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von Michael König

Schopenhauer hat Unrecht. Nachbetrachtungen zu einem Rehaaufenthalt

Ich widerspreche Arthur Schopenhauer. Sein aus heutiger Sicht verstörend falscher Aphorismus zum Thema Gesundheit ist aus Gesundheitsbroschüren, Referatstiteln und einschlägigen Buchpublikationen nicht mehr wegzukriegen. In einem Salzburger Kurort proklamiert dieser Satz mitten am Dorfplatz das Gesundheitsmotto der Gemeinde, eingefräst in eine rostbraune Eisenstele. Schopenhauer war einst zur Kur hier. Vielleicht deswegen diese Verneigung. Täglich gehen viele Menschen an dieser Stele vorbei, die teilweise seit Jahrzehnten mit schweren chronischen Erkrankungen leben. Sie müssen diesen Satz eigentlich als Affront empfinden.

 

Ich bin in den letzten Wochen mit vielen dieser Menschen immer wieder ins Gespräch gekommen. An ihren Geschichten beeindruckt vor allem eines: Auch wenn Sie teils an schweren neurologischen Erkrankungen leiden oder mit schweren Bewegungsbeeinträchtigungen zurechtkommen müssen: Ihr Leben ist deswegen nicht nichts. Im Gegenteil: Sie haben sich nicht aufgegeben. Sie stehen kraftvoll im Leben, sie organisieren sich ihr Leben trotz und mit ihrer Erkrankung. Sie haben gelernt, dass das Leben auch mit einer Erkrankung lebenswert ist und Möglichkeiten bietet. Sie sind an ihren Erkrankungen gewachsen. Manche haben sich durchgekämpft und sind nicht zerbrochen an ihren schweren Beeinträchtigungen.

Der kranke Mensch ist mehr als seine Erkrankung

Niemals ist der gesamte Mensch, sein gesamter physischer Organismus, sein gesamtes emotionales und geistiges Erleben in einer Totalität von einer Erkrankung betroffen, wie es das Schophenhauer-Zitat aussagt. Auch wenn es Erkrankungsbilder gibt, die den gesamten Menschen, seine Persönlichkeit und sein gesamtes Leben erheblich beeinflussen können oder im Extremfall wachkomatöser Kranker auf ein basales Lebensniveau reduzieren, das kaum mehr als seine physiologischen Lebensfunktionen umfasst: Ein kranker Mensch ist mehr als seine Erkrankung. Viel mehr.

Wir kennen in unserer Sprache keinen Plural für Gesundheit. Ich plädiere für die Einführung dieses Plurals. Es gibt 1000 Erkrankungen und es gibt 1000 Gesundheiten. Wir leiden vielleicht an einer Erkrankung, oder an zwei oder an mehreren, aber gleichzeitig leben wir mit vielen Gesundheiten. Schon unterlegt meine Word-Änderungs-Funktion dieses nicht existente Wort mit einer roten Wellenlänge. Ich sollte an Microsoft schreiben. „Ab heute denken und sprechen wir mit dem Bewusstsein der Existenz von Gesundheiten“. Genau deswegen ist das Leben lebenswert, weil wir vielleicht neben der einen Erkrankungen ganz viele Gesundheiten haben. Perspektivenwechsel für das Leben.

Sprache kann stigmatisieren

Hören wir auf, Menschen auf ihre Erkrankung, ihr Defizit, ihre Not zu reduzieren. Sprache formt Wirklichkeit. Reden wir nicht in tendenziell stigmatisierender Weise von „den Kranken“, „den Dementen“, „den Behinderten“, „den Bettlern“ und irgendwann vielleicht auch nicht mehr von „den Flüchtlingen“. Es mag situativ nötig sein, einen Menschen mit einem Wort zu attribuieren, das im allgemeinen Verständnis als Defizit, als Stigma, als Negativum abgespeichert ist. Eine Erkrankung kann nun mal unerfreulicher Teil des Lebens eines Menschen sein. Reden wir aber in diesem Fall besser immer von Menschen, die mit einer Demenz leben (und lachen, lieben, atmen, denken), Menschen, die mit einer Behinderung leben und Menschen, die betteln. Und von Menschen, die geflüchtet sind.

Mein Resümee nach einer wohlbekömmlichen dreiwöchigen Rehabilitation:

Gesundheit ist nicht alles, aber mit mehr Gesundheit

ist so vieles im Leben mit dem Nektar der Dankbarkeit überzogen.

von Christian Namberger. Oberinspektor i. R.

Letzte Woche erzählte ich ja von meinen zwei großen I, dazu gehörten auch Ausführungen über die Rosi. Es gibt da noch das eine oder andere Wissenswerte. Aber heute erzähl ich von was anderem. Manche Menschen brauchen noch Zeit, um das zu verdauen. Haben sie doch, wenn sie den Namen Rosi hören, gleich meinen Hintern vor dem geistigen Auge.

Der erste Reha-Aufenthalt in der Neurocare war ein schwerer. Durch das viele Liegen war ich sehr geschwächt und konnte nicht mal aufrecht sitzen, ohne mich zu stützen. Aus dem Bett in den Rollstuhl ging es nur mit Hilfe. In der Früh wurde ich in einen Duschrollstuhl gehievt und in die Dusche geschoben. Durch die Schwäche, konnte ich nur mit pi1einer Hand hantieren, mit der anderen hielt ich mich fest. Das Abbrausen ging noch, doch das Shampoonieren und mit dem Waschlappen Abreiben wurde dann von der Pflegerschaft übernommen. Die Duschsessel sind ja ähnlich wie die sogenannten Leibstühle. Sprich, sie haben ein Loch in der Sitzfläche. Durch dieses schruppte dann die Schwester mit einem Waschlappen meine beleidigte Rosi. Nicht gerade prickelnd, aber Reinlichkeit muss sein. Danach abtrocknen, zurück ins Betti und im Liegen angezogen werden. Wie ein Baby. Dann wieder aus dem Bett und rausgekarrt zum Frühstück zu den anderen Maroden. Die Bude ist immer voll belegt, überwiegend mit Schlaganfall-patienten jeden Alters.

So geht Reha

Nach dem Frühstück, ich musste zum Glück keine Diät halten, begannen die Therapie-einheiten. Eine Einheit dauerte immer 25 Minuten. Verteilt auf den Tag hat man ca. 5 Stück davon. Natürlich wurde auch versucht, mich auf die Beine zu bringen. Zuerst mit dem Stehtisch, damit sich meine Fussi an das Gewicht gewöhnen. Da wird man mit einem Gurt an ein erhöhtes Pult gezogen und dort steht man dann die 25 Minuten. Mit Blick nach draußen. Mei, ein Eichhörnchen – wie schön! Was ich da alles entdeckte. Auch fing ich an, die Lamellen der Deckenverkleidung zu zählen. Gehtraining versuchten wir mit einem Gerät namens Taurus. Da kann man sich mit den Unterarmen aufstützen und der Trainer schiebt das Gestell nach oben. Das sah bei mir vielleicht aus. Blasse Storchenhaxerl, darüber eine knielange Sporthose, knackig gefüllt mit der Erwachsenenwindel. Abgerundet mit Ralph Lauren Poloshirts in knalligen Farben. Sollte ein wenig ablenken von den Haxerln. Den Flur entlangschreiten konnte man das ganze nicht nennen, irgendwie sah es aus, als würde ich nachgeschleift. Es dauerte einige Wochen, bis ich rollatorfähig war. Anfänglich nur ein paar Meter, mit jeder weiteren Reha immer ein Stück mehr. Die zweite Reha bekam ich gleich nach 6 Monaten bewilligt, normalerweise ist man da für 4 Wochen. Diese wurde aber immer wieder verlängert und somit war ich in Summe 3 Monate in der Anstalt. Ich wollte schon das Zimmer nach meinem Gusto streichen lassen.

 

Mittlerweile wohnte ich ja schon in der schattigen Pinie. Das ist ein Haus, das sich betreubares und betreutes Wohnen nennt. Würde gar nicht auffallen, wenn es nicht plakativ auf der Glas-Eingangstüre stünde. Vielleicht kratze ich das mal in einer Nacht und Nebelaktion runter. Dann sieht das wie ein ganz normales 18-Parteien Haus aus. Wo ich bin, ist pi2oben! Also bin ich folgerichtig ganz oben im zweiten Stock mit meinen Räumlichkeiten. Lange Zeit übte ich im Stiegenhaus zusammen mit Muttern das Rollatorgehen. Ich mit Rollator voran und Muttern mit dem Rollstuhl hinterher, falls mich die Kräfte verlassen sollten oder ich ins straucheln kam. Dank der überwiegend älteren Damen im Haus, ist das lange Fensterbankerl mit farbenfrohen Blümeln dekoriert und somit hat man auch was für den Augenwinkel. Aufsehen ging ja nicht, ich musste ja schauen, wie und wo meine Fussi auftreten. Einmal war im Haus vis a vis, eine normale Wohnanlage, in einer Wohnung im ersten Stock ein junger Mann bei der offenen Balkontür am Rauchen. Nackig! Und ich müsste mich auf mein Gehen konzentrieren.

Leider war das eine einmalige Darbietung, seither raucht der Gute immer in Shorts. Vielleicht fiel ihm ja auf, dass mein Blick des öfteren vom Stragula-Belag hier in Richtung seines Balkones schwenkte.

Die ersten Schritte in „Freiheit“

Die Monate vergingen und ich habe nach den Reha-Aufenthalten bei einem der Therapeuten zukünftige Therapien gebucht. Diese sind meist mittwochs, auch auf dem Gelände der Klinik. Dort machten wir Training im sogenannten Lokomat. Das ist eine große Apparatur, in die man wie in einem Fallschirm eingespannt wird und unten läuft ein Laufband. Zum Entlasten kann man Gewicht wegnehmen. Dieses Training machte ich bis letztes Jahr. Dadurch konnte ich zu Hause besser mit dem Rollator gehen. Auch wagte ich mich dann zusammen mit Muttern raus. Die Gegend ist ja eine ruhige, somit kann man da gut üben. Jedoch war meine Angst zu stürzen trotzdem noch da. Ich bin ja mittlerweile auf mein altes Gewicht von 105 kg angewachsen. Wenn ich da unkontrolliert mitten auf der Strecke falle, kann mich Mutti als 76-Jährige nicht aufhieven. Mit dieser Angst behaftet, trampelte ich regelrecht aus dem Haus.

Der Großteil der Leserschaft kennt sicher den Film Jurassic-Park, in dem die Wasserpfützen kleine Wellen schlagen, wenn Thyrannosaurus Rex aufstampft. Bei mir war es ähnlich. Durch das Stampfen erzitterte der Boden und mein schwabbeliges Hüftgold kam ebenfalls in Wallung. Röchelnd stakste ich Richtung Straße, die kleinen spielenden Kinder der Siedlung sahen die besagten Wellen in der Pfütze und spritzten schreiend auseinander, weil sie dachten, Gozilla greift an. Zusammen mit der Nachbarskatze versteckten sie sich hinter der Hecke.

Mittlerweile gehe ich alleine meine Runden mit dem Rollator und bin ein gewohntes Bild in der Siedlung. Wenn es gut geht, dann tigergleich, wenn nicht, dann … na ja, lassen wir das. Nächstes Ziel ist mit Krücken zu gehen, da üb ich mit dem Therapeuten immer wieder mittwochs.

Heute schließe ich mit einem alten Schlagerohrwurm von Cindy & Bert, der da lautet:

„Immer wieder sonntags, kommt die Erinnerung“, für mich abgewandelt in

„Immer wieder mittwochs, kommt die Therapie“

Und hier geht’s zu Kapitel 7!