedingungslose Hingabe, die er anderen abverlangt, indem er die seine dafür anbietet. Außerdem merkt man im Laufe des Films, dass seine Liebe zur Lyrik echt und tief empfunden ist und dass sie nicht nur dazu dient, die ihm unterstellten Mitarbeiter zu quälen. Er ist ein grenzenloser Romantiker, der obendrein mit einem an Naivität grenzendem Optimismus davon überzeugt ist, dass am Ende das Gute und Gerechte sich durchsetzt. Und weil Monsieur Gustave sich obendrein noch als Abenteurer und Draufgänger herausstellt, bietet der Film sogar noch richtige Action: samt Gefängnisausbruch und James Bond-würdiger Verfolgungsjagd den tiefwinterlichen Berghang hinunter. Sein Page und er stehen sich dabei stets treu zur Seite. Ebenso wie die Verlobte des Pagen, eine junge mutige Patisseurin, deren Backkunst und Anstellung bei der Konditorei Demel – Entschuldigung, Mendl (Die Ähnlichkeiten, die man in so vielen Details erkennt!) – mehr als nur einmal hilfreich ist, bis hin zum großen Showdown.
Der Ausstatter, der Kostümbildner und der Perückenmacher durften sich bei dem Film völlig wegschmeissen und haben ihn zum wahren Augenschmaus gemacht. In Verbindung mit der oft Monty-Phython-esken Tricktechnik ist auch immer klar, dass nichts davon allzu ernst gemeint ist. Ebenso ein Augenschmaus: Die Besetzung. All die großen Namen mussten wohl Schlange gestanden haben, um mitspielen zu dürfen. Wes Anderson hat anscheinend Woody Allen im Status bereits überrundet. Neben Ralph Fiennes sind auch noch Tilda Swinton, Jude Law, Adrien Brody, Bill Murray, Edward Norton, Owen Wilson, Saoirse Ronan, Jeff Goldblum, Harvey Keitel und auch der österreichische Schauspieler Karl Markovics zu sehen. Sie alle spielen mit sichtbar großer Lust und Gaudi an der Sache.
Die operettenhafte Farce macht nicht nur den Mitwirkenden Spaß. Ich habe mich als Zuschauer mehr als bereitwillig auf die naive (im besten Sinne des Wortes) Geschichte mit ihren schwarz-weiß gezeichneten Charakteren eingelassen. Jeder Dialog und jedes Bild waren ein Genuss. So wie die pickig-süß glasierten Kunstwerke des Konditors Mendl.
Meine Bewertung auf IMDB: 9 Sterne
Weil dieser Film ein seltener Glücksfall ist. Und beim zweiten Mal ansehen könnte es sein, dass ich sogar noch einen Stern drauflege.
Neugierig darauf? Hier ist der Trailer:
http://www.youtube.com/watch?v=2bTbW70umbQ
Und hier der Trailer auf Deutsch:
http://www.youtube.com/watch?v=QhmnNBkS_C8