Beiträge

Ein Beitrag von Alexandra Schmidt

„Bürger, lasst das Glotzen sein, kommt herunter, reiht euch ein!“ – ein oft skandierter Spruch in Deutschland bei den Anti-Vietnam und großen Friedens-Demonstrationen der 1970er Jahre. Zur Zeit gibt’s wieder viele Demos „gegen rechts“, dieser Tage in Linz zB. Kürzlich war eine riesige Demo gegen den Akademikerball in Wien, 7.800 friedliche und rund 200 image001[1]randalierende DemonstrantInnen – der sogenannte „schwarze Block“, gefürchtet, berüchtigt auf allen Demos: die Teilnehmenden sind vermummt und aggressiv, und nachher in den Berichten geht’s nur um sie. Jetzt planen Burschenschafter einen Aufmarsch in Wien in Reaktion auf die Akademikerball-Demo – aaaach, muss das sein? Stermann und Grissemann haben in „Willkommen Österreich“ den „goldenen Block“ angekündigt, der am diesjährigen Opernball IN der Oper gegen die Erhöhung der Sektsteuer demonstrieren wird – wir dürfen gespannt sein. In den 1980er Jahren war die Anti-Opernball-Demo VOR der Oper so was wie ein Pflichttermin für alle „gegen das Establishment“.

Es gab später viele regelmäßige Demos: Montagsdemonstrationen in der früheren DDR und dann gegen Stuttgart 21, bei uns Donnerstagsdemonstrationen ab dem Jahr 2000 gegen die schwarz-blaue Regierung. Im „arabischen Frühling“ haben regelmäßig Demonstrierende wertvolle Umbrüche in Richtung Demokratie in Gang gesetzt, dabei ihr Leben riskiert oder verloren und sind oft doch gescheitert. Aktuell gibt’s große Demos gegen Premier Erdogan in Istanbul. Mir hat mal wer erzählt, in der Nazi-Zeit sind in Wien die SteirerInnen am Sonntag in ihren Trachten mit „Lampas-Streifen“ am Ring spazieren gegangen, zum Zeichen ihres Widerstands. Es gab 1993 das Lichtermeer und zigtausende Jubelnde am 15.5.1955, als Leopold Figl sagte: „Österreich ist frei!“ Die Wiener SPÖ zeigt einmal im Jahr ihre Stärke und tausende und abertausende Mitglieder gehen von den Bezirken sternförmig auf den Rathausplatz.

Am 14. Februar gehen weltweit eine Milliarde für „One Billion Rising“ auf die Straße und tanzen gegen Gewalt an Frauen – auch in Salzburg übrigens (www.stadt-salzburg.at/frauen). Wenn sie was genug stört oder wenn sie was zeigen, „demonstrieren“ wollen, gehen Menschen also auf die Straße. Eine Wiener Donnerstagsdemonstrantin hat mir gesagt, es war pure Psychohygiene: Sie ging hin, weil sie dann einmal in der Woche laut schreien konnte. Interessante Sache, das Demonstrieren. Ein hohes staatsbürgerliches Recht bei uns in Österreich, leicht anzumelden und von der Polizei geschützt. Ich war nicht oft auf Demos – aber die paar Mal war’s ein zwiespältiges Gefühl – Teil einer Masse, mehr als nur ich als Individuum, sichtbar und unsichtbar zugleich, mutig exponiert-deklariert und doch geschützt von den Anderen, und Teil der Medienberichte, und doch auch irgendwie….Herdentrieb, mitlaufen, vereinnahmen lassen, klar: eine Bühne haben, eine Haltung zeigen (dürfen). Aber auch denen eine zusätzliche Bühne geben, gegen die eine Demo „geht“. Wer hätte den Akademikerball überhaupt bemerkt oder darüber berichtet ohne Gegendemo? Na ja, bisschen weniger „glotzen“ täte wohl wirklich vielen nicht schaden. Es muss ja nicht unbedingt „einreihen“ die Konsequenz sein…aber sehen wir uns am Freitag bei One Billion Rising Salzburg? Um zwei in der Linzer Gasse, an der Ecke Cornelius-Reitsamer-Platz – mit guter Musik und richtig lustbetont: Frauen, Männer, Kinder, Junge, Alte, RollifahrerInnen: unsere Körper sind toll und gehören nur uns!

…oder? Das fragt sich (und euch) ehrlich wahr, eure Xela

One Billion Rising 2013: http://zartbitter.co.at/allgemein/one-billion-rising/

Offene Briefe an die Regierung verlangen ein besseres Bildungssystem, bessere medizinische Versorgung, soziale Gerechtigkeit. Und besonders eines:die Abkehr vom Neoliberalismus.

Dies alles passiert in einem Land, das durch seine Bodenschätze, durch seine Agrarflächen autark sein könnte, würde nicht so viel Geld in Korruption versickern.

Als ich vor zwei Tagen meiner Freundin Ariane die Frage:“Also hat sich seit 15 Jahren nicht wirklich etwas geändert?“ stellte, bekam ich die Antwort:“Infelizmente nao(unglücklicherweise nicht)“!Karte Brasilien

Brasilien ist das Land, das wie ein leichtfüßiger Sambatänzer die wirklichen Probleme abstreifte und lieber direkt an die Welt anschloss, die Internet, TV, Facebook, Smartphones bot. Der Untergrund jedoch blieb ein sandiger, wie das Straßennetz, das ebenfalls auf Sand gebaut, ohne richtige Fundamentierung ein Schlagloch nach dem anderen bietet. So sieht auch die wirtschaftliche und politische Situation aus, notdürftig geflickt.

Man kann zwar per Internet und Einlogcode von zu Hause aus wählen, aber gewählt werden können auch Kandidaten, die als Präsident zehn Jahre zuvor mit den Rentenkassen nach Amerika flüchteten, dort die Verjährung abwarteten und dann eben wieder zurückkehrten, ohne dass man gegen sie vorgehen konnte.

Der Präsident/ die Präsidentin ist führend in einer Föderation von eigenständigen Staaten, und wenn die governadores nicht wollen, was von der Regierung vorgeschlagen wird, passiert gar nichts. So stehen die Probleme des Bildungssystems und der convenios (Krankenkassen) seit jeher an, ohne dass es Lösungen gibt. Es wurde die Sozialversicherung INCC eingeführt, die Menschen vertrauen den Versicherungen jedoch nicht mehr und wollen schwarz angestellt werden und den Arbeitgeberbetrag bar in die Hand bekommen.

Lehrer an öffentlichen Schulen unterrichten im Schnitt die doppelte Lehrverpflichtung an mehreren Schulen, da sie von einer Anstellung nicht leben können. So sieht auch die Ausbildung aus. Es entfallen im Schnitt die Hälfte der Unterrichtsstunden durch Abwesenheit der Lehrer.

Privilegiert sind die anderen, die an Privatschulen lehren. Sie haben kleine Unterrichtsgruppen, Bibliotheken mit Computern und Unterrichtsmaterialien. Der Druck auf sie ist allerdings groß- sie stehen unter Erfolgszwang.Flagge Brasilien

Diese Schulen kann sich kein Normalbürger leisten, sie werden besucht von Kindern aus Wirtschaft und Industrie oder Großgrundbesitzern, die in bewachten Bollwerken wohnen, aus Angst vor Überfällen oder Entführungen.

Die medizinische Versorgung entspricht von den Kenntnissen her absolut europäischem Level, ja, in manchen Bereichen sind die Ärzte wesentlich besser, können sie doch durch die Häufigkeit gewisser Operationen bei der Größe der Population wesentlich mehr Praxis vorweisen.

Hier gibt es jedoch ebenfalls Privatkrankenhäuser und öffentliche, in die wir Europäer nicht gehen würden. Es fehlt diesen an Apparaten, Pflegepersonal, am Notwendigsten.

Nirgends hatten internationale Firmen und amerikanische Großkonzerne einen so fruchtbaren Nährboden wie in Brasilien, das aus der „terceiro mundo“ in die Erste Welt aufsteigen wollte, ohne aber sein Volk mitzunehmen. Plakate in Rio waren daher auch beschriftet:“Man wollte in die erste Welt, hat aber vergessen einen funktionierenden Staat dazu aufzubauen.“brita

Wenn Dilma Roussef nun die Erträge aus den Ölvorkommnissen dem Volk und den Reformmaßnahmen zur Verfügung stellen kann, sieht man, welcher Reichtum in Wirklichkeit in diesem Land vorhanden ist. Er wird bisher in die falschen Kanäle geleitet.

Das brasilianische Volk ist pazifistisch, ein beliebter Ausspruch ist “ Sou de paz (ich bin für Frieden)“, ja es ist sogar gottesergeben gewesen. In den letzten sieben Tagen, die als zukunftsweisend gesehen werden und am 1. Juli im ersten Generalstreik in Brasilien ihren Höhepunkt finden, hat sich viel geändert unter dem Kampfesruf “ Vem pra rua ( komm auf die Straße)!“

Brasilien ist durchaus am Puls der Zeit. Es war seit 20 Jahren vorhersehbar, dass das alte Wirtschaftssystem, mehrmals notdürftig geflickt, weltweit nicht haltbar sein wird. Ich frage mich, was die Ultrareichen mit ihren Milliarden und Millionen wollen, wenn hier auf der Erde alles drunter und drüber geht? Wollen sie sich zum Mond ausfliegen lassen?

 

Ich bin schockiert über die Nachrichten und Bilder aus Istanbul und anderen türkischen Städten. Was als Demonstration für das letzte Stückchen Grün in Taksim begonnen hat, wächst zu einer großen gegen die Regierung an. Ich habe schon einige Demos in Istanbul erlebt. 1996 und 1997 sind mir die Mütter in Erinnerung, die jeden Samstag vor dem Galatasaray Gymnasium saßen und die Bilder ihrer in Ostanatolien vermissten Kinder hochhielten. Ein stiller aber hartnäckiger Protest, immer flankiert von schwer bewaffneten Polizisten. Anfang der 2000er Jahre erlebte ich wütende Proteste streng Gläubiger als es um die Verlängerung der Schulpflicht ging. Das Beste war immer in einer Seitenstraße zu verschwinden, denn man wusste nie, ob es eskaliert. demo in wien

Jetzt ist es eskaliert. Viele junge Menschen, auch Bekannte von mir sind darunter und Menschen, die eigentlich viel zu verlieren haben, etwa Lehrer und Anwältinnen. Es ist der Protest gegen eine demokratisch gewählte Regierung, die in den letzten Jahren trotz Reformen doch immer mehr versucht die Freiheit des Einzelnen zu beschränken. Und die Reaktion der Regierung ist nicht angemessen, trängengasgeschwängerte Luft, Knüppel auf Menschen, Wasserwerfer, zensierte Medien. Demokratie lebt auch und besonders von der freien Meinungsäußerung. Demokratie lebt davon, dass alle Menschen ihr Leben nach ihrem Willen leben können. Demokratie lebt davon, dass gewählte Regierungen auch innehalten, nachdenken und Proteste ernstnehmen. Das passiert in der Türkei gerade nicht. Weltweit haben sich Menschen spontan zu Solidaritätskundgebungen zusammengefunden. Auch in Wien sind an die 2000 Menschen auf der Straße.

Möge die blutige Auseinandersetzung bald einem vernünftigen Miteinander weichen und die Demokratie gestärkt daraus hervorgehen.

http://occupygezipics.tumblr.com/