Flüchtlingslager in der Bekaa-Ebene: Es ist nie genug für alle da
Wie soll man sich auf den Besuch informeller Flüchtlingslager vorbereiten? Darüber lesen wir alle, sehen die Bilder im Fernsehen. Aber was ist die Realität? Wie geht es den Menschen wirklich? Wie schaut es dort aus? Wie riecht es? Gibt es Wasser? Strom? Wie organisieren die Menschen ihren Alltag? Wie kommen die Flüchtlinge dort hinein? Und gibt es eine Hoffnung auch wieder rauszukommen? Viele Fragen. Ich habe viele Antworten gefunden.
Wir fahren nach Zahle , eigentlich bekannt für seinen Weinanbau, in der Bekaa-Ebene im Libanon. Dort hat die Caritas einen Stützpunkt und betreut Menschen in mehreren informellen Flüchtlingslagern. Der Caritasleiter für die Bekaa-Ebene, Ramsi aBojzid, empfängt uns in seinem Büro. Er ist Jurist, war Manager und ist seiner Berufung gefolgt in einer NGO zu arbeiten. Über ein Jahr macht er den Job. „Unsere Mission ist helfen. Unabhängig von der Religion oder Herkunft der Menschen. Unsere größte Schwierigkeit ist es, dass wir jeden Tag entscheiden müssen, wer Hilfe bekommt. Es ist nie genug für alle da.“
Ein besonders großes Problem ist die medizinische Versorgung. Wenn Menschen körperlich oder geistig erkranken, ist die Situation noch unerträglicher. Besonders für Kinder und Alte. Dazu kommen Rahmenbedingungen, die die Zukunft der Flüchtlingskinder, die im Libanon auf die Welt kommen fast hoffnungslos machen. Sie können nicht registriert werden. Der libanesische Staat tut das nicht. Nach Syrien können nur die allerwenigsten zurück, um ein Baby registrieren zu lassen. Aktuell sind es um die 300.000 Kinder im Libanon, deren Existenz im besten Fall durch eine Krankenhausbestätigung nachgewiesen ist. Alle anderen sind illegal. Kein regulärer Schulbesuch, keine Identifikation, keine richtige Arbeit oder Heirat ohne Papiere. Das heißt, keine Zukunft als Mensch des 21. Jahrhunderts.
Offiziell gibt es knapp eine Million registrierte Flüchtlinge im Libanon, doppelt so viele sind hier. In einem Land mit 4,5 Millionen Einwohnern. Unvorstellbare Realität.
Die Schawis sind die Chefs
Aber warum kommen so viele in den Libanon? Schon vor dem aktuellen Krieg gab es viele syrische Saisonarbeiter, besonders in der Landwirtschaft und am Bau. In der Bekaa-Ebene haben viele dieser Menschen von ihren alten Arbeitgebern gegen gutes Geld Land gepachtet. 30.000 Dollar zahlen sie für ein Grundstück.
Hier entstehen die informellen Lager, die die Menschen selbst bauen und die nicht etwa von der UNHCR errichtet werden. Schawis heißen diese Pächter, die anderen Flüchtlingen wiederum ermöglichen Zelte zu errichten. Für ein Zelt kassieren sie bis zu 1000 Dollar im Jahr. Die Schawis sind die Lagerchefs. Sie sorgen für Strom und Wasser. Sie vermitteln Saisonarbeit, dafür kassieren sie einen Teil des Lohns. 4-5 Dollar verdienen die Menschen am Tag in der Landwirtschaft. 1-2Dollar davon gehören dem Schawis. Es sind vor allem die Frauen, die raus müssen zur Arbeit. Auch der kleine Lagerladen gehört dem Schawis, hier gibt es Grundnahrungsmittel und Hygieneartikel.
Mit diesem neuen Wissen fahren wir zum ersten Lager. Als wir ankommen bildet sich innerhalb von Sekunden eine Traube von Kindern. Da stehen wir nun, mitten unter ihnen. In einem Lager mit Zelten aus Plastikplanen über die Stromleitungen laufen. Die Wege dazwischen staubig. Ein Vertreter des Schawis kommt. Wir setzen uns mit ihm zusammen, stellen Fragen über Fragen. Ein Caritasmitarbeiter übersetzt.
Die größte Sorge der Menschen hier ist, wie sie sich auf den Winter vorbereiten können. In der Bekaa-Ebene kann es bis zu minus 10 Grad haben. Sie brauchen Decken, warme Kleidung, kleine Öfen und Heizmaterial.
Im Zelt einer Familie
Wir dürfen uns ein Zelt anschauen. Es ist kein gutes Gefühl, ich fühle mich unwohl. Frauen und Kinder sitzen am Boden. Ich gehe wieder raus. Ein Junge folgt mir. Er nimmt mich an der Hand und sagt „mutfak.“ Das verstehe ich. „Küche“ Das Zelt hat Nebenzelte. Zwei Schlafräume, ein kleiner Waschraum. Eine Miniküche. Stolz zeigt er mir den Kühlschrank, der nicht funktioniert. Darin sind Essen und ein paar Medikamente. Für Grippe erklärt er mir. Ich gebe ihm zu verstehen, dass er ein sehr höflicher und gastfreundlicher Junge ist.
Wir verlassen das Lager nicht ohne noch viele Bilder mit den Kindern gemacht zu haben. Jedes von ihnen will auf jedes Bild.
Keine Gebetsräume in den Flüchtlingslagern
Das zweite Lager ist wesentlich schlechter. Es gibt nicht für jeden Strom. Das Wasser muss beim Wasserlastwagen gekauft werden, der jeden Tag vorbei kommt. Auch hier gehen wir mit dem Gehilfen des Schawis durchs Lager. Aus einem Lautsprecher tönen religiöse Gesänge. Es ist eines der ganz wenigen Lager, das auch einen kleinen Gebetsplatz hat. Das ist den guten Beziehungen des Schawis zu den Behörden geschuldet. Ansonsten verbietet der libanesische Staat Gebetsräume und kleine Moscheen, sie fürchten die Freitagspredigten, die die Menschen radikalisieren könnten. Oft werden informelle Lager auch um einige hundert Meter verlegt, weil die Armeeposten in der Nähe angegriffen werden könnten. Auch dieses Lager wurde verlegt.
Die Wege zwischen den Zelten sind uneben. Vor manchen Zelten steht eine Feuerschale, hier wird Wasser erhitzt. Bei einer unbeaufsichtigten Feuerstelle liegen glühende Kartonteile herum. Der Gehilfe schreit die Menschen aus dem Zelt heraus, deutet auf die glühenden Kartons, zertritt sie energisch. Es ist ein größeres Lager.
Wir werden ins Empfangszelt gebeten und bekommen einen Kaffee serviert. Der Schawis-Helfer schenkt abwechselnd in zwei Tassen je einen kleinen Schluck starken Kaffees ein. Diese Zeremonie kenne ich aus der Südosttürkei. Und wieder stellen wir viele Fragen. „Möchten Sie weg aus dem Libanon? Nach Europa?“ Seine Antwort verblüfft uns:“Ich hätte für die ganze Familie eine Ausreise der UNHCR für Kanada bekommen. Ich, meine Frau und die 13 Kinder. Das wollte ich nicht. Dort habe ich keine Kontrolle über meine Familie. Mein Cousin ist schon dort. Er musste in Kanada für vier Tage ins Gefängnis, weil er eines seiner Kinder geschlagen hat.“
„Die Hoffnung, dass es besser wird, treibt uns an. Jeden Tag!“
Es wird uns klar, dass die Menschen sich auf längere Zeit im Libanon einrichten. Ihr Leben ist davon bestimmt, das Überleben für den nächsten Tag zu sichern. Die Caritas unterstützt in diesem Lager vor allem die Kinder, sie sorgt für den Transport in verschiedene Schulen, wo Flüchtlingskinder Unterricht bekommen. Dazu gibt es Nahrungsmittelspenden und manchmal eine kleine Geldsumme für die Familien.
Ohne die Hilfsorganisationen wäre ein Überleben für den Großteil der Flüchtlinge nicht möglich. Sie sorgen dafür, dass es eine fragile Stabilität gibt. Ansonsten würde im Libanon das Chaos ausbrechen.
Wir haben zwei Lager gesehen von unzähligen, die es in der Bekaa-Ebene gibt. Mir wird klar, dass hier auch ein Teil der Zukunft Europas bestimmt wird. Wenn der Libanon zusammenbricht, dann steht Europa vor einer Herausforderung, die das Jahr 2015 nur als kleines Vorspiel erscheinen lässt. Es liegt auch in unserer Hand, dies zu verhindern. Oder um es mit den Worten eines Caritasmitarbeiters zu sagen: „Die Hoffnung, dass es besser wird, treibt uns an. Jeden Tag!“
Wir sollten alle unseren Beitrag leisten, dass der Funken der Hoffnung weiterglüht.