Die Insassen der Justizanstalt Puch können in zwölf Betrieben arbeiten. In Gesprächen erzählen zwei Inhaftierte über ihre Vergangenheit und Gegenwart. Der Blick in die Zukunft ist ungewiss, obwohl die Maßnahmen zur Resozialisierung immer mehr greifen.

Mit vollster Konzentration schraubt Insasse Fritz am Motor eines roten Minis. Der Ölwechsel und ein paar kleinere Reparaturen sind fällig. Der 60-Jährige ist seit März im Gefängnis. „Es war wieder Mal ein Diebstahl. Ich kann es einfach nicht lassen“, seufzt der Pensionist. Fritz ist Wiederholungstäter. In der neuen Justizanstalt in Puch fühlt er sich wohl. „Das Essen ist gut und es gibt auch die Möglichkeit zu arbeiten. So vergeht die Zeit schneller.“ Er ist von 7.15 bis 14 Uhr in der Werkstatt und führt diverse Arbeiten an den Autos durch.

Zwei Inhaftierte reinigen im Innenhof einen Opel.

Zwei Inhaftierte reinigen im Innenhof einen Opel.

Insgesamt zwölf Betriebe umfasst die Anlage. Es gibt unter anderem eine Wäscherei, eine Schlosserei, den Küchendienst oder eben die Autowerkstatt. Zwei andere Insassen waschen unterdessen im Innenhof einen Opel, sowohl außen als auch innen. Werkstattmeister Gerhard Schöcklitsch überwacht das Geschehen. „Es kann jeder zu uns kommen, um sein Auto reparieren zu lassen. Wir führen allerdings nur kleine Arbeiten durch, weil wir kein Meisterbetrieb sind.“ In den meisten Fällen mache man ein gutes Geschäft. „Für die komplette Reinigung innen und außen zahlt man 15 Euro. Das bekommt man sonst nirgends günstiger“, sagt der gelernte Spengler und Lackierer. Ein Inhaftierter bekommt sechs Euro pro Stunde, von denen er vier Euro für Versicherung, Kost und Logis abgeben muss. Das restliche Geld kommt entweder auf ein Sparbuch oder es wird ausbezahlt. Die neue Justizanstalt verfügt über einen kleinen Supermarkt, in dem man zu bestimmten Zeiten einkaufen kann.

„Mich nimmt ja niemand ohne Leumundszeugnis.“

In der Autowerkstatt arbeiten insgesamt fünf Insassen. Neben Fritz ist auch Herbert mit dem Mini beschäftigt. Er tauscht den Auspuff. Der 48-Jährige wurde beim Einbrechen erwischt. Auch bei ihm war es nicht das erste Vergehen. Angefangen habe er mit Versicherungsbetrug. „Ich habe Auffahrunfälle inszeniert, irgendwann ist mir die Verischerung auf die Schliche gekommen“, erzählt Herbert. Das Einbrechen in Firmen sei zur Gewohnheit geworden. Der gebürtige Niederösterreicher, der in Salzburg erwischt wurde, ist äußerst geschickt im Umgang mit Schraubenzieher und Lötkolben. Kein Wunder, Herbert deutet mit Stolz auf seinen Kfz-Meisterbrief. Noch zehn Monate muss er in Puch absitzen. Er blickt in eine ungewisse Zukunft. „Ich habe keine Ahnung, wie es weitergehen soll. Mich nimmt ja niemand ohne Leumundszeugnis. Zum Glück habe ich hier eine Beschäftigung.“ Werkstattmeister Gerhard Schöcklitsch ist mit seinen Mitarbeitern zufrieden: „Es ist noch nichts Negatives vorgefallen und es gab auch keine Beschwerden. Die Inhaftierten machen einen sehr guten Job.“

So sieht ein Zimmer in der Justizanstalt Puch aus.

So sieht ein Zimmer in der Justizanstalt Puch aus.

Die Justizanstalt in Puch, die rund 34 Millionen Euro gekostet hat, umfasst 100 Mitarbeiter. Von den 227 Betten für die Inhaftierten sind derzeit rund 200 belegt. Der stellvertretende Anstaltsleiter David Klingbacher sorgt mit seinem Team für einen reibungslosen Tagesablauf. Dieser beginnt um 6.45 Uhr mit dem Frühstück. Danach können die Insassen ihren Arbeiten bis 14 Uhr nachgehen. Die Justizanstalt verfügt über mehrere Aufenthaltsräume, eine Bibliothek und auch sportlich kann man sich zum Beispiel im Kraftraum betätigen. Manche der Inhaftierten sind Freigänger. Sie verlassen die Anstalt in der Früh, um ihrer Arbeit nachzugehen, und müssen am Abend wieder pünktlich zurück sein. Es gibt entweder Einzel- oder Doppelzimmer. Die Zimmer sind mit einem Bad, Kühlschrank und einem Fernseher ausgestattet. Telefonieren ist ebenfalls möglich. Zugang zum Internet gibt es allerdings keinen.

„Die Rückfallquote liegt bei 50 Prozent. Das ist ein sehr guter Wert. Die Maßnahmen zur Resozialisierung tragen Früchte“, sagt David Klingbacher. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer im Gefängnis in Puch liegt bei acht Monaten. „Auf 185 Männer kommen ungefähr 15 Frauen. Der jüngste Inhaftierte ist 16, der älteste 78 Jahre alt“, erklärt er. Vor der Entlassung führt das psychologisch geschulte Personal Gespräche, wie es weitergehen soll. „Wenn jemand zum Beispiel abhängig vom Alkohol ist, schauen wir, dass diejenige Person eine Therapie bekommt. Wir schicken die Leute auch zum Arbeitsmarktservice. Zusätzlich bieten wir regelmäßig Bewerbungshilfen an.“

Pünktlich um 14 Uhr legt Fritz seinen Schraubenzieher zur Seite und zieht sich um. Er kann sich nun seinen Hobbys widmen. Im schlimmsten Fall muss er noch 18 Monate im Gefängnis bleiben. Er weiß, was er in Zukunft machen will. „Ich muss mich um meine schwer kranke Frau kümmern und nebenbei will ich ein wenig die Pension genießen. Ich hoffe nicht, dass ich rückfällig werde“, sagt der 60-Jährige.

Georg, Maria, Rupert, Agathe, Maria Franziska, Werner, Hedwig, Johanna, Martina, Rosemarie, Eleonore und Johannes. Ihretwegen kommen jährlich mindestens 300.000 Menschen aus aller Welt nach Salzburg. Wegen Flüchtlingen, die vor 77 Jahren Österreich in Richtung Amerika verließen. Der Musical Film „The Sound of Music“, der heuer das 50 Jahre Jubiläum feiert, erzählt ihre Geschichte. Von Australien über China bis in die USA kennt jedes Kind diesen Film.

Die Geschichte einer singenden Familie, die nach ihrer Flucht in die USA weltberühmt wurde. Flüchtlinge, die sich den Nazis nicht beugen wollten. Was auch heute manchen unverständlich ist. Sie waren ja keine Juden und hätten nichts zu befürchten gehabt und nur weil Krieg war laufen die weg, die meisten anderen Nichtjuden sind geblieben. Aber sie waren klassische politische Flüchtlinge, sie konnten den Nationalsozialismus nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren, ein mit der Mehrheit mitlaufen, kam für den Baron von Trapp nicht in Frage. Die Trapp-Familie nutzte eine Konzertreise in Italien, um in die USA zu flüchten.

In ihrer neuen Heimat mussten sie bei Null anfangen. Vater, Mutter, 10 Kinder und ein Freund. Und heute? Fliehen Menschen aus Afghanistan, dem Irak und Syrien. Mit der Hoffnung im Gepäck hier in Europa, in Österreich, in Salzburg Schutz zu finden und ein neues Leben aufbauen zu können. Wir verdanken einer Flüchtlingsfamilie einen Teil unseres touristischen Erfolgs. Millionen Euro fließen dadurch jährlich in unsere Kassen. Vergessen wir das nicht, wenn heute Menschen an unsere Tür klopfen, die Hilfe suchen!

Ich lag auf dem Bauch – sternförmig quer übers große Bett gestreckt. So schlief ich am liebsten. Damals Single, hatte ich ja das Bett für mich allein. Ich wachte mitten in der Nacht auf und spürte, dass die Bettdecke ganz fest an meinen Körper gedrückt war. Ich wollte sie locker schütteln, aber ich konnte mich nicht bewegen. Ich spürte etwas Schweres auf mir liegen. Etwas schien mich niederzudrücken – ganz fest auf die Matratze. Wer oder was hält mich hier fest? Wer ist da in meinem Schlafzimmer? Da stehen noch ein, zwei Leute um mein Bett herum. Mit dem Gesicht im Kissen kann ich sie nicht sehen, aber spüren. Ich wollte reden, dann schreien! Aber weder konnte ich meinen Mund öffnen noch irgendeinen Laut von mir geben. Mein Herz raste vor Angst.

„Versuche ruhig zu atmen“, sagte ich mir. Plötzlich ein kleines Zucken im kleinen Finger. Ich konnte bald andere Finger bewegen, die Hand, den ganzen Arm. Die Decke fühlte sich nicht mehr so schwer an. Niemand drückte mich mehr nieder. Noch immer Herzrasen. Es dauerte Minuten, bevor ich wagte, die Augen zu öffnen und den Kopf zu heben. Niemand da.

Jeder 6. betroffen
Was war das bloß? Ein paar Freunden habe ich damals davon erzählt, aber heute denke ich selten daran. Erst vor ein paar Tagen ist mir ein Artikel des Magazins VICE untergekommen: Der reale Horror einer Schlafparalyse. Interessant. Es gibt also einen Namen dafür. Ich hatte bis gestern keine Ahnung, dass es ein Phänomen ist, das anscheinend jeden sechsten Menschen betrifft.

Ich habe noch ein bisschen im Internet danach gestöbert. Meist sind Rückenschläfer davon betroffen und sehr viele meinen, eine schattenhafte Figur zu sehen, die auf sie zukommt. Viele Leute haben dazu noch auditive Halluzinationen und die unheimliche Figur flüstert ihnen etwas zu. Gruselig.

So ungefähr erleben manche die Schlafparalyse (CC BY 4.0 http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/)

So ungefähr erleben manche die Schlafparalyse
(CC BY 4.0 http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/)

Keine einfache Erklärung
Die Erklärungen für dieses Phänomen sind nicht gerade einfach. Aber irgendwie ist es so: Beim Einschlafen geht man über die REM 1-Phase in die REM 2-Phase, die Tiefschlaf-Phase. Der Körper wird während der REM 2-Phase ruhig gestellt (quasi gelähmt), damit man nicht alle Bewegungen, die man im Traum ausführt, auch tatsächlich mitmacht. Anstatt beim Aufwachen von der REM 2-Phase in die REM 1-Phase überzugehen, überspringt man bei der Schlafparalyse die REM 1-Phase. Man ist also halb wach, halb träumend, aber die Schlaflähmung ist noch nicht deaktiviert. Wikipedia erklärt das besser.

Bitte, hätte mir das jemand mal vor 10 Jahren sagen können?!? Mir ist das einige Male innerhalb relativ kurzer Zeit passiert und ich hatte jedes Mal eine Scheiß-Angst, wenn es sich anfühlte, als würde mich jemand niederdrücken und Leute, böse Wesen, ums Bett herumstehen. Ich keuchte und schwitzte jedes Mal noch minutenlang, nachdem es vorbei war. Hatte ich zu viele Horrorfilme geschaut? War es ein parapsychologisches Phänomen? Ich musste was unternehmen.

Rezepte eines Horrorfilm-Fans
Als Ober-Kino-Blogger von ganz zartbitter wusste ich freilich, was zu tun war. Ich erinnerte mich an Rezepte aus Horrorfilmen:

Rezept Nr. 1 aus: A Nightmare on Elm Street
Wenn du im Traum einem Monster begegnest oder es dich in die Realität verfolgt, dann dreh ihm den Rücken zu, sag ihm, dass es nicht real ist, und befiel ihm zu verschwinden. So nimmst du ihm jede Macht.
Was gegen Freddy Krüger half, wirkte auch bei den Wesen aus meinem halbwachen Traum. Ich lag ja auf dem Bauch, so hatte ich ohnehin dem ganzen Raum den Rücken zugedreht. Bis ich mich bewegen konnte, dauerte es lange – gefühlt mehrere Minuten, real waren es wahrscheinlich nur Sekunden. Dann konnte ich wenigstens beginnen zu murmeln, dass, wer immer auch hier ist, gefälligst verschwinden soll.

Rezept Nr. 2 aus: Poltergeist
Hol dir die Profis. Einen Arzt? Nein. Also, es war so: Ich erzählte einer Kundin davon, mit der ich mich privat sehr gut verstand. Sie war Lebensberaterin mit Hang zum Übersinnlichen. Irgendwie kamen wir auf das Thema meiner beängstigenden nächtlichen Erlebnisse und sie schickte mir ihre Tochter, ein Medium, um das Haus zu reinigen. Ich stehe solchen Dingen äußerst skeptisch gegenüber. Aber: Wie konnte ich da dankend abwinken? Irgendwie war ich auch neugierig. Als das Medium ankam, war ich erst mal enttäuscht. Anstatt einer schrulligen Person mit Fiepsestimme kam eine junge hübsche Studentin. Sehr nett von der Art her. Sie schrie auch nicht: „Geh nicht ins Licht!“. Es war etwas weniger spektakulär als im Film. Für mich jedenfalls, denn ich durfte während der Reinigung nicht anwesend sein. Sie reinigte das Haus von den Geistern eines Zwillingspaares und vom Geist eines Soldaten aus dem ersten Weltkrieg. Ähhhh, öhhh … ich lass das jetzt einfach mal so stehen.

So blöd sich das anhört: Seither ist Schluss mit dem „Spuk“. Wahrscheinlich alles reine Psychologie. Placebo. Und ich bin jetzt Seitenschläfer.

Viele Leute, die Schlaflähmung kennen, entwickeln ihre eigenen Wege, damit umzugehen. Ich denke, wenn man weiß, dass es ein bekanntes Phänomen ist und medizinisch oder psychologisch erklärbar, ist es einfacher. So macht auch keine schwarze Gestalt mehr Angst.

Lächerlich oder echt cool?
Ich postete meine Lösung des Schlafparalyse-Problems als Kommentar zum VICE-Artikel. Ein anderer User hat sich scheckig gelacht – ausgedrückt mit fünf Emojis, bei denen die Lachtränen nur so wegspritzen. Macht euch nur lustig über mich! Ich habe wenigstens eine aufregende Geschichte, die Kinder beeindruckt. Mein Patenkind kann sich gar nicht daran satthören. Ich muss die Story immer wieder erzählen. Mein Schlafzimmer von damals ist jetzt das Gästezimmer und mein Patenkind und sein Bruder finden es total aufregend, in genau diesem Zimmer zu schlafen, das von Geistern gereinigt werden musste.

Also, was immer das Medium da wirklich gemacht hat: Ich bin Patenonkel, der ein echt gruseliges Erlebnis hatte und in einem Haus wohnt, in dem es spukte! Wer kann das schon von sich behaupten? So waren die 100 Euro für das Medium eine doppelt lohnende Ausgabe.

Einkaufswägen

Die gefüllten Einkaufswägen stehen für die Flüchtlinge bereit.

Salzburg Hauptbahnhof: Zwei leere Semmeln, eine Packung Butterkekse, ein Apfel und eine Tafel Schokolade. Fertig geschnürt wandert ein Jausensackerl nach dem anderen in den Einkaufswagen. Daneben steht bereits einer mit Mineralwasser und zwei weiter einer mit Hygiene-Artikel. „Wie kann ich mich nützlich machen?“, fragt eine Frau mittleren Alters. Keine Minute später hat die freiwillige Helferin das erste Sackerl gefüllt, abgepackt und mit einem Mascherl versehen.

„Ein Einkaufswagen mit Lebensmittel, einer mit Getränken. Nicht mehr als drei Personen pro Wagen“. Caritas-Direktor Johannes Dines gibt die letzten Anweisungen an die Freiwilligen. Dann setzt sich die Kolonne in Bewegung. Im Zick-Zack-Kurs bahnt sich der Hilfskonvoi seinen Weg zwischen Geschäftsreisenden, Touristen, Urlaubern, Schülern und Studenten hindurch. Je ein Caritas-Mitarbeiter begleitet die Helfer Richtung Bahnsteig. Mit dem Aufzug geht es nach oben zu den Gleisen des Salzburger Hauptbahnhofs. Eine ältere Dame mit Koffer nähert sich den Helfern. Ihr Dank kommt spontan und von Herzen: „Thank you for helping people. Great work!“

„Thank you for helping people. Great work!“

Wie viele Flüchtlinge in dem ÖBB-Railjet aus Wien sein werden, weiß keiner genau. Gestern Abend waren es bis zu Tausend pro Zug. „Die Ungarn haben die Grenze zu Österreich schon wieder dicht gemacht“, macht eine Nachricht schnell die Runde. Das Rote Kreuz steht mit Sanitätern bereit, die Polizei hat Beamte abkommandiert. Alles wartet auf die Ankunft des Zwölf-Uhr-Zugs aus östlicher Richtung. Für eine Gruppe junger Männer geht es nach einem Wochenend-Trip zurück in ihre Heimat nach Vorarlberg. Für die ankommenden Flüchtlinge heißt es in Salzburg umsteigen in den Anschlusszug nach München. Die Destination ist unbekannt. Der Regionalexpress steht am gegenüberliegenden Bahnsteig zur Abfahrt bereit.

Minderjährige syrische Flüchtlinge sind gekommen, um zu übersetzen. Durch das Megaphon sollen sie den Menschen in ihrer Sprache erklären, dass es gleich gegenüber  nach Deutschland weitergeht. Die Helfer machen sich bereit. Sie bringen ihre mit Semmeln, Keksen, Äpfel, Bananen und Mineralwasser gefüllten Einkaufswagen in Position. Der Zug rollt ein, die Türen öffnen sich. Hastige Blicke scannen den Bahnsteig. Eine Mutter hält ihre Tochter im Arm. Der Vater streckt schnell die Hand für eine Flasche Wasser aus. Dann verschwinden die Drei im Zug Richtung München. Ein kleines Mädchen löst sich kurz von ihrer Mutter. Ihr Blick trifft auf jene zwei Helfer, die unweigerlich seufzen. Ein Pfiff. Die Türen schließen und der Zug fährt ab. Die Menschen im Zug winken zum Abschied. Die Helfer tun es ihnen gleich. Dann sind die Flüchtlinge wieder verschwunden. Zurück bleibt ein leerer Einkaufswagen und das gute Gefühl geholfen zu haben. Wenn auch nur für einen kurzen Moment.

So viele erschütternde Bilder in den letzten Tagen: im Lastwagen erstickte Menschen, an den Strand gespülte Leichen, verzweifelte Flüchtlinge am Bahnhof in Budapest. Das Entsetzen darüber ist groß und die Hilfsbereitschaft der Menschen wächst. Doch einige haben weiterhin nichts anderes als Hass und Gewalt für die Flüchtlinge übrig.

Darum beschloss ein Musiklehrer, den Ultra-Rechten eine lautstarke Botschaft entgegenzuschleudern – und zwar den 22 Jahre alten Song „Schrei nach Liebe“ der Punk-Band DIE ÄRZTE. So startete er die Aktion Arschloch, benannt nach der bekannten Textzeile des Songs „Schrei nach Liebe“, die schlicht und eingängig einfach „Arschloch, Arschloch, Arschloch“ lautet. Die Ärzte veröffentlichten den Song 1993, als Asylbewerberheime in Rostock brannten. Jetzt, wo wieder Asylquartiere die Zielscheibe von Flüchtlingshassern sind, war es naheliegend, gerade diesen Song auszuwählen.

Die Absicht der Aktion Arschloch. „Schrei der Liebe“ soll auf Platz 1 der deutschen Charts – als Zeichen gegen die Rechte Hetze und Gewalt. Die Ärzte begrüßen die Aktion, wollen aber nichts daran verdienen. Es wird alles an die Organisation Pro Asyl gespendet – und zwar auch die Erlöse durch Airplay.

Die Aktion ist ein voller Erfolg. Es gibt viel Zustimmung von der Presse und auch die Verkäufe von „Schrei nach Liebe“ sind in die Höhe geschnellt, auch in der Schweiz, in Österreich und Luxemburg.

Tadellose Aktion? Nicht für alle.
Es gibt auch herbe Kritik an der Aktion. Schindluder.net, sonst spezialisiert darauf, uns mit lustigen Bildchen und Sprüchen zu erfreuen, nennt das Ganze die „Aktion der Arschlöcher“.

[Sorry, den folgenden Absatz musste ich streichen. Hier hab ich den Sin der Aussage von Schindluder.net völlig entstellt – ohne Absicht, einfach durch Schlampigkeit. Ich entschuldige mich.]
Die Argumente gegen die Aktion Arschloch sind einerseits subjektiv:
Es ist nicht cool, […] „Schrei nach Liebe“ anzuhören […] macht auch definitiv keinen Spaß.
Das mag für manche stimmen. Ich mag den Song und singe gerne lauthals mit. Und viele andere offenbar auch.

Andere Die Argumente sind finde ich naiv:
Man muss immer, immer, immer, immer, immer und immer wieder mit Flüchtlingsgegnern reden und ihnen die Ängste nehmen. Nur wenn sie verstehen und sehen, dass Flüchtlinge verdammt arme und hilfsbedürftige Menschen sind, dann überlegen sie es sich vielleicht zweimal ob sie ein Heim anzünden.
Wie bitte? Das ist idealistisch aber nicht realistisch. Rassisten sind für Argumente und das Leid der anderen nicht offen. Sie sind Hasser, keine Skeptiker und keine „besorgten Bürger“. Menschen mit Ängsten und Sorgen zünden nichts an, verbreiten keine Gewalt und urinieren nicht auf Flüchtlingskinder.

Ist es ok, Ultra-Rechte als Arschlöcher zu bezeichnen?
Es ist sicher nicht der feine Ton. Argumente gehen den Rechten am, ‘Tschuldigung, Arsch vorbei. Und ob man sie Nazi, Pack oder sonstwas nennt, ist ihnen auch egal. Gerade das ist für alle normalen, empathischen Menschen so frustrierend – Argumente und Beschimpfungen bringen nichts. Aber: Man kann sich so seiner Frustration einfach Luft machen und es rausschreien: Arschloch!

[Hier zur Auflockerung das Lyrics-Video – bitte weiter unten weiterlesen]

Freilich, ist es ein Schrei der Ohnmacht, doch wenn viele ihn gemeinsam schreien, dann fühlt man sich nicht allein. Dann weiß man, dass es viel Menschlichkeit gibt und es sich lohnt, den Rechten gegenzuhalten.

Flüchtlingsjunge_Aylan_übermalt

„Wir TRAUERN NICHT wir FEIERN ES“ Welche Unmenschen denken so? Arschlöcher?

Dieses Gefühl tut auch einfach mal gut. Besonders wenn die Flüchtlingsgegner sich von ihrer hässlichsten und unmenschlichsten Seite zeigen. Zum Bild des 3-jährigen ertrunkenen Aylan, das dieser Tage wieder viele Menschen bewegt hat, tauchte auf Facebook dieses Posting auf:

Werden solche Unmenschen durch Argumente klüger? Nein. Sorry, aber in solchen Augenblicken fällt mir auch nichts anderes ein, als laut zu schreien: Arschloch! Arschloch! Arschloch!

 

 

Ich hätte ich mir nie gedacht, dass ich mal nach Medjugorje komme. Einer der beliebtesten Wallfahrtsorte vieler Katholiken, von der Kirche nicht anerkannt. Offizielle Wallfahrten hierher sind den Katholiken von der Kirche nicht erlaubt. Was aber eine Million Menschen nicht davon abhält trotzdem zu kommen. Mich auch nicht. Es war Teil einer einwöchigen Rundreise durch Bosnien und Kroatien. Ich habe mich an die Anweisung unseres Reiseleiters Peter gehalten und bin völlig wertungsfrei an den Ort rangegangen. Von „Was für ein Humbug“ bis zu „Hier begegnet man der Königin Maria“ ist an Meinungen zu Medjugorje alles möglich.
Begonnen hat die Erfahrung mit einem deutschsprachigen Gottesdienst. Die Kirche war bis auf den letzten Platz gefüllt. Der Priester fängt mit dem Schuldbekenntnis an.

IMG_5490Da war ich schon ein bisschen irritiert. Die Worte kamen automatisch über meine Lippen, obwohl ich es seit meiner Jugend nicht mehr in einer Messe gehört habe. Gehört wohl dazu hier, hab ich mir gedacht. Nach einem Lied und der Lesung begann der Priester zu predigen. Der erste Donnerstag des Monats ist der Priesterdonnerstag erklärte er, da geht es um die Berufung zum Priester. Was dann folgte war eine Ansprache im Stile amerikanischer Prediger, wortgewaltig, unterstrichen mit ausladender Mimik und Gestik. Er lobte die Italiener, die die begnadeten Hände der Priester küssen würden, was im deutschsprachigen Raum leider nicht gemacht würde. Er küsste seine Hände dabei. Obwohl diese Hände segnen würden, heilen und Trost spenden. Wie bitte? Dann müsste ich auch die Hände meiner Freunde und meines Zahnarztes küssen, was ich nicht vorhabe zu tun. Und er erklärte, dass Maria bei jedem Gottesdienst hinter dem Priester stünde. Die Aufgabe des Priesters wäre es Maria zu dienen und dabei immer kleiner zu werden, bis der Priester wieder Kind ist und er zurück in den Schoss und das Herz Marias könne. Aha! Schnitt!!!
IMG_5492Diese Predigt hat es mir sehr schwer gemacht jetzt wertfrei auf den Erscheinungsberg zu gehen. Der Anstieg ist steil, es gibt keinen Weg, man muss ihn sich selbst suchen. Über rotbraune Steine geht es hinauf, viele schon glatt gescheuert von den Unmengen an Pilgern. Es begegnen mir Menschen, die einen Rosenkranz beten. Andere erklimmen ihn barfuß. Manche steigen in großem Tempo nach oben. Andere setzen bewusst Fuß vor Fuß. Oben angelangt erwartet mich die Statue Marias, an dem Ort an dem sie monatlich ihre Botschaften bekannt geben soll. Viele Menschen sitzen auf den Steinen, lassen den Ort auf sich wirken. Viele beten, manche kniend, andere stehend. Einige murmeln, die meisten sind still ins Gebet versunken. Bei der Statue liegen unzählige Dinge. Fotos, Gegenstände, kleine Zettel mit Bitten oder Danksagungen drauf. Das ist der Moment, an dem mir bewusst wird, wie wichtig für viele Gläubige dieser Ort wohl ist. Hier lassen sie ihren Kummer, ihre Freude, ihre Hoffnungen.
Ich habe andere Orte, die mir spirituell Kraft und Hoffnung geben.

Zurück im Ort schlendere ich noch durch die Straße, die gesäumt ist von unzähligen Andenkengeschäften. Von der lebensgroßen Marienstatue bis zum Kühlschrankmagneten ist hier alles zu erwerben. Wallfahrtsortangebot wie überall auf der Welt, wie jede religiöse Kultstätte das kennt.

Ich verlasse Medjugorje wie ich gekommen bin, wertungsfrei. Nicht beseelt aber auch nicht abgestoßen. Nur die Predigt wird noch lange in mir nachhallen, aber mich darin bestärken, dass die Sicht des Priesters nicht meine christliche Sicht ist. Und ich weiß, dass ich damit nicht alleine bin und das freut mich.

 

Lest auch meinen Reisebericht über Sarajevo