Tod und Hoffnung: Verdun

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Dem Tod kann man oft begegnen, wenn man will. Am einfachsten ist es am Friedhof, aber auch jede Gedenktafel an einer Hausmauer ist ein Hinweis auf den Tod. Dazwischen aber ist das pralle Leben – bunt, laut und in Bewegung. Aber es gibt Orte und Landstriche, in denen der Tod die Hauptrolle spielt. Wo sich hinter einem Hügel ein Gräberfeld zeigt, hinter einem Baumstamm Mauerreste und sanfte bemooste Erhebungen der Aushub von Schützengräben sind. Dann ist man rund um Verdun unterwegs, DAS Schlachtfeld des 1. Weltkrieges. DER Stellungskrieg schlechthin. DIE Erprobung von Giftgas. Viele Tote, sehr viele Tote, über 300.000 starben hier und noch einmal so viele entkamen dieser Hölle verletzt.

Ich bin das erste Mal in Verdun und Umgebung. Es ist kein sonniger Tag und es sind nur wenige TouristInnen unterwegs. Wo sich im Sommer Bus an Bus am Parkplatz der Gedenkstätte Douaumont reiht, herrscht gähnende Leere. Nur wenige sind unterwegs zwischen den tausenden Gräbern und im Mahnmal mit dem wunderbaren Licht, im Untergeschoss die Gebeine von Zigtausend Soldaten eingelagert. Unwirklich alles. Das Licht, die Knochen, die vielen Namen, die unendlichen Reihen an Gräbern, davor jeweils eine Rose gepflanzt. Die Namen der Soldaten mit ihrer Funktion und ihrem Sterbetag und natürlich dem Grund des Todes: Mort pour la France. Diese jungen Männer sind als Helden gestorben. Ein paar Kilometer weiter am Friedhof der deutschen Soldaten auch Gräber. Auch Namen, Funktionen und Sterbedaten. Aber niemand ist für etwas gestorben. Die Soldaten hier sind einfach „gefallen“. Fast 100 Jahre später denke ich mir, wie traurig das ist. Ein großer Krieg, beschlossen von der großen Politik. Und hier in Verdun starben die einfachen Soldaten für die Planspiele der großen Feldherrn in Berlin, Wien, Paris, London, Moskau. Machtgier. Krieg.

In Verdun kamen alle erdenklichen Waffen zum Einsatz, vom Bajonett über das Maschinengewehr bis zu Flammenwerfern und Giftgas. Bis zu 10.000 Granaten und Minen gingen stündlich auf den Schlachtfeldern nieder, ohrenbetäubend. Verdun wird als „Blutpumpe“, Knochenmühle“ oder schlicht als „Hölle“ bezeichnet. Die Berichte der Soldaten sind fast unerträglich zu lesen, für mich unvorstellbar, wie jemand so etwas überleben kann. Oft Wochen knietief im Schlamm und im menschlichen Kot, ständig unter Beschuss im Schützengraben kauernd. Wenn der Nachschub Verspätung hatte blieb den Männern oft nichts anderes übrig als Ratten zu essen und den eigenen Urin zu trinken. Junge Männer, die noch kurz vorher ein normales Leben führten, arbeiteten, sich verliebten, gerade geheiratet hatten, sich auf ein Kind freuten. Monate später landeten sie in den Schützengräben von Verdun. Historiker haben die durchschnittliche Überlebensdauer eines Soldaten ausgerechnet: 2 Wochen. Grauenhaft. Krieg.

Aber nicht nur die großen Gedenkstätten lehren einen hier den Krieg zu fürchten.

 

Es geht weiter durch die Wälder. Und dann tauchen sie plötzlich auf die verlassenen Dörfer. So wie Ornes. Die Kirche ist eine Ruine, man wähnt sich in einer antiken Stätte, wären da nicht die herbstlichen Laubbäume rundherum. Oder wie im Ort Louvemont die Tafel mit den Namen der Bürgermeister, die bis heute diesen verlassenen Orten vorstehen. Ich gehe durch die Kirche von Ornes, klettere über eine Mauer, dahinter der tiefe Wald. Die Bäume wachsen auf unterschiedlichen Ebenen, denn die Granatlöcher sind noch zu erkennen. Da ist noch eine Mauer. Vielleicht spaziere ich gerade durch das Wohnzimmer einer französischen Familie, die noch vor 100 Jahren hier friedlich beisammen saß. Bis der Krieg nach Verdun kam und ihr Dorf zerstörte. Und nie wieder besiedelt werden konnte, weil noch überall Blindgänger lauern und das Giftgas die Erde verseuchte. Mir kriecht die Kälte die Beine hinauf, es ist unheimlich. Still, bedrückend und dazu der unnatürlich gewachsene Wald, die Reste der Kirche. Schauerlich. Krieg.

Heute lebt Verdun vom Gedenken an die „berühmteste Schlacht“ des Ersten Weltkrieges. Eine Million TouristInnen kommen und besichtigen die Schlachtfelder, die berühmten Forts mit ihren Heldengeschichten und die Dörfer und Friedhöfe. Und wenn man eine Erinnerung mit nach Hause nehmen will, kann man zwischen Zinnsoldaten, Kaffeetassen, Soldatenschneekugeln und diversen Miniwaffennachbauten wählen. Geschäftssinn. Nach dem Krieg.

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Es gibt auch Hoffnung. Die fast einjährige Schlacht um Verdun war auch einer der Gipfel des Hasses zwischen Frankreich und Deutschland. Und erst im September 1984 standen beim Beinhaus von Douaumont zwei Männer minutenlang händchenhaltend vor den Gräbern von tausenden Soldaten: Präsident Mitterand und Bundeskanzler Kohl

“ Wir haben uns versöhnt, wir haben uns verständigt, wir sind Freunde geworden.“

Die Kriege gehen weiter, das Grauen ist für die Menschen das Gleiche geblieben. Mögen die heutigen Schlachtfelder im Irak, in Syrien, im Kongo, im Sudan, in Afghanistan bald Gedenkstätten sein und dem Frieden weichen. Diese Hoffnung habe ich.