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von Elisabeth Kaplan

Wir befinden uns im Jahr 2015 n. Chr. Prog-Rock wurde längst in ganz Europa für tot erklärt … ganz Europa? Nein! Eine von unbeugsamen Musikern bevölkerte Band hört nicht auf, dem Niedergang von Prog-Rock Widerstand zu leisten.

Nachdem Punk Mitte der 70er die Bühne betreten hatte, war Prog-Rock* so gut wie tot. Aber es gab seither immer ein paar wenige Bands, die den Prog-Geist am Leben zu halten versuchten. Eine solche Band ist Blank Manuskript aus Salzburg. Im Mai hat die Band ihr drittes Album „The Waiting Soldier“ in Salzburg präsentiert, wobei ihre Fans hauptsächlich im Ausland sind und die Band auf Festivals spielt in Italien, Deutschland, Ungarn, Tschechien, und, ja, auch im Entstehungsland von Prog, England, wo sie im Oktober 2016 einige Konzerte spielen werden.

Konzeptalbum
Das Thema des Albums „The Waiting Soldier“ ist die Suche nach Sinn und nach einem Platz in der Gesellschaft. Ganz im Sinne des klassischen Konzeptalbums ist „The Waiting Soldier“ nur auf Vinyl erhältlich (obwohl man beim Kauf der Platte auch einen Downloadlink erhält) und die verschiedenen Stücke gehen ineinander über, sodass jede Seite der Platte quasi eine Suite darstellt.

Ein Konzeptalbum erfordert eine andere Art des Zuhörens als bei einem Pop- oder Rockalbum, das Zuhörern emotional höchst gegensätzliche dreiminütige Häppchen bietet. Ein Konzeptalbum, andererseits, möchte die Zuhörer auf eine Reise mitnehmen, die entweder das menschliche Innenleben erforscht oder in eine Fantasiewelt führt. Man kann und soll sich einfach hingeben und die Reise genießen. Gerade in der heutigen Zeit ist ein Album mit einer wohlüberlegten, organischen Dramaturgie etwas sehr Besonderes – ein einzigartiges Hörerlebnis.

Warum es sich lohnt
Als Punk mit seinen rauen, lauten und trotzig-einfachen Songs Mitte der 70er in Erscheinung trat, wurde Prog-Rock vorgeworfen, überheblich, allzu intellektuell und letztendlich langweilig und überflüssig zu sein – ein Ruf, den Prog bis heute nicht ganz abschütteln konnte. Blank Manuskript ist es allerdings gelungen, die besten Aspekte des Prog auf einer Weise zu vereinen, die Zuhörer durchaus anspricht und fesselt.

Noch im Dezember auf Tour: Blank Manuskript

Noch im Dezember auf Tour: Blank Manuskript

Keeping the dream alive
Blank Manuskript sind der Prog-Tradition treu in puncto Struktur und Themenwahl, bis hin zur Theatralik ihrer Bühnenshow (in die viel Überlegung und Arbeit hineingesteckt wird). Was Zuhörer gar nicht befürchten müssen sind nicht-enden-wollende virtuose Ausbrüche oder hochtrabende Komplexität. Im Gegenteil: Alfons Wohlmuth und Dominik Wallner haben ein kreatives, authentisches, abwechslungsreiches und zugängliches Album geschrieben. Als das für mich herausragendste Stück möchte ich hier das von einer Kinderstimme gesungene „Kites to Sky“ erwähnen, das durch seine Wehmut und herzzerreißende Zerbrechlichkeit hervorsticht.

Wenn sie ein neues Album entwickeln, schreiben und aufnehmen wollen, kapseln sich Blank Manuskript an einem abgelegenen Ort ab und stellen das gesamte Album im Großen und Ganzen im Laufe dieser einen Woche fertig. Das ist wahrscheinlich einer der Gründe, warum es ihnen gelungen ist, ein Album zu erschaffen, das so abwechslungsreich aber doch so schlüssig ist. Und mir jedenfalls wann die ca. 20 Minuten pro Seite von „The Waiting Soldier“ definitiv zu kurz.

Und die ganze Nacht hindurch sind unsre Musiker wieder bei einem ihrer traditionellen Festbankette vereint, um einen neuen Sieg zu feiern, einen Sieg über den unerbittlichen Lauf der Zeit …

Erlebt Blank Manuskript live im Dezember 2015:
4 Dez: Wakuum, Graz (AT)
5 Dez: Aera, Wien (AT)
10 Dez: City Club, Trnava (SK)
11 Dez: Hard Face, Karvina (CZ)
12 Dez: M13, Brünn (CZ)
15 Dez: ProgHeaven, Budapest (HU)

http://www.blankmanuskript.at

 

*Prog-Rock entstand in England in den späten 60er Jahren als Reaktion auf den dreiminütigen Popsong und als Versuch, mehr Tiefgang und Intelligenz in die Popmusik zu bringen. Viele Einflüsse von symphonischer Musik und Jazz bis Folk und Rock flossen in die Prog-Musikstücke. Zwei wesentliche Merkmale waren Virtuosität und Komplexität, die sich in ausgeklügelten Konzeptalben manifestierten.

„Hochbegabte Musiker, die mit großer musikalischer Intelligenz ‚bestraft’ waren und die sich schnell langweilten, wenn sie nur drei Akkorde die ganze Zeit spielten, und die komplexere und anspruchsvollere Musik machen wollten. (Jonathan Coe über die Prog-Bands der 70er)

Prog erlebte in den frühen 70ern seinen Höhepunkt. Mitte der 70er entstand allerdings Punk, der Prog mit seiner ungehobelten Art gewissermaßen in die Knie zwang.

 

 

von Elisabeth Kaplan

Vor einigen Wochen haben wir den Siegersong des Zartbitter-Aufrufs präsentiert: „Schon Sehen“ von Kathi Kallauch. Heute stellen wir zwei weitere Songs vor, die wir im Zuge des Aufrufs entdeckt haben.

Die Band SOULDJ (Foto: Barbara Aichinger)

Die Band SOULDJA
(Foto: Barbara Aichinger)

SOULDJA – Waun I Ma

Reggae ist wohl eine der wenigen musikalischen Stilrichtungen, in denen Gesellschaftskritik vorausgesetzt wird – er ist sozusagen das Gewissen der Musik. Fans von Popmusik wollen nicht so gern von SängerInnen belehrt werden. Deswegen müssen sozialkritische Themen in Popsongs subtil verpackt sein (wie etwa in „Dear Mr. President“ von P!nk, „Another Day in Paradise“ von Phil Collins, oder „You’re The Voice“ von John Farnham). Im Reggae hingegen darf – und soll – alles sehr direkt ausgesprochen werden.

SOULDJA, eine 2008 gegründete Reggae-Band aus Oberösterreich, die im Februar 2014 mit dem „Austrian Newcomer Award“ ausgezeichnet wurde, nimmt sich gerne gesellschaftsrelevanter Themen an – so auch im anti-kapitalistischen „Waun I Ma“: „Und I frag mi wie geht des weita, denn es scheint ma / D’Leit wern leida imma bleda und net gscheida / Es gibt zvü Neida vü zvü Halsabschneida / Und so bleibts leida imma de söbe Leia“.

Meine persönliche Lieblingsstelle in dem Song ist die Zeile „Es geht nur nu um Ruhm und Konsum um Gier und uman Geiz“ – die gefällt mir so gut, dass ich sie mir immer wieder anhören könnte. Das Reimschema bedient sich in dieser Strophe vorwiegend Wörtern, die sich mit „weita“ reimen. Doch mittendrin lenken diese plötzlichen Assonanzen mit dem u-Vokal die Aufmerksamkeit auf diese Zeile. Das trifft sich gut, denn sie beinhaltet schließlich die Kernaussage des Songs.

In „Waun I Ma“ wird weniger gesungen als „getoastet“ („Toasting“ ist der für den Reggae typische Sprechgesang). Daniel „Dazo“ Zorn darf hier sein solides Gefühl für Rhythmus und Flow gut einbringen – ganz zu schweigen von seinen zungenbrecherischen Fähigkeiten, die er im Refrain an den Tag legt. Und der österreichische Dialekt passt bei SOULDJA überraschend gut. Er bringt sicher nicht nur mich zum Schmunzeln. Zudem lässt das die sieben-köpfige Truppe (Markus Trappmair, Daniel „Dazo“ Zorn, Lukas Bräuer, Lukas Brandl, Florian Tavernier, Jakob Baumgartner und Georg Hinterberger) authentisch und sympathisch rüberkommen.

Übrigens, SOULDJA tun mehr als soziale Missstände kritisieren. Sie setzen sich auch aktiv ein, etwa durch ihre Zusammenarbeit mit der Organisation Childrenplanet. Ich finde es großartig, dass es eine Band gibt, die Österreichs Gewissen repräsentiert. Wir von Zartbitter wünschen ihnen weiterhin viel Erfolg!

Das Album „Grown“ gibt’s auf iTunes
Oder bestellt euch die CD auf Amazon

Wenn ihr SOULDJA live erleben wollt, habt ihr in nächster Zeit hier die Gelegenheit …
• am 15. November am Kein Bock Auf Nazis Fest in Wien
• am 11. Dezember im Weekender Club in Innsbruck

Die junge Salzburger Band Manchester Snow

Die junge Salzburger Band
Manchester Snow

MANCHESTER SNOW – Pulse

Die Salzburger Band Manchester Snow, bestehend aus Rupert Karl, Marvin Sillner und Niklas Mayr, verdienen meiner Meinung nach schon alleine wegen ihrer Jugend eine besondere Erwähnung. 2013 erhielt die junge Indie-Band bereits den „Austrian Newcomer Award“ und Anfang September veröffentlichten sie ihre zweite Single „Pulse“ auf dem Salzburger Label Latehour. Derzeit wird fleißig am Debütalbum gearbeitet.

Ich hab immer höchste Achtung vor jungen Bands, die sich ihren Weg selbst erkämpfen und nicht von irgendeinem Casting-Format gepusht werden. Und in diesem Alter überhaupt bereits eigene Songs zu veröffentlichen ist schon eine Leistung.

In der Phase, in der die Band gerade steckt, ist es besonders wichtig, dass sie auf ihre Stärken setzen und an eventuellen Schwächen gezielt feilen. Mit „Pulse“ haben Manchester Snow einen eingängigen Indie-Song geschaffen – mit einer mitreißenden Hookline („Get up, get up“). Und was die Harmonien betrifft, bin ich immer froh, wenn sich eine Rockband traut, aus der altbewährten Drei-Akkorde-Zone zu bewegen. Produktionstechnisch haben sich Manchester Snow ebenfalls etwas überlegt und auf Abwechslung geachtet, z.B. durch einen Teil, in dem der Gesang nur von Bass und Handclaps begleitet wird, oder etwa den veränderten Schlagzeugrhythmus in den Takten direkt vor der letzten Refrainwiederholung.

Zartbitter wünscht Manchester Snow viel Glück bei ihrer Weiterentwicklung und wir sind gespannt auf ihr Debütalbum!

Unterstützt diese jungen österreichischen Musiker und kauft die Single „Pulse“, z.B. auf iTunes

Das Video zu „Pulse“ gibt’s auf YouTube zu sehen

von Elisabeth Kaplan

Heute geht es in meiner Österreich-Serie um das Wiener Pop-Duo Fijuka. Diese zwei Damen, Ankathie Koi (Gesang) und Judith Filimónova (Bass), haben sich an der Uni in Wien kennengelernt und haben Fijuka 2011 ins Leben gerufen. Sie beschreiben sich selbst als „synthie-pop-electronica minded band“, allerdings stelle ich mir unter der Bezeichnung etwas ganz anderes vor – nämlich eher den cleanen, digitalen Sound von Bands wie La Roux oder Chvrches. Fijuka, hingegen, klingt im Vergleich dazu sehr natürlich und warm, was der Verwendung von analogen Synth-Sounds und einem echten E-Bass zu verdanken ist. Was die Musik von Fijuka ausmacht ist für mich in erster Linie das Charisma und die Stimme von Ankathie Koi, zweitens die Synth-Sounds, und drittens der Bass.

Stimme
Hören wir erst mal auf die Stimme von Ankathie, die aus Burghausen an der bayerisch-österreichischen Grenze stammt und mit ihrer Darbietung den Geist von solch schrägen Pop-Damen wie Kate Bush, Elly Jackson, Feist, Imogen Heap oder Róisín Murphy beschwört. In den ätherischen Strophen von „Behave (From Now On)“, zum Beispiel, bietet sich ohne weiteres ein Vergleich mit Kate Bush an, während die rhythmischen Strophen von „Phantom Sentimental“ eine Ähnlichkeit mit „Bulletproof“ von La Roux haben. Und bei Fijuka stört mich der starke Akzent der Sängerin auch nicht. Das liegt, denke ich, am frechen, schrulligen Charakter der Musik, der Sängerin, des Gesamtkonzepts.

Ankathie Koi und Judith Filimónova sind Fijuka

Ankathie Koi und Judith Filimónova sind Fijuka

Ein starker Akzent bei SängerInnen, die sich der englischen Sprache bedienen, stört mich nur, wenn sie sich selbst zu ernst nehmen, oder wenn die Musik eindeutig darauf abzielt, amerikanisch oder englisch zu klingen. Ich kann aber einen Akzent durchaus akzeptieren, wenn er Teil eines ironischen oder experimentellen Konzeptes ist, oder wenn die Musik dezidiert Europa zuzuordnen ist. Der starke isländische Akzent von Björk, zum Beispiel, ist einfach ein integraler Bestandteil von ihrem gesamten Image und passt perfekt dazu. Außerdem überzeugt Ankathies selbstbewusste Performance und ihr Charisma. Man glaubt unweigerlich, dass es einfach so gehört, wie es ist. Ihre skurrilen Bewegungen im Video von „Behave (From Now On)“ sind einfach so schräg, dass man einfach hinschauen muss (abgesehen davon, dass ich diese bunten, schillernden Leggings haben muss!).

Synth
Fijuka verwenden klassische Synth-Sounds, die ihrer Musik ein eindeutiges Retro-Feeling verleihen. In ihren Live-Videos sieht man, dass Ankathie einen Roland RS-09 spielt, also einen Analog-Synthesizer, der 1979/80 auf den Markt kam und deswegen mit dem Sound der frühen Achtziger assoziiert wird. Aber ich glaube nicht, dass sich Fijuka mit einer Achtziger-Revival identifizieren, sondern eher dass die oft eher kitschigen Sounds des Roland eine logische Wahl sind für das spleenige Gesamtkonzept.

Fijuka experimentieren nicht nur gern mit Sounds der 80er Jahre, sondern auch mit dem passenden New Romantics-Makeup

Fijuka experimentieren nicht nur gern mit Sounds der 80er Jahre, sondern auch mit dem passenden
New Romantics-Makeup

Was Fijuka außerdem vom aktuellen Elektropop abhebt ist ihre vergleichsweise einfache Produktion. Während im Elektropop immer sehr viel los ist und viele verschiedene Ebenen und Sounds verschmelzen, beschränken sich Fijuka aufs Wesentliche, nämlich Vocals, Drums, Bass, Synth-Flächen für die harmonische Grundlage, und an ausgewählten Stellen melodische Synth-Lines. Und das war’s. Manche mögen das unter-produziert nennen, und wer weiß, ein guter Producer könnte vielleicht noch mehr aus den Songs rausholen, aber mir persönlich geht nichts ab.

 

Bass
Der Bass spielt bei Fijuka eine tragende Rolle, nicht nur weil Judith Filimónova, eine Hälfte des Duos, professionelle Bassistin ist. Dadurch, dass hier nicht ein ganzer Schwall an musikalischen Elementen um Aufmerksamkeit buhlt, kann man sich in aller Ruhe den einzelnen Bestandteilen widmen. Während die Hauptbasslinie in „Behave (From Now On)“ aus einer „Billie Jean“-artigen Achtelfigur besteht, ist der Bass in „Phantom Sentimental“ eher funky.

Videos
Die zwei Videos von Fijuka muss man sich einfach geben. Beide wurden von jungen Regisseuren gedreht und beide Male sind absolut professionelle Videos auf internationalem Niveau herausgekommen. In „Phantom Sentimental“ (Regie: Marie-Thérèse Zumtobel und Anselm Hartmann) werden Ankathie und Judith (wortwörtlich) wie Fleisch behandelt. Und das Video zu „Behave (From Now On)“ (Regie: Florian Pochlatko) ist einfach so exzentrisch und schrullig, dass ich es immer wieder gerne anschaue.

Video zu Phantom Sentimental auf YouTube
Video zu Behave (From Now On) auf YouTube

Alle, die in Salzburg und Umgebung wohnen: Fijuka spielen am 2. August im Rockhouse in Salzburg. Hingehen!

 

Österreich-Serie Teil 3 von Elisabeth Kaplan

Da ich es diesmal einfach nicht geschafft habe, einen einzigen Lieblingssong einer Band zu wählen, habe ich mich in Teil 3 meiner Österreich-Serie für einen allgemeineren Blick entschieden. Und zwar auf die Wiener Rockband Tyler.
Irgendwann 2010 wurde bei einer Sportsendung auf ServusTV ein Song gespielt, der mich gleich aufhorchen ließ. Dank Shazam konnte ich herausfinden, dass der Song „What’s Wrong“ hieß und von einer Band namens Tyler stammte. Die Musik klang für mich so dermaßen international, dass ich vollkommen baff war, als ich erfuhr, dass Tyler eine österreichische Band ist. Was mich beim ersten Hinhören an „What’s Wrong“ gefesselt hat, war der einfache, aber super wirkungsvolle Bassriff (siehe Notenbeispiel), der in der zweiten Hälfte des Intros durch eine druckvolle E-Gitarre gedoppelt wird. Genial finde ich dann auch, dass die Gesangsmelodie diese Basslinie nachahmt (sie beginnt auch mit den Tönen H – Cis – D). Das ist eine clevere Technik, um der Melodie Gewicht und Power zu geben. Jedenfalls war ich ab diesem Zeitpunkt Tyler-Fan.

Tyler Notenbeispiel

Qualität und Kreativität
„What’s Wrong“ stammt vom Debüt-Album der Band, „Don’t Play“ (2005). Meiner Meinung nach gehört dieses Album in die Mediathek jedes österreichischen Pop-Rock-Fans. Auf dem Album sind weitere sehr rockige bzw. grungige Songs wie „Separated“, „All My Weapons“, „Can’t Break Me“ oder „Any City“. Außerdem gibt es die funkige Nummer, „Wantcha“, und herrliche Rockballaden wie „Beautiful“, „Stay Awake“, „Hello“ und „Paper Maché Darts“.
Was die Songs von Tyler auszeichnet, ist ihre musikalische Originalität und Kreativität. In diesem Genre glauben ja viele Bands, dass Sie ihre schwachen/uninspirierten/eintönigen Melodien mit einer aufwändigen Produktion kaschieren können. Darum verdienen die Bands, die Wert auf die Qualität der Komposition legen, höchste Anerkennung. Songschreiber und Leadsänger Lukas Hillebrand setzt sogar Sext- und Quartsextakkorde (also z.B. C-Dur-Akkord mit Basston E bzw. G) ein! Ganz ehrlich, das beeindruckt mich.
Weiters zeichnen sich Tyler durch ihre hervorragende Produktion aus. Als Musikproduzent muss man viel Feingefühl besitzen, um zu wissen, was an welche Stelle gehört. Und es sind gerade die Kleinigkeiten, die den Unterschied ausmachen. Wenn man sich beispielsweise nur die ersten 20 Sekunden von „Separated“ genauer – und öfter – anhört, findet man viele kleine Elemente, die Excitement erzeugen. Und eben diese kunstvoll arrangierten Layers finde ich bei Tyler so großartig.

Tyler Press
Als dritten Punkt möchte ich die sängerische Leistung von Lukas Hillebrand hervorheben – der Typ kann einfach singen! Er hat Bandbreite, hat die nötige Rauheit bei den rockigen Nummern aber auch eine hauchzarte Kopfstimme, die er gezielt an den passenden Stellen einsetzt, und was Phrasierung anbelangt geht’s nicht besser. Das alles kriegt er hin und kommt trotzdem absolut unaffektiert rüber. Meine einzige Beschwerde bei Tyler ist, dass die Leadvocals im Mix ein bisschen untergehen, also dass die Stimme einfach insgesamt lauter sein sollte.

Ein österreichisches Schicksal
So, und jetzt der Hammerschlag: 2011 kam Tylers zweites Album, „Favourite Sin“, heraus, aber noch im selben Jahr löste sich die Band auf. Obwohl sie sogar ein bisschen Airplay auf Ö3 genoss, war sie letztendlich eines der vielen Opfer der österreichischen Medienlandschaft, die heimische Künstler in den letzten Jahren zu wenig bis gar nicht gefördert und unterstützt hat. Nach dem Motto „zu wenig poppig für Ö3, nicht alternativ genug für FM4“. Gerade in diesem Fall finde ich das unverzeihlich, und es ist für mich einfach traurig, wenn sich Qualität nicht durchsetzen kann. Die Mitglieder von Tyler, Lukas Hillebrand, Alex Pohn (Drums) und Peter Schönbauer (Bass) machen ohne Tyler zwar alles andere als Däumchen drehen – sie alle sind begehrte Songwriter/Produzenten/Musiker (zurzeit stark im Einsatz für Julian le Play). Trotzdem fehlt mir Tyler in der österreichischen Musiklandschaft. Bleibt den vielen Tyler-Fans nur zu hoffen, dass es mal einen Reunion-Gig geben wird.

Die englische Originalfassung dieses Beitrags gibt’s auf meinem persönlichen Blog zu lesen

Tyler auf iTunes zum Reinhören

Tyler auf YouTube zum Sehen und Hören

von Elisabeth Kaplan
Heute möchte ich über „Rather Be“ von Clean Bandit mit Gastsängerin Jess Glynne schreiben.Der Song stammt aus England und hat Europa bereits erobert. Vor einigen Wochen hat er auch in die Billboard Charts Einzug gehalten. Meiner Meinung nach ist der Song deswegen so einnehmend, weil er einem so vertraut vorkommt. „Rather Be“ ist ein Song, der zwar wenig Originelles bietet, dafür aber raffiniert verschiedene lemente kombiniert, die wir bereits kennen.

Anleihen aus vergangenen Jahrzehnten

Die Verwendung von Streichern, zum Beispiel, hat Tradition im Dance-Genre: denken wir nur an Siebziger-Jahre Disco-Hits wie die von Chic oder vom Soundtrack zu Saturday Night Fever. Andere Elemente erinnern an die Dancefloor-Hits der frühen Neunziger. Der Klavier-Riff, der im Refrain einsetzt (v.a. ab Minute 2:23; siehe dazu das Notenbeispiel) ist eindeutig inspiriert von den Klavier-Parts in z.B. „Vogue“ (1990) von Madonna oder „Finally“ (1991) von CeCe Peniston. Es gibt auch eine rhythmische Ähnlichkeit mit dem Synth-Orgel-Riff in „Gypsy Woman“ (1991) von Crystal Waters oder „What is Love?“ (1993) von Haddaway. Dazu kommt, dass ich unweigerlich an „No Limit“ (1993) von 2Unlimited denken muss, wenn ich den „No no no no no“-Hook in „Rather Be“ höre.

Notenbeispiel Rather be

 

Geschickt gewählte Stilmittel 

Beim Arrangement verwenden Clean Bandit weitere Stilmittel, die typisch für Dance-Nummern sind. Zum Beispiel, der Aufbau der Drums: Sie steigen um 0:34 mit einem simplen 4-to-the-Floor-Beat ein. Dann werden sie mit jedem Teil dichter und komplexer und gipfeln schließlich in der Hookline („No no no no no / No place I’d rather be“). Ein weiteres klassisches Stilmittel ist der Break um 2:52, bei dem alle Instrumente wegfallen und die Stimme alleine überbleibt – quasi als kurze Verschnaufpause bevor der Song wieder abhebt und den Refrain ein letztes Mal mit voller Power wiederholt. All diese Aspekte geben einem schon beim ersten Anhören ein Gefühl der Vertrautheit. Ein sehr cleverer Schachzug der Band.

Gelungener Crossover

Clean Bandit kombiniert also elektronische Musik mit klassischen Elementen, wobei der klassische Anteil von Track zu Track variiert. 2013 kam „Mozart’s House“, die Vorgänger-Single von „Rather Be“, heraus. Bei dieser faszinierend-schrägen Nummer spielen die Streicher eine wesentliche Rolle – ich finde, es klingt als hätte ein Streichquartett anno 1997 im Raum neben Daft Punk geprobt. Im Fall von „Rather Be“ ist aber die Rolle der Streicher so klein, dass der Song eigentlich auch ohne Streicher funktionieren würde. Der Riff wird zwar gleich zu Beginn von den Streichern vorgestellt, aber sobald die Stimme einsetzt, wird er bereits vom Synth übernommen. Danach werden die Streicher nur sehr dezent eingesetzt. Das ist für mich ein Pluspunkt. Meiner Meinung nach geht es oft daneben, wenn eine Band einfach aus Prinzip versucht ein gewisses Element auf Biegen und Brechen in eine Nummer hinein zu quetschen und dabei das Gesamtbild missachtet. Das richtige Augenmaß ist also essentiell, wenn ein „Fusion“-Konzept funktionieren soll.
Clean Bandit hat auch bei der Wahl der Synth-Klänge kluge Entscheidungen getroffen. Diese Sounds, die bei mir Assoziationen mit alten Atari-Spielen hervorrufen, erzeugen im Zusammenspiel einen Klangteppich, der einen effektiven Kontrast zu den Legato-Phrasen der Streicher und zu den geschmeidigen Vocals schafft.

Gut bei Stimme

Was die Vocals betrifft, freut es mich, dass aus Großbritannien wieder Sängerinnen mit vollen, warmen Stimmen kommen. In den späten Nullerjahren hat ja eher das nasale Klangideal den britischen Pop dominiert, doch derzeit scheint sich der Trend davon wegzubewegen.

Leichte Kost, im besten Sinn. Macht neugierig auf das demnächst erscheinende Album, „New Eyes“, das verspricht, den Deep House/Pop/Klassik-Crossover weiter auszuloten.

Die englische Originalversion gibt’s auf dem Blog von Elisabeth Kaplan:
www.elisabethkaplan.com/Blog/Entries/2014/5/17_Rather_Be_-_Clean_Bandit_feat._Jess_Glynne.html

Und hier ist das Video zu sehen:

Vorgestellt_Lieserl

Elisabeth Kaplan

Elisabeth Kaplan was born and raised in South Africa. After leaving school, she came to Austria as an au pair and stayed to study music. The mother of two is the singer of the Quadriga Consort, the “early music band”, whose latest CD, “On a Cold Winter’s Day”, is currently enjoying worldwide success.

Zartbitter: Your mother was a music teacher and your father a music professor at Rhodes University in Grahamstown, South Africa. Did you ever consider pursuing a career in a field other than music?

Elisabeth: Well, having parents who were music teachers meant that I was pretty much predestined to follow the same path. I worked as a teacher for a short time, but found that it just wasn’t for me. Still, I have no regrets. After all, if I hadn’t studied in Graz, I wouldn’t have met Nikolaus Newerkla, who later asked me if I wanted to become the voice of Quadriga Consort.

Zartbitter: You studied at the Mozarteum in Salzburg but left to carry on studying in Graz. Why did you switch from the internationally renowned Mozarteum in the city of Mozart to the less prestigious university?

Elisabeth: I enjoyed my time in Salzburg immensely, but felt that I needed a change after a few years. I just wanted to learn from different teachers, hear about different approaches, expand. It was never a matter of prestige for me.

Zartbitter: Jazz singing classes at university, lead singer in pop bands. When did you discover your love of early music? Is that something that comes with old age?

Vorgestellt_LieserlQuadriga

Quadriga

Elisabeth: I don’t love early music per se. What I love is good tunes, meaningful lyrics and great stories. I appreciate honest music that elicits an emotional response. That’s more important to me than scientific classifications or historically informed performance. For me, “authentic performance” has more to do with an “authentic interpretation” in the sense of finding that part of me that resonates deeply with the music and then expressing it, rather than with trying to imagine how someone might have played music hundreds of years ago.

Zartbitter: Your current album, “On a Cold Winter’s Day”, is doing well. How do you make early music speak to today’s audience?

Elisabeth: I hope that people sense the love and passion we put into our music. All music must speak either to the listener’s heart, head or feet. Some people primarily enjoy beat-based music that makes them feel like dancing. Others appreciate the intellectual aspect of music. And others want to be touched in their hearts. Quadriga fans belong mainly to this last group. Which isn’t to say that you won’t find your toes tapping and your head spinning at times!

Zartbitter: A personal question: You left South Africa in the early 90s, just before vast changes took place. Nelson Mandela went from prisoner to president during that time. How did his recent death make you feel?

Elisabeth: To be honest, I was surprised by just how shocked I was. Mandela was more than the father of a single nation – he was a global father. And for me personally, he will always remain an example of forgiveness and reconciliation.

Thanks for the interview. I wish you the best of success in the future.

Find out more about Quadriga Consort: www.quadriga-consort.com

Listen to excerpts of “On a Cold Winter’s Day” on iTunes: itunes.apple.com/de/album/on-cold-winters-day-early/id722486792

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Fotonachweis:

Quadriga: Jonas Niederstadt

Elisabeth: Laurenz Schiffermüller