„Ich kann nicht mit dir spielen“, sagte der Fuchs. „Ich bin noch nicht gezähmt!“
Ein Beitrag von Martina Zidek
Wenn dieser Tage ein nächtlicher Spaziergänger an unserem Zaun entlang geht, so kann er, wenn er aufmerksam hinschaut, ein wundersames Schauspiel sehen: Franzi und ein Igel wandern Schulter an Schulter durch den Garten, beschnüffeln gemeinsam ihre interessanten Funde und setzen dann ihren Weg einträchtig fort.
Irgendwann, vor einigen Wochen, entdeckte Franzi in seinem Revier den Eindringling und war zunächst keineswegs begeistert, wie er durch aufgeregtes Bellen deutlich machte. Da Franzi ein hochmotivierter und sehr talentierter Jäger ist, überwachte ich die Begegnungen der beiden in den folgenden Tagen sehr genau, um die Sicherheit des Igels notfalls gewährleisten zu können.
„Du musst sehr geduldig sein“, antwortete der Fuchs. „Du setzt dich zuerst ein wenig abseits von mir ins Gras.“
Zu meinem großen Erstaunen war mein Einschreiten zu keinem Zeitpunkt erforderlich. Franzi setzte sich neben den eingerollten Igel und wann immer sich dieser regte, machte Franzi lediglich einen Schritt auf ihn zu, woraufhin der Igel vorsichtshalber seine Schutzstellung einnahm. Nach einigen Tage gab der Igel auf und marschierte schnurstracks auf den verblüfften Franzi los – ich weiß nicht, ob er des Spieles überdrüssig geworden war, oder ob er sich einfach an Franzis Anwesenheit gewöhnt hatte, jedenfalls schien sein Mut Franzi zu beeindrucken: er beschnüffelte den Igel und folgte ihm durch den Garten ohne ihn zu stören.
Seitdem sind viele Tage vergangen, an denen Franzi pünktlich um 22:00 Uhr verlangt, in den Garten gelassen zu werden und Poldi (der Name wurde mittels Abstimmung auf Facebook gefunden) schon in der Nähe wartet. Natürlich kann es Zufall sein, aber ich glaube gerne an Märchen, die das Leben schreibt und mit Sicherheit kann ich sagen, dass Franzi dem täglichen Treffen mit Freude und Aufregung entgegensieht. Wenn endlich die Zeit gekommen ist, um Poldi zu treffen, begrüßt er ihn mit wedelndem Schwanz und leuchtenden Augen und so hießen wir Poldi als Freund der Familie willkommen, besorgten ihm ein Haus und machten uns über die Lebensweise der Igel schlau.
„Das ist möglich“, sagte der Fuchs. „man trifft auf der Erde alle möglichen Dinge …“ *
Wenn ich am Fenster stehe und die beiden im nächtlichen Garten beobachte steht Mutter Natur neben mir und lächelt. Sie flüstert, dass Freundschaft und Nähe für all ihre Geschöpfe essenziell sind und dass die Fähigkeit Liebe auch zu Wesen außerhalb der eigenen Spezies zu empfinden, keineswegs ihren Menschkindern vorbehalten ist. Voll Dankbarkeit für diese sanfte Lektion stelle ich mich in eine Reihe mit meinen Mitlebewesen und denke an die Worte von Marc Bekoff (Zitat aus „Ungleiche Freunde“):
„Die evolutionäre Kontinuität … hebt hervor, dass die Unterschiede zwischen der Spezies Mensch und anderen Säugetieren lediglich gradueller und nicht artenspezifischer Natur sind. ….. Sie (die Tiere) empfinden vielleicht eine andere Art Freude oder Trauer, aber hinsichtlich dieser Unterschiede muss man in Grauabstufungen und nicht in Gegensätzen wie schwarz und weiß denken.“
Literaturtipp: „Ungleiche Freunde“ von Jennifer S. Holland, Lübbe, ISBN 978-3-431-03863-7
* Aus Der kleine Prinz , von Antoine de Saint-Exupéry