Beiträge

Mehr als 200 Millionen Mädchen und Frauen sind weltweit von FGM (Female Genital Mutilation), auf Deutsch Genitalverstümmelung, betroffen. Auch bei uns in Europa, in Österreich, in Salzburg. Bei der Internationalen Konferenz in der UNO-City in Wien war wieder klar: Den Kampf gegen FGM gewinnen wir nur gemeinsam.

Valentine Nkoyo, die sich selbst als FGM-Überlebende bezeichnet, hat mich in einem sehr freundschaftlichen Gespräch bestärkt: „Don’t give up. We have to stand together against FGM and we have to speak about it.“ Genau das wollen auch viele Menschen in Salzburg. Und manchmal braucht es ein bisschen „internationale Luft schnuppern“, damit man in der Arbeit noch klarer wird.

Valentine Nkoyo und Anja Hagenauer

Valentine Nkoyo ist mit ihrer Mojatu Foundation in Nottingham tätig. Diese englische Stadt hat sich zum Ziel gesetzt bis 2030 FGM aus der Stadt verbannt zu haben. Kein leichtes, aber ein machbares Ziel, das wir auch in Salzburg verfolgen müssen. Zwei wesentliche Faktoren haben sich bei der Konferenz herauskristallisiert:

  1. Aufklärung, Information und Gespräche mit Betroffenen, ihren Familien und Communites
  2. Bei Verdacht auf FGM müssen sofort handeln und alle gesetzlichen Möglichkeiten ausschöpfen, in der Prävention und in der Strafverfolgung

Mit dieser Motivation bin ich zurück in Salzburg und bitte euch alle uns weiter darin zu unterstützen auch bei uns NULL Toleranz für FGM durchzusetzen.

Vor einigen Tagen haben Niki Solarz und ich unsere Forderungen zur Verhinderung von Genitalverstümmelung öffentlich gemacht. Wir haben sehr viele Rückmeldungen bekommen. Die meisten Menschen wollen uns unterstützen. Aber es gibt auch einige, die mit unseren Forderungen ein Problem haben.

Die Einwände will ich nicht einfach auf die Seite wischen, sondern mich nochmal damit auseinandersetzen.

Keine Kritik und Bedenken kamen zur Forderung, noch mehr zu informieren, die betroffenen Mädchen und Frauen aufzuklären und auch die Männer mit ins Boot zu holen. Auch die Sensibilisierung von Ärztinnen und Pädagogen ist von allen gewünscht.

Sollte sich der Verdacht auf eine Genitalverstümmelung bestätigen, müssen die verantwortlichen Erwachsenen konsequent zur Rechenschaft gezogen werden. Auch wenn die Tat im Ausland begangen wurde, ist sie in Österreich strafrechtlich zu verfolgen. Bis zum 28. Lebensjahr des Opfers ist die Tat nicht verjährt. Eine Genitalverstümmelung kann bis zu 10 Jahre Haft bedeuten.

Einige Menschen meinten, dass es nach der Verstümmelung nichts bringt die Eltern vor Gericht zu bringen und das Kind aus der Familie zu nehmen. Es sei ja schon passiert und könne nicht mehr rückgängig gemacht werden. Und wenn das Mädchen auch noch die Eltern verliert, dann wäre das wie ein zweites Trauma. Das hieße für mich die Genitalverstümmelung zu akzeptieren und das Opfer alleine zu lassen mit seinem Schmerz und seinem Leid.

Tradition oder das Recht auf körperliche Unversehrtheit?

Um einer Genitalverstümmelung vorzubeugen braucht es verpflichtende Untersuchungen von Mädchen zwischen 0 und 14 Jahren. Natürlich ist es nicht sinnvoll ALLE Mädchen zu untersuchen, es soll auf diejenigen beschränkt sein, in deren Kultur diese Tradition fast verpflichtend ist. So wie in Somalia, Ägypten, Sudan und anderen Ländern, wo die Beschneidungsrate über 80 Prozent liegt. Der Vorwurf bei dieser Forderung lautet, dass dies diskriminierend, wenn nicht sogar rassistisch ist. Eine Genitalverstümmelung in Österreich nicht zu verhindern, ist für mich Ignoranz und die eigentliche Diskriminierung. Die körperliche Unversehrtheit eines Mädchens muss über der Freiheit der Religion und der Traditionen stehen.

Auch der Vorwurf, dass damit wieder ein schlechtes Licht auf den Islam geworfen wird, ist nicht nachvollziehbar. Auch Christinnen und Jüdinnen werden in diesen Ländern beschnitten. Genitalverstümmelung ist ein grausames Verbrechen, welche Religion die Täterin/der Täter hat ist mir wurscht.

Wir müssen alle hinschauen

Was zum nächsten Vorwurf führt, warum wir eigentlich die Beschneidung von Jungen nicht genau so ablehnen und dagegen kämpfen. Weil das nicht vergleichbar ist. Dem Jungen werden weder der halbe Penis, noch die Hoden abgeschnitten. Er verliert seine sexuelle Empfindsamkeit nicht und kann normal zur Toilette gehen. Und es ist wichtiger und notwendiger die grausame Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung zu bekämpfen.

Wir haben schon zu lange weggeschaut. Wir haben viele Jahre darüber geredet, Broschüren erstellt und Aufklärungsveranstaltungen organisiert. Das ist und bleibt wichtig. Das hat aber nicht dazu geführt, dass es keine Genitalverstümmelung in Österreich mehr gibt. Wir brauchen präventive Kontrolle und strenge Verfolgung dieser Straftat. Für ersteres wird Niki Solarz im Salzburger Landtag einen Antrag stellen, damit die Untersuchungen zur Pflicht werden. Für zweiteres sind wir alle aufgerufen. Wir müssen hinschauen, beim geringsten Verdacht das Jugendamt einschalten. Nur so können wir wirklich etwas ändern.

„Mach es einfach!“, sagt die junge Frau im Schloss Mirabell zu mir. Ich hatte ihr gerade erzählt, dass ich Pflichtuntersuchungen von Mädchen fordern möchte. Mädchen, die gefährdet sind an den Genitalien verstümmelt zu werden. Die Eltern der jungen Frau sind aus einem ostafrikanischen Land. Ihre Mutter wurde verstümmelt, ihrer Tochter hat sie diese grausame Misshandlung nicht angetan.

„Mach es einfach! Mach es einfach!“, so hallt es in meinem Kopf nach. Die ganzen nächsten Tage. Jahrelang ist Genitalverstümmelung schon ein Thema in Österreich. Es gibt eine Plattform gegen FGM (female genital mutilation), wie Genitalverstümmelung international heißt. Hunderte Millionen Frauen in vielen Ländern sind davon betroffen. Auch bei uns in Österreich. Genitalverstümmelung ist kein religiöses Gebot, aber eine uralte Tradition, die Muslime, aber auch Christen und Juden praktizieren. Es ist eine abartige, kriminelle Tradition. Besonders Mädchen aus Somalia, dem Sudan, Ägypten, aber auch aus dem Nordirak oder Senegal sind betroffen. Auch hier in Österreich. Genitalverstümmelung ist in Österreich strafbar, es können bis zu 10 Jahre Gefängnis darauf stehen.

Wir müssen ungeduldiger werden

Aber es gab nach meinen Recherchen noch nie eine Anzeige, geschweige denn eine Verurteilung. Obwohl wir davon wissen. Und obwohl wir in Österreich versuchen, durch Information und Aufklärung diese perverse Praktik zu verhindern. Maßnahmen, die sicher schon zu einem Rückgang  geführt haben. Aber es muss schneller gehen. Ein bisschen mehr Ungeduld tut gut. Und hilft dabei, die Unversehrtheit von noch mehr Mädchen zu bewahren. „Mach es einfach!“, hat die junge Frau zu mir gesagt. Sie hat recht. Aufklärung und Information alleine können FGM nicht stoppen. Auch nicht bei uns. Wir brauchen auch Kontrollen. Und wenn sich der Verdacht bestätigt: Anzeigen. Solange die Eltern die Gewissheit haben, dass niemand sie anzeigt, dass wir alle wegschauen – zwar mit Empörung, aber wegschauen – so lange gibt es für die Mädchen keine Sicherheit.

Messer für die Beschneidung (c) Foto: (I)NTACT e V.

Du hast mir nicht geholfen

In den all den Tagen, in denen mir das „Mach es einfach!“ durch den Kopf gegangen ist, hab ich mir immer wieder folgende Szene vorgestellt: Es ist das Jahr 2030. Ich treffe auf einem Multikulti-Fest eine junge Frau, deren Großeltern aus Somalia stammen. Wir plaudern über dies und das, sie fragt mich nach meiner beruflichen Vergangenheit. Als ich ihr erzähle, dass ich einmal Vizebürgermeisterin war und auch für Kinder und Jugendliche in der Stadt Salzburg zuständig, schwindet ihr Lächeln und sie fragt mich: „Was hast du damals getan für mich? Ich bin in Salzburg aufgewachsen. Ich bin hier zur Schule gegangen. Und sie haben mich beschnitten. Du hast mir nicht geholfen. Du hast weggeschaut, wie alle anderen auch.“

Anja Hagenauer: Wir dürfen nicht mehr wegschauen!

Was tun gegen Genitalverstümmelung?

  • Es braucht noch mehr Aufklärung und Information für betroffene Mädchen und Frauen
  • Männer – ob Ehemänner, Väter oder Brüder – müssen in die Aufklärungsarbeit mit einbezogen werden
  • Ärztinnen, Lehrer, Sozialarbeiterinnen brauchen mehr Sensibilisierung
  • Mädchen zwischen 0 und 14 Jahren, die von Genitalverstümmelung betroffen sein können, müssen in regelmäßigen Abständen von Kinderärzten untersucht werden
  • Dem geringsten Verdacht auf Genitalverstümmelung muss nachgegangen werden. Das Jugendamt muss informiert werden
  • Wenn der Verdacht sich bestätigt, müssen die verantwortlichen Erwachsenen konsequent zur Rechenschaft gezogen werden

Wer immer noch wegschauen möchte, dem sei ein Satz von Waris Dirie, der berühmtesten Kämpferin gegen Genitalverstümmelung ans Herz gelegt:

„FGM ist ein Verbrechen und niemand darf das tolerieren. Falsche Toleranz und Ignoranz gegenüber weiblicher Genitalverstümmelung, ist die härteste Form von Rassismus, die es gibt.“

Fotos: http://www.stop-fgm-now.com/de/presse und Arne Müseler

 

von Gabriele Rothuber

Woran denken Sie bei dieser Überschrift? Wahrscheinlich nicht an die 1-2 von 1000 intergeschlechtlichen Kinder, deren Genitalien aus der starren Zweigeschlechternorm fallen. Und das ist ein Problem.

Von Intergeschlechtlichkeit oder Intersex spricht man, wenn Geschlechtsmerkmale (Genitalien, innere Geschlechtsorgane, Hormone, Chromosomen) aus der Norm fallen oder Merkmale beider Normgeschlechter vorhanden sind.

Am 1.12. 2016 erschien eine deutsche Studie, die die Operationshäufigkeit an intergeschlechtlichen Kindern von 2010 bis 2014 analysierte: „Zur Aktualität kosmetischer Operationen „uneindeutiger“ Genitalien im Kindesalter“ von Ulrike Klöppel, Wissenschaftlerin an der Humboldt-Universität.

Fazit: Nach wie vor werden  Babies und Kleinkinder einer der beiden Normgeschlechter medizinisch „zugewiesen“.

Amputation der Klitoris

Dabei werden Kindergenitalien oder innere Geschlechtsanlagen so verändert, weggeschnitten, designt, bis die Körper der – medizinisch und gesellschaftlich definierten – Norm entsprechen. Etwa wird häufig eine „zu große“ Klitoris amputiert. Diese hat bei der Geburt nicht über 0,9 cm groß zu sein. Dabei sollte das Wissen, dass es Klitoriden gibt, die im erigierten Zustand einige Zentimeter erreichen können, durchaus vorhanden sein.

Rund 1700 Kinder werden jährlich in Deutschland diesen geschlechtsverändernden Operationen unterzogen. Selbstverständlich ohne deren Einwilligung. Die FRA-Studie (Fundamental Rights Agency, Agentur der EU für Grundrechte) aus 2015 zeigt:

  • Medizinische Behandlung intersexueller Kinder wird in mind. 21 EU-Mitgliedstaaten durchgeführt.
  • In 8 Ländern müssen die gesetzliche Vertreter*innen zustimmen.
  • In 18 wird das Einverständnis der Betroffenen vorausgesetzt!

Es gibt nicht nur männlich und weiblich

Im Völkerrecht gelten medizinisch nicht notwendige Operationen, die ohne Einverständnis vorgenommen werden, als inhuman, grausam und erniedrigend.

Nach wie vor wird jedoch an der Annahme, es gäbe nur zwei klar von einander unterscheidbare Geschlechter, festgehalten – und natürliche Variationen in der Geschlechtsentwicklung negiert.  Menschen, die diesem Schema nicht entsprechen, werden auch heute noch als krankhaft dargestellt, selbst wenn sie völlig gesund sind.

„Meine Schwester ist als Bub geboren. Dann hat man ihr den Penis abgeschnitten und jetzt muss sie ganz viele Tabletten nehmen“

Das sagte ein 10jähriges Kind in einem der Workshops des Verein Selbstbewusst.

Für Österreich gibt es keine Studie, wie in Spitälern mit Kindern verfahren wird, die intergeschlechtliche Genitalien aufweisen. Es wird nicht anders sein, als in Deutschland. Es fehlen uns jedoch nicht nur Studien, sondern auch die öffentliche Auseinandersetzung und die Aufarbeitung dieser Menschenrechtsverletzungen.

FGM – Female genitale Mutilation, also die weibliche Genitalverstümmelung ist selbstverständlich in Österreich verboten. Weshalb also dürfen Genitalien von Kindern verstümmelt werden, die einfach nur aus engen Normen fallen? Weshalb dürfen Kindern gesunde und funktionsfähige Körperteile (etwa auch die Keimdrüsen) entnommen und sie somit ihrer Fortpflanzungsfähigkeit beraubt werden? Weshalb wird in Kauf genommen, dass sie durch Kastration lebenslang künstliche Hormone zu sich nehmen müssen? Warum wird ihnen das Recht auf eine „offene Zukunft“ genommen – denn wie sich Körper oder Identität entwickeln, kann niemand vorhersehen – und weshalb müssen sie ein Leben lang oft unter diesen traumatischen Eingriffen, unter dem Verlust sexueller Empfindsamkeit leiden?

Weil – man lasse sich dies auf der Zuge zergehen – es sich hier per definitionem nicht um kosmetische Eingriffe handelt (was sie aber sind, weil in keiner Weise notwendig), sondern um Heilbehandlungen. Den Kindern und Eltern müsse geholfen werden, damit eine Eindeutigkeit hergestellt werden könne. Eine Uneindeutigkeit sei nicht zumutbar. WEM nicht zumutbar?

„Why don’t change minds instead of bodies?“ (Alice Dreger)

Malta hat als einziges europäisches Land 2015 per Gesetz Operationen an intergeschlechtlichen Kindern verboten. Niemand, weder Ärzt*innen noch Eltern sollen über derart weitreichende und irreversible Eingriffe entscheiden dürfen, sondern ausschließlich die Person selbst. Wenn sie voll aufgeklärt über die möglichen negativen Folgen und auch über ein gelingendes Leben mit unverändertem Körper etwas ändern möchte. Kinder sollen so aufwachsen dürfen, wie sie sind, um selber eine Entscheidung treffen zu können.

Das Recht auf körperliche Unversehrtheit muss für

ALLE Menschen gelten, ohne Ausnahme.

 

Hilfe bei:

www.vimoe.at

www.plattform-intersex.at

www.hosi.or.at

www.courage-beratung.at