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Von Michael König und Taha Alshaikh

Diese zart-bittere Rede hat mich tief berührt. Und nicht nur mich. Ich habe vor einiger Zeit Herrn Taha Alshaikh gefragt, ob er im Rahmen eines  interreligiösen Gebetes am 20. Juni 2016 für die ertrunkenen Flüchtlinge im Mittelmeer eine  Bitte oder einen Gedanken vortragen möchte. Herausgekommen ist eine Rede, die aurüttelt und die wohl tausenden asylwerbenden Menschen, die derzeit auf ihr Asylverfahren warten, eine authentische Stimme und einen Ausdruck gibt.

Taha Alshaikh ist ein junger syrischer Mann, vom Beruf Anästhesiepfleger, der vor einem Jahr aus dem syrischen Bombenhagel nach Salzburg geflüchtet ist. Seine damals hochschwangere Frau musste er in Damaskus zurücklassen. Täglich fürchtet er um ihr Leben und um das seines Sohnes. Seit 10 Monaten lebt er nun in einem Flüchtlingsquartier des Diakoniewerkes in Salzburg. Jede erdenkliche Gelegenheit nützt er, um Deutsch zu lernen und Kontakte in unsere Gesellschaft aufzubauen. Er arbeitet nun auch als ehrenamtlicher Helfer im geriatrischen Tageszentrum Gnigl mit.

Seine Rede darf ich unkorrigiert auf zartbitter veröffentlichen. Möge seine Stimme von vielen Menschen verstanden werden. Gehalten am 20.06. 2016 am Kapitelplatz von Salzburg.

Salam Aleikum. Das bedeutet: Friede sei mit euch. Ich möchte Sie nur fragen: Hat jemand von Ihnen seine Nationalität gewählt? Natürlich nicht. Ich bin in Syrien geboren. Ich habe mich nicht für meine Nationalität entschieden, aber ich bin stolz, ein Syrer zu sein. Ich habe mir auch meine Religion und meine Kultur nicht ausgesucht. Wir sind vor Unterdrückung, Terrorismus und Tod geflüchtet. Wir sind nicht aus wirtschaftlichen oder privaten Gründen weggegangen. Wir wurden gezwungen.Viele von Ihnen oder euren Vorfahren haben auch den Krieg erlebt. Bitte stellt euch vor, wie es ist, wenn vor euren Augen eure Heimat zerstört wird. Sie wissen, wie schrecklich der Krieg ist. Man ist machtlos und kann nichts für die Rettung seiner Heimat tun. Wir waren vor dem Krieg ganz zufrieden in unserem Land. Wir haben nicht daran gedacht, unser Land zu verlassen. Aber das alles kommt uns wie ein Schicksalsschlag vor und das tut uns sehr weh. Wir möchten, dass wir friedlich zusammenleben und zueinander stehen, weil wir zusammen stärker sind. Wir haben alles verloren, aber unsere Träume behalten wir immer noch.

Glauben Sie, dass es einfach für uns ist, das Meer zu überqueren? Nein, es ist sehr gefährlich. Viele Menschen sind gestorben. Frauen, Männer und Kinder. Wir wünschen uns alle, dass sie nicht umsonst gestorben sind und wir denken jetzt an sie! Wir riskieren unser Leben und das Leben unserer Familien. Warum? Ich frage Sie. Was wissen Sie über Syrien, wie es vor sechs Jahren war? Viele wissen es sicher nicht! Warum kommen die Menschen jetzt nach Österreich, weil in Syrien Krieg herrscht und viele Menschen täglich sterben.

Als ich noch ein Kind war, hat mir meine Familie erzählt, wie wichtig die Menschenrechte in Europa sind. Wir denken, dass Europa in dieser Hinsicht ein sehr hohes Niveau hat. Und daran glaube ich noch immer, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass viele Menschen aus Österreich uns Flüchtlingen helfen. Sie unterstützen uns und geben uns ein Gefühl der Sicherheit! Ich möchte nur, dass Sie Verständnis für unsere Lage aufbringen.

Wir danken für eure freundliche Willkommenskultur und eure freundlichen Worte. Aber jetzt brauchen wir bitte euer Handeln. Unser gemeinsames Gebet soll nicht nur für die verstorbenen Flüchtlinge sein, sondern für alle Flüchtlinge, die leben und in Europa angekommen sind. Wir Menschen sind alle gleich, jeder Flüchtling hat, wie ihr alle, Herz, Seele, Gehirn und Gefühle.

Ich bin aus meinem Dorf geflüchtet, weil dieser Platz wegen Terrorismus sehr gefährlich ist, meine Frau war im 7. Monat schwanger, als ich sie verlassen musste.Jetzt habe ich einen kleinen Sohn, er ist 8 Monate alt. Ich habe ihn noch nie gesehen. Ich danke Gott, dass meine Familie bis jetzt überlebt hat. Jeden Tag bluten mein Herz und meine Seele, wenn ich an die beiden denke.

Ich möchte nicht klagen, aber ich bin sehr traurig und sehr enttäuscht über meine Situation jetzt. Wenn ich in meinem Zimmer im Flüchtlingscamp aus dem Fenster schaue, sehe ich jeden Tag Flugzeuge. Ich stelle mir vor und ich wünsche mir, meine Frau und mein Kind kommen zu mir. Ich stelle mir vor, wie ich meine Familie umarme und küsse! Damit dieser Traum wahr wird, braucht es eine Unterschrift! Ich warte seit einem Jahr auf diese Unterschrift von einem Richter im BfA.

 Bitte stellt euch vor, wie ihr euch in meiner Situation fühlen würdet. Ich bin sicher, ihr versteht, dass ich sehr traurig bin.

Ich wünsche ihnen und Ihren Familien alles Gute!

Das bedeutet in meiner Muttersprache وأتمنى لكم كل.

Gedanken über bewegte Tage in der schwul-lesbischen Community

Von Georg Djundja

130.000 Menschen. 130.000 Lesben, Schwule, Transgender, Intersexuelle, und Heterosexuelle. 130.000 auf der Regenbogenparade in Wien feiern das Leben – feiern die Vielfalt – fordern die gleichen Rechte – erinnern und halten Still in Gedenken an Orlando.

Georg Djundja

Georg Djundja

Orlando? Ein Schauer rieselt mir über den Rücken. Kann so etwas auch bei uns passieren? Wie konnte so etwas überhaupt passieren? Warum kann so etwas passieren? Der Täter dürfte laut Medienberichten doch selbst schwul gewesen sein – er war des Öfteren Gast in diesem Szenelokal und war auf schwulen Dating-Plattformen aktiv.

Hatte er selbst Probleme mit seiner Homosexualität? Wenn jemand sein inneres Sein immer verstecken muss und nicht ausleben kann, ist das wie in einem Druckkochtopf. Irgendwann kann dieser explodieren.

Wir werden es wohl nie erfahren was die Gründe für seine Tat waren.

Auf der Regenbogenparade ist der erste Truck leer – ein Zeichen für die Verstorbenen von Orlando. Ein Zeichen aber auch für alle Länder dieser Welt, in denen Homosexualität noch immer unter Strafe, in sieben Ländern sogar unter Todesstrafe steht.

Die Gedanken kommen zurück. Die Musik am Truck lässt mich wieder bei der Regenbogenparade ankommen. Auch in Österreich haben wir Lesben, Schwule und Transgender noch immer nicht dieselben Rechte: Wir wollen die Öffnung der Ehe für alle, wir wollen die amtliche Erfassung von Hassverbrechen (bei uns wäre Orlando einfach „nur“ ein Attentat –  in den USA war es ein Hassverbrechen gegen Lesben und Schwule – ein UNTERSCHIED!), wir wollen Diskriminierungsschutz auch außerhalb der Arbeitswellt (noch immer können mein Freund und ich in Österreich eines Hotels verwiesen werden, weil wir schwul sind – einfach so!). Es gibt also noch viel zu tun!

Packen wir´s an! 130.000 Menschen packen´s an.

„Ihr seid viele – Gemeinsam seid ihr mehr“, sagt Christian Kern. Sagt der Bundeskanzler. Erstmals, dass ein Regierungschef auf der Regenbogenparade mit dabei ist! „Na und. Es ist 2016“, antwortet er sich selbst. Das gibt Mut. Das gibt Hoffnung.

Ich bin umso mehr voller Tatendrang für meine Arbeit in der SoHo (LGBTI Organisation der SPÖ), die rechtliche Gleichstellung auch in unserem Land zu erkämpfen, und die Akzeptanz in der Gesellschaft voranzutreiben. Denn wo Menschen sich lieben, wo Menschen füreinander Verantwortung übernehmen, dürfen Gesetze das nicht verhindern! Wir werden dafür Verbündete suchen. Wir werden dafür Brücken bauen. GEMEINSAM schaffen wir das!

Denn wir fordern GLEICH viel Recht für GLEICH viel LIEBE.

Aktuell gibt es 88 SprachtrainerInnen an 20 Standorten in der Stadt Salzburg. Sie lernen mit hunderten Menschen Deutsch. Freiwillig. Ohne Bezahlung.

Seit knapp einem Jahr gibt es das Freiwilligennetzwerk der Diakonie in Kooperation mit Stadt und Land Salzburg. Heute wollte ich von den Trainerinnen und Trainern wissen, wie es ihnen so ergeht. Zwei Stunden angeregter Austausch mit vielen Geschichten, Schicksalen, Ideen aber auch Kritik und Wünschen:

Als TrainerIn kommt man den Schicksalen der Menschen sehr nahe. Vieles stellt sich dann ganz anders dar, als in den Medien berichtet. Viele berichten darüber, wie schwer das Warten ist auf das erste Interview, Monate oft Jahre dauert es bis es zu einer Entscheidung kommt. Gleichzeitig ist da bei manchen die Angst vor dem Danach. Bekomme ich Asyl? Und wenn ja, wie soll es weitergehen, Wohnung, Arbeit? Das macht unsicher. Viele Flüchtlinge lernen eifrig Deutsch, nehmen die Angebote wahr. Dann gibt es andere, die zwar angemeldet sind, aber einfach nicht kommen. Das frustriert natürlich die Freiwilligen, die hier ihre Zeit geben, das wird auch als Respektlosigkeit empfunden. Bei den Flüchtlingen gibt es das gleiche Potpourri an Menschen, wie bei anderen auch. Die meisten wollen Deutsch lernen, sich integrieren, arbeiten und eine Zukunft aufbauen. Und dann sind auch einige dabei, die sich für das alles nicht interessieren. Dann gibt es jene, die erstmals in ihrem Leben einen Stift in der Hand halten, Erwachsene, die unter größten Mühen Lesen und Schreiben lernen. Und die Kinder, die am Anfang oft zurückhaltend sind, lernen dann in Windeseile Deutsch.

Aber die SprachtrainerInnen erleben auch, was es heißt wenn es zu Missverständnissen kommt, die falsch interpretiert werden können. Warum essen die Flüchtlinge nicht immer, was man ihnen vorsetzt? Sind sie undankbar? Eine Trainerin erzählt, dass in ihrem Quartier eine große Ladung Cornflakes gespendet wurde. Aber keiner der Flüchtlinge rührte das an. Die Packungen standen ungeöffnet herum. Bis eines Tages ihre Deutschkollegin eine Packung öffnete und die Cornflakes essen wollte. Die Flüchtlinge bedeuteten ihr das auf keinen Fall zu essen! Auf  ihr Nachfragen  erklärten sie ihr, dass das Hühnerfutter sei. Schließlich war auf der Packung ja ein Hahn abgebildet.

Die Arbeit der Freiwilligen kann nicht hoch genug geschätzt werden. Es geht oft über das Sprachtraining hinaus. Sie begleiten die Flüchtlinge zum Arzt oder zur Behörde. Manches Mal entstehen Freundschaften. Auf alle Fälle ist ihre Arbeit ein wichtiger Teil der Integration in Österreich. Dafür Danke und mein allergrößter Respekt für diesen Einsatz für die Menschen und für ein gedeihliches Miteinander in Salzburg.

Und wer sich auch engagieren möchte, hier die Infos: Freiwilligennetzwerk Diakonie

In Lehen leben einige meiner Freunde, unzählige Bekannte, ehemalige Schülerinnen, Kollegen. Lehen hat ganz viele Gesichter. Grüne Ecken, die Salzach, urbanes Wohnen, eine vielbefahrene Straße, Kultureinrichtungen, tolle Gastronomie und Geheimtipps!

Als ich heute in einem Österreich-Medium  eine Geschichte über Lehen las mit dem Titel „Die Salzburger Schmuddelecke“ war meine erste Reaktion: I mog Lehen und Lehen und seine Menschen haben es nicht verdient als Schmuddelecke bezeichnet zu werden. Natürlich ist Lehen nicht die fürsterzbischöfliche Altstadt mit ihren überwältigenden Sakralbauten und den riesigen Plätzen, die vom Reichtum der Kirche zeugen. Es ist auch nicht die Bürgerstadt mit ihren engen Gassen und vielen Geschäften, die früher Handwerksbetriebe waren und heute oft internationalen Ketten gehören. Durch Lehen schieben sich auch nicht abertausende Touristen mit den gezückten Smartphones und von sich gestreckten Selfiestangen.


In Lehen leben Menschen, die die Stadt am Laufen halten, Arbeiterinnen, Angestellte. Es gibt viele Kinder aber auch alte Leute. Immer schon Einheimische und viele Zugezogene. Natürlich gibt es Ecken, die nicht schön sind. Die Wettbüros nerven ziemlich und gehören endlich auf ein Minimalmaß reduziert. Im Lehener Park verbringen viele Menschen ihre Freizeit, leider sind hier auch immer wieder Drogendealer unterwegs. Mit der neu eingerichteten Schutzzone gibt es eine weitere Maßnahme, um diese Form der Kriminalität zu bekämpfen. Und die Ignaz Harrer Straße ist keine klassische Flaniermeile ob des Durchzugsverkehrs, aber auch keine Ignaz Horror -Straße. Hier gibt es Salzburgs erste grüne Fassade und viele Geschäfte sind kleine Betriebe, die gut Kundschaft haben. Zum Beispiel meine Nachbarin Ayse mit ihrer Boutique und eines meiner Lieblingslokale mit hervorragendem japanischen Essen. Rund um die Stadtbibliothek hat sich ein neues Zentrum entwickelt. Und im viel kritisierten Stadtwerk arbeiten etliche Menschen, es gibt Bildungseinrichtungen und Kultur. Auch eines meiner Lieblingsprojekte, das Repair Cafe, hat hier seine Basis. Der erste Stadtteilgarten Lehens ist jetzt an der Salzach entstanden. Die Parkanlage beim Kraftwerk sucht ihresgleichen. Und wer rumänische, türkische, arabische oder bosnische Spezialitäten sucht ist in Lehen richtig. Oder eine richtig kreative Torte? Manche sagen es ist eine Kebapmeile. Ja, es gibt viele Kebapgeschäfte, halt für jeden Kebap-Geschmack etwas. Lehen ist ein dicht besiedelter Stadtteil, der ganz viel Vielfalt bietet. Lehen ist einer der Motoren der Stadt Salzburg und nicht die Schmuddelecke.


Am späten Nachmittag habe ich mir heute ein Stündchen Zeit genommen und bin durch Lehen spaziert, einfach um mich zu vergewissern, dass mein Lehen das reale Lehen ist, das vielfältige Lehen mit seinen schönen und hässlichen Ecken, wie das halt so ist, wenn Menschen zusammenleben. Schmuddelig war es nicht sondern menschelnd, weil ich ständig Menschen getroffen habe, die ich kenne. Und ganz viel getratscht habe.

I mog Lehen und seine Menschen!

Nach der griechischen Tragödie Medea bringt die English Drama Group Salzburg dieses Jahr eine spritzige Farce auf die Bühne. Das Stück On The Razzle des britischen Dramatikers Tom Stoppard ist eine Adaption von Nestroys Klassiker Einen Jux will er sich machen.

Frau Blumenblatt musste eigentlich nur den Regisseur Michael Darmanin kopieren ;-)

Frau Blumenblatt musste eigentlich nur den Regisseur Michael Darmanin kopieren ;-)

So wie Nestroys berühmte Posse, so steckt auch in jeder Zeile von On The Razzle ein Wortwitz. Regisseur Michael Darmanin wusste: Die English Drama Group kann nicht erwarten, dass das großteils deutschsprachige Publikum auch wirklich jedes Wortspiel versteht. Und so liefert das Ensemble zwei Stunden Slapstick und Burleskes Schlag auf Schlag. Bei allem, was da auf der Bühne passiert – und es ist wirklich viel – nimmt der Regisseur in Kauf, dass das Publikum möglicherweise nicht alles auf einmal aufnehmen kann. Doch das ist nicht das Wichtigste. Was zählt: Pure Unterhaltung ist garantiert.

Den Spaß hat allerdings nicht nur das Publikum, sondern offensichtlich auch das Ensemble, das seine Rollen mit großer Lust spielt – vom Zangler über Frau Blumenblatt bis hin zu herrlich komischen kleinen Rollen wie der Ober im Restaurant.

Das Bühnenbild ist clever und den Umbau zwischen den Szenen übernehmen die Schauspielerinnen und Schauspieler selbst – mit Leichtigkeit eingebaut in Tanzeinlagen. Selbst das ist unterhaltsam.

Dass auf Englisch aufgeführt wird, ist nicht das einzige Alleinstellungsmerkmal der English Drama Group in Salzburg. Als Laiengruppe werden sie alljährlich von Hellmut Hölzl unterstützt – einem hervorragenden Kostümbildner. Seine Kostüme sind auch dieses Jahr wieder ein absolutes Highlight.

Eine rasante Melange aus englischem und Wiener Humor – dem Publikum hats gefallen. Und so gabs reichlich Premierenapplaus für das gesamte Ensemble und seinen Regisseur. Wohlverdient.

Bis Sonntag ist das Stück noch zu sehen.

Wann: 17. – 22. Mai, 19:30 Uhr
Wo: ARGE Kultur Nonntal in Salzburg
Tickets unter: www.argekultur.at oder tickets@argekultur.at
Preis (ohne Ermäßigung): EUR 17

Alle Bilder: English Drama Group Salzburg

Angela

Mama war voll hysterisch. Mein Bruder hat in der Sandkiste gespielt, sie konnte aber nicht raus, weil es ja zu gefährlich war. Bis heute noch ist das eine Geschichte in der Familie. Und alle Fenster zu und es hat dauernd geregnet. Keine Schwammerl, erst Jahre später Entwarnung! Cashewnüsse isst sie bis heute nicht meine Mutter.

Anja

aja

Anja

Als die ersten Nachrichten andeuteten, dass was ganz Schlimmes passiert sei, hat unsere Mutter meinem Bruder und mir verboten in die Schule zu gehen. Wir durften nicht raus. Und danach gab es nie wieder die frische Milch von den Kühen unseres Nachbarn. Meine Eltern fuhren extra nach Salzburg Milch kaufen, weil es hieß, dass der Salzburger Milchhof ganz streng kontrolliert. Und Schwammerl, die meine Großeltern im Lungau an „ihren“ Geheimplätzen brockten, kamen Jahre nicht mehr auf den Tisch.

Christian

Da war ich 13 Jahre. War kein großes Thema im Internat. Nur eines weiß ich noch: die Bauern können das Gras nicht mehr verwenden und die Milch ist verseucht. Das war’s.

Eva

eva

Eva

1986 war ich zehn Jahre alt, ich bin mir nicht sicher, ob ich mit dem Wort Reaktorunfall etwas anfangen konnte. Ich erinnere mich nur, dass es geheißen hat, wir dürfen keine Milch mehr trinken und keine Schwammerl essen. Letzteres war mir ziemlich egal, ich mochte sowieso keine Schwammerl. Und dann waren da noch diese gelben Jod-Tabletten in der Schule. Ansonsten ging mein Kinder-Leben weiter wie bisher. Was uns aber auffiel waren Gruppen von Kindern und Jugendlichen im heimischen Freibad. Das seien die „Tschernobyl-Kinder“ wurde schnell herum geflüstert. Sie schauten nicht viel anders aus als wir, aber irgendwie fielen sie auf diese „Tschernobyl-Kinder“. Sie kamen jeden Sommer, mehrere Jahre hindurch, die „Tschernobyl-Kinder“. Gesprochen habe ich nie mit ihnen, aber sie taten mir leid, weil sie ohne Eltern da waren.

2004 war ich in der Ukraine, im „Tschernobyl-Museum“ in Kiew. Eine beeindruckende Ausstellung mit vielen Zeitzeugnissen, schockierend. 2015 kommt mein Kind in die Schule, wir müssen einen Zettel unterschreiben, dass wir mit der Gabe von Jod-Tabletten einverstanden sind im Fall eines Atomunfalls.

Ich hoffe, wir brauchen sie nie!

Gabriele

Ich weiß noch, dass die Bauern in meinem Dorf die Milch durch den Kaffeefilter laufen ließen, um die Strahlung raus zu filtern. Ich war 16 und mehr/sehr mit mir selbst beschäftigt. Aber dass das Bullshit war, hab auch ich gecheckt.

Gertrud

gertrud

Gertrud

Damals war ich 21 Jahre jung und hatte kaum Sinn für die Katastrophen des Lebens, hatte anderes im Kopf, einen Urlaub geplant. Und dann die Meldung – Es hat einen Atomunfall gegeben! Nur 1000 km entfernt. Die Wolke ist über uns.

Alles ist verseucht! Der Garten, aus dem wir viel Gemüse und Obst bezogen, der Wald, den ich so liebte, die Schwammerl, die dort wachsen würden, wir, einfach alles! Unsichtbar, nicht zu fühlen, zu erkennen, zu erschmecken… und doch da. Das fand ich ganz und gar unvorstellbar und unheimlich.

Monika

Ich selbst war 22 und hatte vor einem halben Jahr meinen Mann kennengelernt. Wir wussten, dass wir miteinander durch dieses Leben gehen wollen und wir hatten so viele Träume. Die schienen mit einem Mal alle geplatzt zu sein. Die Basis hatte sich geändert und das ohne unser Zutun. Machte es noch Sinn in eine Welt, in der die Sandkisten nicht benutzt und der Rasen nicht mit bloßen Füssen durchwatet werden darf Kinder zu setzen? Würden wir jemals wieder Schwammerl aus unseren Wäldern essen können? Und was ist mit unserem Gemüsegarten? Alles wegschmeißen? Die meisten Halbwertszeiten der giftigen Stoffe, die sich da gerade über Salzburg entleerten, würden wir nicht Mal erleben.

Phasenweise beneidete ich meine Großmutter, obwohl sie beide Kriege erlebt hatte. Ich wusste nicht was schlimmer ist. Weltuntergangsstimmung eben.

Und wie bei so vielen Katastrophen gewöhnt Mensch sich daran, spätestens dann, wenn die nächste Katastrophe über uns hereinbricht. (Damals war es Aids.) Der Mensch ist anpassungsfähig, was bleibt auch anderes übrig. Heute scheint das alles weit weit weg, aber das nächste Atomkraftwerk ist nah. Doch das vergessen wir im Alltag nur allzu gerne.

Peter

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Peter

Im Frühling 1986 herrschte bei uns zuhause große Freude. Die Ziegen hatten wieder Junge bekommen. Mama Peggy – eine echte Pinzgauer Ziege – und der alte Leo hatten wieder ganze Arbeit geleistet. Sie waren wirklich ein eingespieltes Team im Zeugen und Gebären. Immer, wenn ich konnte, verbrachte ich meine freie Zeit bei den Jungen. Sie waren so lieb, unbeholfen und kuschelig. Ja und besonders neugierig. Alles wurde angeknabbert… In den ersten Tagen des Monats Mai kam Ambros Aichhorn – der unkonventionellste Biologielehrer aller Zeiten – zu uns auf den Bauernhof, um die außergewöhnlichen Hörner unseres Leos zu begutachten. Sie glichen nämlich jenen eines Steinbocks. Diese Tage waren herrlich: Strahlender Sonnenschein, die Vegetation in voller Blüte und die Natur zeigte ihre unvergleichliche Pracht. In diese Schönheit sickerte langsam die Kunde von der entsetzlichen Katastrophe in Tschernobyl durch. Sie kam uns auch deshalb so nahe, weil sich Österreich in der klimatisch bevorzugten Route der Strahlungsentwicklung befand. Über uns das ominöse Strahlenband. Plötzlich wollte sich niemand mehr im Freien aufhalten. Trotz des wunderbaren Wetters. Unsere Kühe und Ziegen mussten dennoch von etwas leben. Wir fütterten natürlich das Gras von der Wiese. Die Ziegen holten sich so wie so das, was ihnen mundete. Was denn sonst? Wirtschaftlich war es katastrophal, denn wir durften keine Milch mehr liefern. So verfütterten wir sie den jungen Kälbern und Schweinen. Diese freuten sich für die köstliche Nahrung. Noch Jahre später sagte meine Mutter: „Das beste und feinste Fleisch hatten wir im Jahr 1986.“ In diesem Jahr lernte ich die Begriffe Atomkraftwerk, Cäsium und Halbwertszeit eindringlich kennen. Sicher mit einem klar negativen Beigeschmack. Das Besondere in dieser Zeit war diese ominöse Bedrohung, die weder körperlich noch optisch spürbar war und dennoch total präsent und gegenwärtig gewesen ist. Eines ist ganz klar: Bis heute bin ich absolut stolz darauf, dass in Österreich kein Atomkraftwerk in Betrieb genommen wurde.

Robert G.

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Robert

April 1986 – da stand ich kurz vor der Matura. Natürlich waren wir schon alle betroffen. Natürlich wussten wir, dass es sich um eine Katastrophe handelte. Aber das war in der UdSSR. Die war weit weg. Durch den eisernen Vorhang irgendwie weiter weg als die heutige Ukraine. Wie gefährlich konnte also die Strahlung hier in Salzburg schon sein? Außerdem hatten wir alle nur unsere Maturaprüfungen im Kopf.

Was sich mir am stärksten eingeprägt hat: In der Schule war es Schülern strikt verboten, Straßenschuhe zu tragen. Wegen der Strahlung. Die Lehrkräfte hingegen spazierten nach wie vor ruhig in Straßenschuhen herum. Darüber haben wir uns aufgeregt. Weniger, weil wir glaubten, wir würden jetzt total verstrahlt wegen der Lehrer, sondern weil es einfach ungerecht war. Wir waren immerhin Maturanten.
Ansonsten erinnere ich mich, dass wir vier Wochen Maturavorbereitungszeit hatten. Ein Tag war schöner als der andere. Schon am zweiten Tag hatte ich sämtliche Bedenken wegen der Strahlung vergessen. Ich wollte raus. Den ganzen Tag in der Sonne verbringen. Noch nie zuvor war ich so braun. Und noch nie zuvor waren meine Haare so ausgebleicht. Ich hoffe, das war nur von der Sonneneinstrahlung.

Robert H.

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Robert

Ich war damals erst 8 Jahre. Kann mich erinnern, dass es ein schöner sonniger Tag war, Ich spielte mit meinen Freunden draußen… Plötzlich kam meine Mutter und schickte alle nach Hause. Keiner von uns verstand, was los war. Wir waren ja im schönen Mühlviertel nur 1200 km von Tschernobyl entfernt. Wir durften danach das Gemüse aus unserem Garten zuhause nicht essen. Meine Mutter vernichtete alles, was an Gemüse gewachsen war. Eine eigenartige Stimmung war es schon. Auch wenn ich damals als Kind nicht wirklich verstanden habe, was passiert ist.
 

Sabine

sabine

Sabine

Es hat geheißen, man soll nicht mehr raus. Aber wir mussten ja raus. Zur Ausbildung zur Arbeit. Nur die Vermieterin war völlig hysterisch, die hatte einen Sohn mit 10 Jahren. Die hatte Panik.

Yvonne

Nicht mehr im Sandkasten spielen dürfen. Der Bruder war erst eineinhalb Jahre. Ich habe lange nicht mehr im Regen gespielt, von da an gab’s keine gebackenen Parasol mehr, allerdings musste man auch keinen Salat mehr essen! Erdäpfö schon!