Die 9. – ein Potpourri der Leiden des jungen Christian N.
von Christian Namberger, Oberinspektor i.R.
Als ich ein sehr junger, sehr braver Bub in den 60ern war, schaute ich oft mit meiner Oma aus dem Küchenfenster im ersten Stock des neu gebauten Sozialwohnblocks, wann denn Opa mit dem Automobil oder Mutti mit dem Fahrrad von der Arbeit kamen. Dabei lief meist im Radio BR1 mit der Erbschleichersendung, in welcher diverse Neffen und Nichten oder Enkelkinder der lieben Tante Gusti zum 70sten gratulierten. Und die Damen waren entzückt von dem Potpourri der Chansons. Daher der heutige Titel des Kapitels, nur zur Erklärung.
Dienstbeflissen wie ich war, der Slogan unserer Firma hieß ja “Ihre Sorgen möchten wir haben“, arbeitete ich selbstverständlich zwischen den Chemos. Ich erwähnte bereits, dass ich mit jeder weiteren Chemo immer weniger Beckenstabilität hatte, da die Polyneuropathie schon sehr fortgeschritten war. Eine Kundin kam sogar beim Wiederausfolgen der Zulassungspapiere, die ich nach erfolgter Zulassung zurückbrachte, vor die Tür auf den Hof, damit ich mich nicht aus der Limousine hieven musste. Ich reichte ihr alles durch das Beifahrerfenster der havannabraunen Eleganz.
Natürlich möchte man sich dem Verfall nicht Preis geben und denkt, man kann weiter agieren wie bisher. So auch im Privaten.
Einladung ist mein Zauberwort
Ich bin mir jetzt nicht sicher, ob ich schon Kund tat, dass ich mich gerne zum Essen einladen lasse. Nun, jetzt ist es raus, ich liebe es. Eine der letzten Einladungen die ich selbst gehend, na ja eher schlurfend, annehmen konnte, war die von der alten Freundin Ingeborg und Freund Thomas, der mit den teuren Dritten. Der Abend war vergnüglich mit reichlich gutem Essen und viel Gelächter. Irgendwann hieß es dann Abschied nehmen und ich ging vorsichtshalber auf die Keramik, um den Weg nach Hause beruhigt antreten zu können. Es kam nicht viel, ich wollte aber auch nicht über Gebühr pressen, man weiß ja mittlerweile, dass das schädlich ist und zu einem Schlaganfall führen kann. Untergehakt bei der Zwingenbergerin lies ich mich zum Auto begleiten. Ich glitt nicht sonderlich elegant in den saharabeigen Ledersportsitz und fuhr los. Dummerweise rumpelte ich über ein paar Kanaldeckel, was mein Gedärm zu reger Tätigkeit anregte. Ich spürte es rumoren und der Druck wurde immer größer. Die Rosi war ja durch die fortgeschrittene Polyneuropathie nicht mehr die Fitteste und ich hoffte, dass die Ampeln eine grüne Welle haben, dass ich zu McDonald’s in der Alpenstraße komme.
Natürlich wurden meine Hoffnungen nicht erhört, ebenso wenig wie die beim Lotto. Vor der Abzweigung zur Wüstenrot Zentrale musste ich bei Rot stehenbleiben. Bei Grün gab ich unkontrolliert Gas und bog sofort ab, um mit quietschenden Reifen auf dem Parkplatz von besagter Bausparkasse zum Stehen zu kommen. In Windeseile schnallte ich mich ab und wollte hinter einen Strauch laufen um dort meine Notdurft (im wahrsten Sinne des Wortes) zu verrichten. Dies schaffte ich jedoch nicht mehr und so riss ich mir mitten auf der Wiese die Jeans runter und entledigte mich so dem AA. Es war so gegen Mitternacht und die Straße so gut wie nicht befahren. Nicht auszudenken, wenn aus der anderen Richtung ein Wagen abgebogen wäre und mich vielleicht sogar mit Xenon Licht angestrahlt hätte. Ein furchtbarer Gedanke. Wäre ich noch Dauerwellenträger wie Anfang der 80er gewesen, hätte man in der Dunkelheit ja auf einen Königspudel tippen können. Da ich immer Taschentücher dabei habe, machte ich eine grobe Reinigung und zog von dannen.
Als ich letztens mit dem Obus in die Stadt fuhr, sah ich an dieser Stelle nach mittlerweile fünf Jahren einen üppig blühenden Rosenstrauch stehen, was mir ein Lächeln auf die Lippen zauberte. Weisse Rosen aus A….(Athen? Rosi?)…:-)
Wie ich zu einem Loch in der Lunge kam
Da ein Potpourri ja ein wilder Mix ist, gehe ich ein wenig in der Chemotherapiereihe zurück, genauer gesagt zur zweiten. Nachdem man ja abwarten musste, ob die Chemo anschlägt, wurde nach dem erfolgreichen Feststellen dessen, eine Dose in meine rechte Schulter eingebracht, die mit meiner Ader verbunden wurde. Ich nannte sie einfach Steckdose. Diese wuchs mit meiner Alabasterhaut wieder zu und in die Membrane der Dose konnte man dann ruck-zuck eine Chemo-Nadel stechen. Die anderen wurden wie bisher in die Arme geleitet. Die Ärztin, die mir die Steckdose einoperierte, war scheinbar eine Unerfahrene. Solche kleinen Operationen werden meist mit Lokalanästhesie gemacht. Die nicht so Gute hat dermaßen unkontrolliert rumgefuhrwerkt, dass ich aufschrie. Ich bekam noch eine zusätzliche Betäubung, was aber auch nichts half. Sie hat mir nämlich meine Lunge beschädigt, die dann halbseitig zusammenfiel. Also bekam ich seitlich durch die Rippen einen Schlauch in die Lunge eingeführt, der in einem Wasserkasten unter dem Bett hing. Die Montage dieses Schlauches lies ich aber in Vollnarkose machen, ich mochte da nichts mehr mitbekommen. Das ganze dauerte knapp 10 Tage. Täglich wurde ich im Bett liegend in die Lungenabteilung zur Kontrolle geschoben. Jeder Arzt hatte eine andere Meinung. Einer sagte, man muss operieren, der andere sagte nein, das verheilt auch so. So ging das ca. viermal hin und her und man beschloss, doch zu operieren.
Der OP-Termin war an einem Freitag. Natürlich muss man da nüchtern sein. Sprich, man bekommt kein Frühstück. Und das mir! Der ohne Frühstück gar nicht kann! Ich wartete und wartete, bis endlich um 11 Uhr die Tür aufging und ich einen weißen Kittel reinwehen sah. Ich fragte, ob ich jetzt endlich zur OP geholt werden würde. Der Träger des weißen Kittels war der Chefarzt der Lungenabteilung und er meinte: „So schnell wird nicht operiert“, sah sich das Ganze an und zog ganz einfach den Schlauch raus. Noch kurz verbunden, meinte er lächelnd, das müsste sich übers Wochenende erledigen. Und siehe da, es erledigte sich tatsächlich!
Oje, ich seh den Lektor schon wieder mit den Augen rollen ob der Wortanzahl, aber ich weiß jetzt nicht, was ich streichen könnte.
Deshalb jetzt ganz schnell für diesmal beendet. Für heute passend fällt mir ein Liedchen aus der Erbschleichersendung von Nana Mouskouri ein „weisse Rosen aus Athen” . Auch als verspäteten Dank an Ingeborg, unsere eigene Nana.
P.S.: Das mit dem Rosenstrauch im Vorgarten der Wüstenrot ist leider eine Fiktion. Äh, sagte ich schon, dass ich gerne träume?