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von Christian Namberger

Heuer im Frühjahr erzählte eine Freundin während eines gemütlichen Zusammenseins von Reims. Sie schwärmte alsgerade von der schönen Stadt und von der Möglichkeit, direkt beim Champagnerbauern zu kaufen.

Der Tag verging mit viel Plaudern, Essen und Lachen. Einige Freunde und ich beschlossen, im Herbst mit einem großen Mietwagen nach Rääää zu reisen. So spricht man den Ort korrekt aus! [Anmerkung der Redaktion: Eben nicht ;-)]

Mein erster Auslandsaufenthalt seit sechs Jahren – im Rollstuhl

Mein erster Auslandsaufenthalt seit sechs Jahren – im Rollstuhl

Kann ich mit Rollstuhl verreisen?
Einerseits war ich natürlich über meinen eigenen Mut erschrocken, war ich doch seit meiner Erkrankung und im Rollstuhl nie weiter weg von Zuhause als am anderen Ende der Stadt! Andererseits ist die Aussicht, günstigst edlen Champagner vor Ort zu erwerben, eine ganz wunderbare. Günstigst ist nach gratis mein zweites Zauberwort!
Meine Ängstlichkeit überwog etwas. So sehr, dass ich eigentlich hoffte, dass es die anderen nicht so ernst gemeint hätten. Doch bald wurde gebucht: fünf Tage im Herbst.

Die Vorgabe fürs Reisebüro war natürlich, dass ich ein barrierefreies Zimmer benötige. Die Dame dort hatte ziemlich Mühe, etwas Geeignetes zu finden. Das erste Hotel, das wir gebucht hätten, bot uns tatsächlich ein Zimmer mit Badewanne als barrierefrei an. Ich benötige aber eine Dusche, und zwar eine ohne Schwelle. Letztendlich klappte es doch und das Reisebüro buchte für uns ein schönes Hotel an der Peripherie von Metz. Diese Stadt wählten wir als Hauptquartier, wir wollten ja nicht nur Rääää erkunden.
Jedenfalls wollte ich vorsichtig sein, falls das mit der Barrierefreiheit doch nicht so klappt. Darum besorgte ich vorsorglich einen zusammenlegbaren Duschhocker und einen Vakuumgriff für Schwerlasten, denn ich brauche jedenfalls etwas zum Anhalten.
Wir brauchten auch ein großes Auto: mit genügend Platz für fünf Leute samt Gepäck, kistenweise Champagner und natürlich meinen Rollstuhl. Also organisierte ich bei einem Autoverleih einen Mini-Bus.

Muss ich jetzt daheim bleiben?
Los ging es am Donnerstag in der Frühe. Am Vorabend holten wir den Wagen schon ab, damit wir anderntags in Ruhe loszischen konnten. Beim abholen war ich leicht panisch. Der Mini-Bus, ein 9-Sitzer Modell, war nämlich viel zu hoch! Trotz meiner 1,99 m war er für mich fast nicht zu erklimmen. Dummerweise hatte der Wagen weder einen Haltegriff über dem Einstieg, noch am Fensterrahmen. Auch wenn ich meine Beine anheben kann – die Stufen waren viel zu weit oben für meine geschundenen Haxerl. Mit Müh und Not konnte ich, mit starken Drücken und Schieben an meinem mittlerweile knackigen Hintern, in den Wagen gehievt werden! Da musste noch eine Lösung her. Und zwar schon bis zum nächsten Tag in der Früh.

Am Abreisetag wurde ich als letzter abgeholt. Das war mir nur recht, konnte ich mich doch so in Ruhe zusammenrichten. Und siehe da: Die lieben brachten tatsächlich einen Holzschemel mit. Somit konnte ich beinahe elegant in den Wagen steigen.

Die älteren Damen in Augsburg haben Geschmack – so feine Kuchen gabs im Café

Die älteren Damen in Augsburg haben Geschmack – so feine Kuchen gabs im Café

Jause in Augsburg 
Das Wetter war ideal zum Reisen. Wir vereinbarten, dass wir auf der langen Fahrt nach Frankreich und auch auf der Fahrt zurück jeweils in einer deutschen Stadt auf der Strecke Halt machen. Bei der Hinreise wählten wir Augsburg. Von der Autobahn abgefahren, fanden wir ganz leicht den direkten Weg ins Zentrum – und auch sofort einen Parkplatz. Am Stadtplatz entdeckten wir ein typisches Alte-Leute-Café, das wählten wir zum Frühstück. Die wenigen Tische im Erdgeschoß waren alle besetzt. Ich dachte, bei der Ansammlung von Rollatoren und älteren Damen mit lilafarbenen Dauerwellen, gibt es sicher einen Lift in den ersten Stock. Doch dem war nicht so. Die freundliche Dame an der üppigen Kuchentheke bot uns aber an, das Stiegenhaus zu öffnen. Dort gäbe es einen Lift. Er sei allerdings so klein, da könne ich sicher nur stehend(!) rein. Na toll.

Wir versuchten es. Raus aus dem Café und zum Seiteneingang des Hauses. Nach Demontage der Fußstützen war das Reinschieben reine Millimeterarbeit. Die Knie standen an der Rückwand des Lifts an, aber die Tür ging immerhin gerade noch zu. Ich kam mir vor, wie eine Lieferung in einem Lastenaufzug! Aber egal. Oben angekommen, gings raus aus dem Käfig und rein ins entzückende Cafe. Wir blieben eine zeitlang bei je einem Kännchen Kaffee und bewunderten, den Altersschnitt in dem Raum deutlich senkend, die Aussicht durch das Panoramafenster. Wir wollten aufbrechen, also nutzten alle die Keramik vor Ort. Außer ich. Seltsamerweise besaß das Café keine Behindertentoilette – bei einem Altersschnitt von 75! Macht nichts. Aus dem Panoramafenster hatten wir nämlich eine öffentliche Toilettenanlage mit dem Rollstuhlzeichen gesehen. Also wieder raus ins Treppenhaus und in den Minilift gepfercht. Wieder draußen, rollte ich zu besagter Anlage und bemerkte, dass ich meinen Eurokey im Auto vergessen hatte. Mit dem kann man die meisten Türen sperren. In der Touristen-Information nebenan erfuhren wir, dass in der anderen Toilettenanlage für aufrecht Gehende, jemand sitzt, der einen Schlüssel für die Behindertenkeramik hat. Nur saß der Gute im Keller (ohne Lift) und man musste ihn erst holen. Alleine wäre ich da aufgeschmissen gewesen. Nach Öffnen der Tür besuchten die anderen das Rathaus mit seinem spektakulären Goldenen Saal. Dadurch hatte ich mehr als genug Zeit, um mein Geschäft zu verrichten. Alle hatten also etwas davon. Anschließend lotste uns das Navi wieder zurück auf die Autobahn und wir rollten für deutsche Geschwindigkeiten gemütlich gen Nordwesten.
Nach drei weiteren Stopps kamen wir abends in Metz an und checkten im Hotel ein. Mein Zimmer war Parterre mit Blick auf den Parkplatz. Die anderen nächtigten oben mit Blick ins Grüne. Aber was soll’s. Ich war schon auf die Barrierefreiheit gespannt!

Die Dusche ist schwellenlos, aber den Hocker musste ich selbst mitbringen

Die Dusche ist schwellenlos, aber den Hocker musste ich selbst mitbringen

Der Hotelzimmer-Check
Beim Hinrollen entdeckte ich, dass sich in der Zimmertür nicht nur der reguläre Spion befand, sondern auch ein zweiter in Sitztiefe. Und die Schilder mit den Zimmernummern wiesen auch Blindenschrift auf. Nicht schlecht! Der gute erste Eindruck wurde aber gleich wieder zunichte gemacht. Die Tür ging nämlich dermaßen schwer auf, da brauchte man fast eine zweite Person zur Hilfe – oder gute Armmuskulatur! Ich schaffte es allein. Gerade mal so.

Im Zimmer folgte gleich als erstes der Blick ins Bad. Siehe da, tatsächlich barrierefrei! Allerdings ohne Sitzgelegenheit zum Duschen. Gut, dass ich mich mit dem Duschhocker gerüstet hatte. Den Haltegriff brauchte ich nicht.

Nachdem alle ihre Zimmer bezogen hatten, trafen wir uns noch kurz im Hotelrestaurant auf eine Kleinigkeit zu essen und dann ging es ab ins französische Bett. Wir waren doch alle ziemlich erledigt. Der Fahrer wegen der vielen Kilometer und wir anderen ob der vielen Eindrücke. Am nächsten Tag sollte es nach Verdun gehen. Es würde also ein neuer Tag mit vielen neuen Eindrücken werden. Darum: Gute Nacht John Boy!