Interessantes zum Thema Kultur

Dieses Jahr ist das Jahr zweier großer Remakes. Das erste davon lief Ende August an: Ben Hur. Der Film gilt jetzt schon als kapitaler Flop – mit über 100 Millionen Dollar Verlust. Warum? Vielleicht weil es an zugkräftigen Stars fehlte.

Wenn es danach geht, dann müsste Die glorreichen Sieben ein Riesenerfolg werden. Die Rollen der sieben Helden sind prominent besetzt – und zwar nicht nur mit beliebten Schauspielern aus den USA, sondern auch aus Mexico und Vietnam. Wie vielversprechend!

Worum gehts?

Ein kleines Dorf wird vom eiskalten Geschäftemacher Bogue und seinem mörderischen Gefolge tyrannisiert. Eine junge Witwe, deren Ehemann von Bogue umgebracht wurde, bittet einen Kopfgeldjäger um Hilfe. Der Kopfgeldjäger stellt eine Truppe an Scharfschützen, Revolverhelden und Outcasts zusammen, um das Dorf von der Tyrannei zu befreien.

Die Story ist also in Grundzügen diesselbe wie im Western-Klassiker aus 1960. Damals war es ein mexikanisches Dorf, das von sieben Männern befreit wird – weißen Männern. Doch der weiße Mann als Retter – das war vielleicht 1960 ok. 2016 kann man das nicht mehr bringen. Darum bringt Neuverfilmung der Glorreichen Sieben eine Besetzung zusammen, die jedem Ruf nach mehr Diversität in Hollywoodfilmen gerecht wird.

Viele Chancen für einen interessanten Film

Ein schwarzer Kopfgeldjäger [Denzel Washington] ist der Anführer der Truppe. Mit dabei sind: Ein Spieler [Chris Pratt], ein traumatisierter Scharfschütze aus den Südstaaten [Ethan Hawke], ein Fährtenleser [Vincent D’Onofrio], ein messerwerfender Auftragskiller [Byung-hun Lee – ein Star in seiner Heimat Vietnam und auch in Hollywood kein Unbekannter], ein Soldat [Manuel Garcia-Rulfo – aus Mexico] und ein Cherokee Meister-Bogenschütze [Martin Sensmeier – trotz deutschen Namens ein Native American].
Was für eine Ausgangslage für einen Film. Perfekt, um völlig neue Perspektiven und Themen in die Geschichte einzubringen.

Es ist ja nicht nötig, gleich stundenlang die Befindlichkeiten der Nation und die Verhältnisse zwischen, Norden, Süden, Schwarzen, Weißen, Mexikanern oder sonstwas auszubreiten. Das hatten wir gerade in Quentin Tarantinos The Hateful Eight – vielleicht sogar ein bisschen zu viel davon. Was es bedeutet eine solche unterschiedliche Gruppe von Männern für eine so schwierige Aufgabe zusammenzuführen hat die Autoren ganz offenbar nicht interessiert. Eine vertane Chance.

Es ist aber nicht nur die Diversität, mit der der Film nichts anzufangen weiß. Jeder einzelne der Protagonisten hat seine Geschichte. Doch die bekommen wir nur andeutungsweise präsentiert und die Charaktere erhalten keine Tiefe. Es entstehen auch keine Dynamiken und Beziehungen zwischen Figuren. Wie soll sich da das Publikum mit irgendwelchen Charakteren identifizieren? Hier kann man nicht einmal von einer verpassten Chance reden. Es wird hier ein Mindestbedürfnis des Publikums nicht erfüllt. Ärgerlich, denn das Talent der Schauspieler ist dadurch völlig vergeudet.

Oh, es gibt auch eine Frauenrolle. Die junge Witwe [Hayley Bennett], die sich überhaupt traute, jemanden anzuheuern, um den Ausbeuter Bogue zu vertreiben. Sie ist kein schwaches Frauchen, das von einem Mann beschützt werden muss. Sie ist selbstbewusst, mutig, kann mit einem Gewehr gut umgehen und hätte mit der angeheuerten Truppe gut mithalten können. Doch stattdessen wird sie zuerst in eine Bluse gesteckt, die genügend Schultern und Ausschnitt zeigt. Wenn es dann um die Männersache geht, muss sie völlig in den Hintergrund weichen. Später kommt ihr Beitrag zum Finale wie aus dem Nichts. Ob ich wohl der einzige war, der schon fast vergessen hatte, dass sie auch noch da ist? Wieder eine Chance ungenutzt: Es wäre leicht gewesen hier eine im Ansatz gute Frauenrolle auch voll auszubauen. Aber das ist offenbar ein Männerfilm. Bleibt also nur die Rolle als Aufputz mit Ausschnitt.

Bleibt noch der Gegenspieler: Bogue [Peter Sarsgaard]. Was soll ich sagen? Irgendwie ein beliebiger Copy-and-Paste-Bösewicht. Er tut alles, um sich unsympathisch genug zu machen, sodass wir seine Bestrafung wollen. Mehr nicht.

Ehrlich gesagt wurde mir im Kino ein bisschen langweilig. Die Handlung nimmt ihren erwartbaren Lauf. Auch wenn man die Version von 1960 [oder das Original, den japanischen Film Die sieben Samurai] nicht gesehen hat, gibt es nichts Überraschendes. Absolut gar nichts. Und es gibt nichts, das dieser Western dem heutigen Publikum mitteilen möchte. Die Action mit manchmal endlosen Schießereien, Kämpfen und Explosionen kann nicht von den offensichtlichen Mängeln des Films ablenken.

Ein gutes Haar

Chris Pratt mochte ich schon bevor er vom lustigen Pummel zum durchtrainierten Hollywood-Schwarm mutierte. Und auch in Die glorreichen Sieben rettet er den Film, indem er nicht nur cool die Augen zusammenkneifend in die Ferne blicken darf. Er ist der Spieler, der mit seinen Taschentricks geschickt ablenkt und das Überraschungsmoment nutzt, um zuzuschlagen. Damit sorgt er für die einzigen Augenblicke, die mir echtes Vergnügen bereiteten. Wenigstens dürfen sich seine Fans ein bisschen freuen.

Als Film hätte Die glorreichen Sieben es verdient, der zweite große Remake-Flop des Jahres zu werden. Ich denke, das wird aufgrund der Zugkraft der Namen nicht passieren.

Meine Bewertung auf IMDB: 6 Punkte
Wer Western im Allgemeinen und einen der Schauspieler mag, hat einen Grund sich den Film anzusehen. Trotz kulturell diverser Besetzung gibt es aber nichts auch nur ansatzweise Interessantes oder Neues, sondern ist ein Western nach Schema F. Das Drehbuch hätte nicht mehr als 4 Punkte verdient. Die 6 Punkte gibt es einzig für die guten Schauspieler.

[Vorschaubild: Public Domain, Lizenz: https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/legalcode]

von Rochus Gratzfeld

 

Salzburg ist eine Stadt menschlicher Vielfalt.

Nein, nicht Paris, London oder New York.

Viel kleiner, viel dichter.

Aber dennoch.

Salzburg ist Menschenstadt.

Es sind die Menschen, die diese Stadt prägen.

Es sind deren unterschiedliche Kulturen, die Salzburg VIELmachen.

Die Erstarrung verhindern.

Es ist gerade die JUGENDsalzburgs, die für Zukunft jenseits von Museumsbeschaulichkeit sorgt.

Es sind in jüngster Zeit Geflüchtete vor der Zeit, die die ZEITsalzburgs verändern.

Die SalzburgVORANtreiben. Lassen wir zu!

Ich habe Menschen entlang der Salzach fotografiert.

Komprimiert zwischen wenigen Brücken.

MenschenBILDER geschaffen, die VIELsalzburg repräsentieren.

MögeVIEL. MEHRwerden. NichtWENIGER.

Mögen die Lebendigerfrorenen auftauen.

Gestern bleibt immer gestern.




Rochus Gratzfeld, Honorardozent an der Universität Salzburg, Freischaffender Künstler und Autor. lebt und wirkt in Salzburg und Sarród (HU).

Zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland. Autor/ Herausgeber von MULTI-KULTI. LEBEN IN ELISABETH VORSTADT, Eigenverlag, und VIELFALT. BEREICHERUNG ODER BEDROHUNG, Edition Tandem.

sonderwünsche, grauslichkeiten, nerven aus stahl

weil die urlaubszeit langsam zu ende geht, hier ein lesetipp für reiseabenteuer im kopf: die „hotel stories“ von robert pimm.

ich bin noch nie in einem fünf-sterne-hotel abgestiegen, würde aber gerne einmal drei stunden in der lobby sitzen und schauen, wer dort wie ein- und ausgeht und was die leute dort so wollen.

dank der „hotel stories“ geht das jetzt. erzählt aus der sicht einer hotelmanagerin und ihrer assistentin, beide bedingungslos und wohl auch gnadenlos freundlich weiß ich nun, wie eine lobby auszuschauen hat. neben einer 30-meter wasser-installation und einer sushi-bar mit stern erkennen die beiden an der rezeption jeden gast und sein bedürfnis sofort – unglaublich, wie cool sie bleiben, wenn es richtig brenzlig wird.

ob verbotenes essen serviert werden soll, ob ein politiker verbotenen besuch aufs zimmer bestellt haben will oder ob sich jemand in der bar so richtig daneben benimmt: die beiden verlieren nie die geduld, nie ihr lächeln und nie ihre fassung.

hotel stories ausschnitt

kotzbrocken im kopfkino

ein paar typen in den geschichten sind wirklich kotzbrocken, nur: die grauslichkeiten sind nur so weit angedeutet, dass mein kopfkino anspringt. erwischt! ein schmieriger mann wirft mit geld um sich und mit übergriffigen beleidigungen? die immer grantige sushi-köchin wetzt ihre japanischen messer? schon ziehen bilder auf in meinem hirn, wie das enden wird. oder enden soll.

es ist doch so: die schrecklichsten szenen, die ärgsten zuschreibungen und die miesesten charaktere entstehen immer noch im eigenen hirn. robert pimm ist brite und damit sowieso qua geburt meister der unzweideutigen andeutungen, ohne dass er selbst schmutzige worte gebrauchen muss. „unangemessen“ ist noch das deutlichste, es kommt oft vor. und ja: die typen bekommen, was sie verdienen. jedenfalls in meinem kopf.

ich buche auch zukünftig kein 5-sterne-zimmer – die „hotel stories“ ersparen einem so einen haufen geld. dass sie auf englisch sind, verstärkt das urlaubsfeeling noch.

für alle nur-echte-bücher-lesende hier noch die schlechte nachricht: die „hotel stories“ gibt es bisher nur als e-books. dafür sind sie unvergleichlich billig, und je mehr downloads, desto eher gibt es eine print-version.

also los und gute reise: zu den hotel stories von robert pimm

Es ist schwer, sich Suicide Squad vorbehaltlos anzusehen. Und noch schwerer ist es, darüber zu schreiben. Denn die Gefahr ist groß nur zu wiederholen, was Fans und Kritiker ohnehin schon tausendfach darüber gesagt haben. Immerhin ist der Film schon Anfang August in den USA angelaufen. Es war fast unmöglich zu ignorieren, dass dieser Film von der Kritik vernichtet wurde.

Dabei begann alles so verheißungsvoll: Als vor einem Jahr der erste Comicon Trailer lief, war ich aufgeregt. Eine Truppe von Bösewichten aus den DC Comics kämpft gemeinsam. Visuell sah es großartig aus. Die größte Aufmerksamkeit hatten eindeutig die Ausschnitte mit Jared Leto als Joker. Ein völlig neuer Joker, der weder Jack Nicholson noch Heath Ledger nacheifert.

Plötzliche Planänderung

Düster war er, dieser Trailer. Das passte allgemein zum DC Filmuniversum. Die Ernstheit und Düsternis dieser Filme kann man mögen oder auch nicht – zumindest zog sich diese Stimmung konsequent durch alle DC Comic-Verfilmungen. Doch dann wurde es Frühjahr 2016 – und plötzlich wurde im neuen Trailer alles bunt und die Anti-Helden lieferten einen markigen Spruch nach dem anderen ab.  War das derselbe Film, der hier beworben wurde? Man sagt: Nein. Batman v Superman war beim Publikum ein Reinfall  (die Einnahmen betrugen trotzdem über 700 Millionen Dollar). Zu düster und zu aufgeblasen. Warner wollte diesen Fehler bei Suicide Squad nicht mehr begehen und drehte fleißig Szenen nach. So heißt es zumindest.

Über die Handlung von Suicide Squad lasse ich am besten den Trailer sprechen [seht den Trailer an oder scrollt runter und lest weiter].

DC Comic Fans haben mit Suicide Squad ihre Probleme. Ich kenne die DC Comics nicht, darum fallen mir Abweichungen nicht auf und stören mich auch nicht. Ich wollte einfach einen Film lang Spaß und Action – ohne viel Hirn. Aber Suicide Squad macht es einem da nicht einfach.

Auffällige Schwächen

Die Einstieg ist holprig mit wenig überzeugenden Back-Stories unserer Anti-Helden. Die Hintergrundgeschichten erzählt der Film durch viel Exposition – praktisch alles wird von Viola Davis in einer laaangen Abendessen-Szene ausgebreitet, anstatt dass der Film die Geschichten in Bildern erzählt. Wie langweilig. Und gleichzeitig eine Vergeudung einer hervorragenden Schauspielerin, die trotz starker Präsenz in dieser Rolle einfach nicht so fasziniert, wie sie es sollte.

Das nächste, was ich einfach nicht wegblenden konnte, war der nervige Soundtrack. Warner versuchte hier offenbar, etwas zu kopieren, was viel zum Erfolg der Marvel Comics-Verfilmung Guardians of the Galaxy beitrug: ein Soundtrack voller kultiger Pop/Rock-Klassiker. Bei Guardians war die Musik jedoch ganz klar Teil des Gesamtkonzepts für den Film. Bei Suicide Squad wirkt es so, als wären die Songs beliebig. Nach knapp der Hälfte ist dann eigentliche Original-Filmmusik zu hören. Dadurch änderte sich die Atmosphäre des Films. Das tat zwar gut, aber ich fragte mich umso mehr: Wozu waren all die Pop-Songs vorher gut?

An den einzelnen Figuren haben Fans der Comics viel auszusetzen. Was mich am meisten irritierte: Ein Mitglied des Suicide Squad, Boomerang, hat praktisch keine Aufgabe im ganzen Film. Wäre er nicht in der Story, wäre der Film genau derselbe. Nur kürzer. Von Boomerang habe mir auch gar nichts gemerkt. Außer, dass er Australier ist. Boomerang. Ihr wisst schon …

Der Bösewicht der Geschichte ist Enchantress. Die ersten Auftritte der jahrtausendealten Hexe sind ganz beeindruckend. Die Verwandlung der Forscherin June Moone zu Enchantress [Cara Delevingne] ist visuell wirklich schön umgesetzt – es ist dabei nur ihre Hand zu sehen. Ich war beeindruckt. Was hatten die Kritiker bloß gegen diese Figur. Ah ja: später ändert Enchantress plötzlich ihr Aussehen. Sie sieht dann aus, wie die vom Dämon Zuul besessene Sigorney Weaver aus Ghostbusters – nur dass sie wirklich seltsame schlangenhafte Tanzverrenkungen ausführt, die sehr davon ablenken, was sie eigentlich tut. Angeblich baut sie eine Maschine. Diese Maschine sieht ebenfalls aus, wie aus dem 80er Ghostbusters Film. Es blitzt und ein Haufen Schrott wirbelt herum. Also, ich hab weder die Maschine verstanden, noch den Grund, warum sie mit diesem Ding die Menschheit auslöschen will. Wenn man nachdenkt, dann ist es sinnlos für das tausende Jahre alte Überwesen, die Menschen auszulöschen, wenn sie sich doch deren Anbetung wünscht.

Bitches be crazy - auf Harley Quinn [Margot Robbie] trifft das auf jeden Fall zu

Bitches be crazy – auf Harley Quinn [Margot Robbie] trifft das auf jeden Fall zu

Ein gutes Haar

Ich dachte nicht, dass ich je so einen Satz schreiben würde: Ein Lichtblick ist Will Smith. Sein Deadshot, der gefährliche Auftragskiller, ist taff, charismatisch und überzeugend. Harley Quinn ist frech, verführerisch, gefährlich und psychopathisch. Über weite Strecken bringt Margot Robbie diese Figur gut rüber. Nur wenn sie markige One-Liner von sich geben muss, die dem Film mehr Humor verleihen sollten, dann gehen die Witze irgendwie daneben – völlig unüberzeugend und völlig unlustig. Außerdem suggeriert der Film, dass sie sich in Wahrheit nach einem ganz normalen, kleinbürgerlichen Familienglück mit dem Joker als Ehemann und Vater ihrer Kinder sehnt? Das glaube ich nicht, denn die clowneske Kratzbürste ist völlig durchgeknallt und hat echten Spaß dran, Leuten weh zu tun. Sie würde eher davon träumen, gemeinsam mit dem Joker in eine Menschenmenge zu schießen oder Leuten, deren Gesicht ihr nicht passt, mit einem Baseballschläger den Schädel einzuschlagen. Das wäre zwar nicht so liebenswert, aber dafür passend zur Figur. Ansonsten macht es richtig Spaß, Margot Robbie zuzusehen, wie sie Harley Quinn mit Lust spielt.

Der einzige, der aber überzeugend gegen Enchantress im Showdown antreten kann ist Diablo [Jay Hernandez] – wo Deadshot gut mit Schusswaffen umgeht und Harley Quinn ihren Holzhammer schwingt, besitzt er eine echte Superkraft. Er ist ein lebender Flammenwerfer. Dieser düstere Anti-Held hätte es vorgezogen, weiterhin weggesperrt zu leben und für seine Taten zu büßen. Mit einer Figur wie dieser in der Geschichte wird klar, dass eine düstere Atmosphäre für Suicide Squad genauso passend gewesen wäre wie zum Beispiel für Christopher Norlans Batman-Filme. Bunt und poppig mag bei Jugendlichen besser ziehen. Aber es wird dadurch sicher kein besserer Film.

Meine Bewertung auf IMDB: 6 Punkte

Harley Quinn bläst immer lässig Kaugummiblasen und lässt diese schnalzend zerplatzen. Insgesamt wirkt der Film ein bisschen wie Harleys Kaugummi: Ziemlich ausgelutscht, zieht sich und ist trotzdem aufgeblasen. Am Ende gibts einen kleinen Schnalzer, aber der regt auch niemanden auf.

The Bronx in den 70er Jahren. In meiner Wahrnehmung als Teenager im Dörfli nahe der beschaulichen Mozartstadt Salzburg überlebte man in den Straßen der Bronx keine zehn Minuten – so gefährlich war das. In der Schule haben wir uns den Film Fort Apache, the Bronx mit Paul Newman angesehen. Da erschoss eine Straßenprostituierte gleich in den ersten Minuten zwei Cops. Und ein hysterischer Transvestit wollte sich wenige Minuten später vom Dach stürzen. Also, Leute und Zustände waren das. Für ein Landkind wie mich einfach unvorstellbar. Aber: Ich wusste, wie es in der South Bronx zugeht. Davon war ich überzeugt.

The Get Down spielt 1977 in diesem heruntergekommenen Stadtteil New Yorks – der South Bronx. Schutt und Abrissbuden überall – das Ghetto der Schwarzen und Latino-Bevölkerung New Yorks. Sie haben miese Wohnungen, miese Bildung, miese Jobs oder sind kriminell. Und sie haben ihre Subkultur, die bis vor kurzem noch Disco hieß. Disco war inzwischen im Mainstream angekommen. Die Bee Gees hatten diese Underground-Kultur bei der weißen Mittelschicht salonfähig gemacht und damit sowohl ihren Höhepunkt als auch ihren Niedergang bereitet. Doch, immer einen Schritt voraus, war die Underground-Szene der Schwarzen und Latinos ohnehin bereits dabei, aus dem Disco heraus etwas völlig Neues zu entwickeln: den Hip-Hop.

Grandmaster Flash und Shaolin Fantastic am Beginn der DJ- und Hiphop-Kultur – hier treffen fiktive und reale Personen aufeinander

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Worum gehts?

Die Geschichte verfolgt den Werdegang von Ezekiel [Justice Smith] – einem begabten Schüler, der nach dem Tod seiner Eltern bei seiner Tante und deren Freund aufwächst. Doch wer klug ist, hat keine Street Cred. Gute Noten, Auszeichnungen für Gedichte – das ist doch „voll schwul“. Ezekiel gibt sich Mühe, dadurch nicht im Ansehen seiner Freunde zu sinken.
Er hat ein Talent mit Worten umzugehen, Geschichten zu erzählen – und zwar in Reimen. Das sollte ihm in einer neu entstehenden Subkultur Ruhm einbringen. Ezekiel begegnet dem enigmatischen Shaolin Fantastic [Shameik Moore], ein Protegé des Ur-Hip-Hoppers Grandmaster Flash [mit geheimnisvoller Aura dargestellt von Mamoudou Mathie]. Durch ihn lernt Ezekiel, sein Talent als Wordsmith (Rapper) auszuleben. Reime zu schmieden wird plötzlich zur coolen Sache.

Ezekiel liebt Mylene [Herizen F. Guardiola]. Sie ist die Tochter eines Pastors [fabelhaft wie immer Giancarlo Esposito], der seine Familie mit äußerster Strenge regiert. Mylene hat eine wunderschöne Stimme und will nur singen – und zwar nicht nur Kirchenlieder für die Gemeinde ihres bigott-despotischen Vaters, sondern Disco. Sie hat das Zeug, den Willen – und Onkel [dein freundlich-bedrohlicher Gangsterboss/Bezirkspolitiker Jimmy Smits], der sie in ihrem Vorhaben voll unterstützt. Wird Ezekiel ihrer Karriere nur im Weg stehen?

Mylene und Ezekiel – sie wollen raus aus der Bronx

Mylene und Ezekiel – sie wollen raus aus der Bronx

Groß aufgefahren

Netflix hat an nichts gespart: Nach Stranger Things [lest hier unseren Beitrag zu der Serie] hat The Get Down durchgehend Spielfilmqualität und vermeidet eine episodenhafte Geschichte. Erdacht wurde sie vom erfolgreichen australischen Regisseur Baz Luhrman, der bei der ersten Folge sogar Regie geführt hat. Diese hebt sich auch vom Rest der Serie ab. Ob das jetzt Gutes oder Schlechtes bedeutet, ist wohl Geschmackssache. Luhrman ist ja bekannt dafür, dass er es gern übertreibt – wer Romeo and Juliet, Moulin Rouge oder The Great Gatsby gesehen hat, weiß, was damit gemeint ist. An manchen Stellen gerät die erste Folge etwas zu revuehaft und surreal. Trotzdem bietet sie den richtigen Anreiz, an der Serie dranzubleiben.

Eine Serie mit Charakter(en)

Visuelles dahingestellt – was wirklich zählt sind die Geschichte und deren Figuren. Ich bin begeistert, wie viele gute Rollen es gibt und wie großartig diese besetzt sind. Selbst der als Schauspieler schwächere Jaden Smith, Sohn von Will Smith, ist entsprechend seinen Fähigkeiten gut eingesetzt.

Die Story ist zwar um Ezekiel und Mylene herum aufgebaut, aber viele Nebenfiguren, ihre Freunde, Familien oder die Gangster, sind genauso interessant gezeichnet – sogar fast noch facettenreicher als die beiden Protagonisten. Dass Ezekiel und Mylene etwas brav wirken ist sicher kein Versehen. Ich habe das als Teil des Konzepts verstanden. Während die Geschichte von Ezekiel und Mylene gerade so am Seifenopernhaften vorbeischrammt, bilden die anderen als realistischere Charaktere den Rahmen, welcher der Serie Authentizität verleiht.

Gangster und Disco King – eine unter vielen schillernden Figuren: Cadillac – groovy, verrückt und bedrohlich gespielt von Yahya Abdul-Mateen II

Gangster und Disco King – eine unter vielen schillernden Figuren: Cadillac – groovy, verrückt und bedrohlich gespielt von Yahya Abdul-Mateen II

Aus den vielen herausragenden Leistungen ist es fast ungerecht, eine Figur besonders hervorzuheben. Doch Shaolin Fantastic verdient eine eigene Erwähnung. Er ist in der ersten Folge eine fast schon mystische Gestalt – ein Sprayer, den alle bewundern. Wenn er auftaucht, dann wird das begleitet von chinesischen Klängen, und er legt immer einen Auftritt mit smoothen Kung Fu-Moves hin. Er scheint dabei auch die Gesetze der Schwerkraft zu überwinden. In Wahrheit ist jedoch nur ein ganz normaler junger schwarzer Mann, wie alle anderen auch. Er ist einerseits Begleiter und gleichzeitig Gegenpart zu Ezekiel. Beide verbindet die Musik. Doch wo Ezekiel danach strebt, das Ghetto zu verlassen, scheint Shaolin ganz in die fast schon vorbestimmte kriminelle Bahn abzurutschen.

Warum ihr das unbedingt sehen sollt

The Get Down ist großartige Unterhaltung. Geschichte und Umsetzung werden nicht in jedem Detail alle Geschmäcker oder Erwartungen zufriedenstellen. Aber es lebt von der großartigen Besetzung und der Vielfalt schillernder und interessanter Charaktere – und das vor dem Hintergrund der Entstehung einer Underground-Szene, deren Einfluss noch heute unsere Musik prägt.

Meine Bewertung auf IMDB: 9 von 10 Punkten

Zehn. Normalerweise gebe ich bei meinen Kino- und Serien-Berichten erst ganz zum Schluss meine Bewertung ab. Aber heute muss ich gleich am Anfang damit herausplatzen: Stranger Things bekommt 10 von 10 Punkten. Ganz eindeutig.

Die Handlung

Ein Junge, Will Byers, verschwindet auf dem abendlichen Nachhauseweg. Dafür taucht wenig später ein anderes Kind auf. Alle suchen Will: seine Freunde, Mike, Dustin und Lucas, seine überforderte und psychisch instabile Mutter, Wills Bruder Jonathan und natürlich die Polizei. Alle haben ihre eigenen Hinweise. Doch je mehr Hinweise es gibt, desto mysteriöser wird die Geschichte. Was hat das Energieministerium damit zu tun? Gibt es Monster? Und: Was hat der Floh dem Zirkusakrobaten voraus?

Wie aus meiner Kindheit

Stranger Things hat mich in meine Jugend und Kindheit zurückversetzt – auf die schönste Art und Weise. Die Serie spielt im Jahr 1983 und erweist Büchern und Filmen der 70er und 80er Jahre ihren Respekt. Story und visuelle Anleihen verstehen sich als Hommagen an die Werke von Stephen King und Steven Spielberg. Sie reichen von ET zu Stand By Me. Doch Stranger Things ist bei Weitem keine bloße Mischung aus bekannten Versatzstücken. Die Serie ist sogar überaus eigenständig.

Mike und Eleven – mit den unpraktischen „Handys“ der Jugend der 70er und 80er Jahre: groß, schwer und nur ein paar Hundert Meter Reichweite

Mike und Eleven – mit den unpraktischen „Handys“ der Jugend der 70er und 80er Jahre: groß, schwer und nur ein paar Hundert Meter Reichweite

Es ist schwer, viel über Stranger Things zu berichten, ohne wichtige Handlungsverläufe und Twists zu verraten. Nur so viel sei gesagt: Es ist eine Geschichte um ein Geheimnis und über Zusammenhalt. Zusammenhalt unter Freunden, Geschwistern und in der Familie. Anders als es bei anderen Serien gibt es keine Nebengeschichten – alles konzentriert sich darauf, Will zu finden und das Geheimnis, das sich auftut, zu ergründen.

Das Schöne dabei ist: Wills Freunde, ältere Geschwister, Eltern und die Polizei – sie alle haben dasselbe Ziel. Zwar beginnen sie von verschiedenen Ausgangspunkten, doch die einzelnen Personen und Gruppen werden zum Schluss zusammengeführt. Dabei verzichtet die Story darauf, gewissen Klischees zu folgen: Keiner von Wills Freunden ist der Trottel, der die Bemühungen der Gruppe wiederholt fast zum Scheitern bringt. Keines der älteren Teenager-Geschwister ist nur auf Sex und Parties aus. Keine der Eltern sind einfach nur ignorant. Und die Polizei ist nicht korrupt und nicht zu borniert, um zu erkennen, dass hier etwas sehr mysteriöses passiert.

Fantastischer Cast

So gut die Figuren geschrieben sind, so großartig werden sie auch von den Schauspielern ausgefüllt. Die Kinder können mehr als nur gut BMX-Räder fahren und Dungeons and Dragons (das eine gewisse Rolle in der Story hat) spielen, sondern wirklich gut schauspielern. Wills Freunde sind sehr eigenständige und glaubwürdige Charaktere, die sich auch wie richtige 12-Jährige verhalten. Ja, sie sind alle Nerds, aber sie besitzen unterschiedliche, sehr ausgeprägte Persönlichkeiten. Was sie gemeinsam haben, ist ihre Neugier, ihr Wille, ihren verschwundenen Freund zu finden, und ihr Mut.

Am meisten glänzt jedoch Millie Bobby Brown als das seltsame Mädchen Eleven. Sie muss auf eine sehr zurückgenommene Art und Weise, eine große Bandbreite von starken Gefühlen ausdrücken – ich hätte nicht gedacht, dass eine 12-Jährige dazu überhaupt imstande ist.

Die schauspielerische Antipode dazu ist Winona Ryder. Sie war eine der Ikonen der Generation X und verschwand Ende der 90er Jahre aus der A-Liste der Hollywood-Stars. Winona Ryder spielt die Mutter des verschwundenen Will Byers. Anfangs wirkte ihr übertriebenes Spiel auf mich völlig unpassend, doch je weiter die Geschichte voranschreitet, desto mehr passt diese Art zu spielen zu der Alleinerzieherin, die ihre Kinder liebt, aber nicht immer so für ihre beiden Söhne da sein konnte, wie sie es gerne wollte – bedingt durch psychische Probleme und viele Arbeitsstunden in einem schlecht bezahlten Job, mit dem sie ihre Familie durchbringt. Sie ist überzeugt, fast besessen davon, dass ihr verschwundenes Kind noch lebt. Ihr Umfeld sieht das anders und hält sie für verrückt.

Wills Mutter (Winona Ryder) glaubt, dass Will mit ihr Kontakt aufnimmt, wenn Sie sämtliche Weihnachtsbeleuchtung aufhängt

Wills Mutter (Winona Ryder) glaubt, dass Will mit ihr Kontakt aufnimmt, wenn sie sämtliche Weihnachtsbeleuchtung aufhängt

Die Geschwister unserer jungen Helden, sind im Teenager-Alter. Wills Bruder, Jonathan [Charlie Heaton] und Nancy [Natalia Dyer], die Schwester von Wills bestem Freund, Mike, gehören aber nicht derselben Clique an. Jonathan gehört nämlich zu gar keiner Clique – das liegt an seiner finanziell benachteiligten Herkunft genauso wie an seiner Introvertiertheit. Die gut behütete Nancy stammt aus einer typisch, einigermaßen glücklichen Kleinstadtfamilie. Sie ist auf dem Weg, so zu rebellieren, wie Film-Teenager es tun – um ja bei den anderen beliebt zu sein. Doch sie ist eine kluge, empathische junge Frau und erkennt, dass klischeehaftes Teenagerverhalten keine Rebellion ist.

Der Sheriff der Stadt, Jim Hopper [David Harbour], befindet sich persönlich und beruflich in einer Sackgasse. Er lässt sich gehen, denn nach dem Tod seiner Tochter und dem Scheitern seiner Ehe sitzt er wohl im kriminalistisch langweiligsten Kaff der USA. Er wird durch das Verschwinden von Will Byers aus seiner Resignation herausgerissen und beweist, dass er ausgezeichneten Spürsinn besitzt und noch immer zu hervorragender Ermittlungsarbeit fähig ist.

Die Liste der interessanten und sehr authentischen Figuren ist lange, ebenso wie die Liste der Darsteller, die diese verkörpern. Aber überzeugt euch einfach selbst.

Lasst euch überraschen

„Stranger things have happened“, sagt man im Englischen. Es bedeutet so viel wie „Das überrascht mich nicht“. Auf Stranger Things trifft das nicht zu: Überraschungen gibt es überall – von der Geschichte zu den Darstellern. So muss Film und Fernsehen sein: frisch, aufregend und äußerst sehenswert. Netflix hat hier einen echten Volltreffer gelandet.