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von Elisabeth Kaplan

Vor einigen Wochen hat Zartbitter einen Aufruf gestartet, um neue österreichische Pop-Acts kennenzulernen und unter die Lupe zu nehmen. Am besten gefallen von allen Einreichungen hat uns Kathi Kallauchs Song „Schon Sehen“.

Unsere Nr. 1: Kathi Kallauch  (Foto: Bernhard Eder)

Unsere Nr. 1: Kathi Kallauch
(Foto: Bernhard Eder)

Kathi Kallauch ist zwar gebürtige Deutsche, lebt aber seit ihrer Jugend in Österreich. Als Sängerin und Songschreiberin begeistert Kallauch durch ihre Natürlichkeit und authentische, sympathische Ausstrahlung. Ihre erste EP mit sechs eigenen Songs hat sie Ende September rausgebracht und zu „Schon Sehen“ gibt es auch ein charmantes Video.

Im Hier und Jetzt leben. Wie geht das?!
Inhaltlich dreht sich „Schon Sehen“ um die Bemühungen einer Person, die Aufforderung umzusetzen, im Hier und Jetzt zu leben – ein Ratschlag, der leichter gesagt als getan ist, wie Kallauch in den ersten paar Zeilen festhält:
Wie meinst du das jetzt: „Leben im Jetzt“?
Ich sitz auf meinem Bett und versuch ihn zu umarmen den Moment
der immer wieder wegrennt.

Mit diesem Dilemma setzt sich die Sängerin in den ersten beiden Strophen auseinander. Mit dem Einsatz des Refrains scheint es dann plötzlich Klick zu machen. Sie singt:
Und dann wird alles so einfach
Ich lass die schweren Dinge los …

So sieht das Cover zu Kathi Kallauchs EP aus. Wenn euch wichtig ist, dass es weiterhin österrichische Popmusik gibt: Die EP gibts zu kaufen

So sieht das Cover zu Kathi Kallauchs EP aus. Wenn euch wichtig ist, dass es weiterhin österrichische Popmusik gibt: Die EP gibts zu kaufen

Instabile Struktur hebt die Unvorhersehbarkeit hervor
An den Strophen gefällt mir ihre Fluidität: Geht man davon aus, dass es drei Strophen gibt (1. „Wie meinst du das jetzt“; 2. „Türen gehen zu“; 3. „Du hältst meinen Kopf“ – wobei man die beiden ersten auch als eine zusammengefasste Strophe sehen könnte), unterscheiden sich diese in Bezug auf ihre Länge und melodische Bewegung. Die mäandernden, wellenartigen Bewegungen in der Gesangslinie sind wie das Leben selbst, das unvorhergesehene Wendungen nimmt, und unterstreichen die Idee des Songs, nämlich die Dinge einfach so zu nehmen, wie sie kommen. Eine rigide, auf vier-taktige Abschnitte aufgebaute Struktur würde dem Song hier ganz und gar nicht dienen. Besonders gefällt mir der gekürzte Takt bei „wegrennt“, der beim Anhören tatsächlich den Eindruck vermittelt, als würde einem der Moment durch die Finger flutschen.

Stabile Struktur betont die Erkenntnis
Der Refrain ist strukturell stabiler und klarer als die Strophen, denn da wird plötzlich „alles so einfach“, wie es im Text heißt. Inhaltlich ist ja der Refrain der Punkt, an dem die Sängerin erkennt, was es bedeutet, den Augenblick voll auszukosten, wo also alles klar wird.

Die instrumentale Begleitung gibt jedem Refrain einen anderen Charakter: So übernimmt sie im ersten Refrain die Leichtigkeit aus der Strophe mit den Akkordzerlegungen in der Gitarre. Der zweite Refrain wird spielerischer, dank einer Veränderung im Schlagzeugrhythmus und der Beifügung eines Akkordeons. Im dritten Refrain wird die Begleitung reduziert, sodass sie nur aus Ukulele und Glockenspiel besteht. Diese Instrumentenkombi erzeugt eine sorglose und verspielte Stimmung – eben die kindliche Sicht auf die Welt. Bei den weiteren Wiederholungen wird dann wieder aufgebaut, indem die anderen Instrumente und Backing Vocals wieder dazukommen.

Resumee
Kathi Kallauch ist mit ihrem Akustik-Pop-Sound und gewissenhaft getexteten Lyrics ein Gute-Laune-Song gelungen, der zu recht sogar auf Ö3 Airplay bekommt. Wir von Zartbitter gratulieren ihr dazu. Weiter so, Kathi – und viel Erfolg!

Unterstützt die heimische Musikszene und kauft die EP! Zum Beispiel auf iTunes.

von Elisabeth Kaplan

Heute geht es in meiner Österreich-Serie um das Wiener Pop-Duo Fijuka. Diese zwei Damen, Ankathie Koi (Gesang) und Judith Filimónova (Bass), haben sich an der Uni in Wien kennengelernt und haben Fijuka 2011 ins Leben gerufen. Sie beschreiben sich selbst als „synthie-pop-electronica minded band“, allerdings stelle ich mir unter der Bezeichnung etwas ganz anderes vor – nämlich eher den cleanen, digitalen Sound von Bands wie La Roux oder Chvrches. Fijuka, hingegen, klingt im Vergleich dazu sehr natürlich und warm, was der Verwendung von analogen Synth-Sounds und einem echten E-Bass zu verdanken ist. Was die Musik von Fijuka ausmacht ist für mich in erster Linie das Charisma und die Stimme von Ankathie Koi, zweitens die Synth-Sounds, und drittens der Bass.

Stimme
Hören wir erst mal auf die Stimme von Ankathie, die aus Burghausen an der bayerisch-österreichischen Grenze stammt und mit ihrer Darbietung den Geist von solch schrägen Pop-Damen wie Kate Bush, Elly Jackson, Feist, Imogen Heap oder Róisín Murphy beschwört. In den ätherischen Strophen von „Behave (From Now On)“, zum Beispiel, bietet sich ohne weiteres ein Vergleich mit Kate Bush an, während die rhythmischen Strophen von „Phantom Sentimental“ eine Ähnlichkeit mit „Bulletproof“ von La Roux haben. Und bei Fijuka stört mich der starke Akzent der Sängerin auch nicht. Das liegt, denke ich, am frechen, schrulligen Charakter der Musik, der Sängerin, des Gesamtkonzepts.

Ankathie Koi und Judith Filimónova sind Fijuka

Ankathie Koi und Judith Filimónova sind Fijuka

Ein starker Akzent bei SängerInnen, die sich der englischen Sprache bedienen, stört mich nur, wenn sie sich selbst zu ernst nehmen, oder wenn die Musik eindeutig darauf abzielt, amerikanisch oder englisch zu klingen. Ich kann aber einen Akzent durchaus akzeptieren, wenn er Teil eines ironischen oder experimentellen Konzeptes ist, oder wenn die Musik dezidiert Europa zuzuordnen ist. Der starke isländische Akzent von Björk, zum Beispiel, ist einfach ein integraler Bestandteil von ihrem gesamten Image und passt perfekt dazu. Außerdem überzeugt Ankathies selbstbewusste Performance und ihr Charisma. Man glaubt unweigerlich, dass es einfach so gehört, wie es ist. Ihre skurrilen Bewegungen im Video von „Behave (From Now On)“ sind einfach so schräg, dass man einfach hinschauen muss (abgesehen davon, dass ich diese bunten, schillernden Leggings haben muss!).

Synth
Fijuka verwenden klassische Synth-Sounds, die ihrer Musik ein eindeutiges Retro-Feeling verleihen. In ihren Live-Videos sieht man, dass Ankathie einen Roland RS-09 spielt, also einen Analog-Synthesizer, der 1979/80 auf den Markt kam und deswegen mit dem Sound der frühen Achtziger assoziiert wird. Aber ich glaube nicht, dass sich Fijuka mit einer Achtziger-Revival identifizieren, sondern eher dass die oft eher kitschigen Sounds des Roland eine logische Wahl sind für das spleenige Gesamtkonzept.

Fijuka experimentieren nicht nur gern mit Sounds der 80er Jahre, sondern auch mit dem passenden New Romantics-Makeup

Fijuka experimentieren nicht nur gern mit Sounds der 80er Jahre, sondern auch mit dem passenden
New Romantics-Makeup

Was Fijuka außerdem vom aktuellen Elektropop abhebt ist ihre vergleichsweise einfache Produktion. Während im Elektropop immer sehr viel los ist und viele verschiedene Ebenen und Sounds verschmelzen, beschränken sich Fijuka aufs Wesentliche, nämlich Vocals, Drums, Bass, Synth-Flächen für die harmonische Grundlage, und an ausgewählten Stellen melodische Synth-Lines. Und das war’s. Manche mögen das unter-produziert nennen, und wer weiß, ein guter Producer könnte vielleicht noch mehr aus den Songs rausholen, aber mir persönlich geht nichts ab.

 

Bass
Der Bass spielt bei Fijuka eine tragende Rolle, nicht nur weil Judith Filimónova, eine Hälfte des Duos, professionelle Bassistin ist. Dadurch, dass hier nicht ein ganzer Schwall an musikalischen Elementen um Aufmerksamkeit buhlt, kann man sich in aller Ruhe den einzelnen Bestandteilen widmen. Während die Hauptbasslinie in „Behave (From Now On)“ aus einer „Billie Jean“-artigen Achtelfigur besteht, ist der Bass in „Phantom Sentimental“ eher funky.

Videos
Die zwei Videos von Fijuka muss man sich einfach geben. Beide wurden von jungen Regisseuren gedreht und beide Male sind absolut professionelle Videos auf internationalem Niveau herausgekommen. In „Phantom Sentimental“ (Regie: Marie-Thérèse Zumtobel und Anselm Hartmann) werden Ankathie und Judith (wortwörtlich) wie Fleisch behandelt. Und das Video zu „Behave (From Now On)“ (Regie: Florian Pochlatko) ist einfach so exzentrisch und schrullig, dass ich es immer wieder gerne anschaue.

Video zu Phantom Sentimental auf YouTube
Video zu Behave (From Now On) auf YouTube

Alle, die in Salzburg und Umgebung wohnen: Fijuka spielen am 2. August im Rockhouse in Salzburg. Hingehen!

 

Österreich-Serie Teil 3 von Elisabeth Kaplan

Da ich es diesmal einfach nicht geschafft habe, einen einzigen Lieblingssong einer Band zu wählen, habe ich mich in Teil 3 meiner Österreich-Serie für einen allgemeineren Blick entschieden. Und zwar auf die Wiener Rockband Tyler.
Irgendwann 2010 wurde bei einer Sportsendung auf ServusTV ein Song gespielt, der mich gleich aufhorchen ließ. Dank Shazam konnte ich herausfinden, dass der Song „What’s Wrong“ hieß und von einer Band namens Tyler stammte. Die Musik klang für mich so dermaßen international, dass ich vollkommen baff war, als ich erfuhr, dass Tyler eine österreichische Band ist. Was mich beim ersten Hinhören an „What’s Wrong“ gefesselt hat, war der einfache, aber super wirkungsvolle Bassriff (siehe Notenbeispiel), der in der zweiten Hälfte des Intros durch eine druckvolle E-Gitarre gedoppelt wird. Genial finde ich dann auch, dass die Gesangsmelodie diese Basslinie nachahmt (sie beginnt auch mit den Tönen H – Cis – D). Das ist eine clevere Technik, um der Melodie Gewicht und Power zu geben. Jedenfalls war ich ab diesem Zeitpunkt Tyler-Fan.

Tyler Notenbeispiel

Qualität und Kreativität
„What’s Wrong“ stammt vom Debüt-Album der Band, „Don’t Play“ (2005). Meiner Meinung nach gehört dieses Album in die Mediathek jedes österreichischen Pop-Rock-Fans. Auf dem Album sind weitere sehr rockige bzw. grungige Songs wie „Separated“, „All My Weapons“, „Can’t Break Me“ oder „Any City“. Außerdem gibt es die funkige Nummer, „Wantcha“, und herrliche Rockballaden wie „Beautiful“, „Stay Awake“, „Hello“ und „Paper Maché Darts“.
Was die Songs von Tyler auszeichnet, ist ihre musikalische Originalität und Kreativität. In diesem Genre glauben ja viele Bands, dass Sie ihre schwachen/uninspirierten/eintönigen Melodien mit einer aufwändigen Produktion kaschieren können. Darum verdienen die Bands, die Wert auf die Qualität der Komposition legen, höchste Anerkennung. Songschreiber und Leadsänger Lukas Hillebrand setzt sogar Sext- und Quartsextakkorde (also z.B. C-Dur-Akkord mit Basston E bzw. G) ein! Ganz ehrlich, das beeindruckt mich.
Weiters zeichnen sich Tyler durch ihre hervorragende Produktion aus. Als Musikproduzent muss man viel Feingefühl besitzen, um zu wissen, was an welche Stelle gehört. Und es sind gerade die Kleinigkeiten, die den Unterschied ausmachen. Wenn man sich beispielsweise nur die ersten 20 Sekunden von „Separated“ genauer – und öfter – anhört, findet man viele kleine Elemente, die Excitement erzeugen. Und eben diese kunstvoll arrangierten Layers finde ich bei Tyler so großartig.

Tyler Press
Als dritten Punkt möchte ich die sängerische Leistung von Lukas Hillebrand hervorheben – der Typ kann einfach singen! Er hat Bandbreite, hat die nötige Rauheit bei den rockigen Nummern aber auch eine hauchzarte Kopfstimme, die er gezielt an den passenden Stellen einsetzt, und was Phrasierung anbelangt geht’s nicht besser. Das alles kriegt er hin und kommt trotzdem absolut unaffektiert rüber. Meine einzige Beschwerde bei Tyler ist, dass die Leadvocals im Mix ein bisschen untergehen, also dass die Stimme einfach insgesamt lauter sein sollte.

Ein österreichisches Schicksal
So, und jetzt der Hammerschlag: 2011 kam Tylers zweites Album, „Favourite Sin“, heraus, aber noch im selben Jahr löste sich die Band auf. Obwohl sie sogar ein bisschen Airplay auf Ö3 genoss, war sie letztendlich eines der vielen Opfer der österreichischen Medienlandschaft, die heimische Künstler in den letzten Jahren zu wenig bis gar nicht gefördert und unterstützt hat. Nach dem Motto „zu wenig poppig für Ö3, nicht alternativ genug für FM4“. Gerade in diesem Fall finde ich das unverzeihlich, und es ist für mich einfach traurig, wenn sich Qualität nicht durchsetzen kann. Die Mitglieder von Tyler, Lukas Hillebrand, Alex Pohn (Drums) und Peter Schönbauer (Bass) machen ohne Tyler zwar alles andere als Däumchen drehen – sie alle sind begehrte Songwriter/Produzenten/Musiker (zurzeit stark im Einsatz für Julian le Play). Trotzdem fehlt mir Tyler in der österreichischen Musiklandschaft. Bleibt den vielen Tyler-Fans nur zu hoffen, dass es mal einen Reunion-Gig geben wird.

Die englische Originalfassung dieses Beitrags gibt’s auf meinem persönlichen Blog zu lesen

Tyler auf iTunes zum Reinhören

Tyler auf YouTube zum Sehen und Hören

von Elisabeth Kaplan

In letzter Zeit wurde viel darüber geredet und geschrieben, welchen Stellenwert österreichische Musik im eigenen Land hat. Dafür hat der Fall Doris Lichtenegger gesorgt. Ich möchte mich deshalb in einer mehr-teiligen Serie mit österreichischen Bands beschäftigen.

Dieser Beitrag ist Teil 1 meiner Österreich-Serie und ich möchte mich dem Song „Maschin“ von Bilderbuch widmen. Für mich ist Bilderbuch die derzeit aufregendste Band in der österreichischen Popmusiklandschaft, weil sie so viel Gutes in sich vereint: Originalität, Mut, Intelligenz, makellose Produktion, und einen Leadsänger mit einer ordentlichen Portion Bühnenpräsenz. Die Band gibt es zwar schon seit neun Jahren, aber erst jetzt bekommen sie breitere Anerkennung mit ihrer Single „Maschin“ (von der EP „Feinste Seide“).

Während ihre früheren Alben eine immense jugendliche Energie ausstrahlten, sind die jungen Männer von Bilderbuch jetzt reifer und haben zu einem Sound und Stil gefunden, der auch mainstreamigere Zuhörer anspricht, ohne ihren punkigen Background zu verleugnen. Für mich klingt es, als wären sie jetzt angekommen. Und das wird belohnt mit stetig wachsendem Erfolg, Auszeichnungen und beeindruckenden 579.134 Klicks (stand von heute, über 2.000 Klicks mehr als gestern) auf YouTube für „Maschin“.
Bilderbuch
Nach dem internationalen Erfolg von Falco (1985-87), fiel die österreichische Popszene scheinbar in eine Depression, und Falcos extravagante Präsenz geht einfach ab seit seinem Tod im Jahre 1998. Hat vielleicht Maurice Ernst, der Frontman von Bilderbuch, das Zeug dazu, dieses Loch zu füllen? Er stolziert auf der Bühne herum mit einer Attitüde und einer Theatralik, die sonst nur den ganz Großen vorbehalten ist. Und es bedarf einer ganz speziellen Art des Selbstbewusstseins, um dieses Jackett, das er bei den Amadeus Awards getragen hat, zu rocken (www.youtube.com/watch?v=vsvrABRqgI8).

Schauen wir uns also den Song an: Obwohl die Texte von Bilderbuch oftmals fast surreale Bilder enthalten, die nicht verstanden werden können/wollen, glaub ich den Text von „Maschin“ zumindest oberflächlich begriffen zu haben. Grundsätzlich geht es um einen Typen, der ein Mädl aufgabeln will, indem er sie auffordert in seinen fetten Schlitten einzusteigen. Wenn allerdings der Refrain kommt, scheint es, als würde es sich eher um eine Liebesaffäre mit seinem Auto, seiner „Maschin“ handeln. Das Video (featuring einen quietsch-gelben Lamborghini!) unterstreicht diese Idee. Musikalisch gesehen, verstärken vor allem die Vocals die nicht zu leugnende Schwüle des Songs. Und meiner Meinung nach kommt der neue Sound der Band dem Sänger sehr entgegen und er kann jetzt seine stimmlichen Stärken richtig zeigen.

Die Basslinie spielt eine tragende Rolle in dem Song. Sie scheint so einfach, wenn man sie notiert sieht, aber sie ist trotzdem so raffiniert im Gesamten, dass man glatt übersehen könnte, dass es sich hier um die einfachste aller Akkordfolgen handelt, nämlich I – V – IV – I (Cm – Gm – Fm – Cm). Der Gitarrenriff, immer mit einem Synth gedoppelt, bildet das zweite prägende Element. Der Riff kommt im Intro und im Zwischenspiel zwischen der ersten und der zweiten Strophe in einer gekürzten Version vor; in seiner vollständigen Form im Refrain. Der Song basiert also auf einer zumeist unveränderten Basslinie, einem Gitarrenriff und einer einfachen Akkordfolge. Aber er ist trotzdem weder langweilig noch banal.
Maschin Akkorde
Der einprägsamste Teil des Songs ist natürlich der Refrain. Das erste, das auffällt, ist die Silbenrepetition (“Lala-la-la-lala-lass mich nicht los/Lele-le-le-lele-leg dich zu mir/Haha-ha-ha-haha-halt mich fest”). Dieses Stilmittel wirkt immer verspielt oder ironisch und macht uns auch hier deutlich, dass das alles nicht so ernst gemeint ist. Nach dieser Flut an Silben in den ersten drei Zeilen des Refrains, lassen Bilderbuch die Melodie in der vierten Zeile auf dem zweisilbigen Wort ¬– und Songtitel – „Maschin“ stehen: Eine effektive Methode, die Aufmerksamkeit auf das Wort zu lenken; es setzt sich von dem vorigen Gebrabbel ab und bekommt mehr Gewicht. Und hier noch eine Anmerkung zur Melodie im Refrain: Eine banale Melodie würde sich im Bereich der Tonika, Terz oder Quint der betreffenden Akkorde aufhalten. Bilderbuchs Refrain aber besteht großteils aus Tonwiederholungen auf dem B, das zuerst die Septim (von C-Moll) und dann die Quart (von F-Moll) darstellt. Dies erzeugt Spannung, wodurch die Aufmerksamkeit der Zuhörer gehalten wird.

Ich bin jedenfalls neugierig, was diese vier Herren als Nächstes machen. Mir würde es durchaus gefallen, wenn sie weiter in ihrer Trickkiste graben, um entsprechenden Nachschub in diesem Stil zu liefern, und dann so richtig groß werden. Ich halte also die Daumen, dass sie von den richtigen Leuten beraten und unterstützt werden und kluge Entscheidungen treffen.

Die englische Originalfassung dieses Beitrags gibts hier zu lesen:
Elisabeth Kaplan’s Blog

von Elisabeth Kaplan
Heute möchte ich über „Rather Be“ von Clean Bandit mit Gastsängerin Jess Glynne schreiben.Der Song stammt aus England und hat Europa bereits erobert. Vor einigen Wochen hat er auch in die Billboard Charts Einzug gehalten. Meiner Meinung nach ist der Song deswegen so einnehmend, weil er einem so vertraut vorkommt. „Rather Be“ ist ein Song, der zwar wenig Originelles bietet, dafür aber raffiniert verschiedene lemente kombiniert, die wir bereits kennen.

Anleihen aus vergangenen Jahrzehnten

Die Verwendung von Streichern, zum Beispiel, hat Tradition im Dance-Genre: denken wir nur an Siebziger-Jahre Disco-Hits wie die von Chic oder vom Soundtrack zu Saturday Night Fever. Andere Elemente erinnern an die Dancefloor-Hits der frühen Neunziger. Der Klavier-Riff, der im Refrain einsetzt (v.a. ab Minute 2:23; siehe dazu das Notenbeispiel) ist eindeutig inspiriert von den Klavier-Parts in z.B. „Vogue“ (1990) von Madonna oder „Finally“ (1991) von CeCe Peniston. Es gibt auch eine rhythmische Ähnlichkeit mit dem Synth-Orgel-Riff in „Gypsy Woman“ (1991) von Crystal Waters oder „What is Love?“ (1993) von Haddaway. Dazu kommt, dass ich unweigerlich an „No Limit“ (1993) von 2Unlimited denken muss, wenn ich den „No no no no no“-Hook in „Rather Be“ höre.

Notenbeispiel Rather be

 

Geschickt gewählte Stilmittel 

Beim Arrangement verwenden Clean Bandit weitere Stilmittel, die typisch für Dance-Nummern sind. Zum Beispiel, der Aufbau der Drums: Sie steigen um 0:34 mit einem simplen 4-to-the-Floor-Beat ein. Dann werden sie mit jedem Teil dichter und komplexer und gipfeln schließlich in der Hookline („No no no no no / No place I’d rather be“). Ein weiteres klassisches Stilmittel ist der Break um 2:52, bei dem alle Instrumente wegfallen und die Stimme alleine überbleibt – quasi als kurze Verschnaufpause bevor der Song wieder abhebt und den Refrain ein letztes Mal mit voller Power wiederholt. All diese Aspekte geben einem schon beim ersten Anhören ein Gefühl der Vertrautheit. Ein sehr cleverer Schachzug der Band.

Gelungener Crossover

Clean Bandit kombiniert also elektronische Musik mit klassischen Elementen, wobei der klassische Anteil von Track zu Track variiert. 2013 kam „Mozart’s House“, die Vorgänger-Single von „Rather Be“, heraus. Bei dieser faszinierend-schrägen Nummer spielen die Streicher eine wesentliche Rolle – ich finde, es klingt als hätte ein Streichquartett anno 1997 im Raum neben Daft Punk geprobt. Im Fall von „Rather Be“ ist aber die Rolle der Streicher so klein, dass der Song eigentlich auch ohne Streicher funktionieren würde. Der Riff wird zwar gleich zu Beginn von den Streichern vorgestellt, aber sobald die Stimme einsetzt, wird er bereits vom Synth übernommen. Danach werden die Streicher nur sehr dezent eingesetzt. Das ist für mich ein Pluspunkt. Meiner Meinung nach geht es oft daneben, wenn eine Band einfach aus Prinzip versucht ein gewisses Element auf Biegen und Brechen in eine Nummer hinein zu quetschen und dabei das Gesamtbild missachtet. Das richtige Augenmaß ist also essentiell, wenn ein „Fusion“-Konzept funktionieren soll.
Clean Bandit hat auch bei der Wahl der Synth-Klänge kluge Entscheidungen getroffen. Diese Sounds, die bei mir Assoziationen mit alten Atari-Spielen hervorrufen, erzeugen im Zusammenspiel einen Klangteppich, der einen effektiven Kontrast zu den Legato-Phrasen der Streicher und zu den geschmeidigen Vocals schafft.

Gut bei Stimme

Was die Vocals betrifft, freut es mich, dass aus Großbritannien wieder Sängerinnen mit vollen, warmen Stimmen kommen. In den späten Nullerjahren hat ja eher das nasale Klangideal den britischen Pop dominiert, doch derzeit scheint sich der Trend davon wegzubewegen.

Leichte Kost, im besten Sinn. Macht neugierig auf das demnächst erscheinende Album, „New Eyes“, das verspricht, den Deep House/Pop/Klassik-Crossover weiter auszuloten.

Die englische Originalversion gibt’s auf dem Blog von Elisabeth Kaplan:
www.elisabethkaplan.com/Blog/Entries/2014/5/17_Rather_Be_-_Clean_Bandit_feat._Jess_Glynne.html

Und hier ist das Video zu sehen: