Alt und Jung im Generationengespräch

Maria Weyringer in bester Laune im Gespräch

Maria Weyringer in bester Laune im Gespräch

Während der Woche des „Offenen Himmels“ kamen 16-Jährige Schülerinnen der Wirtschaftsschule St. Josef mit älteren Menschen beim 14. Salzburger Europadialog ins Gespräch. Unter der Leitung von Hania Fedorowicz vom Institut für Gemeinschaftsbasierende Konfliktlösung (GBKL) wurden verschiedene Module angeboten, damit Alt und Jung Frucht bringend ins Gespräch kommen konnten. Richtlinien für den Dialog waren:

 

 

 

  • Würde bewahren
  • Wertschätzend sein
  • Jede/r Teilnehmer/in trägt Ideen bei
  • Wenn jemand spricht, hören andere zu

Nach diesen einleitenden Worten wurden Alt und Jung gemischte Gruppen gebildet und Fragen erarbeitet. Im weiteren Verlauf konnten diese gestellt werden: „Wie war das Leben vor dem Handy?“ „Haben Jugendliche überhaupt Interesse an den Alten?“ „Wohin reisen Jugendliche gerne?“ „Was ist Jugendlichen wichtig?“ „Kennt die Jugend unsere Idole?“ „Wie lebt man eigentlich im Seniorenheim?“ „Fällt es schwer, über den Krieg zu reden?“ „Was ist Jugendlichen am wichtigsten im Leben?“ „Wie verliebt man sich heute?“

Irma Buchner, eine 89-Jährige Teilnehmerin der Gruppe aus dem Seniorenwohnhaus Hellbrunn berichtet vom Dialog:

„Unsere Gruppe aus dem SWH Hellbrunn danken für die Einladung zum Gespräch „Alt und Jung“ im Borromäum. Wir kommen gerne.  Begrüßung: Anwesend 38 Personen. 4 Herren, 2 Damen im Kleid, 32 Leute in Hosen. Knaben waren leider nicht anwesend. Es bildeten sich gemischte Runden, zum Beispiel eine alte Frau mit 4 Mädchen. Dabei wurde über verschiedene Ansichten offen gesprochen: was man gerne tut oder möchte. Singen, schwimmen, lesen, handarbeiten, telefonieren, reisen, rätseln usw. Es wurde über Erziehung, Respekt, Entwicklungsänderungen, Rad, Telefon, Auto, Flugzeuge und das Handy gesprochen. Die jungen Mädchen waren sehr wissbegierig uns Alten gegenüber.

Danke nochmals für die Gestaltung!“

Viel Spaß, und großes gegenseitiges Interesse

Viel Spaß, und großes gegenseitiges Interesse

Die drei Stunden des intensiv geführten Dialogs waren im Flug vorbei. Zu spannend und Interessant waren die Fragen und Antworten. Dabei gab es viele Überraschungen. So waren viele Mädchen selbstkritisch im eigenen Umgang mit den Handys. Durch sie werde das direkte freundschaftliche Gespräch gestört. Andererseits, waren „wir Alten“ erstaunt, dass für alle anwesenden Jugendlichen eine gute Ausbildung ganz oben auf der

Prioritätenliste stand.  Außerdem wurden viele Gemeinsamkeiten entdeckt. Musik, gutes Essen, Ausbildung, Friede, Familie, Toleranz und Freundschaft sind Jung und Alt gleichermaßen wichtig. Ein Mädchen brachte die Veranstaltung auf den Punkt: „Ich höre älteren Menschen gerne zu. Sie haben viel mehr Lebenserfahrung als wir.“ Es bereitete einfach Freude, den Jungen aus dem reichen Erfahrungsschatz zu erzählen. Und es war spannend zu hören, wie sich junge Menschen heute verlieben. ;-)

Irma Buchner und Peter Christian Ebner, SWH Hellbrunn

von Sonja Schiff

sonja schiff für SVB

Sonja Schiff

Seit Wochen beschäftigt unsere Gesellschaft und die Politik das Thema Flüchtlinge. Berichte in den Medien versuchen uns die Not der geflüchteten Menschen näherzubringen, versuchen zu beschreiben, warum Menschen ihre Heimat verlassen und in der Fremde Schutz suchen. Unsere Gesellschaft ist derzeit gespalten, da finden sich auf der einen Seite jene, die Schutzsuchende willkommen heißen, ihnen aktiv helfen und da gibt es auf der anderen Seite jene, die sich fürchten, vor dem Verlust der eigenen Kultur, vor einem Absinken des eigenen Wohlstands und vor allem vor dem Unbekannten, vor dem Fremden an sich.

Mir geht dieser Tage immer wieder eine berufliche Begegnung durch den Kopf, eine Begegnung, die mich in jungen Jahren sehr verändert hat, die letztlich mein Herz geöffnet hat für Menschen auf der Flucht.

Jänner 1991.

Ich bin eine junge Krankenschwester und arbeite in der Hauskrankenpflege. Ich pflege und betreue also alte Menschen in ihren eigenen vier Wänden. Mein Haupteinsatzgebiet ist die Bessarabiersiedlung, das sogenannte Glasscherbenviertel von Salzburg, entstanden aus Flüchtlingsbaracken, für Flüchtlinge aus dem Banat und Bessarabien. Bessarabiersiedlung, das sind 1991 vor allem Sozialbauten und es heißt, wer hier einmal gewohnt hat, kommt nicht mehr raus aus dem Elend.

Seit etwa einem Jahr besuche ich täglich zwei Mal die gehbeeinträchtigte Martha Gerner (Name frei erfunden, Anmerkung der Autorin), sie ist 85 Jahre alt und hat  eine leichte Demenz. Eingezogen in eine Flüchtlingsbaracke in der Bessarabiersiedlung irgendwann gegen Ende des zweiten Weltkriegs als junge Frau, hat sie tatsächlich ihr gesamtes Leben in dieser Siedlung verbracht. Aus der ehemaligen Baracke wurde irgendwann eine kleine Wohnung, mit einer richtigen Toilette und einem eigenen Bad. Hier lebte Frau Gerner ihr Leben, sie heiratete, bekam drei Kinder und wurde irgendwann wieder Witwe.

Martha Gerner kann sich nicht mehr alleine waschen, braucht Hilfe beim Anziehen und beim Ausziehen und bekommt als Diabetikerin von mir täglich zwei Mal ihre Insulininjektion. Neben der Pflegearbeit sprechen wir viel miteinander und so erfahre ich von Martha Gerners Flucht, damals Ende des zweiten Weltkrieges. Sie berichtet mir von den Ängsten, die sie damals durchlebt hat und davon, wie sie im Winter tagelang barfuß lief und ihre Zehen erfroren. Heute noch schmerzen diese und erinnern sie bei jedem Schritt an die lange beschwerliche Reise.

Als junge Krankenschwester höre ich mir ihre Geschichten an. Es ist Teil meiner Arbeit, mir die Geschichten der alten PatientInnen anzuhören. Aber wer täglich sieben oder acht solcher Geschichten hört, kann nicht jedes Gefühl an sich heranlassen. Was es bedeutet auf der Flucht zu sein, welche Ängste man durchlebt, das alles perlt an mir ab. Bis zu dem einen Tag im Jänner 1991.

Saddam Hussein hat vor einigen Monaten Kuweit besetzt. Amerika erklärt dem Irak den Krieg. Der Golfkrieg beginnt. Der erste Krieg, der via Fernsehen in die Wohnzimmer der Welt übertragen wird. Damit jene Welt, die sich nicht im Krieg befindet, Krieg schauen kann. Kriegserklärung, Angriffe, Bomben die detonieren, alles wird live in die Wohnzimmer der Welt übertragen.

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Fotocredit: www.pixabay.com

Als ich am ersten Tag nach der Kriegsankündigung Amerikas zu Frau Gerner komme, finde ich die alte Frau in ihrer Küche unter dem Esstisch. „Gehen Sie weg, gehen Sie weg“, schreit sie gellend und schaut mich funkelnd an. Nicht sofort verstehe ich den Grund für diese seltsame Situation, die ich da vorfinde. Doch dann höre ich, dass im Wohnzimmer der Fernseher läuft. Man hört Bomben einschlagen, Detonationen, Stimmen die rufen. Der Golfkrieg ist also auch im Wohnzimmer von Frau Gerner gelandet.

„Gehen Sie weg, weg mit Ihnen“ schreit die ehemalige Flüchtlingsfrau und droht mir mit einem Küchenmesser. „Ich steche Sie ab! Gehen Sie weg!“. Nach einigem Überlegen gehe ich in ihr Wohnzimmer und schalte den Fernseher aus. Ich warte ein paar Minuten und betrete dann erneut die Küche, spreche Frau Gerner mit ihrem Namen an, erkläre ihr, dass es nur ich wäre, ihre Krankenschwester. Da fängt sie an zu weinen und dieses Weinen wächst zu einem langen schweren Schluchzen. Als sie irgendwann, immer noch unter dem Tisch kauernd, Kraft findet zu sprechen, höre ich die 85 jährige Frau fragen: „Kommen jetzt wieder die Soldaten? Haben wir jetzt wieder Krieg, Schwester?“

Ich weiß noch, wie es mir damals die Gänsehaut aufgezogen hat. Die Angst der Patientin war für mich junge Frau, die ich zum Glück ohne Krieg aufgewachsen bin, mit einem Mal so präsent, ihr erlebtes Grauen war so nah. Was muss ein Mensch alles erlebt haben, dass er mit 85 Jahren und mit einer Gehbeeinträchtigung unter den Esstisch kriecht, um sich zu verstecken? Was muss ein Mensch gesehen haben, dass er hochbetagt wie paralysiert unter einem Tisch kauert und um sein Leben wimmert.

Wenn ich heute in die Gesichter der Flüchtlinge schaue, dann denke ich immer und immer wieder an Frau Gerner, die ich eigentlich schon lange in meinen Erinnerungen vergraben hatte. Dann ist mir ihr Grauen wieder nah, ihr Schreien, ihre Angst und ich ahne, was jene Menschen, die gerade auf unseren Bahnhöfen schlafen und hoffen, erlitten haben.

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Sonja Schiff, MA ist Gerontologin und Altenpflegeexpertin. Sie hält Seminare für Altenpflegeeinrichtungen, sowie Pensionsvorbereitungsseminare für Firmen. Im Oktober 2015 erscheint ihr erstes Buch „10 Dinge, die ich von alten Menschen über das Leben lernte“.

Mehr Infos zu Sonja Schiff finden Sie unter:

careconsulting

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von Sonja Schiff

Als ich vor ein paar Jahren einem jungen, beruflich etwas desorientierten, Mann empfahl doch Altenpfleger zu lernen, meinte der nur entsetzt: „Was ich sicher nie werden möchte in meinem Leben, ist ein Arschputzer.“

Sonja 1

Sonja Schiff

Seien wir ehrlich. Bei Altenpflege, da denkt Ottonormalverbraucher vor allem genau an dieses Arschputzen. Mit dem Beruf der Altenpflege wird landläufig nichts Angenehmes in Verbindung gebracht. Neben dem Umgang mit Kot, Urin und Erbrochenem denkt Frau und Herr Österreicher vielleicht auch noch an Schmerz, Leid und Tod. Aber sonst?

Bei so vielen negativen Zuschreibungen muss man sich fragen, warum machen eigentlich so viele Menschen diesen Job? Und das noch gerne und engagiert? Weil Arschputzen so lustig ist? Helfersyndrom? Masochismus? Oder gar, weil die keinen anderen Job finden??

Was würden Sie davon halten, wenn ich Ihnen sagen würde, dass Altenpflege der coolste Job der Welt ist? Sie würden lachen? Den Kopf schütteln? Nun, Altenpflege ist der coolste Job der Welt! Jedenfalls für mich und für viele Andere, die in diesem Job täglich arbeiten.

Cool ist dabei nicht gleichbedeutend mit leicht. Leicht ist unser Job wahrlich nicht. Schon alleine deshalb nicht, weil wir Tag für Tag eine Menge Gewicht heben und tragen. Das Gewicht von alten Menschen, die sich aufgrund einer Erkrankung im Bett nicht mehr alleine drehen oder nicht mehr alleine aufstehen können. Leicht ist es auch nicht mit den Rahmenbedingungen, die Zeit ist irgendwie immer knapp bei uns. So viele Hände, die gehalten und so viele Geschichten, die gehört werden wollen.  Alte Menschen haben außerdem ein anderes Lebenstempo, es geht wirklich alles viel l a n g s a m e r und wir haben kaum Zeit uns diesem anderen Zeitgefühl anzupassen. Also, leicht ist unser Job wirklich nicht.

Warum er der coolste Job der Welt ist? Wegen der tausend Geschichten, die man hört. Wegen der spannenden Persönlichkeiten, denen man begegnet. Oder kennen Sie irgendeinen anderen Job, in dem Sie persönlich einen berühmten Schauspieler kennenlernen, der Ihnen erzählt, wie es war vor 90 Jahren die Bühne zu betreten? Kennen Sie einen anderen Job, der Ihnen die Möglichkeit gibt, eine Überlebende des KZ Ausschwitz über mehrere Jahre täglich zu pflegen, mit ihr stundenlange Gespräche zu führen und sie bis zur letzten Lebensminute zu begleiten? Haben Sie schon von irgendeinem anderen Job gehört, der Sie zu einem Mann führt, welcher zu den ersten Bezwingern eines 8000ers gehört und von dem Sie erfahren, wie es wirklich war und was nicht in der Zeitung stand?

Ich finde Altenpflegerin ist der coolste Job der Welt. Auch wenn andere meinen, AltenpflegerInnen würden nur Arschputzen.

 

Sonja Schiff, MA ist Gerontologin und Altenpflegeexpertin. Sie hält Seminare für Altenpflegeeinrichtungen, sowie Pensionsvorbereitungsseminare für Firmen. Sie bildet Wechseljahreberaterinnen aus und bloggt über das Älterwerden. Mehr Infos zu Sonja Schiff finden Sie unter  careconsulting und vielfalten

Sonja 1

Sonja Schiff

von Sonja Schiff Jetzt ist es also geschafft. Ich bin 50plus. Ein halbes Jahrhundert trage ich nun auf dem Buckel und in meinem Gesicht.

“Und, hattest eine Krise?” Das war die mir am häufigsten gestellte Frage der letzten 5 Tage. Manchmal trug die FragenstellerIn dabei einen ängstlichen Gesichtsausdruck und flehte fast um ein „Nein, nein, keine Krise“. Andere wieder zeigten ein spöttisches Lächeln bei der Frage. Und manche sahen mich sorgenvoll an, als würden sie meine Krise voraussetzen, als gehörte sich eine ausgewaschene Krise einfach für den 50. Geburtstag.

Hatte ich eine Krise? Ich würde es nicht als Krise bezeichnen. Krise klingt nach Weltuntergangsstimmung, nach Drama, Verzweiflung, Schmerz und Angst. Nein, so eine Krise hatte ich nicht.

ABER spurlos ging dieser Geburtstag nicht an mir vorüber. Der hat schon Gewicht! Ein halbes Jahrhundert lebe ich nun schon! Und die Hälfte ist mindestens vorbei. Das macht schon nachdenklich. Das wischt man nicht einfach vom Tisch. In mir tauchten Bilder auf von den Händen meiner Oma. Wie sehr hab ich als Kind diese Hände mit den ausgeprägten Venen, die man so toll hin und her schieben konnte, geliebt. Es waren für mich die Hände einer alten Frau. Meine Oma war damals ungefähr so alt wie ich heute.
Ich erinnerte mich dieser Tage auch an eine Situation als ich 19 war. Ich ging in die Krankenpflegeschule und eine Kollegin wurde 25. Was war die Frau alt für mich. Damals dachte ich: “Wahnsinn, die hat schon ein Viertel Jahrhundert am Buckel!” Und irgendwie sah ich auch sofort viele Falten in ihrem Gesicht.

Solche Sachen gingen mir in den letzten Tagen durch den Kopf. Brachten mich zum Lächeln. Und immer wieder landete ich bei mir und meinem halben Jahrhundert. Doch, doch, der 50er macht schon nachdenklich. Über die euphorisch tröstenden Zurufe nach dem Motto „Wirst sehen, es wird immer besser“ musste ich lächeln. Das würde ich mir wünschen, gar keine Frage.

Aber mich hat der 50er zuerst einmal nachdenklich gemacht. Mir wurde wieder bewusst, dass die Zeit immer knapper wird und mein Aufenthalt hier auf diesem Planeten begrenzt ist. Dass es irgendwann ein Ende gibt. Wobei ich mir gar nicht vorstellen kann, wie eine Welt sich weiter drehen kann, der ich nicht mehr angehöre. Ich werde irgendwann einfach nicht mehr da sein. Seltsam unwirklich, diese Vorstellung. Genauso wenig in den Kopf zu bekommen wie die Vorstellung, der Weltraum wäre unendlich.

50 Jahre - Jubiläum und Geburtstag

Copyright Fotolia

Das klingt vielleicht für manche jetzt nach Krise. Aber ich hab es nicht so erlebt.
Im Gegenteil, ich finde es gut, dass mich dieser runde Geburtstag etwas runter gebremst hat von meinen alltäglichen Wichtigkeiten.
Und dann gab es diese wichtige Aussage eines mir nahen Menschen: “Sei dankbar, dass du es bis hierher geschafft hast”. Ich musste zuerst schlucken. Dann tauchten Bilder auf von jenen Menschen in meinem Leben, die sich bereits verabschiedet haben.

Ja, ich bin dankbar dafür es bis hierher geschafft zu haben. Das auch noch bei Gesundheit und ohne existentiell bedrohlicher Lebenskrisen. Ich bin sehr, sehr dankbar.

Und ich freu mich auf die Zeit, die vor mir liegt. Keine Frage. Vielleicht haben diese Frauen, die meinten, dass alles noch besser wird, ja doch Recht und mir geht’s die nächsten 20 Jahre einfach nur wundervoll. Wer weiß. Ich wäre bereit dazu!
Ich hab mir zum Geburtstag übrigens Arbeit geschenkt und einen Blog eröffnet mit dem Namen VielFalten – fortgeschritten leben jenseits der 50. Dort möchte ich mich mit vielen Frauen und auch Männern austauschen über all die wunderbaren und weniger wunderbaren Themen, die einem so durch den Kopf gehen jenseits der 50. Vielleicht schauen Sie mal vorbei?

Sonja Schiff, MA ist Gerontologin und Altenpflegeexpertin. Sie berät Firmen und Pflegeeinrichtungen, hält Pensionsvorbereitungsseminare und bildet Wechseljahreberaterinnen aus. Mit ihrem 50. Geburtstag ist sie unter die BloggerInnen gegangen und hat den Blog Vielfalten  eröffnet.

Weitere Infos zu Sonja Schiff finden Sie unter http://www.careconsulting.at  und http://www.wechselrat.at

von Sonja Schiff

Sonja 1

Sonja Schiff

Noch genau ein Monat, dann bin ich 50 und meine eigene Zielgruppe, denn auf meinem Briefpapier steht ich betreibe ein „50plus-Kompetenzzentrum“. Je näher ich dem magischen Datum komme, desto peinlicher ist mir dieser Begriff. Ich erinnere mich noch an meinen Zorn, als ich aus einem Online-Forum mit dem Namen „Silver-Ager“ geworfen wurde, weil ich stolz verkündetet bald 50plus- Marketing betreiben zu wollen. Die meinten doch glatt, das wäre totaler Blödsinn und eine Frechheit! Was war ich erbost über so viel Unverständnis.

Wie kam ich damals, vor 13 Jahren, nur auf diese Bezeichnung? War es jugendlicher Übereifer, jugendliche Klugscheißerei oder Überheblichkeit? Oder war es Hilflosigkeit, weil beim Thema Alter einfach unsere Sprache versagt und es kaum positive Assoziationen gibt?

Im Moment überlege ich an meinem 50. Geburtstag einen Blog zu starten und als älterwerdende Frau aus meinem Leben und meiner Arbeit zu berichten. Eine Gerontologin, die das Älterwerden beruflich und persönlich reflektiert. Oder so ähnlich. Für dieses eventuelle Projekt suche ich jetzt einen Namen. Frau braucht ja dazu eine Domain. Tja, und da ist sie wieder die Namenssuche. Genauso verzwickt wie damals, als dieses peinliche „50-plus-Kompetenzzentrum“ entstand.

Portrait einer jungen und einer alten Frau

Copyright Gina Sanders -Fotolia.com

Wo immer ich hinsehe, was immer ich lese, wen immer ich frage – zum Thema Alter gibt’s vor allem negative Zuschreibungen. Die Demographen meinen wir wären „überaltert“, die Politik hat Angst vor der „Rentnerlawine“ und der „Altenlast“, die Boulevardmedien rufen „Hilfe, wir vergreisen!“ und die Jungen nennen den Seniorentarif netterweise „Runzelrabatt“.  Ein älterer Mann wird als „alter Sack“ und „alter Knacker“ tituliert oder, wenn es netter ausfallen soll, als „Gruftie“.  Die ältere Frau ist eine „alte Schachtel“, eine „alte Tschäse“ oder ein „altes Haus“ und mehrere Exemplare davon verbreiten „Altweibergeschwätz“. Treten ältere Frauen und Männer in der Gruppe auf sind sie ein „Krampfadergeschwader“ und Teil der „Generation Kukident“. Zum Begriff „kinderleicht“ hat sich längst der Begriff „omaleicht“ oder „greiseneinfach“ gesellt.  Meine Lebensversicherung hat mir kürzlich meine „Restlebenserwartung“ vorgerechnet und ab dem 60. Lebensjahr gehört man ohnehin zu den „pflegenahen Jahrgängen“. Schöne Aussichten!

Sprachliche Altersdiskriminierung ist Alltag. Positive Begriffe in Zusammenhang mit Alter(n) haben Seltenheitswert und sind oft matte (aber wichtige!) Versuche die sprachliche Altersdiskriminierung zu überwinden, dazu gehören Begriffe wie „50plus“, „Altenkompetenz“, „Seniorenexpertin“ und Umschreibungen wie „Spätlese“. Vor ein paar Tagen fand ich eine Homepage mit dem Titel „Advanced Style“, es ging um modebewusste ältere und alte Frauen.

Zurück zu meiner Namenssuche für die Domain meines geplanten Blogs: Im Rennen liegen zurzeit „spätlese“, „alteschachtel“ oder „goldengirl“. Mit keinem Begriff bin ich allerdings wirklich glücklich! Wer immer die „goldene Idee“ für einen Domain-Namen hat, bitte dringend melden! Ich gebe dann auch einen SeniorInnenteller aus!

Sonja Schiff, MA ist Gerontologin und Altenpflegeexpertin. Sie berät Firmen und Pflegeeinrichtungen, hält Pensionsvorbereitungsseminare und bildet Wechseljahreberaterinnen aus.

http://www.careconsulting.at und http://www.wechselrat.at

siehe auch: http://zartbitter.co.at/gesellschaftspolitik/der-traum-von-der-ewigen-jugend/

Ein Beitrag von Sonja Schiff

Nachdem ich in meinem ersten Blogbeitrag für Zartbitter davon geschwärmt habe, wie spannend und vielseitig mein Fachgebiet Gerontologie (Alternswissenschaft) ist, will ich heute die beiden Begriffe Alter und Altern vorstellen.

„Aber was gibt’s da vorzustellen?“ wird manche LeserIn denken. Weiß doch jeder! Alt ist wer……? Na, wer eigentlich? Wer nicht mehr arbeitet? Wer über 50 ist? Über 70? 100?

Portrait einer jungen und einer alten Frau

Copyright: Gina Sanders Fotolia.com

Vor vielen Jahren pflegte ich als Hauskrankenschwester eine relativ rüstige 102 jährige Frau. Sie lebte im Seniorenheim und verließ, bereits seit mehreren Jahren, nicht mehr ihr Zimmer. Auf die Frage, warum sie sich nicht zu den anderen Bewohnerinnen gesellen würde, meinte sie: „Sind doch alles alte Leute da draußen“.

Ist Alter womöglich eine Sache der Perspektive?

Wir GerontologInnen sagen, Alter ist ein Konstrukt. Jeder Mensch setzt sich mit seinem Älterwerden auseinander und konstruiert dabei sein Bild von Alter. Dabei werden gesellschaftlich bekannte Alltagstheorien (etwa „alt ist gleich krank“) mit den eigenen Vorstellungen und Erfahrungen in Verbindung gebracht. Meine 104-jährige Patientin war der Meinung „die da draußen“ wären alt, weil sie pflegebedürftig waren, während sie noch ganz rüstig war, also nicht alt.

Das gefühlte Alter wird maßgeblich von unserer Gesellschaft mitbestimmt. Der 45jährige Langzeitarbeitslose, der aufgrund seines Alters keinen Job mehr findet, fühlt sich auch alt, oft sogar sehr alt. Alter lässt sich also nicht an einer Zahl festmachen, auch nicht an einem körperlichen Zustand. Alter wird  gesellschaftlich konstruiert. Damit ist der Begriff auch wandelbar. Galt ein Mensch, der in Pension ging früher als alt, weisen heute Menschen dieses Alters, den Begriff „SeniorIn“ weit von sich.

Altern ist ein lebenslanger Prozess

Damit komme ich zum Begriff Altern. Für die Gerontologie ist Altern ein lebenslanger Veränderungs- und Entwicklungsprozess auf biologischer, psychologischer und sozialer Ebene. Als Gerontologin bin ich daher am Leben alter Menschen interessiert. Wenn ich mit hochbetagten Menschen in Kontakt bin, dann lerne ich einen Menschen kennen nach einer sehr langen Lebensreise. Wie dieser Mensch jetzt ist, wie er sich verhält, was er denkt, wie er sein Leben sieht, wie es ihm wirtschaftlich geht- all das ist das Ergebnis seines Lebensverlaufes. Auch deshalb bin ich begeisterte Gerontologin. Ich finde es spannend die Geschichten von Menschen zu erfahren. Da Altern ein Prozess ist, ist er bis zur letzten Sekunde gestaltbar. Das bedeutet, auch hochbetagte Menschen unterliegen einem Entwicklungsprozess und können entscheiden, Gewohntes noch zu verändern. Darum sollte man alte Menschen bis zur letzten Sekunde ihres Lebens auch ernst nehmen und die Entscheidungen für ihr Leben selbst treffen lassen. Auch bei Pflegebedürftigkeit.

Sonja 1

Sonja Schiff

Meine 102 jährige Patientin, übrigens eine äußerst selbstbestimmte und resolute Person, schilderte mir manchmal, wie es sich anfühlt, sehr alt zu sein. Sie erklärte mir dann: „Wissen Sie, wenn ich manchmal in den Spiegel sehe, dann erschrecke ich und denke mir, huch, wer ist diese runzelige, alte Frau! Bis ich bemerke, das bin ja ich“.  Dann lachte sie meistens schallend und meinte mit verschmitztem Gesicht: „Wissen Sie, die Seele wird nie alt“.

Frau R. starb mit 104 Jahren.  Ich durfte sie 2 Jahre lang begleiten.

Für mich war sie eine ganz besondere Frau. Sie war es, die mir die Begeisterung für das Thema Alter und Altern ins Herz gepflanzt hat.

Sonja Schiff ist akademische Gerontologin und Altenpflegeexpertin. Sie berät Firmen und Pflegeeinrichtungen, hält Pensionsvorbereitungsseminare und bildet Wechseljahreberaterinnen aus.

http://www.careconsulting.at und http://www.wechselrat.at