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von Elisabeth Kaplan

Österreich-Serie Teil 6

Der Song „Dancer“ der Wiener Band Gin Ga – bestehend aus Alex Konrad, Klemens Wihlidal, Emanuel Donner und Matias Meno – ist eindeutig vom New Wave inspiriert. New Wave war ein Stil, der sich Ende der 70er/Anfang der 80er in England aus dem Punk heraus entwickelte. Man könnte sagen, dass New Wave vom Punk inspirierte Popmusik ist. Die New Waver haben Elemente aus dem Punk genommen und die Energie übernommen, aber ihre Musik zugänglicher gemacht für die Allgemeinheit. Ich hatte jedenfalls einen Riesenspaß dabei, die Anspielungen auf New Wave in „Dancer“ zu finden.

cover_grInternationale Connections
Gin Ga ist wieder mal eine österreichische Band, die im Ausland bekannter ist als daheim. Dieses Phänomen ist deswegen zustande gekommen, weil sie einen belgischen Manager haben, der ihnen nicht nur Auftritte im Ausland verschafft, sondern auch Airplay in Ländern wie Polen, Spanien, Frankreich und natürlich in Belgien. Außerdem haben sie eine Zeitlang mit James Stelfox, dem Bassisten der Britpop-Band Starsailor, zusammengearbeitet, nachdem dieser sich als Gin Ga-Fan bekannt hatte. Diese internationalen Verbindungen trugen dazu bei, dass sich Gin Ga aus der Beengung der österreichischen Popmusik-Szene befreien konnten. Dadurch haben sie sozusagen ein internationales Gütesiegel aufgestempelt bekommen, das notwendig ist, um in Österreich überhaupt ernst genommen zu werden.

Im Herbst letzten Jahres brachten Gin Ga ihr zweites Album „Yes/No“ bei Monkey Music heraus. Das Album strotzt vor Energie und einprägsamen Songs. Gin Ga haben einen eigenständigen Sound geschaffen, bei dem ich mich öfter ins England der Post-Punk-Jahre zurückversetzt fühle. Der Song, der sich bei mir auf Anhieb eingebrannt hat, ist „Dancer“ (seht das Video im Homemade-Stil hier!).

New Wave aus Österreich
Was sind also, kurz gesagt, die notwendigen Zutaten für einen gelungenen New Wave-Song?

Punkt 1: Einen Geist und eine Energie, die klar vom Punk abstammen. Abgehakt.
Punkt 2: Elemente, die an diese spezielle Ära (nämlich späte 70er bis Mitte der 80er) erinnern. Auch abgehakt.
Punkt 3: Starke Melodien, Schwerpunkt auf Songwriting, Verwendung von Synthesizer-Sounds. Alle abgehakt!

Der Song beginnt mit wiederholten Oktaven im Bass, die unmissverständlich auf die 80er verweisen. Man denke nur an solche Vorbilder wie „Blue Monday“ (1983) von New Order, „Smalltown Boy“ (1984) von Bronski Beat oder auch „Fade to Grey“ (1980) von Visage. Dann setzt Alex Konrad mit der 1. Strophe ein. Er führt mit seinem Gesangsstil die Tradition von Performern der Punk- und Postpunk-Ära wie Joe Strummer (The Clash), Billy Idol oder Robert Smith (The Cure) fort, die allesamt keinesfalls als „gute“ Sänger im klassischen Sinn bezeichnet werden können, aber dennoch mit ihren Vocals viel Emotion und Drama vermitteln.

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In allen Strophen wird im Hintergrund eine Zeile mitgeschrien, in der 1. Strophe zum Beispiel „And with my first breath“. Dieses Schreien in Songs ist ein Mitbringsel aus der Punk-Ära und wurde im New Wave zum Beispiel von den Talking Heads in „Burning Down the House“ (1983) übernommen.

Die Strophen werden außerdem von einem rhythmischen Motiv geprägt, das von industrial klingenden Perkussionsinstrumenten gespielt wird. Die verwendeten Klänge finden sich bereits in „People are People“ (1984) von Depeche Mode und das Motiv hat eine ähnliche prägende Funktion wie bei „Tainted Love“ (1981) von Soft Cell.

Raffiniert verpackter Stuss
Der Text zu „Dancer“ könnte entweder ein vollkommener Unsinn sein, oder so tief und klug sein, dass ich ihn einfach nicht verstehe. Aber Gin Ga haben eine so geschickte Struktur gewählt, die fast jeden Text tiefsinnig wirken lässt. Jede Strophe beginnt gleich, mit den Worten „I was a dancer before I was born/before I could walk/before I could speak/before I was sold“. Das ist eine starke Struktur, die so gut wie jeden Inhalt verträgt.*

„To the left, to the right, to the left, to the right“
Der Refrain von „Dancer“ lautet dann: “To the left, to the right / To the left, to the right / D-d-d-dancer, dancer!” Hier habe ich abschließend noch eine kleine New Wave-Verbindung gefunden, und zwar zu „My (bzw. m-m-m-my) Sharona“ von The Knack aus dem Jahr 1979. Musikalisch kommt allerdings im Refrain ein stilistischer Bruch vor. Plötzlich fühle ich mich in die 90er versetzt durch die Massive Attack-artigen Streicher, aber immerhin sind wir noch in England!

Fazit
Warum ist diese Nummer eigentlich noch nicht zur Indie-Party-Hymne erkoren worden? Die Band hat sich sogar eine schräge kleine Choreographie einfallen lassen, die man als Gin Ga-Fan natürlich dazu ausführen kann, wie etwa diese englischen Freunde, die das Video bei sich zuhause rekonstruiert haben. Wie geil wär das denn, wenn bei Gin Gas nächstem Österreich-Konzert das gesamte Publikum den „Dancer“-Dance machen würde …

Das Album könnt ihr euch auf iTunes kaufen.

Für alle, die mehr über New Wave erfahren möchten, kann ich die erste Hälfte des Videos „VH1 presents the 80s: New Wave” (Englisch) empfehlen.

* Probiert es doch selbst aus: Man könnte irgendeinen Satz schreiben wie zum Beispiel „I went to the market / And bought a [und hier fügt beliebige reimende Begriffe ein, gemischt konkret und abstrakt]“ und schon hat man einen Liedtext, der zwar effektiv nichts aussagt, aber gut klingt und tiefsinnig wirkt. ;-)

Die englische Originalfassung dieses Blogeintrages gibt es auf http://elisabethkaplan.blogspot.co.at.

NICHT VERGESSEN: Unser AUFRUF AN ÖSTERREICHISCHE POP ACTS endet am 15.9.! Reicht eure Songs ein und seid im Oktober „Unter der Lupe“! Infos dazu hier: http://zartbitter.co.at/allgemein/aufruf-oesterreichische-pop-acts/

Christian Obermoser, studierter Soziologe und Anglist, ist Coach, Trainer, Unternehmensberater und bekennender Popmusik-Fan.

Zartbitter: Du bist ja ein lebendes Poplexikon. Wie kommt das?Christian 3

Christian: Stimmt, das kommt mit dem Alter. Seit meinem 13. Lebensjahr interessiere ich mich dafür, bin drangeblieben und trotz meines Alters (Augenzwinkern von Christian)immer noch neugierig. Ich informiere mich aktiv über neue Richtungen und spannende Entwicklungen. Ich entdecke immer wieder was Neues, obwohl es weniger wird, weil man ja schon viel kennt.

Zartbitter: Was verstehst du eigentlich unter Popmusik?

Christian: Popmusik ist mehr als das ausschließliche Konsumieren, mehr als Castingshows. Das nenne ich Konsummusik, Produzenten wollen schnell und viel verkaufen. Für mich heißt Popmusik ja populäre Musik, also alles was beliebt ist. Das ist Musik, die viele Menschen anspricht, aber auch Musik, die nie in die Charts kommt. Es ist der Anspruch der Künstlerinnen und Künstler, dass ihre Musik den Leuten gefällt.

Zartbitter: Verrätst du uns deine Lieblingsstars?christian 1

Christian: Es gibt so viele. Am prägendsten für mich waren die 80er Jahre. Meine erste selbstgekaufte Platte war von WHAM „Make it big“ und dann habe ich Depeche Mode entdeckt. Das scheint nicht zusammen zu passen, aber mir ist wichtig, dass es mich anspricht. Egal ob das klassischer, seriöser oder Teeniepop ist. Ich hatte nie Probleme Kylie Minogue „I should be so lucky“ und dann The Cure „Boys don’t cry“ zu hören.

Zartbitter: Du gehst ja auch viel auf Popkonzerte. Warum?

Christian: Das unmittelbare Erleben hat seinen besonderen Reiz. Es ist mehr als Platte, CD, Radio oder Internet. Und ich teile den Moment mit vielen anderen. Man kann hören, wer von den Stars singen kann und wer nicht. Oft gibt es eine Entwicklung. Madonna Anfang der 90er Jahre war gesangstechnisch etwas gewöhnungsbedürftig. Jetzt kann man hören, dass sie sich weiterentwickelt hat. Da spürt man auch die Disziplin und den Willen, die Leute zu unterhalten. Bei Kritikern ist es oft befremdlich, wenn sie etwa nach einem Konzert von Madonna schreiben, dass es schlecht war, weil es kein Rolling Stones Konzert war. Das ist wie Äpfel und Birnen mischen.

Zartbitter: Ich liebe ja Michael Jackson. Was hältst du von ihm?

Christian: Danke Anja, diese Frage musste ja kommen! Michael Jackson war zweifelsohne einer der musikalisch prägendsten Künstler in der Popmusik. Er war einer der ersten der verschiedene Stile gemischt hat, er war genreübergreifend. Bis in die späten 70er Jahre gab es eine strikte Trennung von Rock, Soul, Disco und ,ja, ABBA. Er hat das außer Acht gelassen, er wollte kein bestimmtes Publikum bedienen. Allerdings hätte er keine Balladen singen dürfen, an die kann ich mich nicht gewöhnen. Leider konnte ich ihn nie live sehen.Christian 2

Zartbitter: Wer sind die kommenden Popkünstler?

Christian: Es gibt immer wieder welche mit großem Potenzial, sie haben Talent und Persönlichkeit. Trotz der Schnelllebigkeit und der Industrie dahinter, Amy Winehouse war so eine Künstlerin. Adele wird eine längere Karriere vor sich haben. Lady Gaga wird weiterhin eine Rolle spielen, sie verbindet die Strömungen der letzten 30 Jahre. Das ist herausstechend, musikalisch nicht besonders spannend, aber sie hält das Publikum bei der Stange. Es gibt aufkommende Bands, die frisch klingen, so wie Chvrches aus Schottland oder Haim aus den USA.

 

Zartbitter: Danke für das Gespräch, ich werde gleich mal ein bisschen reinhören.

Popkünstlerinnen und – Künstler, die Christian gerne hört: 

WHAM: http://www.youtube.com/watch?v=MfD3G9PBBf8

Kylie Minogue: http://www.youtube.com/watch?v=W3tl9xM1_wM

The Cure: http://www.youtube.com/watch?v=9GkVhgIeGJQ

Chvrches: http://www.youtube.com/watch?v=_mTRvJ9fugM

Haim: http://www.youtube.com/watch?v=1TffpkE2GU4