von Gabriele Rothuber
Ich bin Sexualpädagogin, d.h. ich gehe als „professionelle Aufklärerin“ an Schulen und werde dafür bezahlt, mit fremden Menschen über Sex zu sprechen. Meine Kolleg*innen und ich vom Verein Selbstbewusst werden geholt, wenn Sexualerziehung am Lehrplan steht – etwa wenn Pädagog*innen das Thema gerne abgeben oder aber auch, wenn sie bereits viel „Vorarbeit“ geleistet haben und den Kindern oder Jugendlichen dann noch ein oder zwei Workshoptage mit externen Personen ermöglichen wollen: wir kommen immer als Mann-Frau-Workshop -Leiterpaar und haben somit die Möglichkeit, geschlechtergetrennt – in „Frauenrunden“ und „Männerrunden“ – in geschütztem Rahmen Fragen über die Veränderungen in der Pubertät, über Beziehung und Liebe und Sexualität beantworten zu können. Und wir haben den Vorteil, dass wir danach auch wieder weg sind. Uns kann man auch ganz „peinliche“ oder „arge“ Fragen stellen.
Wir werden aber auch gerufen, wenn es sexuelle Übergriffe in Klassen gab – und sexuelle Übergriffe unter Kindern oder Jugendlichen können überall vorkommen, das hat nichts mit der Qualität eines Unterrichts zu tun. Wichtig ist es, dass nach einem Vorfall mit Mädchen und Jungs gearbeitet wird: an Grenzen, am Nein-Sagen, an sexualisierter Sprache, mit und über „Neue“ Medien (die für die Kids ja wirklich nicht mehr so neu sind!), an Rollenbildern und auch über rechtliche Konsequenzen.
Ein großer Schwerpunkt unserer Arbeit ist neben der Sexualpädagogik die Prävention von sexuellem Kindesmissbrauch. Und auch hier werden wir von Schulen, Kindergärten, WGs oder Erwachsenenbildungseinrichtungen angefragt, um vorbeugend Kinder zu schützen: 95 % der Täter*innen kennen ihre Opfer gut bis sehr gut, kommen aus deren nahem sozialen Umfeld. Die Warnung vor „dem/der Unbekannten“ greift hier viel zu kurz. Wir arbeiten mit den Kindern, aber auch dem sozialen Umfeld, dh ziehen Pädagog*innen und Eltern ein: am Selbstwert (selbstbewusste Kinder werden weniger häufig Opfer von Missbrauch), an der Unterscheidung von guten und schlechten Geheimnissen, an der Einzigartigkeit des Körpers, an der Richtigkeit der eigenen Gefühle, wo sich Kinder Hilfe holen können etc.
Mittlerweile machen wir das seit rund 12 Jahren in Stadt und Land Salzburg. Unsere qualitätsvolle Arbeit trägt Früchte: so konnten wir in über 1000 Projekten bis dato rund 25.000 Menschen erreichen. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht: wir haben so viele Anfragen, dass wir leider nicht alle mit den derzeitigen Förderungen abdecken können, viele Schulen stehen auf der Warteliste. Deshalb gehen wir seit Herbst 2015 verstärkt in die Fortbildung von (angehenden) Pädagog*innen und bieten Fachtage hierzu an – damit Lehrer*innen ihr Wissen zu oft unangenehmen Themen erweitern und in ihren Alltag einfließen lassen können.
Sinnvolle Arbeit
Die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen ist eine sehr sinngebende. Werden viele von ihnen doch auch heute noch mit ihren Fragen und Ängsten in Bezug auf Sexualität alleine gelassen und haben als einzige Infoquelle das Internet.
Mir persönlich liegt gerade die Elternbildung immer mehr am Herzen: sind doch sie es, die ihren Kindern ihre Fragen beantworten sollten. Und doch haben so wenige selbst gelernt, über das weite Feld der Sexualität zu sprechen: der eigene Aufklärungsrucksack wiegt oft schwer – oder ist federleicht. Die wenigsten Eltern können jedoch von sich behaupten: „so wie ich aufgeklärt wurde, genauso mach ich das mit meinem Kind!“. Aber man kann es lernen. Und dabei helfen wir. Wir setzen uns mit Werten auseinander (Sexualerziehung ist immer Wertevermittlung), geben Informationen über die psychosexuelle Entwicklung von Kindern (was ist in welchem Alter „normal“, altersadäquat?), geben Eltern eine Sprache für/über Sexualität. Wir geben aber auch Hilfestellung, wenn es um die Schattenseiten geht: was tun bei einem Verdacht? Wie schützen und stärken im Alltag?
Es muss Eltern klar sein: man kann nicht NICHT Sexualerziehung machen: wie, wann, ob ich eine Frage beantworte – dies transportiert Werte.
Oft wollen Eltern hauptsächlich schützen: vor Teenagerschwangerschaften, vor sexueller Gewalt, vor Pornografie, vor sexuell übertragbaren Krankheiten etc. Und das ist auch gut so. Schützen kann man Kinder aber nur, indem man darüber spricht. Und das am besten von klein an: je früher Kinder merken: „das ist ein Thema wie jedes andere auch“, desto unbefangener gehen beide Seiten damit um.
Was fragen Kinder?
Mein gestriger Elternabend in einem Salzburger Kindergarten mit rund 40 Eltern und Pädagog*innen war wieder mal so ein Paradebeispiel: am Anfang zögerliche Fragen, manch abwehrende Haltungen, viel Skepsis. Nach 90 Minuten lautes Gelächter während der Gruppenarbeit, bei der wir die Eltern einladen, Kinderfragen zu beantworten. Fragen wie: „Wie kommen die Babys in den Bauch?“ „Was ist der Unterschied zwischen Buben und Mädchen?“ oder „Was ist die Regel?“ – Eine Herausforderung, bestimmt. Aber: Kinder fordern ihre Eltern noch viel stärker heraus. Irgendwann kommt die erste Frage in Richtung Sexualität – und wenn diese dann etwa mit den Worten „Dazu bist du noch viel zu klein“ zurückgewiesen wird, dann war’s das mit der Aufklärung: das Kind wird sich in Zukunft andere Quellen suchen, damit es Antworten auf seine Fragen bekommt.
Deshalb liebe ich die Elternbildung so: je früher sich Eltern mit diesen Themen auseinandersetzen, desto früher haben Kinder Ansprechpersonen – für die Sonnenseiten, aber auch für die Schattenseiten der Sexualität.
Mag.a Gabriele Rothuber
Dipl. Sexualpädagogin beim Verein Selbstbewusst
Sexualberaterin bei Pink Bonsai HOSI Salzburg und Courage Beratung Salzburg
System. Traumaberaterin und -Pädagogin