Beiträge

Musik analysiert von Elisabeth Kaplan

Wie viele andere auch, bin ich gerade voll im James Bond-Fieber. Die Ehre, den Titelsong beizusteuern ist diesmal an Sam Smith gegangen, der sich hier wieder mal mit Jimmy Napes zusammengetan hat (wie schon z.B. bei seinem Megahit „Stay With Me“). Angeblich war der Song in 20 Minuten fertig. Ein paar Minuten mehr hätten nicht geschadet, finde ich. Hier mein Live-Ticker:

0:00
Ok, schöner Einsatz mit Pauken, Portamento-reichen Streichern und Hörnern – sehr Bond-würdig.
0:15
Strophe beginnt, die Begleitung wird auf Klavier reduziert. Smiths Einsatz: Na ja, auf dieses Knurren beim Ansingen des ersten Tons könnt ich verzichten, aber das gehört wohl einfach zu seinem Stil. Das Problem ist nur, wenn man darauf sensibilisiert ist, hört man es ständig. Yup, da schon wieder (0:23). Und noch mal. Verdammt.
0:45
Zweite Strophe. Sehr schön, jetzt mit Streichern. Generell finde ich die Strophen sehr vielversprechend – mal schauen, wie der Song weitergeht.
1:14
Aber hallo, was ist das jetzt? Plötzlicher unerwarteter Einsatz von Becken, Blechbläsern, u.a., in der Zeile „If I risk it all“. Aber das ist doch kein Refrain, sondern eher eine Bridge. Hmmm.
1:28
Merkwürdig. Nach den 14 Sekunden Bombast kommt jetzt wieder eine zarte, reduzierte Stelle, in der Smith mit seiner berühmten Falsett-Stimme die personifizierte Zerbrechlichkeit darstellt. Das ist aber auch kein Refrain, oder?
1:51
Aha: nach fast 2 Minuten, kommen wir endlich zum Titel. Ganz ehrlich, melodisch nicht besonders einprägsam. Und wo war jetzt der Refrain???

[Schaut euch hier das Video an oder scrollt runter und lest weiter]

Musikalisch passiert danach nicht mehr recht viel. Ein fettes Zwischenspiel erinnert uns gegen Ende nochmal daran, dass wir hier einen Bond-Song hören, was mir gefällt, da ich den satten Orchestersound sehr liebe.

Insgesamt muss ich aber sagen, dass mir einfach der Refrain fehlt, der mich anhebt und davonträgt. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum Smith im September selber gemeint hat, der Song wäre nicht unbedingt Nummer-Eins Material. Da hat er wohl nicht mit dem unglaublichen Bond-Hype gerechnet, der seinen Song jetzt doch bis an die Chart-Spitzen gebracht hat.

von Elisabeth Kaplan

Sam Smith ist der Liebling der Stunde in seiner Heimat England und seine stimmlichen Qualitäten sind nicht zu leugnen. Aber folgen wir „Stay With Me“ auf seinem Weg durch die Charts der Welt. Veröffentlicht wurde die Single im April und wurde gleich in einigen englisch-sprachigen Ländern mit großer Begeisterung aufgenommen. Sie erreichte in kurzer Zeit die Spitze der Charts in England, Kanada, Irland und Neuseeland (interessanterweise aber nicht in Australien), und diese Woche nahm sie den ersten Platz auf den Billboard Charts ein. Und seit die USA ihren Gütesiegel draufgeklatscht haben, ziehen weitere Länder allmählich nach, etwa die Schweiz, wo der Song derzeit auf Platz 8 liegt, in Deutschland auf Platz 15, oder Österreich auf Platz 18. Und Smiths Auftritt bei den VMAs diesen Sonntag (24.8.) wird vermutlich die Verkäufe noch einmal ankurbeln.

So ist es offensichtlich, dass „Stay With Me“ beim englisch-sprachigen Publikum spontan auf Anklang stößt. Warum eigentlich? Obwohl dieser Song bei mir persönlich keine Begeisterungsstürme auslöst – ok, ich geb zu, ich find ihn eher austauschbar und er ist für mich einer der schwächeren Songs auf Smiths ansonsten ziemlich soliden Debüt-Album – werde ich versuchen die Qualitäten zu finden, die offensichtlich viele, viele Menschen berühren.

Tom_Petty_Walk_of_Fame

(Foto: Mr Bulitt)

Danke, Tom Petty!
Das erste, das mir bei „Stay With Me“ auffiel, ist die offenkundige Ähnlichkeit des Refrains mit „I Won’t Back Down“ (1989) von der amerikanischen Ikone Tom Petty. Ehrlich gesagt, bin ich überrascht, dass es (noch) keine rechtlichen Folgen gegeben hat. Gerade diese Woche wurde Shakira des Plagiats für schuldig befunden [„Loca“], also dürfen wir gespannt sein, ob Petty Beschwerde einlegt. Aber prinzipiell ist das Spiel mit vertraut klingenden Elementen eine clevere Marketingstrategie. Für Menschen aus englisch-sprachigen Kulturkreisen ist „I Won’t Back Down“ schließlich ein Klassiker, den wirklich jeder kennt, somit macht sich „Stay With Me“ diesen Wiedererkennungswert zunutze. „Stay With Me“ besteht im Großen und Ganzen aus drei Akkorden, nämlich vi – IV – I (Am – F – C), während Tom Petty seinen Song auf vi – V – I stützt. Das ist aber im gesamten ein winziger Unterschied, wenn man bedenkt, dass die Refrain-Melodien fast ident sind. In der dritten Zeile variiert Smiths Melodie zwar minimal, und Tom Petty fügt da eine unerwartete IV. Stufe als Überraschungseffekt ein, aber im Grunde genommen sind die Refrains gleich. So war es eigentlich vorherzusehen, dass die Vertrautheit des Songs bei vielen Leuten Anklang findet.

Kein Love-Song
Der Einsatz einer Hammondorgel und gospel-artiger Backing Vocals stellt auch eine Verbindung zur US-amerikanischen Kultur her, und Gospel ist ein Musikstil, der viele Menschen tief berührt. Für mich ist die Verwendung dieser Elemente aber eigenartig und einfach fehl am Platz. Grundsätzlich verleiht ein Gospelchor einem Song sofort Power, denn schließlich ist es nicht nur eine Person, die uns da etwas mitteilen möchte, sondern gleich zwanzig – also muss es ja stimmen. Der Chor hat die Aufgabe, die Aussage des Leadsängers zu bestätigen und zu bekräftigen, genauso wie es im traditionellen kirchlichen Rahmen der Fall ist. Aber: „Stay With Me“ handelt von einem jungen Mann, der sich nach einem One-Night-Stand unendlich leer und einsam fühlt. So ist die Idee, diese Verletzlichkeit und Einsamkeit durch einen Gospelchor zu untermauern, für mich einfach absurd.

Sam Smith live in Boston (Foto: Xavier Miró Bruix; Lizenz: CC BY-SA 3.0)

Sam Smith live in Boston
(Foto: Xavier Miró Bruix; Lizenz: CC BY-SA 3.0)

Ich glaube, das Arrangement führt die Zuhörer auch in Bezug auf den textlichen Inhalt in die Irre. Ich bin mir ziemlich sicher, viele Brautpaare werden sich diesen Song auf ihrer Hochzeit wünschen, weil sie denken, „Stay With Me“ wäre ein Liebeslied. Ich empfehle, den ganzen Text durchzulesen. „Oh, won’t you stay with me? / ‘Cause you’re all I need“ klingt ja noch ganz nett, aber „This ain’t love, it’s clear to see“ wäre aber dann eine eher unangemessene Botschaft bei einer Verehelichung.

Letzten Endes ist es Sam Smiths Stimme, die den Song trägt, obwohl ich finde, dass sie in Songs wie „I’m Not the Only One“, „Not In That Way“, oder auch „Restart“ besser zur Geltung kommt. Smith hat selbst gesagt, dass sein Debüt-Album, „In the Lonely Hour“, für einsame Menschen geschrieben wurde. Und für mich hat er als Person immer etwas Trauriges an sich, was vielleicht gerade den Zauber seiner Stimme ausmacht. Aber wenn ich ihn in Interviews sehe, fürchte ich ein bisschen um diesen traurigen, sensiblen Jungen und hoffe inständig, dass er dem Ruhm nicht zum Opfer fällt.

Seht hier das Video zu „Stay With Me“: https://www.youtube.com/watch?v=pB-5XG-DbAA

Die englische Originalversion dieses Blogeintrages lest ihr hier: http://www.elisabethkaplan.com/Blog/Entries/2014/8/23_Stay_With_Me_-_Sam_Smith.html

NICHT VERGESSEN: Unser AUFRUF AN ÖSTERREICHISCHE POP ACTS endet am 15.9.! Reicht eure Songs ein und seid im Oktober „Unter der Lupe“! Infos dazu hier: http://zartbitter.co.at/allgemein/aufruf-oesterreichische-pop-acts/