Im Gespräch mit Gabriele Paulsen über Erotik im Alter
Sex und Erotik für ältere oder immobile Menschen ist oft noch ein Tabu. Wir treffen Gabriele Paulsen zum Gespräch. Sie ist Geschäftsführerin von Nessita, eine Organisation, die sexuelle Assistenz vermittelt.
zartbitter: Wieso haben viele Menschen so ein Problem offen mit Sex und Erotik im Alter umzugehen?
Gabriele: Sexualität steht für Intimität. Wir Menschen sind in diesem Bereich berührbar und sehr verletzlich. Sie wird aber auch mit Jugend und Attraktivität gleichgesetzt. Meist wird das erotische Gedankengut der älteren Generation schlicht abgesprochen. Gesellschaftliche Normen machen Erotik und Alter zum doppelten Tabu, leider!
zartbitter: Können Demenzkranke auch Sex haben?
Gabriele: Natürlich. Entscheidend ist hier die Einwilligungsfähigkeit. Ein Nein ist ein Nein. Menschen mit Demenz leben im Moment und da ist keiner wie der andere. Wir erfahren häufig eine ganz große Sehnsucht nach Nähe, vor allem nach Ruhe und Kuscheln. Unsere Nessitas erspüren auch bei nonverbaler Kommunikation, den Wunsch nach Körperlichkeit.
zartbitter: Was macht eine Sexualassistenz wirklich?
Gabriele: Auf emphatische Weise kommt es in der Begegnung (wenn gewünscht) zu gemeinsamer Nacktheit und erotischer Berührung. Es geht um Zweisamkeit, Zärtlichkeit und intime Nähe. So ein Treffen lässt sich aber auch nicht standardisieren. Nur wenige Sexualassistenten stimmen dem penetrativen Sex zu. Bei Nessita ist dieser, genau wie Oralverkehr und Zungenküsse ausgeschlossen. Das wichtige zu Motivation und Intention einer Sexualassistentin: Sie erkennen und achten die eigenen Grenzen und die Ihrer Klienten.
zartbitter: Was bietet dein Unternehmen Nessita noch an?
Gabriele: In den vergangenen zwei Jahren seit der Gründung wurde ein großer Beratungsbedarf deutlich. Das gilt für alle drei Zielgruppen von Nessita. Also den Klienten, deren Angehörige und/ oder gesetzliche Betreuer und vor allem den Vermittlern, wie Einrichtungsleitungen oder Pflegedienstleistungen ambulanter Dienste. Hier gibt es viel Unsicherheit und auch Angst im Umgang mit den ganz normalen Bedürfnissen der Bewohner/ Klienten. Die Sorge, etwas nicht richtig zu machen, ist in der Pflege stark ausgeprägt. In diesem Fall macht eine Ethikkommission Sinn, um Verantwortung auf mehrere Schultern zu verteilen. Ich unterstütze die Leitungsebene, sich im Coaching für das Thema zu öffnen, trainiere Pflegekräfte bei der Gesprächsführung, indem ich versuche die (Be)Wertung von schambehafteten Situationen zu erkennen und dann professionell zu bewältigen. Oft geht es dabei auch um die eigene sexuelle Sozialisation und da braucht es die Bereitschaft, sich auf den Prozess einzulassen.
Fotos: Gabriele Paulsen