Das Jahr 2013 ist vorüber. Haben Sie dabei Ihr Soll erfüllt? Es hätte schon ein bisserl mehr sein können, oder? Da wäre doch noch etwas drinnen gewesen: Mehr Geld, mehr Erlebnis, mehr Erfolg. Ich hätte aus dem vergangenen Jahr mit mehr Disziplin, Kontrolle und einer effizienteren Handlungsweise noch mehr herausholen können.

Es ist unbestritten: Wir werden angetrieben von großen Zielen, hohen Erwartungen und dem „ständigen Sollen“. Das lässt uns schwer zur Ruhe kommen. Gedanklich sind wir in der Zukunft, nicht im Jetzt. Zwischendurch grübeln wir noch über Vergangenes nach. Das ist ärgerlich.

Stoamandl in Kroatien; Foto: Angelika Bamer-Ebner

Stoamandl in Kroatien; Foto: Angelika Bamer-Ebner

Unsere Vorsätze zum neuen Jahr schaffen neue Erwartungen und verführen uns noch mehr in das Sollen. Im Grunde also weg von uns oder mir selbst. Eigentlich wollte ich mir für das Jahr 2014 keine „guten Vorsätze“ machen, aber ich habe mir nun doch etwas vorgenommen. Wieder etwas ziemlich Schwieriges: Ich möchte einfach nur SEIN. Mich weniger fremd bestimmen lassen. Da sein und hören was ich (Körper, Seele, Geist) und meine Mitwelt (Mitmenschen, Umwelt) gerade brauchen. Nicht getrieben werden von der äußerlichen Anerkennung, sondern handeln aus dem innersten Wesen heraus. Meiner Berufung nachspüren und ihr folgen. Mich leiten lassen von der Liebe. Das fühlt sich echt gut an, schon jetzt.

 

Bis 1997 war Weihnachten wie jedes Jahr: Familie, Weihnachtsbaum, Truthahn, Geschenke.1997 war ein Schicksalsjahr, wir hatten beschlossen, nach Brasilien auszuwandern, die Möbel waren bereits verpackt und auf dem Weg, mein Auto bereits verkauft, wir waren die letzten Tage im Haus der Schwiegereltern, am 28. war unser Flug ins Ungewisse. Es gab kein Weihnachtswunder, unsere Visa ließen auf sich warten, in der Brasilianischen Botschaft in Wien sagte uns eine Botschaftsangestellte in Abwesenheit des Botschafters, wir sollten mit Touristenvisa einreisen, die richtigen würden an die neue Adresse in der Rua Ave Maria in Sao Paulo geschickt.ak

Es waren wohl 40 Freunde zum Abschied in aller Herrgottsfrüh zum Flughafen gekommen, sie hatten sogar Transparente mit: Komm bald wieder! und wir sorgten für einiges an Aufregung. Dann flogen wir los und kamen 17 Stunden später in der neuen Heimat an, wo ein Cousin, der sich dort ein Leben aufgebaut hatte, auf uns wartete und hilfreich zur Stelle war, sobald ich ihn brauchte.

Gerade gestern rief er mich wieder einmal an aus dieser faszinierenden Stadt voll Leben, Menschen, Fröhlichkeit, Mitmenschlichkeit, aber auch den Schattenseiten wie Bürokratie und Kriminalität. Wir versicherten uns, unser Leben sei so wie immer, und tauschten Neuigkeiten von hüben wie drüben aus. Wir sind beide bestens bewandert über die Lebensumstände in beiden Ländern, durch unsere Kontakte, durch das Internet, die Tageszeitungen.

Als ich ankam, war viel zu lernen. Zuerst kamen die Schwierigkeiten wegen des Visums, das nicht nachgeschickt wurde und uns beinahe den Aufenthalt nicht ermöglicht hätte. Nach vielen Verhandlungen meinerseits mit Wien, dem Konsulat in Sao Paulo und der Botschaft in Buenos Aires mussten wir zunächst erst nach Argentinien ausreisen, wo wir dann befristete Visa “ de courtesia“, also Diplomatenvisa erhielten. Diese Visa verboten uns, im Land zu arbeiten und so mussten wir erst recht wieder uns dahinterklemmen, ein ordentliches Visum mit der richtigen Zahl auf der carteira, der brasilianischen Identitätskarte, zu erhalten. Viel Nerven und viel Geld gingen drauf, man fühlte sich immer halb, halb legal, halb akzeptiert… So verstand ich nur zu gut ein Gedicht des Großvaters meiner Cousine, der aus dem Libanon gekommen war: “ Einwanderer, wie ein Vogel ohne Gefieder… „

Mein Mann war an einer Schule fix angestellt und vom österreichischen Staat bezahlt, ich hingegen musste mir auf Umwegen einen Namen machen und erst eine Anstellung finden. Das ging sehr rasch, zuerst unterrichtete ich auf einer Sprachschule, dann durch ein concursio ( ein strenges Auswahlverfahren zwischen 9 Bewerbern ) aufgenommen an einem Colegio im Herzen von Interlagos.

wsWeihnachten war nun ganz anders: Weihnachten im Swimming Pool, mit Christbaumschmuck geschmückte Zierbäume, Picanha als Weihnachtsmahl, Papai Noel statt Christkind, die Armen, die zu beschenken waren, die Familie erweitert um die große Familie unserer Haushälterin. Es war so schön, dass ich es nicht mehr anders wollte.

Doch es kam Weihnachten 1999, wieder ein Schicksalsjahr: Wir waren nach Österreich auf Urlaub gekommen, mein Mann hatte begonnen, viel Geld zu verwirtschaften und wollte nicht sagen, wohin. Er hatte begonnen uns von Freunden und vor allem meinen brasilianischen Freunden und Kollegen abzuschotten. Wir waren zur Eheberatung hergeflogen. Sie half nicht, wir trennten uns zur Hälfte des Jahres und meine Tochter und ich kamen vor Weihnachten 2000 zurück, weil ihr Vater sie ohne mein Wissen aus Brasilien holte, unterstützt von meinem Mann, der glaubte, so würde ich bei ihm bleiben.

Ich hatte nur mehr meine wenigen Ersparnisse und musste noch fürchten, für Schulden gradezustehen, ich hatte keine Wohnung, kein Auto, keinen Job. Und ich hatte Heimweh nach Sao Paulo, meiner Familie dort, meiner Haushälterin und nicht zuletzt meinen Freunden. Es war sehr schwer für mich, meine Bezugspersonen waren in Brasilien und konnten hier nicht eingreifen.  Ich war isoliert zu Beginn meiner Rückkehr, es dauerte einige Jahre, bis sich außer einem sehr treuen, engen Freundeskreis wieder andere Menschen an mich anschlossen. Am steinigsten war der Weg zurück zu einer gesicherten Existenz, da ich ein Jahr zu lang um Karenz angesucht hatte und in diesem Jahr zuerst als Hausdame in einem Hotel arbeitete, aber dabei als Arbeiterin angemeldet und bezahlt wurde, dann in den Kundenservice des Stromanbieters vor Ort kam und dort sehr gerne, aber ebenfalls sehr gering bezahlt, arbeitete.

Die folgenden Weihnachten hatten nichts an Überfluss, und meine Töchter und ich lernten, uns ganz besonders zu bescheiden. Aber wir genossen es, beisammen zu sein und vergaßen nie, die Brasilianer anzurufen, bis wir eines Tages feststellen mussten, dass die Nummer unserer Haushälterin nicht mehr existiert. Wir haben versucht, sie wiederzufinden, es ist uns noch nicht gelungen, wir hoffen, sie hat nur ihr Haus gewechselt und es ist sonst nichts passiert.wb

Seit einigen Jahren hat die Familie sich vergrößert, aus drei sind sieben geworden und wir verteilen Weihnachten auf den Dezember bis in den Jänner hinein, wie es eben so ist, wenn Schwiegereltern und -großeltern noch dazukommen und alle in anderen Bundesländern verteilt sind.

 

Das gibt mir jetzt die Zeit, über meine Weihnachten nachzudenken. Das nächste Mal feiere ich mit den Enkeln nach dem 6. Jänner.

Ja wie schnell doch die Zeit vergeht, das stellen wir alle immer wieder mit Staunen fest. Weihnachten ist vorüber und Silvester ist auch gleich mal passe. Was bleibt eigentlich von einem Jahr, an was soll man sich erinnern? Ich habe beschlossen mir die wirklich schönen Momente ins Gedächtnis zu rufen. mo

Von vier Momenten möchte ich erzählen.

Nachdem ich jedes Jahr nach Istanbul reise, könnte man denken, dass es eigentlich nichts Überraschendes mehr gibt. Insbesondere wenn ich auch immer wieder in denselben Sehenswürdigkeiten herumstapfe, da meistens Freunde dabei sind, die erstmals in Istanbul sind. Aber heuer war wieder so ein Moment. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich schon im Chora-Kloster war, berühmt für seine wunderbaren byzantinischen Mosaike. Ja und dann stehe ich wieder vor den Mosaiken und staune. Wie schön sie sind, mit welcher Hingabe müssen die Menschen daran gearbeitet haben. Wie konnten sie es schaffen mit den kleinen Steinchen etwas so Großartiges machen? Jedes Gesicht individuell, die vielen Farben, den Geschichten, die auf den Mosaiken erzählt werden, eine solche Authentizität zu geben? Da bleibt nur Ehrfurcht.

Es ist ein heißer Sommertag, die Bienen summen, ein paar Schmetterlinge flattern herum, kein Lüftchen regt sich. Ich habe Durst auf Wasser mit frischer Pfefferminze und will mir welche pflücken. Beim Bücken fällt mein Blick auf den kleinen tönernen Hund im Steingarten. Und was sitzt da oben? Eine Baby-Eidechse, die sich sonnt. Sie lässt sich von mir überhaupt nicht aus der Ruhe bringen. Ich hole mein Handy, um sie zu fotografieren, es scheint sie nicht zu stören. Ich setze mich ins Gras und schaue ihr minutenlang beim Sonnen zu. Bis es mir zu heiß wird.Foto

Ich verhehle es nicht, dass ich ein ausgesprochener Michael Jackson Fan bin. Leider war es mir nicht vergönnt ihn jemals live zu erleben. Aber ich kenne seine Vita natürlich in- und auswendig und weiß, dass seine Karriere im Apollo Theater in New York begonnen hat. Dort sind seine Brüder und er erstmals vor einem größeren Publikum aufgetreten und sie schafften den Durchbruch. Erstmals in New York musste ich zum ApolloTheater in Harlem. Und dort steht sein Name auf einem Schild am Boden. Einfach schön, dort gewesen zu sein und zu wissen, dass dieser Ort für ihn was Besonderes war.

sch20 Jahre habe ich Deutsch für Migrantinnen unterrichtet. Im Juni hatte ich meine letzten Kurse. Der Abschied war wirklich nicht leicht. Denn die langen Jahre mit den Frauen haben mich geprägt. Ich durfte viel von ihnen lernen. Die vielen Lebensgeschichten, die unterschiedlichen Sprachen, Kulturen und Religionen sind mir jetzt sehr vertraut und lieb. Oft ist es vorgekommen, dass eine Schülerin nach 5 oder mehr Jahren einfach im Kurs vorbeigeschaut hat, um zu erzählen was sie macht. Manchmal sprechen mich junge Männer und Frauen an, die mir sagen, dass sie als Kinder mit im Kurs waren und jetzt haben sie schon selbst welche. Im Oktober hatten wir einen Ausflug in die Festspiele organisiert und zu meiner großen Überraschung kamen einige meiner alten Schülerinnen. Am liebsten hätte ich gleich wieder einen Deutschkurs gemacht.

Jetzt freue ich mich auf 2014 und hoffe, dass mir wieder viele schöne Momente gegönnt sind, die ich dann in Erinnerung behalten kann.

Liebe zartbitter-Leserinnen und Leser, euch wünsche ich auch ein Jahr, das reich ist an schönen Momenten!

Jawohl, in unserer Welt passieren viele schlimme Dinge. Tagtäglich gibt es große Katastrophen und millionenfach kleine Tragödien. Und oft denkt man sich, wieso kann man da nichts tun? Es geschieht in fernen Ländern und nah bei uns. Und man fühlt sich oft so hilflos. Man möchte das große Ganze ändern, aber es geht nicht. Und doch haben wir alle die Möglichkeit ein ganz kleines bisschen dazu beizutragen die Welt ein Stückchen besser zu machen. adventkarnz

Das kann der Augenblick sein, wo man seinen Nächsten ernsthaft fragt, wie es ihm geht. Und dann zuhört, weil sich ein Herz öffnet und ein Mensch sich ausspricht, seine Last teilt. Das kann der Moment sein, wo man seine Geldbörse öffnet und gibt, um jemandem Fremden zu helfen. Das kann eine Geburtstagstorte für einen Obdachlosen sein, der das nie erwartet hätte und der merkt, dass auch er dazu gehört. Es gibt viele Möglichkeiten, die wir selbst in der Hand haben, um einfach etwas zu tun, was einem anderen wieder Hoffnung gibt.

Es ist ganz einfach, es geht mit Dasein, materiellen Dingen und Zuhören. Und schon fühlt man sich nicht mehr so hilflos, wenn  man an all die kleinen und großen Tragödien in der Welt denkt. Und man merkt, dass Helfen die eigene Seele stärkt und Kraft gibt. Und es ist nicht naiv zu glauben, dass man die Welt ein Stückchen besser machen kann.

Bosnien ist ein Land, das mich schon lange begleitet. Ivo Andric‘ „Brücke über die Drina“ vermittelte mir die Geschichte Bosniens so, dass ich immer mehr wissen wollte. Meine Schülerinnen schwärmten mir oft vor, ich solle unbedingt dahin und dorthin. Bihac, Banja Luka und Sarajewo müsste ich sehen. Es hat sich nie ergeben, bis Samstag letzter Woche. Wir sind in Zagreb und wollen auch ein bisschen die Umgebung sehen. Mein alter Studienkollege Domagoj macht Vorschläge und meint, die bosnische Grenze wäre nicht weit weg. Also Samstag Vormittag rein ins Auto mit dem Ziel Banja Luka.Schloss

Es geht aus Zagreb raus, zuerst passieren wir Karlovac. Hier verlief auch eine Frontlinie im Jugoslawienkrieg. Obwohl es schon fast 20 Jahre her ist, zeugen noch viele Häuser vom Krieg. Die Fassaden sind durchlöchert von Einschüssen, sehr bedrückend. Auf der Strecke Richtung bosnische Grenze durchqueren wir Dörfer, die nur dürftig besiedelt sind. Viele Häuser stehen leer.

Der Grenzübertritt von Kroatien nach Bosnien geht schnell und unkompliziert. Zeit für einen Kaffee zum Energietanken. Domagoj kennt die Wirtin und sie bringt als Begrüßung ein Gläschen Sliwowitz. Der Muezzin ruft zum Mittagsgebet, die Hunde dösen auf der Straße. Auf der Weiterfahrt wird das Fahrziel korrigiert, wir steuern jetzt Bihac an. Auf dem Weg liegt die Burg Ostroschatz, hunderte Jahre alt, im 19. Jahrhundert von einem österreichischen Adeligen als Wohnsitz genutzt, verfällt sie jetzt. Wir wandern durch die Ruine, wagen uns auch ins obere Stockwerk und blicken durch die heruntergefallenen Decken ins Erdgeschoss. Mit ein bisschen Phantasie stelle ich mir vergnügliche Sommerfeste vor, einen Spaziergang durch den Garten und beschauliche Abende mit Blick übers Tal. Aber es geht weiter Richtung Bihac.

WasserfallDrei Dinge fallen uns besonders auf. Viel wird gebaut. Die Menschen hier lieben Farben, denn die Häuser lachen uns in Blau, Rot, Pink, Gelb, Orange an. Zwischen den Siedlungen und zum Teil einfach mitten in der Landschaft sind die Friedhöfe. Manchmal sind es nur zwei, drei Grabsteine, die in den Feldern stehen. Und jetzt steht das Reiseziel endgültig fest, wir fahren in den Nationalpark Una, um die berühmten Wasserfälle zu sehen. Die Landschaft ist beeindruckend, der Fluss Una zieht sich durch eine halb hügelige, halb bergige Gegend, es gibt Wölfe und Bären. Wir sehen keinen.

Angekommen in dem kleinen Dorf Martin Brod, wird Domagoj sofort von der Wirtin Zora abgebusselt. Sie heißt uns herzlich willkommen mit, klarerweise, Sliwowitz und Hagebuttenlikör. Wir sollen noch eine Runde drehen, meint sie, dann wäre eine kleine Jause bereit. Wir machen uns auf den Weg und bestaunen die Wasserfälle, die im Winter auch mal zu Eis gefrieren können. Und dann gibt es noch zwei besondere Eindrücke. Slivowitz

Wir dürfen in eine kleine private Schnapsbrennerei, wo gerade die Männer dabei sind natürlich Sliwowitz zu brennen. Es ist eine alte kleine Hütte, geheizt wird mit Holz, die Luft ist alkoholgeschwängert. Alleine vom Atmen glaube ich schon einige Gläser getrunken zu haben. Aber mit Atmen allein werden wir nicht hinausgelassen, wir müssen den frischgebrannten Sliwowitz selbstverständlich probieren. Nein haben wir nicht gesagt. Dann geht es ums Hauseck, wo ein kleiner Wasserfall runterrauscht. Die Energie hier wird aber nicht nur zum Antrieb einer Mühle genutzt, auch eine Waschmaschine gibt es hier. In das herabstürzende Wasser ist ein großer Holzbottich gebaut. Der Besitzer zeigt uns, wie es geht. Er legt eine alte Decke hinein, die im Bottich herumgewirbelt wird. Sogar verschiedene Schleudergänge kann man einstellen. Ein paar Minuten später ist die WaschmaschineDecke sauber, ganz ohne Waschmittel. Er erzählt uns von den Städtern, die mit Bergen von Wäsche herausfahren, um hier gegen einen kleinen Obolus zu waschen. Das gäbe es schon hunderte von Jahren meint der Mann.

Aber jetzt ist es Zeit für die kleine Jause, die sich als Gelage herausstellt. Zora erwartet uns, wir setzen uns an den gedeckten Tisch und essen und essen. Sie verwöhnt uns mit frischen „Gebackenen Mäusen“, Speck, Wurst, Ajvar und Kaymak. Und weil es ja noch ein Dessert braucht gibt’s zur vierten Schüssel „Gebackene Mäuse“ noch Hagebuttenmarmelade. Alles selbst gemacht. Sie ist eine tolle Wirtin, es fehlt an nichts und zum Abschied kredenzt sie noch türkischen Kaffee.

Gastfreundschaft

Auf der Rückfahrt dann noch ein Abstecher nach Bihac.  

Keine 24 Stunden war ich in Bosnien, aber ich will wieder ein Mal hin, denn Bosnien ist einfach schön.

Man muss ja nicht unbedingt zu Allerheiligen nach Zagreb fahren. Dann wäre auch die Überschrift eine andere. So aber landen wir am Donnerstag vor Allerheiligen nach einer erträglichen Übernachtfahrt am Zagreber Hauptbahnhof, purzeln samt Gepäck aus dem Wagon und stehen vor einer hellerleuchteten Kapelle. Für Pilger und sonstige Reisende. stt

Das setzt sich fort am Bahnhofsvorplatz mit Standeln voller Kerzen und Chrysanthemen und Menschen, die das kaufen. Nach dem Einchecken im Hotel führt der erste Weg zum Dom, dort zünden wir ein Kerzerl an, schaden kann das nicht. Zagreb ist eine freundliche und bunte Stadt mit besonders vielen Schuhgeschäften und Kaffeehäusern an jeder Ecke. und ganz vielen Wegweisern zu Museen, darunter die üblichen zu Kunst, Natur und Heimat. Ein Museum weckt unser Interesse: Museum of Broken Relationships. Wir diskutieren, was das wohl sein könnte. Kriegsgeschichte, Konflikte, zerbrochene internationale politische Beziehungen. Nichts davon, wir überzeugen uns vor Ort, dass es schlicht um zerbrochene Lieben in aller Welt geht, symbolisiert durch Äxte, Strumpfbänder und Frisbeescheiben. stto

Soviel Trennungsschmerz verlangt nach einem starken Kaffee. Auf dem Weg entdecken wir einen der wichtigsten religiösen Orte Zagrebs- das Steinerne Tor. Dort verspricht die Muttergottes, flankiert vom Heiligen Antonius und unzähligen Votivtafeln, den Gläubigen Hilfe und Rat in schwierigen Lebenslagen. Die Gegenleistung scheinen Kerzen zu sein. Manche Gläubige kaufen sie im Zehnerpack, stecken sie in große metallene Behälter voller Sand. Eine Frau ist damit beschäftigt abgebrannte zerflossene Kerzen wieder rauszuschaben, um schnell Platz für neue zu machen. Trotzdem ein sehr mystischer Ort. unbek

Der nächste Tag ist Allerheiligen, also Pflicht auf den Friedhof zu gehen. Am Vormittag drehen wir noch eine Runde im Zentrum, sehen eine fast einen halben Kilometer lange Schlange Menschen anstehen, vollbepackt mit Kerzen und Kränzen. Geduldig warten sie auf die Busse, die sie im Minutentakt zum Friedhof bringen. Wir beschließen zu Fuß zu gehen. Schon aus der Ferne sehen wir die Kuppeln des Friedhofeingangs, oben auf dem Hügel. Mit vielen anderen, Jungen und Alten, Großfamilien und frisch Verliebten, erklimmen wir den Aufstieg zum Friedhof Mirogoj. Dort erwartet uns ein Durcheinander von Menschen, Kerzen, Blumen und Maroni- und Popcornverkaufsständen. Keine getragene andächtige Atmosphäre, im Gegenteil ein bisschen Jahrmarkt und viel Familien- und Freundestreffen. Die Friedhofsbesucher tragen angemessene Kleidung, dem Anlass entsprechend, aber nicht übertrieben herausgeputzt.

Drinnen schieben wir uns an dem Riesengrab von Franjo Tudjman vorbei, gerade bauen Fernsehleute die Kamerastative und Mikrofongalgen ab und tragen sie zu den bereitstehenden Übertragungswägen nationaler Sender. Gegenüber gelangen wir zu einem großen liegenden Kieskreuz auf dem unzählige Grablichter in allen Formen und Farben stehen. Hier denken die Menschen an alle Toten, Bekannte und Unbekannte. Der Friedhof bietet ganz ganz viel Platz, abertausende Gräber, in denen schon Generationen einer Familie liegen. Manche auch religiös gemischt, Muslim und Christin beieinander. Manche Grabstätten sind leer und warten auf eine neue Familie. Hier stehen naturgemäß keine Kerzen. Auf allen anderen Gräbern finden sich Blumen, Kränze, Kastanienkreuze und Kerzen in allen Formen und Farben. Manche in Herzform, als Engel oder Säule. Viele blaue, rote und weiße Grablichter sind in der Abfolge der kroatischen Flagge angeordnet. graeberBis zu 27 Lichter zählen wir auf einem Grab, große Trauer, Ehrfurcht oder Must have? Auf manchen Gräbern sitzen die Menschen auf einen Schwatz zusammen, ein Maronisackerl in der einen und eine Zigarette in der anderen Hand. Dazwischen nimmt die Nase ganz leicht den Geruch von geschmolzenem Grabkerzenplastik wahr. Das ist Zagreb zu Allerheiligen, zu einer anderen Zeit ist es wahrscheinlich ein ganz anderes Zagreb.