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Liebe Sonja,

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Absolut lesenswert!

du hast mir vor einigen Tagen dein frisch gedrucktes Buch „10 Dinge, die ich von alten Menschen über das Leben lernte“ vorbeigebracht. Mit der Bitte ich möge eine Buchkritik dazu schreiben. Heute habe ich, dank des Wetters, den Nachmittag am Sofa verbracht. Zuerst dachte ich, ich werde da mal kurz reinschnuppern und am Abend weiterlesen. Es war nichts mit reinschnuppern, ich habe es in einem durchgelesen.  Und weißt du warum? Weil es ein Buch ist, so ganz ohne Angst! Mit jeder Zeile machst du Mut, du forderst auf hinzuschauen, nachzufragen und keine Scheu zu haben. Das ist außergewöhnlich, gerade beim Thema Alter, Altern und die Alten. Was tun wir nicht seit Menschengedenken, um das Altern hinauszuschieben, die alten Menschen unsichtbarer zu machen, obwohl sie, wir, immer mehr werden. Hysterisch rennen viele der Jugend nach, mit 60 Jahren soll man noch so eine tolle Figur wie eine Zwanzigjährige haben. Wenn Sport und Ernährung nicht mehr helfen, dann müssen die Pillen das Wunder bewirken.

Die 10 Dinge, die du in deinem Buch als deine Einsichten, die du dank der Alten gewonnen hast, präsentierst, sind allesamt NICHT perfekt. Das ist wohltuend. Denn wer sonst, als Menschen, die dem Tode schon sehr nahe sind, können erkennen, was im langen Leben der eigentliche Sinn ist. Du verschweigst auch nicht, dass Alter alleine einen nicht weise und gütig machst, es gibt auch ganz böse Menschen. Und ich bin überzeugt, dass dein Buch vielen jungen Menschen Mut macht, sich für einen Beruf in der Altenpflege zu entscheiden.

ap1Ich habe auch deinen Brief an die Politik ganz aufmerksam gelesen. Ich bin in der Stadt Salzburg verantwortlich für die städtischen Seniorenwohnhäuser. Ich erlebe, wie sehr sich alle bemühen, den Bewohnerinnen und Bewohnern ein schönes Leben zu ermöglichen. Von den äußeren Rahmenbedingungen bis zu einem respektvollen Miteinander. Was ich auch sehe ist der Katalog, anhand dessen Seniorenwohnhäuser auf ihre Qualität hin geprüft werden. In den Berichten gibt es ganz ganz viele Punkte, die den Körper der Alten im Blick haben, waschen, kämmen, richtige Lagerung, Wundpflege, Tablettengabe. Nur wenige Kriterien in diesem Prüfkatalog haben den Menschen an sich im Blick. Seine seelischen Bedürfnisse, seine Ängste, seine Freuden, sein Rede- oder Schweigebedürfnis. Das ist gesetzlich nicht so richtig festgelegt, weil es auch nicht prüf- und messbar ist. Weil wir in der Politik auch von Angst geleitet sind. Denn, wenn etwas passiert, dann muss es prüfbar sein, um Verantwortung benennen zu können. Ein zufriedenes Lächeln, eine Kaffeeplauderei zählt da nicht. Kürzlich war ich in einem unserer Häuser und habe mehr als eine Stunde mit einer Bewohnerin verbracht, alleine. Sie hat mir Erschütterndes erzählt, ich musste weinen und dann hatten wir einen wunderbaren Moment. Sie erzählte von ihrem Geburtsort weit im Osten, den sie mit 15 Jahren zwangsweise 1942 verlassen musste und nie wieder gesehen hat. Ich habe mein IPad rausgeholt, die kleine Stadt gegoogelt und ihr die unzähligen Bilder gezeigt. Sie hat sie intensiv und lange angesehen und dann gesagt: „Viel hat sich dort verändert, aber doch auch wieder nichts, ich erkenne viele Plätze wieder.“

ap2Das sind, glaube ich die Momente, die du meinst, die du hundertfach erleben durftest und die dich zu deinen Erkenntnissen gebracht haben. Und wie du so schön am Anfang des Buches meinst: „Ich finde, Altenpflege ist der coolste Job der Welt. Auch wenn andere meinen, wir wären nur Arschputzer.“

Danke Sonja für das Buch. Du machst Menschen Mut, du nimmst Angst und du sprichst die Dinge direkt an. Das macht dein Buch so wertvoll, nicht nur für Menschen, die in der Altenpflege arbeiten. Sondern für alle, die offene Ohren, Augen und Herzen haben, um sich auf andere einzulassen. Für alle, die den Menschen an sich lieben und sich für ihn interessieren. Für alle, die Selbstzweifel haben, ob sie wohl gut und schön und gescheit genug sind. JA, sagst du und dir darf man glauben, weil du in deinem Buch auch dich selbst nicht versteckst, sondern uns teilhaben lässt daran, wie du Stärke und Ruhe gewonnen hast.

Danke Sonja!

Deine Anja

PS: Hier gibt es das Buch!

von Sonja Schiff

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Sonja Schiff

Noch genau ein Monat, dann bin ich 50 und meine eigene Zielgruppe, denn auf meinem Briefpapier steht ich betreibe ein „50plus-Kompetenzzentrum“. Je näher ich dem magischen Datum komme, desto peinlicher ist mir dieser Begriff. Ich erinnere mich noch an meinen Zorn, als ich aus einem Online-Forum mit dem Namen „Silver-Ager“ geworfen wurde, weil ich stolz verkündetet bald 50plus- Marketing betreiben zu wollen. Die meinten doch glatt, das wäre totaler Blödsinn und eine Frechheit! Was war ich erbost über so viel Unverständnis.

Wie kam ich damals, vor 13 Jahren, nur auf diese Bezeichnung? War es jugendlicher Übereifer, jugendliche Klugscheißerei oder Überheblichkeit? Oder war es Hilflosigkeit, weil beim Thema Alter einfach unsere Sprache versagt und es kaum positive Assoziationen gibt?

Im Moment überlege ich an meinem 50. Geburtstag einen Blog zu starten und als älterwerdende Frau aus meinem Leben und meiner Arbeit zu berichten. Eine Gerontologin, die das Älterwerden beruflich und persönlich reflektiert. Oder so ähnlich. Für dieses eventuelle Projekt suche ich jetzt einen Namen. Frau braucht ja dazu eine Domain. Tja, und da ist sie wieder die Namenssuche. Genauso verzwickt wie damals, als dieses peinliche „50-plus-Kompetenzzentrum“ entstand.

Portrait einer jungen und einer alten Frau

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Wo immer ich hinsehe, was immer ich lese, wen immer ich frage – zum Thema Alter gibt’s vor allem negative Zuschreibungen. Die Demographen meinen wir wären „überaltert“, die Politik hat Angst vor der „Rentnerlawine“ und der „Altenlast“, die Boulevardmedien rufen „Hilfe, wir vergreisen!“ und die Jungen nennen den Seniorentarif netterweise „Runzelrabatt“.  Ein älterer Mann wird als „alter Sack“ und „alter Knacker“ tituliert oder, wenn es netter ausfallen soll, als „Gruftie“.  Die ältere Frau ist eine „alte Schachtel“, eine „alte Tschäse“ oder ein „altes Haus“ und mehrere Exemplare davon verbreiten „Altweibergeschwätz“. Treten ältere Frauen und Männer in der Gruppe auf sind sie ein „Krampfadergeschwader“ und Teil der „Generation Kukident“. Zum Begriff „kinderleicht“ hat sich längst der Begriff „omaleicht“ oder „greiseneinfach“ gesellt.  Meine Lebensversicherung hat mir kürzlich meine „Restlebenserwartung“ vorgerechnet und ab dem 60. Lebensjahr gehört man ohnehin zu den „pflegenahen Jahrgängen“. Schöne Aussichten!

Sprachliche Altersdiskriminierung ist Alltag. Positive Begriffe in Zusammenhang mit Alter(n) haben Seltenheitswert und sind oft matte (aber wichtige!) Versuche die sprachliche Altersdiskriminierung zu überwinden, dazu gehören Begriffe wie „50plus“, „Altenkompetenz“, „Seniorenexpertin“ und Umschreibungen wie „Spätlese“. Vor ein paar Tagen fand ich eine Homepage mit dem Titel „Advanced Style“, es ging um modebewusste ältere und alte Frauen.

Zurück zu meiner Namenssuche für die Domain meines geplanten Blogs: Im Rennen liegen zurzeit „spätlese“, „alteschachtel“ oder „goldengirl“. Mit keinem Begriff bin ich allerdings wirklich glücklich! Wer immer die „goldene Idee“ für einen Domain-Namen hat, bitte dringend melden! Ich gebe dann auch einen SeniorInnenteller aus!

Sonja Schiff, MA ist Gerontologin und Altenpflegeexpertin. Sie berät Firmen und Pflegeeinrichtungen, hält Pensionsvorbereitungsseminare und bildet Wechseljahreberaterinnen aus.

http://www.careconsulting.at und http://www.wechselrat.at

siehe auch: http://zartbitter.co.at/gesellschaftspolitik/der-traum-von-der-ewigen-jugend/