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von Gudrun Kavalir

„Ein Terrorist kapert eine Passagiermaschine und zwingt die Piloten, Kurs auf ein vollbesetztes Fußballstadion zu nehmen. Gegen den Befehl seiner Vorgesetzten schießt ein Kampfpilot der Luftwaffe das Flugzeug ab, alle Passagiere sterben“, heißt es knapp im Klappentext des 2015 erschienenen Theaterstücks von Ferdinand von Schirach.

Die Grenzen zwischen dem Geschehen auf der Bühne und der Welt des Theaterbesuchers lösen sich auf. Die Gerichtsverhandlung findet im Theater statt. Angeklagter, Verteidiger, Staatsanwältin, Richter, sind SchauspielerInnen. Die Schöffen sind Zuschauer und fällen das Urteil. Oder ist es umgekehrt? Der Gerichtsdiener mahnt zu Beginn: „Erheben Sie sich von Ihren Plätzen“. Da ist man schon mitten im Stück, das einem mit der Realität der täglichen Bedrohung durch den Terrorismus konfrontiert.

Es geht nicht nur um die Frage, ob der Kampfpilot unschuldig ist oder schuldig, was Recht ist und was Unrecht. Oder ob man 164 unschuldige Menschen opfern darf, um 70.000 anderen Unschuldigen das Leben zu retten.  Auch nicht darum, was hätte sein können, wenn das Stadion rechtzeitig wäre geräumt worden, die Passagiere den Terroristen überwältigen hätten können oder der Flugzeugpilot die Maschine im letzten Augenblick hochgezogen hätte.

Ist das Leben in Zahlen aufzurechnen?

Es geht auch nicht vordergründig um die aktuelle Gefahr, die von der Welle des islamistischen Terrors ausgeht. Der Terrorist und seine Ideologie wird im Stück nie näher beschrieben. Ich bin mir aber sicher, dass fast alle Leserinnen und Leser das Bild eines Mannes mit schwarzem Zottelbart, dunklen Augen und einem Turban vor sich hatten.

Es geht um die Frage, was mit mir passiert, wenn ich über das Schicksal eines Menschen urteilen muss, der seinen persönlichen Grundsätzen folgend vermeintlich richtig gehandelt und trotzdem ein Verbrechen begangen hat. Was fühle ich, wenn ich mir vorstelle, ich wäre der Kampfpilot und in seiner Situation. Wie beurteile ich die Würde des Menschen, wenn 164 Leben auf der einen Waagschale 70.000 Leben auf der anderen gegenüberstehen und das Leben an sich in Zahlen aufgerechnet wird. Es gibt noch viel mehr offene Fragen in diesem Gedankenexperiment.

Es geht dabei aber immer um das eigene Weltbild und die Werte, auf denen es aufgebaut ist.

 

Das Stück steht noch bis 19. April auf dem Spielplan des Salzburger Landestheaters. Anschauen und Urteilen lohnt bestimmt. Nachzudenken lohnt immer.

Wie das Theaterpublikum weltweit urteilt, SCHULDIG oder NICHT SCHULDIG findet man hier: Terror Theater

 

In einer Moschee in Afghanistan detoniert eine Bombe. 14 Menschen sterben. Pilger, die in dem Gotteshaus einen religiösen Feiertag begehen wollten. Einen Tag zuvor werden 17 Menschen in Kabul bei einem Bombenanschlag in den Tod gerissen. Männer, Frauen, Väter, Mütter, Söhne, Töchter, Brüder und Schwestern. Sie müssen sterben, weil einige Fanatiker es so wollen. Weil sie sich dazu berufen fühlen. Seit Generationen ist das Land am Hindukusch Kriegsgebiet. 1979 marschieren sowjetische Truppen dort ein. Zehn Jahre später ziehen sie sich aus der „abtrünnigen“, schwer kontrollierbaren Teilrepublik zurück und hinterlassen das Feld der Zerstörung den Mudschaheddin. Von der Außenwelt unberücksichtigt nimmt die Radikalisierung ihren Lauf. Die afghanische Gesellschaft verliert ihre Basis und ihre Mitte. Stattdessen regieren Chaos und Gewalt in den Straßen von Kabul. Gottesfürchtige Krieger, die in pakistanischen Flüchtlingslagern aufgewachsen sind und dort das Kämpfen und den Islam verinnerlicht haben, wollen angeführt von dogmatischen Talibanführern in einem „Heiligen Krieg“ einen Gottesstaat installieren. Bis Anfang der 1990er-Jahre werden die Mudschaheddin zunächst mit fünf Milliarden US-Dollar unterstützt. Sie sollen die Sowjets abschütteln und bekommen dafür Waffen und Munition. Ein Jahrzehnt später bekämpft die US-Regierung die Taliban mit Milliardenbeträgen aus amerikanischen Steuergeldern. Die Appelle der UNO dazwischen finden kein Gehör. Die internationalen humanitären Hilfsmittel sind im Vergleich zu den Militärausgaben Peanuts. Stattdessen verwandelt sich Afghanistan auf der Suche nach Osama Bin Laden und weil seit jeher Öl durch die kaspische Region fließt einmal mehr zum internationalen Kampfschauplatz.

In der syrischen Stadt Aleppo begräbt ein eingestürztes Wohnhaus 25 Menschen unter sich. Syrische Kampfjets haben im Duett mit russischen das Gebäude in Schutt und Asche verwandelt. In den Trümmern werden später die Leichen von Kindern geborgen. Sie sind Opfer eines Bürgerkrieges, der das Land im Nahen Osten in die Steinzeit katapultiert hat. Doch jenseits der Grenze im Irak sieht die Situation nicht wesentlich besser aus. In drei sogenannten Golfkriegen und immer wiederkehrenden Wirtschaftsembargos hat die Bevölkerung über Generationen hinweg das Überleben aber auch das Kämpfen gelernt. Krieg, Zerstörung und Armut haben dem IS-Staat und seiner Miliz den Weg geebnet und einen Nährboden für unendlichen Hass geschaffen.

Der Tod ist in diesen Regionen der Welt ein ständiger Begleiter. Er löscht Leben aus und begräbt die Hoffnung. In der fernen Schweiz verhandeln indes Vertreter von Großmächten über die Lage im Bürgerkriegsland Syrien. Sie schmieden Allianzen, besprechen ihre taktische Vorgehensweise, entwickeln Strategien mit Bündnispartnern und setzen neue Ziele für ihre politischen und militärischen Missionen. Währenddessen treffen Waffentransporte in Saudi-Arabien ein. Die selbstgesteuerten Raketen, entwickelt in einem westlichen Industriestaat, werden später Häuser im Jemen dem Erdboden gleichmachen und Menschen unter den Trümmern begraben. Diese Menschen werden Opfer einer vermeintlich hochentwickelten Technologie und eines zweifelhaften Fortschritts.

Krieg ist global. Er ist ein lukratives Geschäft und kennt keine Grenzen. Warum sollte er auch? Wer seine Spielregeln bestimmt, kann gut von diesen leben. Ähnlich verhält es sich mit dem Terror. International gesehen ist der Terrorismus, von einem Staat ausgeübt oder einer radikalen Gruppierung, ein Big Business. Ein globaler Wirtschaftszweig, hinter dem bestimmte Interessen und Absichten stecken – irrational, unbegreiflich und menschenverachtend – aber selbst wenn Millionen sterben, profitieren einige wenige von ihrem Tod. Religionen und Ideologien sind den wahren Beweggründen vorgeschoben. In Wirklichkeit geht es um Bereicherung, Machtentfaltung, Ausbeutung, Unterdrückung und Unterwerfung ganzer Bevölkerungen.

Nationalismus kann diesem Terror nichts entgegensetzen. Er ist eine hilflose Antwort, die wiederum Unfrieden stiftet. Nationalismus ist die Triebfeder für kriegerische Auseinandersetzungen. Europa sollte das aus seiner Vergangenheit wissen. Ultra-Nationalisten und Faschisten haben den europäischen Kontinent und die Welt im 20. Jahrhundert in zwei Kriege und in den Untergang geführt. Nationalisten haben nicht nur Neid, Missgunst und Hass geschürt, sondern Millionen Menschen auf dem Gewissen. Sie haben die Massen mit falschen Idealen und Versprechen auf ihre Seite gebracht. Familienväter wurden zu Henkern und Totengräbern, Mütter zu Vollzieherinnen eines Unrechtssystems.

Im 21. Jahrhundert machen Autokraten ihre Grenzen dicht, um Flüchtlinge auszusperren, zensurieren oder verbieten Oppositionsmedien und verletzten Persönlichkeitsrechte der eigenen Bevölkerung. Militärbudgets werden aufgestockt und Sozialleistungen eingespart. Von öffentlicher Seite finanzierte Bürgerwehren sollen Städte und zuweilen das Land sicherer machen. Videokameras in Straßenbahnen sollen Passagiere vor Übergriffen schützen. In politischen und medialen Diskursen bestimmen Bedrohungszenarien die Debatten, gesellschaftliche Probleme werden kaum diskutiert. Bevölkerungsgruppen werden zu Sündenböcken abgestempelt. Neonazis marschieren auf Plätzen und Straßen auf. Unterkünfte von Asylsuchenden brennen.

Rechtspopulistische Politiker scheinen einfache Antworten auf komplexe Fragen zu kennen. Sie befinden sich mit ihren national-chauvinistischen Spinnereien und Phobien im Aufwind und fühlen sich im Glauben bestärkt „ihre“ Bürger beschützen zu können, während sich die Spirale der Gewalt unaufhaltsam weiterdreht, weil die Gier nach der eigenen Macht keine Grenzen kennt und die Welt zu verschlingen droht.

Die Botschaft ist wieder eindeutig: Niemand darf sich sicher fühlen, nirgendwo! Was sind das für Menschen, die sich ungerührt in die Luft sprengen, wahllos um sich schießen oder jetzt in Nizza zig Menschen zu Tode fahren? Was sind das für Menschen, die die Toten von Brüssel, Paris, Istanbul oder Dhaka als gerechtfertigt feiern?

Mir ekelt so vor diesen Mördern und ihren Fans, die ihre Freude über die Toten besonders in den sozialen Medien feiern. Mit jedem Attentat und jedem feigen Mord versuchen sie, uns friedvolle Menschen weiter auseinander zu bringen. Hass zu säen, das Misstrauen wachsen zu lassen. Das dürfen wir nicht zulassen. Ich will mir von feigen Mördern keinen Hass einpflanzen lassen gegen Menschen, die eine andere Sprache, Kultur oder Religion haben, aber wie ich einfach in Frieden und Respekt miteinander leben wollen.
Das einzige Gefühl, das von Terroranschlag zu Terroranschlag in mir wächst ist Abscheu und Ekel vor den feigen Mördern und ihren Fans. Und gegen dieses Gefühl kann und will ich nicht ankämpfen, denn es ist für mich das einzig richtige, das diesen Leuten gebührt. Aber nur für kurze Momente.
Ansonsten gehört meine Energie den Menschen, die Frieden, Respekt und ein Miteinander leben!

Unzählige Tote. Viele Plätze des Terrors. Unsägliches Leid der verletzten Opfer, der Augenzeugen, der Angehörigen und Freunde der Toten. Die Nachrichten aus Paris sind furchtbar. Mittendrin ins Leben der Stadt, an einem Freitag Abend, kommen die Mörder unter die Menschen. Es sind nicht die symbolträchtigen Plätze, sondern die Orte, wo jedermann und jedefrau einen gemütlichen, entspannten, spannenden oder ausgelassenen Abend verbringen. Im Restaurant, beim Fußball oder im Rockkonzert. Alle Menschen sollen von Angst und Panik ergriffen werden, nicht nur in Paris, überall in Europa. Das wollen die Mörder, das ist ihre hinterhältige Rechnung. Wollen wir das? Wollen wir uns von denen vorschreiben lassen, wie wir reagieren sollen? Mehr Misstrauen, mehr Angst, mehr Abstand zum Nächsten?

Ich will das nicht, da täuscht ihr Mörder euch! Ich will, dass wir näher zusammenrücken. Wir Menschen in Europa, in unserem Land, unserer Stadt. Ich will, dass wir uns gegenseitig unterstützen. Dass wir uns zuhören und nicht streiten. Dass wir gemeinsam die Herausforderungen der Zukunft meistern. Dass wir eine menschenfreundliche Gesellschaft bleiben, die herzlich und offen ist. Und die einen jeden, nach seiner Facon glücklich werden lässt, egal sind Sprache, Kultur, Religion, Geschlecht und das Geschlecht unserer Liebsten. Der Respekt vor dem anderen ist wichtig. Das will ich und das wollen unzählige andere auch. Ihr Mörder täuscht euch, wenn ihr meint unser Europa und unsere Lebensweise und unsere Lebenshaltung zerstören zu können. Ihr Mörder wollt das Böse in unseren Alltag bringen, Zwietracht zwischen den Menschen säen, die Herzen hart machen. Dem Misstrauen mehr Platz schießen und bomben. Ihr täuscht euch und ihr werdet dafür auf dieser Welt und in der anderen Welt bezahlen. Denn immer noch hat in der Geschichte das Gute gesiegt, das Vertrauen und die Zusammenarbeit der Menschen, die guten Willens sind!

Das ist Europa! Das sind wir!

Vor einigen Wochen wurden die Server von Sony Pictures gehackt. E-Mails, Dokumente und ganze Filme wurden dabei gestohlen. Fast täglich geben die Hacker Informationen aus kompromittierenden E-Mails preis, für die Sony weltweit Häme erntet.

Das ist unangenehm, aber sehr harmlos zu dem Wirbel, um den durch die Hacker gestohlenen Film „The Interview“. Der Film stammt von Seth Rogen, und der ist für ziemlich brachialen Bad Taste-Humor bekannt. Auch der Trailer von „The Interview“ lässt nicht darauf schließen, dass Rogen hier mit mehr Subtilität vorgegangen ist. Ganz kurz zum Inhalt: Es geht es darum, dass zwei vertrottelte US Journalisten im Auftrag der CIA den Präsidenten Nordkoreas umbringen sollen: Kim Jong-un.

Bereits im Juni hat Nordkorea auf den Affront reagiert. Und nun drohten Hacker, die sich „Guardians of the Peace“ nennen, mit Anschlägen auf Kinos, in denen der Film gezeigt wird. Sony Pictures musste rasch reagieren: Die unmittelbar bevorstehende Premiere des Films wurde abgesagt und der Film überhaupt zurückgezogen.

Ausgestoßen von Hollywood
Der Komiker Steve Carell postete darauf nur ein Bild von Charly Chaplin in „Der große Diktator“ – ohne Kommentar. Das ist ein starkes Symbol. Charly Chaplin stellte 1940 eine Hitler-ähnliche Figur dar (und in einer Doppelrolle einen jüdischen Barbier) und nahm die Politik des Dritten Reichs ordentlich auf die Schippe.

Schauspieler und Regisseur Seth Rogen (Foto: Angela George, Lizenz: CC BY-SA 3.0)

Schauspieler und Regisseur Seth Rogen
(Foto: Angela George, Lizenz: CC BY-SA 3.0)

Es gab jedoch einen Unterschied: Hitler, hieß bei Chaplin Hynkel, und die Handlung spielte im erfundenen Staat Tomanien. Der Diktator plante die Invasion des Nachbarstaats Osterlitsch. Auch die Juden wurden in dem Film verfolgt – sofern Hynkel nicht gerade ein Darlehen von jüdischen Bankiers benötigte. Es war eindeutig: Hitlers Art zu reden, die Symbole der Nazis usw. – es wurde alles persifliert. Sollte Sony sich lieber ein Beispiel an Chaplins Mut nehmen? Ist Seth Rogen am Ende gar der Charly Chaplin unserer Zeit? Wohl kaum.

Ohne die Art des Humors zu vergleichen, ist der größte Unterschied, dass „Der große Diktator“ – bei aller Eindeutigkeit – kein reales Land und keinen realen Menschen. Was aber noch mehr zählt: Der Film zeigt nicht, wie ein reales und regierendes Staatsoberhaupt eines Landes umgebracht werden soll. Noch dazu auf Geheiß Amerikas, dem Land in dem der Film produziert wurde.

In „Der große Diktator“ plant die jüdische Bevölkerung zwar auch einen Anschlag auf den Diktator, doch sie besinnen sich und kommen zu dem Schluss:

Freiheit kann nicht durch Mord und Zerstörung erreicht werden.

Das ist eine wichtige Botschaft des Films, eine Botschaft des Autors und Regisseurs Charly Chaplin. Das war seine Einstellung. Charly Chaplin wäre mit der Gesinnung des Films „The Interview“ sicher nicht einverstanden gewesen. Das sollte auch Steve Carell wissen. Die Todesszene von Kim Jong Un kursiert inzwischen übrigens auch bereits im Internet. Es ist ganz gewiss nicht lustig, wie er in Flammen aufgeht.

Nach dem Trailer geht es weiter …

Schelte bekam Sony für auch vom Komiker Ben Stiller und von Talkshow Host Jimmy Kimmel. Sie nannten diese Entscheidung „unamerikanisch“ und „feige“. Haben sie Recht?

Bedroht Terror die künstlerische Freiheit?
Klar, die Hacker und Terroristen haben mit ihrer Erpressung gewonnen. Ich verstehe die Kritik. Es ist bitter und zutreffend, dass Sony hier vor Hackern und möglichen Terroristen in die Knie gegangen ist. Terror gewinnt gegen künstlerische Freiheit – wirklich kein schöner Gedanke (auch wenn ich persönlich gern auf die Produkte von Seth Rogens künstlerischer Verwirklichung verzichte). Aber in diesem Fall der Erpressung durch Terroristen weiß man nicht, mit wem man es wirklich zu tun hat. Es gibt daher kein Gegenüber, dessen weiteres Verhalten man richtig abschätzen könnte. Der Filmstart war bereits für den 25. Dezember geplant. Sony musste also äußerst rasch entscheiden.

Sony Pictures ist jedenfalls durch das Zurückziehen des Films zum Buhmann der Branche geworden. Doch, man weiß immer erst nachher, welche Reaktion richtig gewesen wäre. Stellt euch vor, der Film läuft an und ein Anschlag wird verübt – ganz wie angedroht. Der Aufschrei gegen das Studio wäre dann noch viel größer als der Protest jetzt. Statt nur Häme und Kritik gäbe es Anschuldigungen, dass Sony den Tod unschuldiger Menschen fahrlässig in Kauf genommen hätte. „Aus Profitgier“ würde es heißen.

Ein Staat würde und muss anders handeln. Aber ich verstehe die Entscheidung des Unternehmens. Sony wird es überleben, auch wenn „The Interview“ vielleicht ganz in der Versenkung verschwindet, werden alle darüber hinwegkommen und die Vorwürfe der Feigheit werden auch rasch vergessen sein. Der Ruf, dass das Studio Menschen auf dem Gewissen hat, würde ewig haften bleiben.

Wenn Günther Bachmann [Philip Seymour Hoffman] sich gegen Ende des Films zu Hause ans Klavier setzt und spielt, dann löst er damit seine Anspannung vor dem, was am nächsten Tag kommt. Wird sich die wochenlange Arbeit seiner Einheit des deutschen Verfassungsschutzes bezahlt machen? Wird er morgen die Welt ein Stück sicherer machen?
„A Most Wanted Man“ kommt mit etwas Verspätung auch in unsere Kinos. Die internationale Presse hat die Adaption des Romans „Marionetten“ von John le Carré bereits mit viel Lob bedacht – und dabei vor allem die großartige Leistung von Philipp Seymour Hoffman hervorgehoben, der im Februar verstorben ist.

Hamburg: Dort wo sich die Terrorzelle der Anschläge vom 11. September 2001 unerkannt aufgehalten hatte, steht die Terrorabwehr unter besonderem Druck, ein derartiges Versagen künftig zu verhindern. Das Auftauchen des Tschetschenen Issa Karpov [Grigoriy Dobrygin] bleibt nicht unbemerkt. Man kennt seine Geschichte: Gefängnis und Folter in Russland und in der Türkei. Doch er scheint kein Opfer zu sein. Sein Weg wird vielmehr als der eines islamistischen Extremisten interpretiert. Und bald weiß man auch, was Issa Karpov in die Hansestadt bringt. Er besitzt den Schlüssel zum großen Schwarzgeld-Vermögen seines verstorbenen Vaters. Die idealistische Flüchtlingsanwältin Annabel Richter [Rachel McAdams] hilft ihm, an sein Erbe zu kommen und in der islamischen Gemeinde unterzutauchen. Was hat Issa Karpov mit dem Vermögen seines Vaters vor? Will er damit islamistischen Terror unterstützen? Längst ist er nicht nur im Visier des deutschen Verfassungsschutzes, sondern auch der Geheimdienste Großbritanniens und der USA, letztere freundlich-kühl durch die Agentin Martha Sullivan [Robin Wright] vertreten. Es kooperieren befreundete Staaten, deren gemeinsames Ziel, die Terrorabwehr, sie zu Rivalen macht.

Hauptdarsteller Philip Seymour Hoffman (Foto: Georges Biard, Lizenz:http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/legalcode)

Hauptdarsteller Philip Seymour Hoffman
(Foto: Georges Biard, Lizenz:http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/legalcode)

Wer sich hier einen rasanten Agenten-Reißer erwartet, ist im wahrsten Sinne des Wortes „im falschen Film“. Das Tempo des Films ist sehr langsam, Action und spannende Wendungen der Ereignisse darf man sich nicht erwarten. Regisseur Anton Corbijn (Hausfotograf der aktuell meistgeschmähten Band der Welt, U2) zeigt ein Hamburg voll abweisender Betonbauten, verlassener Ecken am Hafen und grindiger Kneipen. Passend zu der kühlen Ästhetik ist auch die Erzählweise nüchtern und distanziert, sodass sie etwas von einem Protokoll an sich hat.
Der Film bietet dadurch leider keine Anhaltspunkte, an den Schicksalen der Menschen Anteil zu nehmen. Ein Schwachpunkt, auch wenn die Geschichte sehr intelligent ist. Anscheinend steht im Roman (ich gebe zu, ich habe ihn nicht gelesen) Issa, jener junge Mann, der bereits viel durchgemacht hat, viel mehr im Zentrum. Das ist auch naheliegend, denn die Aktivitäten Bachmanns konzentrieren sich auf ihn und auch die der anderen Geheimdienste. Und er ist es vor allem, der zum Spielball bzw. zur Marionette wird. Dadurch dass der Film zu seinen Figuren immer auf Distanz bleibt, schafft er es nicht, richtig zu fesseln.
Immerhin: Am Ende verdichtet sich die Geschichte und riss mich doch noch aus meiner emotionalen Teilnahmslosigkeit.

Schauspielerisch lastet praktisch der ganze Film auf Philip Seymour Hoffman mit seiner Darstellung des brillanten, aber müde und gebrochenen wirkenden Geheimdienstlers. Schauspielerisch ist das sicher ein würdiges Vermächtnis.

Wenn der Film schon in Deutschland spielt, möchte ich auch nicht unerwähnt lassen, dass ihn einige bekannte deutsche Schauspieler in kleineren Rollen unterstützen: Nina Hoss als Erna Frey, die ihren Kollegen Günther Bachmann schon lange kennt – zwischen ihnen herrscht eine fast intime Vertrautheit. Der Film verrät darüber nicht viel. Hoss und Hoffman lassen es trotzdem erahnen – ganz großartig. Daniel Brühl als Max, auch Agent des Verfassungsschutzes, hier erwähnt wegen seines Bekanntheitsgrades, auch wenn er kaum zu Wort kommt. Und Herbert Grönemeyer (für dessen Cover-Fotos ebenfalls Regisseur Anton Corbijn in den 90ern verantwortlich war) als Chef des deutschen Geheimdienstes Michael Axelrod. Grönemeyer zuzusehen wie er lustvoll diese gute, kleine Rolle spielt, macht direkt Spaß.

Meine Bewertung auf IMDB: 7 Punkte
Ein intelligenter Film, der sich aber wenig für seine Figuren interessiert und daher nicht zu fesseln vermag. Immerhin gibts letztlich ein starkes Showdown.

Hier gehts zum Trailer von „A Most Wanted Man