fsrAuch die Salzburger Festspiele reihen sich ein in den Reigen des Gedenkens an den Ausbruch des 1. Weltkrieges vor 100 Jahren. Unzählige Publikationen, Ausstellungen und Veranstaltungen rufen diesen unsäglichen Krieg wieder in Erinnerung. Viele Historiker und Historikerinnen haben neue Perspektiven in die Diskussion und in das Erinnern gebracht. Einer der meist debattierten Historiker war heute der Festspielredner, Professor Christopher Clark.

Es ist auch bei ihm die Rede von Parallelen zu heute. Damals, so meint er, waren die raschen Änderungen im internationalen System ausschlaggebend für die Vielschichtigkeit der Ereignisse. Auch aktuell haben wir Krisen, wie in der Ukraine, im Nahen Osten, in Libyen, in Asien. Aber was wir im Unterschied zu 1914 haben sind supranationale Institutionen, die in Konflikten vermitteln können. Und in Europa haben wir die Europäische Union. Clarks Blick als Australier tut gut. Wir diskutieren die EU oft nur auf Glühbirnen- und Gurkenniveau. Er sieht in der Europäischen Union eine weltweit einmalige Wirtschafts- und Friedensordnung. Dessen müssen wir Menschen in Europa uns wieder viel stärker bewusst sein. Die EU kann ein Modell sein für die ganze Welt, sie ist eine der größten Errungenschaften der Geschichte der Menschheit, so Clark. Die Katastrophe von 1914 ist eine Mahnung, wie furchtbar die Ereignisse sein können, wenn die Politik versagt.

Im Gegensatz zu 1914, meine ich, leben wir in Europa allerdings nicht mehr in Nationen und Imperien, die von einigen Wenigen beherrscht werden. Wir haben Demokratie und damit hat jeder Einzelne von uns die Verantwortung für ein friedvolles Miteinander einzutreten.

Und um mit Bertha von Suttner zu sprechen:

„Nicht unseren Vorvätern wollen wir trachten uns würdig zu zeigen – nein: unserer Enkelkinder!“

Die Rede von Professor Christopher Clark hier:

http://www.salzburgerfestspiele.at/blog/entryid/472

isWenn man ständig auf jemanden einschlägt, dann ist es etwas naiv davon überrascht zu sein, wenn man zurückgeschlagen wird. Der Israelische Standpunkt in diesem andauernden Konflikt hat sich nie geändert, und der Missbrauch von Gewalt gegen die besetzten Gebiete führt uns auf den Weg ins Leid.

Die Politik des wachsenden Hasses und der wachsenden Angst in unserer Bevölkerung wird von unserer Regierung gefördert, indem sie die Menschen blendet, damit sie die Wahrheit nicht erkennen: Israel, als Unterdrücker, hat die Pflicht, sich aus jenen Gebieten zurückzuziehen, die nicht uns gehören.

Wenn wir uns weiter hinter dem Bild verstecken, dass wir Opfer sind, dann drehen wir uns immer weiter in diesem Teufelskreis. Wir müssen den Schneeball-Effekt aufhalten, der seit dem zweiten Weltkrieg unser Nationalbewusstsein prägt. Wir stehen keinem Feind gegenüber, der in der Lage ist, uns zu zerstören und uns in Gaskammern zu verbrennen. Wir stehen einer ethnischen Gruppe gegenüber, die Unabhängigkeit will.

Es ist mir egal, ob es die Palästinenser schon vor der Gründung Israels gab oder nicht. Sie existieren JETZT. Es sind einige Millionen – noch einmal: MILLIONEN – Menschen, die leben, arbeiten und mit uns auf demselben trockenen Stück Land leben und sterben.

Wir können nicht dieselben ideologischen Pläne wie einst unsere deutschen Unterdrücker anwenden, um unsere Angst vor den Palästinensern zu rechtfertigen. Wir müssen akzeptieren, dass wir ein Volk mit existenziellen Ängsten sind. Wir leben ständig im Überlebensmodus. Solange wir diese Ketten nicht durchbrechen und die Augen öffnen, nähren wir diesen Konflikt mit noch mehr Bomben, Panzern, Soldaten, Einsätzen, Hass, Ignoranz, Angst und Chaos.

Verbreite keine Angst um dich herum. Verbreite keine Ausreden für dein Handeln. Ich war dort. Ich habe in den besetzten Gebieten gedient und wir gehören dort definitiv nicht hin.

Wir müssen die natürliche Ordnung der Dinge akzeptieren: Wenn man Hass und Angst sät, dann bekommt man diese zurück. Wenn man die Menschen zu Hass und Gewalt erzieht, dann breiten sich diese wie Feuer in den Städten aus.

Ich bin ernsthaft bedrückt von all dem zu erfahren, das gerade vor sich geht. Besonders traurig machen mich Videos, in denen Israeli unkontrolliert Ihre Aggression ausdrücken. Ich hoffe wir finden unseren eigenen Weg mit diesen starken Gefühlen umzugehen ohne von ihnen kontrolliert zu werden.

Ich wünsche mir bessere Zeiten,

Matan

Originaltext:

hiWhen you are beating someone constantly, it is a bit naive to be surprised when you get hit back. The Israeli stand in this ongoing conflict has never changed and the misuse of force towards the occupied territories is leading us in a direction of suffering.

The policy of increasing hatred and fear in our population is being pushed from our government, blinding the people to see the reality as it is: Israel, as the oppressor, has the responsibility to withdraw from the territories that don’t belong to us.

If we keep hiding ourselves behind the image that we are victims, we will keep rolling in this vicious circle. We need to stop this snowball effect that has been shaping our national consciousness since the Second World War. We are not facing an enemy that has the capacity to destroy us and burn us in gas chambers. We are facing an ethnic group that desires its independency.

I don’t care if the Palestinians did or didn’t exist before the establishment of Israel. They exist NOW. There are a few millions, again MILLIONS of people, who already live, work and share life and death with us on the same dry piece of land.

We cannot use the same ideological agendas as our oppressors in Germany to justify our fear of the Palestinians. We need to accept that we are a nation of people with existential fear. We are living in a constant survival mode. Until we break these chains and remove the cover from our eyes, we will keep on nourishing this conflict with more bombs, tanks, soldiers, operations, hatred, ignorance, fear and confusion.

Don’t spread fear around you, don’t spread excuses for your actions. I was there, I was serving in the occupied territories and we definitely don’t belong there.

We need to accept that natural order of things: if you spread hatred and fear, you will receive it back. If you educate people to hate and use violence, we will see it spread in your cities like fire.

I am truly sad to hear all the things that are happening, especially sad to see videos of Israeli people expressing their aggression in an uncontrolled way. I hope we will find our individual way to deal with all these strong emotions without being controlled by them.

In a wish for better days,

Matan

ho1Heute hatte ich ein Gespräch, da ging es um Hausordnungen. Hausordnungen sind oft nicht zu verstehen. Da waren sich alle einig. Eine Hausordnung ist dazu da, dass das Zusammenleben ein paar Regeln bekommt. Sie sollen auch helfen, dass sich die Menschen in einem Haus nicht streiten. Es geht vor allem um Lärm und Schmutz. Und um mögliche Gefahren. Wichtig ist jetzt, dass die Menschen die Hausordnung auch lesen. Darum hängen Hausordnungen üblicherweise in einem Stiegenhaus, wo alle vorbeigehen. Und dann dachte ich an unser Wohnhaus und unser Stiegenhaus und unsere Hausordnung. Habe ich die eigentlich schon mal gelesen? Ehrlicherweise muss ich gestehen: Nein, habe ich nicht.

Mein erster Blick heute beim Nachhausekommen war dann auf unsere Hausordnung. Es blickte mir aus dem Rahmen ein Text entgegen, der ohne Lupe fast nicht zu lesen ist und obendrein wahrscheinlich noch mit Schreibmaschine geschrieben wurde. Als Germanistin habe ich gelernt mich ohne Angst jedem Text zu nähern.

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Spannend spannend, was ich da zu lesen bekam. Endlos lange Sätze im klassischen Beamtendeutsch. Also viele Hauptwörter und altertümliche Ausdrücke. Hätte ich nicht das Gespräch am Vormittag gehabt, wäre ich nach dem ersten Absatz schnurstracks weitergegangen. Aber ich habe durchgehalten. Und so habe ich mich in die Hausordnungsprosa vertieft. Manche Sätze musste ich zwei Mal lesen, um sie zu verstehen. Besonders gefallen haben mir die maschinellen Einrichtungen in Waschküchen. Außer einer Waschmaschine und einem Trockner kann ich mir keine „maschinelle Einrichtung“ in der Waschküche vorstellen. Aber vielleicht habe ich die letzten Jahre ja etwas übersehen und es befindet sich auch ein Geschirrspüler dort. Bevor ich die Hausordnung gelesen habe, wäre ich allerdings auch nie auf die Idee gekommen „Strümpfe in die Toilette einzubringen“.

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Und ein Wort kam öfters vor. Ein Wort, das mich an einen Roman aus einer Zeit erinnerte an dem dieses Wort durchaus seine Berechtigung hatte. Ich hatte beim Lesen des Wortes sofort „Effi Briest“ von Fontane vor Augen. Effi Briest, die als junges Mädchen zwangsverheiratet wurde, sich dann einer Liebschaft hingab und damit den Ehrenkodex ihres Ehemannes brach. Das war natürlich „unstatthaft“ damals im 19. Jahrhundert. In der Hausordnung steht, dass „jedwede Wasserverschwendung unstatthaft ist“. Ein fast poetischer Satz.

Und etwas, was ich in der derzeit aufgeheizten Diskussion um die gendergerechte Sprache eigentlich gar nicht erwähnen will: Die Hausordnung gilt natürlich nur für Hausbewohner ;)

Ein Beitrag von Andreas Oshowski

kmb

Auf der Genneralm

Am vergangenen Wochenende hatte die Katholische Männerbewegung Salzburg  zum Almabenteuer mit Papa auf die Genneralm eingeladen und 40 Teilnehmer haben die Einladung in der Osterhorngruppe angenommen. Was kann über eine solche Begegnung geschrieben werden. Dass Väter und Kinder am Lagerfeuer gegrillt haben, dass eine Bergtour unternommen und ein Backofen gebaut wurde und schließlich gut gegessen und getrunken wurde. Das Wesentliche muss jedoch für die Augen nicht zwingend unsichtbar sein:

Wenn ein Vater mit seinen Töchtern bei einem Picknick die Jause gerecht verteilt.

Wenn ein Vater bis Mitternacht mit seinem Sohn alleine am Lagerfeuer Holz nachlegt.

Wenn ein Vater mit seinen Söhnen in der zweiten Nacht aus dem Zimmer unter den freien Sternenhimmel umzieht.

Wenn ein Vater sich hinunterbeugt zu seiner Tochter und ihr Mut macht, dass sie den Weg bis zum Gipfelkreuz schafft.

Wenn ein Vater seinem Sohn den Finger verbindet, in den er sich beim Schnitzen geschnitten hat.

Wenn ein Vater seinem Sohn eine Limonade verspricht, wenn er mit auf die Bergtour kommt und sogar ein koffeinhaltiges Getränk, wenn er einen Rucksack trägt.

Wenn ein Vater stolz ist, wenn sein Jüngster (5 Jahre) am Gipfelkreuz ankommt.

Wenn ein Vater stets mit wachem Blick schaut, wo sich sein Sohn beim Heidelbeeren pflücken aufhält.

Wenn ein Vater seinen Sohn in den Arm nimmt, weil er das Melken der Kühe verschlafen hat.

Wenn ein Vater mit seinem Sohn allein auf dem Weg zurückbleibt.

Wenn ein Vater seine Tochter mit einem Sonnenschutzabdeckstift die Nase einreibt.

Wenn ein Vater die Tochter tröstet, weil sie die Mama vermisst.

Wenn ein Vater…

Das ist nur ein kleiner Auszug aus den sichtbaren kleinen Geschichten, die sich am vergangenen Wochenende auf der Genneralm zugetragen haben und es gibt so viel mehr Geschichten, die Zeugnis geben von ‚Zärtlichkeit und Kraft‘.

Vor vielen Jahren (1983) gab es einmal ein Buch, mit dem Titel ‚Zärtlichkeit und Kraft‘, in ihm heißt es: „Wenn wir nicht ja sagen zum Vater, wird das Leben leer und entartet zu unwirtlichem Land. Wenn wir das Herz … nicht annehmen, wird alles welk und verliert seinen Glanz. Ohne den Vater ist das Herz unfruchtbar. Ohne das Herz verliert der Vater seine Wärme.“

von Elisabeth Kaplan

Heute geht es in meiner Österreich-Serie um das Wiener Pop-Duo Fijuka. Diese zwei Damen, Ankathie Koi (Gesang) und Judith Filimónova (Bass), haben sich an der Uni in Wien kennengelernt und haben Fijuka 2011 ins Leben gerufen. Sie beschreiben sich selbst als „synthie-pop-electronica minded band“, allerdings stelle ich mir unter der Bezeichnung etwas ganz anderes vor – nämlich eher den cleanen, digitalen Sound von Bands wie La Roux oder Chvrches. Fijuka, hingegen, klingt im Vergleich dazu sehr natürlich und warm, was der Verwendung von analogen Synth-Sounds und einem echten E-Bass zu verdanken ist. Was die Musik von Fijuka ausmacht ist für mich in erster Linie das Charisma und die Stimme von Ankathie Koi, zweitens die Synth-Sounds, und drittens der Bass.

Stimme
Hören wir erst mal auf die Stimme von Ankathie, die aus Burghausen an der bayerisch-österreichischen Grenze stammt und mit ihrer Darbietung den Geist von solch schrägen Pop-Damen wie Kate Bush, Elly Jackson, Feist, Imogen Heap oder Róisín Murphy beschwört. In den ätherischen Strophen von „Behave (From Now On)“, zum Beispiel, bietet sich ohne weiteres ein Vergleich mit Kate Bush an, während die rhythmischen Strophen von „Phantom Sentimental“ eine Ähnlichkeit mit „Bulletproof“ von La Roux haben. Und bei Fijuka stört mich der starke Akzent der Sängerin auch nicht. Das liegt, denke ich, am frechen, schrulligen Charakter der Musik, der Sängerin, des Gesamtkonzepts.

Ankathie Koi und Judith Filimónova sind Fijuka

Ankathie Koi und Judith Filimónova sind Fijuka

Ein starker Akzent bei SängerInnen, die sich der englischen Sprache bedienen, stört mich nur, wenn sie sich selbst zu ernst nehmen, oder wenn die Musik eindeutig darauf abzielt, amerikanisch oder englisch zu klingen. Ich kann aber einen Akzent durchaus akzeptieren, wenn er Teil eines ironischen oder experimentellen Konzeptes ist, oder wenn die Musik dezidiert Europa zuzuordnen ist. Der starke isländische Akzent von Björk, zum Beispiel, ist einfach ein integraler Bestandteil von ihrem gesamten Image und passt perfekt dazu. Außerdem überzeugt Ankathies selbstbewusste Performance und ihr Charisma. Man glaubt unweigerlich, dass es einfach so gehört, wie es ist. Ihre skurrilen Bewegungen im Video von „Behave (From Now On)“ sind einfach so schräg, dass man einfach hinschauen muss (abgesehen davon, dass ich diese bunten, schillernden Leggings haben muss!).

Synth
Fijuka verwenden klassische Synth-Sounds, die ihrer Musik ein eindeutiges Retro-Feeling verleihen. In ihren Live-Videos sieht man, dass Ankathie einen Roland RS-09 spielt, also einen Analog-Synthesizer, der 1979/80 auf den Markt kam und deswegen mit dem Sound der frühen Achtziger assoziiert wird. Aber ich glaube nicht, dass sich Fijuka mit einer Achtziger-Revival identifizieren, sondern eher dass die oft eher kitschigen Sounds des Roland eine logische Wahl sind für das spleenige Gesamtkonzept.

Fijuka experimentieren nicht nur gern mit Sounds der 80er Jahre, sondern auch mit dem passenden New Romantics-Makeup

Fijuka experimentieren nicht nur gern mit Sounds der 80er Jahre, sondern auch mit dem passenden
New Romantics-Makeup

Was Fijuka außerdem vom aktuellen Elektropop abhebt ist ihre vergleichsweise einfache Produktion. Während im Elektropop immer sehr viel los ist und viele verschiedene Ebenen und Sounds verschmelzen, beschränken sich Fijuka aufs Wesentliche, nämlich Vocals, Drums, Bass, Synth-Flächen für die harmonische Grundlage, und an ausgewählten Stellen melodische Synth-Lines. Und das war’s. Manche mögen das unter-produziert nennen, und wer weiß, ein guter Producer könnte vielleicht noch mehr aus den Songs rausholen, aber mir persönlich geht nichts ab.

 

Bass
Der Bass spielt bei Fijuka eine tragende Rolle, nicht nur weil Judith Filimónova, eine Hälfte des Duos, professionelle Bassistin ist. Dadurch, dass hier nicht ein ganzer Schwall an musikalischen Elementen um Aufmerksamkeit buhlt, kann man sich in aller Ruhe den einzelnen Bestandteilen widmen. Während die Hauptbasslinie in „Behave (From Now On)“ aus einer „Billie Jean“-artigen Achtelfigur besteht, ist der Bass in „Phantom Sentimental“ eher funky.

Videos
Die zwei Videos von Fijuka muss man sich einfach geben. Beide wurden von jungen Regisseuren gedreht und beide Male sind absolut professionelle Videos auf internationalem Niveau herausgekommen. In „Phantom Sentimental“ (Regie: Marie-Thérèse Zumtobel und Anselm Hartmann) werden Ankathie und Judith (wortwörtlich) wie Fleisch behandelt. Und das Video zu „Behave (From Now On)“ (Regie: Florian Pochlatko) ist einfach so exzentrisch und schrullig, dass ich es immer wieder gerne anschaue.

Video zu Phantom Sentimental auf YouTube
Video zu Behave (From Now On) auf YouTube

Alle, die in Salzburg und Umgebung wohnen: Fijuka spielen am 2. August im Rockhouse in Salzburg. Hingehen!

 

Der ehemalige Profifußballer Andreas Biermann hat sich das Leben genommen. Zehn Jahre litt er an Depressionen. Er ist geschieden und hinterlässt zwei Kinder. Die Depression muss endlich weg vom Tabuthema der Schwäche und hin zu einer normalen Erkrankung gerückt werden.

Der 10. November 2009 war ein Schock für alle Fußballfans. Der deutsche Nationaltorhüter Robert Enke hatte sich das Leben genommen. Gerade ein Mal 32 Jahre alt, hat er sich vor einen Zug geworfen. Der an einer schweren Depression leidende Profikicker hatte keinen anderen Ausweg mehr gesehen – nur die engsten Angehörigen wussten über seine Erkrankung Bescheid. Andreas Biermann nutzte diese Gelegenheit und teilte kurze Zeit darauf öffentlich mit, dass er bereits seit 2004 ebenfalls an Depressionen leide und zwei Selbstmordversuche hinter sich hatte.

Biermann spielte zu dieser Zeit für den FC St. Pauli. Die Hamburger gelten als Kultverein, weil sie gegen den Mainstream schwimmen und sich als äußerst liberal und weltoffen bezeichnen, in der angeblich jeder Mensch seinen Platz findet. Man rühmt sich damit, dass man auch schon Mal einen homosexuellen Präsidenten hatte. Alles andere als aufgeschlossen verhielt man sich allerdings in der Causa rund um Andreas Biermann. Als sich dieser nach dem Freitod von Robert Enke seinen Ängsten stellte und mit seiner Erkrankung an die Öffentlichkeit ging, wurde sein Leben noch schlimmer. Er wurde von da an von den Klubverantwortlichen und Mitspielern gemieden, fast schon wie ein Aussätziger behandelt. Obendrein wurde sein Vertrag nicht verlängert.

Biermann sagte später, dass er sein Outing in gewisser Weise bereut habe, auch wenn es menschlich gesehen richtig gewesen sei. Er hat dadurch aber seinen Job verloren, was die Situation drastisch verschlimmerte. „Eine Depression wird immer noch als Schwäche ausgelegt. Ich würde keinem Fußballprofi raten, damit ebenfalls an die Öffentlichkeit zu gehen“, sagte er. Er verfasste ein Buch, in dem er seine Erfahrungen weitergab, besuchte Talkshows und sprach mit zahlreichen Menschen, die in einer ähnlichen Situation wie er waren. Er ging auf Lesetour und fing an, Psychologie zu studieren. All das half nichts. Andreas Biermann nahm sich am vergangenen Freitag mit 33 Jahren das Leben.

„Eine Depression wird immer noch als Schwäche ausgelegt. Ich würde keinem Fußballprofi raten, damit ebenfalls an die Öffentlichkeit zu gehen“

Eine Depression ist keine Schwäche. Sie ist Ausdruck von persönlichen Befindlichkeiten, oftmals ein Zeichen, dass man gewisse Dinge im Leben verändern muss – ein Hilferuf. Man muss intensiv an sich selbst arbeiten und gewisse Lebensgewohnheiten umstellen. Therapien mit ausgebildeten Psychotherapeuten sowie die Einnahme von Antidepressiva können auf diesem Weg hilfreiche Begleiter sein. In einer Welt, in der oft nur noch Produktivität und die Ellenbogentechnik zählen, ist es kein Wunder, dass immer mehr Menschen an diesem erbarmungslosen System zerbrechen – selbst solche mit einer starken Persönlichkeit. Es ist an der Zeit, zumindest einen Gang zurückzuschalten und das eigene Leben wieder in den Mittelpunkt zu rücken.