Zur Türkeidiskussion im Internet

Wer die letzten Monate ein bisschen Zeit im Internet verbracht hat, kann eine besorgniserregende Entwicklung feststellen. Viele Posts und Kommentare vermitteln der Weisheit letzter Schluss. Manchmal in schöne Worte gekleidet oder so geschwurbelt, dass man sie zweimal lesen muss. Andere Posts sind da klarer und eindeutiger wie: „Schleichts euch“, „Das geht dich einen Scheißdreck an“ und vieles mehr. Am Besten funktionieren sie, wenn dann noch drei Rufzeichen drangehängt werden und ein ZORNIG-Emoji das Ganze noch garniert. Aber fast alle Posts vermitteln, dass hier jemand die Weisheit mit Löffeln gefressen hat.
In der aktuellen politischen Situation rund um die Türkei geht’s auch wieder rund.
Da geraten türkischstämmige Mitbürger unter Generalverdacht, sowieso schon immer diktatorische und islamistische Gedanken gehabt zu haben. Und jede Frau mit Kopftuch will sicher sofort die Scharia einführen. Und ÖsterreicherInnen, die nur einen Hauch von Kritik an der türkischen Politik üben sind rassistisch und sollten am Besten „die Fresse“ halten und sich nicht in türkische Angelegenheiten einmischen, weil sie demokratische Weicheier sind.
Es wird Zeit wieder normal miteinander zu kommunizieren. Meine Überzeugung ist:
Es gibt nicht schwarz ODER weiß in der Politik. Dazu braucht es Kritikfähigkeit, das Zulassen von anderen Meinungen, Zuhören, Nachdenken. Diese ausschließlichen Kommentare von allen Seiten bringen uns kein Stückchen weiter. Die Radikalisierung in Worten und Taten ist kein Zukunftskonzept: Natürlich kann sich jeder für die Innenpolitik eines anderen Landes interessieren und eine Meinung haben – mir sind die US-Wahlen auch nicht wurscht. Aber öffentliche Bekenntnisse, die unseren humanistischen Werten entgegenstehen sind nicht akzeptabel! Dazu gehören die vielen Posts, die Menschen entwürdigen, erniedrigen und sogar zum Töten aufrufen.
Also runter vom Gas, auch in den vielen Kommentaren und Posts. Stärke und Charakter beweist, wer Kritik aushalten und annehmen kann. Intelligenz zeigt sich nicht in Rufzeichen nach Hassposts, sondern in Worten, die durchaus scharfzüngig formuliert sein dürfen, aber nicht ausgrenzen, verletzen oder zu Hass aufrufen. Humanistisch und/oder gottgefällig ist, wer dem Nächsten mit Respekt und auf Augenhöhe begegnet.
Im 21. Jahrhundert müsste das möglich sein. Oder?