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Die Traumaforschung beschäftigt sich schon lange mit menschlichen Ressourcen, Quellen, die Menschen in schweren Lebensphasen helfen.[1] Verwandt damit ist die Forschung der Resilienz – der psychischen Widerstandskraft. Gemeint ist die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen und sie durch Rückgriff auf Ressourcen als Anlass für Entwicklungen zu nutzen.Beides, die Ressourcen wie auch die Widerstandskraft, können und sollten zeitlebens auf- und ausgebaut werden.

Ich gebe in Seminaren zu Traumapädagogik gerne folgendes Beispiel aus einem Alltag:

„Stellen Sie sich vor:

Montag Morgen: Sie haben den Wecker überhört. Das bedeutet Stress, kein Frühstück und der Bus ist abgefahren. Sie stehen an der Haltestelle im Regen. Durchnässt kommen Sie im Büro an. Die Chefin rügt Sie, da Sie ein wichtiges Meeting versäumt haben. Das Kantinenessen verdient seinen Namen, die Kleidung ist auch am Nachmittag noch nicht vollends getrocknet. Sie machen Überstunden, um Liegengebliebenes aufzuarbeiten. Spät abends kommen Sie nach Hause – Ihr Partner/Ihre Partnerin ist sauer, weil Sie ins Theater wollten.

Welche Quellen haben Sie, welche, auch kleinen, Freuden, um aus diesem Tag noch ein gutes Ende zu machen?“

Teilnehmende haben viele Ideen:

  • eine Hunderunde im Finsteren
  • bügeln / kochen / putzen
  • singen / musizieren / Musik hören
  • Zärtlichkeit / Körperkontakt / Massage
  • einen guten Film downloaden
  • Katze… streicheln
  • ein gutes Glas Wein
  • Freund*in anrufen
  • Karten spielen

Und dann gibt es noch die vielen Freuden im Leben, auf die wir nicht ständig, dafür aber regelmäßig zugreifen können:

  • im Chor singen
  • eine neue Sportart ausprobieren
  • einen Tanz-/ Koch- / Keramik- / Fotografie-/ Mal-/ Sprachkurs belegen
  • regelmäßige Kino- oder Theaterbesuche
  • sich Wellness / Kosmetik / Massage gönnen
  • ausgedehnte Spaziergänge / Wanderungen
  • Reisen
  • ein Studium beginnen
  • sich ehrenamtlich engagieren
  • Freundschaften pflegen

Jedem Menschen kann jederzeit Schlimmes passieren.

Menschen, die auf viele Ressourcen zurückgreifen können, auf unterschiedlichste Lebensfreuden, bewältigen dramatische Lebensabschnitte besser.

Krisen als Chance im Leben wahrzunehmen, fällt leichter, je stärker die eigene Widerstandskraft gediehen ist.[2]

Das heißt wir sollten jetzt unsere Freuden pflegen. Für das Jetzt, den Alltag. Öfter mal etwas Neues ausprobieren – sich auf Unerwartetes einlassen und damit neue Kraftquellen erfahren.Und keine Ausreden gelten lassen! „Zeit und Geld“ sind solche Ausreden: viele Freuden brauchen nur kurze Minuten und sind völlig gratis.Ob aus einer dramatischen Situation eine traumatische entsteht, hängt oft mit der persönlichen Widerstandskraft zusammen.

Ich geh jetzt eine Hunderunde!

Beitrag von Gabriele Rothuber, System. Traumapädagogin & -Fachberaterin

[1] Salutogenese-Ansatz von Aaron Antonovsky
[2] Selbstverständlich sollten Sie professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, wenn Lebenskrisen nicht bewältigbar erscheinen und alltagsbeeinträchtigend für Sie sind

von Sonja Schiff

sonja schiff für SVB

Sonja Schiff

Seit Wochen beschäftigt unsere Gesellschaft und die Politik das Thema Flüchtlinge. Berichte in den Medien versuchen uns die Not der geflüchteten Menschen näherzubringen, versuchen zu beschreiben, warum Menschen ihre Heimat verlassen und in der Fremde Schutz suchen. Unsere Gesellschaft ist derzeit gespalten, da finden sich auf der einen Seite jene, die Schutzsuchende willkommen heißen, ihnen aktiv helfen und da gibt es auf der anderen Seite jene, die sich fürchten, vor dem Verlust der eigenen Kultur, vor einem Absinken des eigenen Wohlstands und vor allem vor dem Unbekannten, vor dem Fremden an sich.

Mir geht dieser Tage immer wieder eine berufliche Begegnung durch den Kopf, eine Begegnung, die mich in jungen Jahren sehr verändert hat, die letztlich mein Herz geöffnet hat für Menschen auf der Flucht.

Jänner 1991.

Ich bin eine junge Krankenschwester und arbeite in der Hauskrankenpflege. Ich pflege und betreue also alte Menschen in ihren eigenen vier Wänden. Mein Haupteinsatzgebiet ist die Bessarabiersiedlung, das sogenannte Glasscherbenviertel von Salzburg, entstanden aus Flüchtlingsbaracken, für Flüchtlinge aus dem Banat und Bessarabien. Bessarabiersiedlung, das sind 1991 vor allem Sozialbauten und es heißt, wer hier einmal gewohnt hat, kommt nicht mehr raus aus dem Elend.

Seit etwa einem Jahr besuche ich täglich zwei Mal die gehbeeinträchtigte Martha Gerner (Name frei erfunden, Anmerkung der Autorin), sie ist 85 Jahre alt und hat  eine leichte Demenz. Eingezogen in eine Flüchtlingsbaracke in der Bessarabiersiedlung irgendwann gegen Ende des zweiten Weltkriegs als junge Frau, hat sie tatsächlich ihr gesamtes Leben in dieser Siedlung verbracht. Aus der ehemaligen Baracke wurde irgendwann eine kleine Wohnung, mit einer richtigen Toilette und einem eigenen Bad. Hier lebte Frau Gerner ihr Leben, sie heiratete, bekam drei Kinder und wurde irgendwann wieder Witwe.

Martha Gerner kann sich nicht mehr alleine waschen, braucht Hilfe beim Anziehen und beim Ausziehen und bekommt als Diabetikerin von mir täglich zwei Mal ihre Insulininjektion. Neben der Pflegearbeit sprechen wir viel miteinander und so erfahre ich von Martha Gerners Flucht, damals Ende des zweiten Weltkrieges. Sie berichtet mir von den Ängsten, die sie damals durchlebt hat und davon, wie sie im Winter tagelang barfuß lief und ihre Zehen erfroren. Heute noch schmerzen diese und erinnern sie bei jedem Schritt an die lange beschwerliche Reise.

Als junge Krankenschwester höre ich mir ihre Geschichten an. Es ist Teil meiner Arbeit, mir die Geschichten der alten PatientInnen anzuhören. Aber wer täglich sieben oder acht solcher Geschichten hört, kann nicht jedes Gefühl an sich heranlassen. Was es bedeutet auf der Flucht zu sein, welche Ängste man durchlebt, das alles perlt an mir ab. Bis zu dem einen Tag im Jänner 1991.

Saddam Hussein hat vor einigen Monaten Kuweit besetzt. Amerika erklärt dem Irak den Krieg. Der Golfkrieg beginnt. Der erste Krieg, der via Fernsehen in die Wohnzimmer der Welt übertragen wird. Damit jene Welt, die sich nicht im Krieg befindet, Krieg schauen kann. Kriegserklärung, Angriffe, Bomben die detonieren, alles wird live in die Wohnzimmer der Welt übertragen.

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Fotocredit: www.pixabay.com

Als ich am ersten Tag nach der Kriegsankündigung Amerikas zu Frau Gerner komme, finde ich die alte Frau in ihrer Küche unter dem Esstisch. „Gehen Sie weg, gehen Sie weg“, schreit sie gellend und schaut mich funkelnd an. Nicht sofort verstehe ich den Grund für diese seltsame Situation, die ich da vorfinde. Doch dann höre ich, dass im Wohnzimmer der Fernseher läuft. Man hört Bomben einschlagen, Detonationen, Stimmen die rufen. Der Golfkrieg ist also auch im Wohnzimmer von Frau Gerner gelandet.

„Gehen Sie weg, weg mit Ihnen“ schreit die ehemalige Flüchtlingsfrau und droht mir mit einem Küchenmesser. „Ich steche Sie ab! Gehen Sie weg!“. Nach einigem Überlegen gehe ich in ihr Wohnzimmer und schalte den Fernseher aus. Ich warte ein paar Minuten und betrete dann erneut die Küche, spreche Frau Gerner mit ihrem Namen an, erkläre ihr, dass es nur ich wäre, ihre Krankenschwester. Da fängt sie an zu weinen und dieses Weinen wächst zu einem langen schweren Schluchzen. Als sie irgendwann, immer noch unter dem Tisch kauernd, Kraft findet zu sprechen, höre ich die 85 jährige Frau fragen: „Kommen jetzt wieder die Soldaten? Haben wir jetzt wieder Krieg, Schwester?“

Ich weiß noch, wie es mir damals die Gänsehaut aufgezogen hat. Die Angst der Patientin war für mich junge Frau, die ich zum Glück ohne Krieg aufgewachsen bin, mit einem Mal so präsent, ihr erlebtes Grauen war so nah. Was muss ein Mensch alles erlebt haben, dass er mit 85 Jahren und mit einer Gehbeeinträchtigung unter den Esstisch kriecht, um sich zu verstecken? Was muss ein Mensch gesehen haben, dass er hochbetagt wie paralysiert unter einem Tisch kauert und um sein Leben wimmert.

Wenn ich heute in die Gesichter der Flüchtlinge schaue, dann denke ich immer und immer wieder an Frau Gerner, die ich eigentlich schon lange in meinen Erinnerungen vergraben hatte. Dann ist mir ihr Grauen wieder nah, ihr Schreien, ihre Angst und ich ahne, was jene Menschen, die gerade auf unseren Bahnhöfen schlafen und hoffen, erlitten haben.

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Sonja Schiff, MA ist Gerontologin und Altenpflegeexpertin. Sie hält Seminare für Altenpflegeeinrichtungen, sowie Pensionsvorbereitungsseminare für Firmen. Im Oktober 2015 erscheint ihr erstes Buch „10 Dinge, die ich von alten Menschen über das Leben lernte“.

Mehr Infos zu Sonja Schiff finden Sie unter:

careconsulting

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oder Psychomigration-oder die Flüchtlingskrise aus psychiatrischer Sicht!

von Dr. Carolin Schiefer

Ein Dialog zweier älterer Damen:

A:“Glaubst gibt‘s in 20 Jahren no Österreicher?“

B:“Ja, logisch gibt‘s die dann no, woher die kommen und welche Sprache die vorher gred haben weiß ma ned, aber es sind dann Österreicher..“

„Die Flüchtlinge“ sind derzeit in aller Munde.

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Dr. Carolin Schiefer

Es herrscht Betroffenheit, egal ob nun positiv oder negativ besetzt. Jetzt da die Folgen des Krieges direkt an uns „vorbeimarschieren“ und soziale Medien wie Facebook es vereinfachen mitzureden. Frei nach dem Motto „wer nichts weiß, muss alles glauben“ wird munter diskutiert, eingemischt und verleumdet, auch wenn die vermeintlichen Tatsachen widerlegt werden.

Opfer und Täter liegen unangenehm eng beieinander da die „Beflüchteten“ sich genauso als Opfer fühlen wie die Geflüchteten selbst. Angst vor Gewalt, Terror und Konkurrenz heizen die Stimmung auf und gleichzeitig sieht jeder wie zerbrechlich der eigene „Friede“ ist.

Was passiert nun mit den Betroffenen wenn der Alltag nicht mehr existiert?

Viele Menschen, deren Eltern oder Großeltern zum Beispiel im Zweiten Weltkrieg traumatische Erfahrungen erlebt und diese nicht aufgearbeitet haben, empfinden genauso Ängste und entwickeln Befürchtungen wie die Flüchtlinge selbst. Bei den Flüchtlingen heute ist das Trauma ganz frisch. Mittlerweile ist bekannt, dass traumatische Erfahrungen „vererbt“ werden können und bei nachfolgenden Generationen Symptome auslösen, die dann zu der erlebten Abwehr und Aggression führen können.

Das heißt vereinfacht: Flüchtlinge heute treffen auf Menschen in Österreich, die ähnliche Befürchtungen und Ängste haben können. Ängste und Befürchtungen können nur ausgeräumt werden, wenn man darüber spricht. Information, Gespräch und Austausch über die Angst ist ein Weg für ein friedliches Miteinander.

Im Allgemeinen kann jeder von uns auch belastende Ereignisse „wegstecken“. Wenn aber der Druck größer und die Belastung stärker wird, werden bei manchen Menschen vorerst Trauer, Angst und dann Wut auftreten, die aber kein eindeutiges Ziel haben. Dadurch können dann Schlafstörungen, Flashbacks, Ängste, Albträume, Gereiztheit und Schreckhaftigkeit auftreten, die sich in übersteigerter Form zeigen und das Leben nahezu unmöglich erscheinen lassen.

Als Psychiater und Psychotherapeut ist man mit dem Umgang solcher Belastungen vertraut.

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Für ein friedliches Miteinander

Die bekanntesten Begriffe sind wohl die akute Belastungsstörung bzw. die Posttraumatische Belastungsstörung, wobei natürlich im Rahmen dieser auch Somatisierungsstörungen (Schmerzen ohne sichtbare Ursache), Depressionen und Schlafstörungen auftreten können.

Das alles gehört in professionelle Hand.

Meist wird anhand der Beschwerden mittels Psychopharmakotherapie eine erste Symptombehandlung durchgeführt. Das führt zu einem  Ausgleich von Konzentrationsstörungen der Botenstoffe im Gehirn, welche die Symptome verursachen. Durch die Stabilisierung der Beschwerden ist in weiterer Folge eine psychotherapeutische Traumatherapie möglich. Damit ist aber behutsam umzugehen, eine Traumatherapie kann nicht aufgezwungen werden, das kann unnötigen Schaden verursachen. Eine vollständige Heilung ist meist nicht möglich, aber der Umgang mit der Belastung kann zumindest „neutral“ besetzt werden. Das heißt Menschen lernen damit zu leben. Heutige Flüchtlinge genauso wie Menschen, die in der Familie Generationen vorher traumatische Erlebnisse hatten.

Mehr Infos zu Dr. Carolin Schiefer

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