Interessantes zum Thema Gesellschaftspolitik

Im Alltag bekommen die meisten von uns ganz viel nicht mit. Da ist der 15jährige, der seine Eltern schlägt und die Polizei spricht eine Wegweisung aus. Oder die 17jährige, die alles macht, damit ihre Mutter sie rausschmeißt. Wohin mit dem 16jährigen Burschen, der aus dem Jugendknast kommt und dessen Eltern ihn nicht zurückwollen.

„Jede Geschichte ist anders, aber die Arbeit mit diesen Jugendlichen ist spannender als ein Fernsehkrimi.“, sagt Werner Maislinger, der seit vielen Jahren die Krisenstelle von KOKO leitet. „Wir sind hier Profis im Vertrauen aufbauen. Ab der ersten Minute. Denn unser Ziel ist es für jedes Problem eine Lösung zu finden.“

Wenn ich Werner Maislinger zuhöre, merke ich, dass er und sein Team mit Herzblut dabei sind. Sie arbeiten für die jungen Mädchen und Burschen in der Stadt Salzburg, die in einer großen Krise sind. Und jetzt ist die Krisenstelle umgebaut, erneuert und bietet bis zu 80 Jugendlichen im Jahr eine zuverlässige Anlaufstelle.

Ohne euch hätte ich es nicht geschafft

„In der Krisenstelle bieten wir unbürokratisch und prompt Hilfe und Unterstützung für die Jugendlichen und einen Ort des Rückzugs an. Wir bereiten gemeinsam die Rückkehr in die Familie vor, wenn das nicht möglich ist, gibt es für die Jugendlichen einen Platz in einer betreuten Wohngemeinschaft.“, erläutert  Eva Goetz, die inhaltliche Geschäftsführerin von KOKO.

In der Krisenstelle von KOKO finden Jugendliche aus allen gesellschaftlichen Schichten ein Umfeld, um wieder in die Zukunft blicken zu können. Manchmal sind Mädchen oder Burschen so neben sich, dass auch das Team Bedrohungen ausgesetzt ist. „Umso wichtiger ist es, dass wir den Jugendlichen Stabilität bieten. Und am schönsten sind dann die Momente wie kürzlich in einem Supermarkt. Da habe ich ein Mädchen getroffen, jetzt schon eine junge Frau, der ich vor Jahren helfen konnte und sie hat mir gesagt, dass sie es ohne uns nicht geschafft hätte“, erzählt Maislinger.

Herr F. ist verschwunden. Er ist  schon dement, lebt seit einiger Zeit im Seniorenwohnhaus. Aber in einer Sommernacht ist er verschwunden. Alle suchen. Seine GPS-Uhr hat er herunter getan und sorgfältig auf das Nachtkästchen gelegt. Am Morgen wird Herr F. gefunden. Im Garten. Wohlauf.

Das passiert immer wieder einmal, dass besonders ältere demente Menschen für kurze Zeit „verschwinden“. Das führt immer wieder zu Diskussionen. Warum konnte Herr F. weggehen? Wieso ist Frau M. nicht in ihrem Zimmer, fragt ihre Tochter, die sie überraschend besuchen wollte. Berechtigte Fragen. Gerade Menschen mit Demenz können die Orientierung verlieren, wissen nicht wer sie sind und wie sie nach  Hause kommen können. Angehörige, die Mitarbeiter und Mitbewohnerinnen im Seniorenwohnhaus machen sich Sorgen. Es stellt sich die Frage: Wie kann man den Bewegungsdrang kontrollieren? Was kann man tun, damit niemand davonläuft?

Freiheitsbeschränkungen

In der Fachsprache heißt das Freiheitsbeschränkung und muss gemeldet werden. Wenn eine Selbst- oder Fremdgefährdung vorliegt. Es gibt mechanische, elektronische und medikamentöse Beschränkungen. Beruhigungsmittel und Schlaftabletten. Fußmatten, auf denen ein großes schwarzes Loch abgebildet ist. Demenzkranke glauben, dass es echt ist und gehen nicht vor die Tür. Es gibt bei manchen Häusern Bushaltestellen, an denen nie ein Bus hält, aber die dementen BewohnerInnen warten geduldig. Das ist alles möglich. Aber der Grundsatz ist alles zu tun, damit keine Freiheitsbeschränkung notwendig ist. Auch Menschen mit Demenz haben das Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung.

Alltag im Seniorenwohnhaus

Das Risiko von Treppen und Fleisch

Und es ist bei jedem Menschen ein Abwägen. Wann liegt eine Gefährdung vor? Wir alle gehen täglich große Risiken ein. Wir steigen Stufen, überqueren Straßen, essen. Es kann jederzeit etwas passieren. Wir können die Treppe runter stürzen, wir werden von einem Auto niedergefahren oder ersticken fast an einem Stück Fleisch. Das ist besonders tückisch, da Fleisch beim Kauen oft größer wird. Das alles kann einem Menschen mit Demenz auch passieren, wahrscheinlich ist das Risiko sogar größer. Aber wollen wir deswegen einem Menschen die Freiheit nehmen? Möchten wir selbst das? Aus Angst vor dem Risiko uns selbst einschränken? Uns die Freiheit nehmen das Bett, das Zimmer, das Haus zu verlassen? Ich weiß für mich, dass ich das nicht möchte. Solange ich niemanden anderen oder mich selbst bewusst gefährde, will ich selbstbestimmt sein, auch wenn ich nicht mehr weiß welcher Tag heute ist und dass ich in Salzburg wohne. Ich möchte raus gehen können.

Was würdest du wollen?

Das schreibt Richard an seine Frau 1938. Friedemann Derschmidt beschäftigt sich schon seit einigen Jahren mit der Erbschaft der Vergangenheit. Nicht die öffentliche Geschichtsschreibung hat Derschmidt im Fokus. Ihn interessiert die Geschichte, die in der Familie weitergegeben wird. Welche Auswirkungen hat sie auf unser Leben heute? 

Am Donnerstag, 2. Februar, gibt es die Möglichkeit Derschmidt, Autor von „Sag du es deinem Kinde“, zu hören und mit ihm zu diskutieren.

Sag du es deinem Kinde

Für das dem Buch zugrunde liegende Projekt „Reichel komplex“ ist es von großer Wichtigkeit zu verstehen, dass die Nazis nicht wie eine Horde Wahnsinniger aus dem Nichts kamen und wieder darin verschwanden. Sie waren auch keine von außen auftauchenden „Anderen“, sondern kamen aus der Mitte der Gesellschaft: Die eigenen Väter und Mütter, Großeltern, Tanten und Onkel waren „die Nazis“. Wenn man einen Schritt zurücktut und mit diesem größeren Blickwinkel auch das 19. Jahrhundert mit betrachtet, kann man am konkreten Beispiel dieser bürgerlichen Großfamilie gut aufzeigen, wie sich die vielen, oft sehr unseligen Wechselwirkungen zwischen Nationalismus, Jugendbewegung, Alpinismus, Turnbewegung, Burschenschaft, Erneuerungs- und Reinheitsfantasien und allem voran moderner Wissenschaft (Stichwort Eugenik) usw. ergeben haben müssen. Die spezifische Familie Derschmidts ist diesbezüglich alles andere als besonders einzigartig.

Interesse?

Donnerstag, 2. Februar um 19 Uhr in der Academybar in der Franz Josef Straße!

Adis Šerifović im Gespräch mit der muslimischen Feministin Dudu Kücükgöl

 

Adis: Anfangs wollten wir einen Bericht schreiben über „Diskriminierung bei muslimischen Mädchen und Frauen die Kopftuch tragen“. Haben uns aber doch auf einen anderen Titel geeinigt, weil dieses Thema doch schon sehr oft besprochen wurde. Was sagen Sie dazu? Wie aktuell sind Diskriminierungen?

Dudu: Diskriminierung und Übergriffe sind leider zum Alltag muslimischer Frauen geworden. Es ist schade, dass nur wenige Fälle dokumentiert werden und es ins öffentliche Bewusstsein schaffen. Denn damit wir über Diskriminierung sprechen und auf die Probleme verweisen können, ist Dokumentation so wichtig. Doch die Diskriminierung schadet nicht nur den direkt Betroffenen, das Wissen darum und die Erwartung von Diskriminierung, führt bereits dazu, dass sich junge Frauen in ihren Berufswünschen und Zukunftsperspektiven eingeengt fühlen. Sie beginnen, sich Chancen auszurechnen und ihre Träume zu reduzieren – das tut mir am meisten weh. Diskriminierung bedeutet gerade für junge Menschen eine massive Belastung und eine negative Perspektive auf die eigene Zukunft.

Macht es Sinn, das Kopftuch zum Thema zu machen oder liegen da ganz andere Probleme im Hintergrund?

Das Kopftuch ist das sichtbare Zeichen, an dem viele ihren Hass oder ihre Angst vor dem Islam festmachen. Genau diese Angst und diesen Hass spüren dann Frauen am stärksten, die wegen ihres Kopftuches als Musliminnen erkennbar sind. Wir müssen das thematisieren, aber dabei auf die Gründe für den Hass und die Angst hinweisen: Hier spielen politische Hetze, medial konstruierte Bilder einer vorselektierten Realität sowie Rassismus eine große Rolle.

Wie stehen Sie zu Argumenten wie „Aber bei uns in Österreich, hat man vor 80 Jahren auch Kopftuch getragen“

Im Bezug auf das Kopftuch, getragen aus religiöser islamischer Überzeugung? Es kommt auf die Betonung an: Wenn die Jahrzehnte betont werden und ein „die hinken halt ein bisschen nach“ mitschwingt, finde ich solche Kommentare entbehrlich. Wenn aufgezeigt werden soll, dass vor kurzer Zeit auch Kopftücher ein gängiges Kleidungsstück waren, finde ich es in Ordnung.

Wie könnte eine Lösung aussehen um unseren öffentlichen Raum für kopftuchtragende Mädchen zu öffnen bzw. zu sensibilisieren?

Ich denke, dass die Sichtbarkeit von muslimischen Frauen als selbstverständlicher Teil der Gesellschaft in allen Bereichen und Berufen, vor allem auch in Medien wichtig ist. Muslimische Frauen und auch andere Menschen mit sichtbarer Diversität sollten zum Beispiel in Werbungen sichtbar sein: So wie ein David Alaba, ein schwarzer Österreicher, Werbung für eine Bank macht, sollten auch andere – auch ohne Superstar-Status – in Werbungen oder Filmen sichtbar sein. Es muss ein Stückchen „Normalität“ hergestellt werden um Stereotype aufzubrechen. Die Sichtbarkeit von Menschen, die diskriminiert werden erfüllt nämlich immer mehrere Aufgaben: Einerseits ist es eine Erziehung der Gesellschaft, wenn man sieht, dass unsere Gesellschaft bunter und vielfältiger geworden ist. Auf der anderen Seite ist es eine Message an junge Menschen und Betroffene: Ihr seid ihr akzeptiert und willkommen, ihr seid ein Teil der Gesellschaft.

Was müsste sich in den Köpfen der Menschen (oder der Medien?) verändern um einen positiven Beitrag zu diesem Thema beizutragen?

Die einseitige Darstellung und Wahrnehmung von muslimischen Frauen und allgemein MuslimInnen ist ein großes Problem. MuslimInnen werden medial oft nur mit Terror und Gewalt assoziiert – dieses einseitige Bild führt zu Feindseligkeit MuslimInnen gegenüber und es kommt zu Übergriffen und Diskriminierung. Die Menschen müssen auch ihre eigenen Vorurteile und die Bilder, mit denen sie seit Jahren gefüttert werden zu hinterfragen, die Augen aufmachen und mit den Menschen in Kontakt treten, die um sie sind: ArbeitskollegInnen oder NachbarInnen. Sie müssten das Kopftuch vergessen, das eine Frau trägt und auf das schauen, was sie sagt und tut.

Und als letzte Frage: Wenn wir nicht mehr über das Kopftuch diskutieren sollten, welche Themen wären Ihnen wichtig, wenn wir über Chancengleichheit als Menschenrecht sprechen?

Soziale Gerechtigkeit, Bildung und Chancengleichheit für Kinder – diese Themen wären mir gerade auch als Mutter sehr wichtig. Es ist wichtig, dass unsere Kinder gleichermaßen gefördert werden und eine gute Bildung genießen – unabhängig vom sozialen Status oder der Bildung der Eltern. Was soziale Mobilität und Bildungsmobilität angelangt, schneidet Österreich im OECD-Vergleich immer sehr schlecht ab. Der Unwille und die Inkompetenz in der Politik ein veraltetes Bildungssystem zu reformieren, das viele Kinder ihrer Chancen beraubt, erstaunen mich. Gäbe es keinen Rassismus mehr, würde ich mich noch stärker für soziale Gerechtigkeit einsetzen.

Dudu Kücükgöl forscht über Islam und Feminismus und referiert über die Themen Islam, Integration, Jugend und muslimische Frauen. Twitter: @duduhier.

Mehr zum Thema: Kopftuchfrauen

Bildrechte: Alisa Grgic

(Interview erstmals publiziert im Menschenrechtsbericht 2015 der Plattform für Menschenrechte Salzburg, überarbeitet Jänner 2017) www.menschenrechte-salzburg.at)

 

Unlängst war ich zum Sonntagsbrunch bei der Freundin einer Freundin eingeladen. Meine Freundin selbst kam erst zwei Stunden später und ihre Freundin hatte ich erst einmal vorher gesehen. Es waren ca. zehn andere Leute bei dem Brunch – alles Frauen. Und ich kannte keine einzige davon. Der einzige „Neue“ zu sein ist immer irgendwie komisch. Alle der Anwesenden einzeln durchgehen, Hände schütteln, sich vorstellen, erzählen, was man so im Leben so macht, interessiert und offen sein. Nicht vergessen, ein bisschen Charme und Humor versprühen. Bloß nicht schüchtern oder distanziert wirken. Und: Namen merken. Letzteres fällt mir besonders schwer.

Die ganze Runde saß im Wohnzimmer auf Sofas, Stühlen und auf dem Boden. Es gab die ganze Zeit über eine große gemeinsame Unterhaltung, an der immer alle beteiligt waren. Irgendwie hat so etwas Seltenheitswert. Meistens bilden sich ja kleine Zweier- und Dreier-Gespräche.

Eine Frage, die man sich zu selten stellt

Es war eine ziemlich eingeschworene Damenrunde, die sich regelmäßig trifft. Obwohl alle einander gut kannten, stellte eine der Frauen eine Frage in den Raum: „Wie viele echte Freundschaften habt ihr eigentlich in den letzten 10 Jahren geschlossen?“

Es ging ausdrücklich nicht um eine leidenschaftlose Diskussionspflichtübung darüber, wie unsere vielen Facebook-Freunde gar keine richtigen Freunde seien. Da wird niemand widersprechen.

Alle Anwesenden waren so zwischen 40 und Mitte 50 und alle sahen einander vorerst etwas ratlos an – fast betreten, hatte ich den Eindruck. Es schien, als hätte niemand im Alter von über 30 Jahren richtig gute neue Freunde gefunden.

Wie kommt das? Können wir uns nur in unserer Schul- und Studienzeit oder vielleicht als junge Erwachsene auf andere Menschen so einlassen, dass wir gute Freundschaften aufbauen? Ist es vielleicht doch nicht nur oberflächliche Vergnügungssucht, wenn man im Jugendlichenalter viel ausgeht oder einfach viel Zeit mit anderen verplaudert? Vielleicht haben wir auch nur zu wenig Zeit, wenn einmal die Verantwortung im Beruf wächst und viele eine Familie gegründet haben.

Ein starkes Band

Die Frage ist mir seither oft durch den Kopf gegangen. Ich für mich habe festgestellt: Vielleicht sind meine Jugendfreunde nicht die einzigen Freundschaften, aber wir sind enger zusammengeschweißt – ob durchs gemeinsame Ausgehen, Lernen, Durchkauen von Problemen, vom Stress mit den Eltern über sämtliche Liebesdramen.

Irgendwann später bin ich wohl ein wenig zurückhaltender geworden, wenn es darum ging, ganz persönliche Dinge zu erzählen. Die guten Freunde aus der Jugend dürfen auch rein körperlich näher an mich heran. So richtig fest abgebusselt und geknuddelt werden die neueren Freunde nicht.

Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr stelle ich aber fest, dass ich sehr wohl im Erwachsenenalter meinen Freundeskreis erweitert habe – auch in den letzten 10 Jahren. Komisch: Warum konnte ich das nicht gleich beantworten, als bei dem Brunch die Frage in den Raum gestellt wurde? Ob die anderen wohl auch erst so nach und nach beim Nachdenken draufgekommen sind, wie viele neuere Freundschaften ihr Leben bereichern?

Warum alte Freunde so besonders sind

Ich habe beim Nachdenken, aber noch etwas Wichtiges festgestellt: Die Freundinnen und Freunde aus meiner Jugendzeit sind deswegen so einzigartig, weil ich mich ganz plötzlich jünger fühle, wenn ich sie sehe – keinen Tag älter als 25, behaupte ich mal. Und auch meine Freunde werden auf mich auch immer jung wirken. Trotz so mancher Fältchen und der jährlich mehr werdenden grauen Haare.

Was mich und uns von zartbitter interessiert: Wann habt ihr zuletzt neue, echte Freundinnen und Freunde gefunden?

 

[Beitragsbild: Marco Giumelli, Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/legalcode]

von Gabriele Rothuber

Woran denken Sie bei dieser Überschrift? Wahrscheinlich nicht an die 1-2 von 1000 intergeschlechtlichen Kinder, deren Genitalien aus der starren Zweigeschlechternorm fallen. Und das ist ein Problem.

Von Intergeschlechtlichkeit oder Intersex spricht man, wenn Geschlechtsmerkmale (Genitalien, innere Geschlechtsorgane, Hormone, Chromosomen) aus der Norm fallen oder Merkmale beider Normgeschlechter vorhanden sind.

Am 1.12. 2016 erschien eine deutsche Studie, die die Operationshäufigkeit an intergeschlechtlichen Kindern von 2010 bis 2014 analysierte: „Zur Aktualität kosmetischer Operationen „uneindeutiger“ Genitalien im Kindesalter“ von Ulrike Klöppel, Wissenschaftlerin an der Humboldt-Universität.

Fazit: Nach wie vor werden  Babies und Kleinkinder einer der beiden Normgeschlechter medizinisch „zugewiesen“.

Amputation der Klitoris

Dabei werden Kindergenitalien oder innere Geschlechtsanlagen so verändert, weggeschnitten, designt, bis die Körper der – medizinisch und gesellschaftlich definierten – Norm entsprechen. Etwa wird häufig eine „zu große“ Klitoris amputiert. Diese hat bei der Geburt nicht über 0,9 cm groß zu sein. Dabei sollte das Wissen, dass es Klitoriden gibt, die im erigierten Zustand einige Zentimeter erreichen können, durchaus vorhanden sein.

Rund 1700 Kinder werden jährlich in Deutschland diesen geschlechtsverändernden Operationen unterzogen. Selbstverständlich ohne deren Einwilligung. Die FRA-Studie (Fundamental Rights Agency, Agentur der EU für Grundrechte) aus 2015 zeigt:

  • Medizinische Behandlung intersexueller Kinder wird in mind. 21 EU-Mitgliedstaaten durchgeführt.
  • In 8 Ländern müssen die gesetzliche Vertreter*innen zustimmen.
  • In 18 wird das Einverständnis der Betroffenen vorausgesetzt!

Es gibt nicht nur männlich und weiblich

Im Völkerrecht gelten medizinisch nicht notwendige Operationen, die ohne Einverständnis vorgenommen werden, als inhuman, grausam und erniedrigend.

Nach wie vor wird jedoch an der Annahme, es gäbe nur zwei klar von einander unterscheidbare Geschlechter, festgehalten – und natürliche Variationen in der Geschlechtsentwicklung negiert.  Menschen, die diesem Schema nicht entsprechen, werden auch heute noch als krankhaft dargestellt, selbst wenn sie völlig gesund sind.

„Meine Schwester ist als Bub geboren. Dann hat man ihr den Penis abgeschnitten und jetzt muss sie ganz viele Tabletten nehmen“

Das sagte ein 10jähriges Kind in einem der Workshops des Verein Selbstbewusst.

Für Österreich gibt es keine Studie, wie in Spitälern mit Kindern verfahren wird, die intergeschlechtliche Genitalien aufweisen. Es wird nicht anders sein, als in Deutschland. Es fehlen uns jedoch nicht nur Studien, sondern auch die öffentliche Auseinandersetzung und die Aufarbeitung dieser Menschenrechtsverletzungen.

FGM – Female genitale Mutilation, also die weibliche Genitalverstümmelung ist selbstverständlich in Österreich verboten. Weshalb also dürfen Genitalien von Kindern verstümmelt werden, die einfach nur aus engen Normen fallen? Weshalb dürfen Kindern gesunde und funktionsfähige Körperteile (etwa auch die Keimdrüsen) entnommen und sie somit ihrer Fortpflanzungsfähigkeit beraubt werden? Weshalb wird in Kauf genommen, dass sie durch Kastration lebenslang künstliche Hormone zu sich nehmen müssen? Warum wird ihnen das Recht auf eine „offene Zukunft“ genommen – denn wie sich Körper oder Identität entwickeln, kann niemand vorhersehen – und weshalb müssen sie ein Leben lang oft unter diesen traumatischen Eingriffen, unter dem Verlust sexueller Empfindsamkeit leiden?

Weil – man lasse sich dies auf der Zuge zergehen – es sich hier per definitionem nicht um kosmetische Eingriffe handelt (was sie aber sind, weil in keiner Weise notwendig), sondern um Heilbehandlungen. Den Kindern und Eltern müsse geholfen werden, damit eine Eindeutigkeit hergestellt werden könne. Eine Uneindeutigkeit sei nicht zumutbar. WEM nicht zumutbar?

„Why don’t change minds instead of bodies?“ (Alice Dreger)

Malta hat als einziges europäisches Land 2015 per Gesetz Operationen an intergeschlechtlichen Kindern verboten. Niemand, weder Ärzt*innen noch Eltern sollen über derart weitreichende und irreversible Eingriffe entscheiden dürfen, sondern ausschließlich die Person selbst. Wenn sie voll aufgeklärt über die möglichen negativen Folgen und auch über ein gelingendes Leben mit unverändertem Körper etwas ändern möchte. Kinder sollen so aufwachsen dürfen, wie sie sind, um selber eine Entscheidung treffen zu können.

Das Recht auf körperliche Unversehrtheit muss für

ALLE Menschen gelten, ohne Ausnahme.

 

Hilfe bei:

www.vimoe.at

www.plattform-intersex.at

www.hosi.or.at

www.courage-beratung.at