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Jan Böhmermann treibt schon seit einigen Jahren im Fernsehen seine Späße. Im kleinen Spartensender ZDF Neo. Sein Neo Magazin adelte er letztes Jahr zum Neo Magazin Royale.

Stefan Raab-Fans, deutsche Gangsta Rapper usw. mit allen hat er einen Streit vom Zaun gebrochen. Beef nennt er das – ganz wie seine Zielgruppe, die Generation Y, die Millennials. Und seine Lieblingsfeinde sind sowieso die deutschen YouTube-Stars Sami Slimani und Bibi. Für jemanden mit Grips und Chuzpe leichte Opfer.

Dennoch war es leicht, Jan Böhmermann als streitlustigen Hanswurst abzutun. Im letzten Jahr führte er mit dem Varoufakis-Stinkefinger-Fake-Fake Politiker und Journalisten und alle, die sich über den respektlosen griechischen (Ex-)Finanzminister erbosten, an der Nase herum. Frecher Hanswurst.

Seit seinem Erdogan Schmähgedicht wurde er schlagartig überall in Europa bekannt – auch in Österreich. Böhmermann steht wegen seiner Demonstration, wo die Grenze zwischen Satire und Schmähung liegt, irgendwann in den nächsten Monaten vor Gericht. Für eine Weile zog er sich aus dem Fernsehen zurück. Aus persönlicher Betroffenheit ob der weitreichenden Folgen? Das nahm ihm kaum jemand ab.

Gestern hat sich Böhmi wieder pseudo-reuemütig und vorgeblich geläutert zurückgemeldet. Natürlich hat er aber in Wahrheit das Comeback hingelegt, das sich alle erhofft haben. Seine Zielscheibe war diesmal nicht die Politik, sondern RTL. Genauer gesagt Vera Int-Veens Reality-Doku „Schwiegertochter gesucht“. Wer die Sendung nicht kennt – macht nix. Sie funktioniert wie jede andere scripted Reality Show, ob Bauer sucht Frau oder Frauentausch. Teilnehmer, die nicht den deutschen Durchschnitt repräsentieren werden als doofe, hässliche Lachnummern vorgeführt. Egal wie weit unten du selbst bist, da kannst du dich immer noch ziemlich überlegen fühlen.

Böhmi und sein Team haben „Schwiegertochter gesucht“ gefakte Kandidaten untergeschoben und alles heimlich dokumentiert. Man sieht eine Arbeitsweise und Manipulationstechniken, die man diesen Formaten schon immer unterstellt hat. Das hässliche Gesicht der TV-Unterhaltung auf Kosten von Menschen, die das Ausmaß dessen, was da mit ihnen angerichtet wird, womöglich erst erfassen, wenn schon alles zu spät ist.

[Schaut euch hier das Video an – der Vera-Fake – oder lest unten weiter]

RTL hat prompt reagiert – wenngleich halbherzig. Es wurde gleich am nächsten Tag das gesamte Produktionsteam von „Schwiegertochter gesucht“ ausgetauscht. Das Format bleibt. Na ja, es hatte zumindest irgendeinen Effekt.

Doch dient auch diese Enthüllung nur der Selbstdarstellung Jan Böhmermanns und seinem Streben nach Publicity, damit möglichst viele seine „zwangsgebührenfinanzierte Losersendung“ (wie von Böhmermann selbst oft aus einem Kommentar zur Sendung zitiert) schauen? Na ja, er hat seine eigene Show im Fernsehen. Niemand moderiert eine Sendung, um möglichst unauffällig zu sein. Der Kanal ZDF Neo ist ja schon unauffällig genug. Und außerdem können sich viele Fernsehleute den Vorwurf gefallen lassen, sie würden so manches nur für eine bessere Zuschauerquote tun. Auch wenn sie vielleicht weniger brachial vorgehen.

Böhmermanns Humor gefällt nicht allen. Aber er hat eine gute Nase dafür, was tatsächlich Aufmerksamkeit bekommt und entsprechend Staub aufwirbelt. Als Folge seines Schmähgedichts wird in Deutschland ein veralteter Paragraph aus dem Strafrecht entfernt. Und wenn sich RTL nach der gestrigen Sendung zum Qualitätssender entwickelt, dann müssen wir aus Dank lebenslang wöchentlich das ZDF Neo Magazin Royale anschauen. Go, Böhmi!

Ich bin schockiert über die Nachrichten und Bilder aus Istanbul und anderen türkischen Städten. Was als Demonstration für das letzte Stückchen Grün in Taksim begonnen hat, wächst zu einer großen gegen die Regierung an. Ich habe schon einige Demos in Istanbul erlebt. 1996 und 1997 sind mir die Mütter in Erinnerung, die jeden Samstag vor dem Galatasaray Gymnasium saßen und die Bilder ihrer in Ostanatolien vermissten Kinder hochhielten. Ein stiller aber hartnäckiger Protest, immer flankiert von schwer bewaffneten Polizisten. Anfang der 2000er Jahre erlebte ich wütende Proteste streng Gläubiger als es um die Verlängerung der Schulpflicht ging. Das Beste war immer in einer Seitenstraße zu verschwinden, denn man wusste nie, ob es eskaliert. demo in wien

Jetzt ist es eskaliert. Viele junge Menschen, auch Bekannte von mir sind darunter und Menschen, die eigentlich viel zu verlieren haben, etwa Lehrer und Anwältinnen. Es ist der Protest gegen eine demokratisch gewählte Regierung, die in den letzten Jahren trotz Reformen doch immer mehr versucht die Freiheit des Einzelnen zu beschränken. Und die Reaktion der Regierung ist nicht angemessen, trängengasgeschwängerte Luft, Knüppel auf Menschen, Wasserwerfer, zensierte Medien. Demokratie lebt auch und besonders von der freien Meinungsäußerung. Demokratie lebt davon, dass alle Menschen ihr Leben nach ihrem Willen leben können. Demokratie lebt davon, dass gewählte Regierungen auch innehalten, nachdenken und Proteste ernstnehmen. Das passiert in der Türkei gerade nicht. Weltweit haben sich Menschen spontan zu Solidaritätskundgebungen zusammengefunden. Auch in Wien sind an die 2000 Menschen auf der Straße.

Möge die blutige Auseinandersetzung bald einem vernünftigen Miteinander weichen und die Demokratie gestärkt daraus hervorgehen.

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