Mein IPad ist fremdgegangen. Eine wahre Geschichte.

von Michael König

Es ist Dienstag abends. Zuhause angekommen, will ich mir mein IPad aus meinem Bürorucksack fischen. Nur: dort, wo ich es immer hineinstecke, ist es unauffindbar. Mein IPad ist weg. Natürlich muss ich es verlegt haben. Ich durchkämme alle Fächer meines Rucksacks. Ich streune bei den üblich verdächtigen Plätzen in meiner Wohnung herum. Bloß: Mein IPad ist nicht zu finden. Ich bin unrund. Also fahre ich kurzerhand ins Büro zurück. Ich werde mein IPad wohl dort vergessen haben. Aber auch in meinem Büro ist es nicht zu finden. Grawuzi. Wo habe ich das wohl angebaut?

Das Ipad fährt durch Salzburg

Am nächsten Morgen erinnere ich mich am Weg in die Arbeit, dass mir unser IT-Mann vor längerer Zeit doch etwas von einer Suchfunktion erzählt hat. Ich rufe ihn an. „Ja, kommen Sie zu mir ins Büro. Machen wir einen Versuch.“ Klick. Klick. Klick. Nach 15 sec erscheint am PC google map und siehe da: da zieht eine digitale Ameisenspur flink ihren Weg durch die Neutorstraße. „Da haben wir’s schon!“, lächelt unser IT-Mann zufrieden. „Ihr IPad fährt gerade durch die Neutorstraße!“ „Was, sind Sie sicher?“ „Na klar! Da schauen Sie, da fährt ihr IPad! Jetzt biegt es gerade in die Moosstraße ein.“. Ich schau ihn leicht verständnislos an. Und jetzt? Ich bin erstmal erleichtert. Mein IPad ist wieder da. Aber was um Himmels Willen treibt es um 08.00 Uhr morgens in der Moosstraße? Und mit wem? Meine Phantasien gehen mit mir durch. Was mache ich jetzt? Mein IT-Mann zuckt mit den Schultern. Ich rufe kurzerhand die Polizei an. Ich erkläre, dass mein IPad aus unerfindlichen Gründen gerade durch die Moosstraße fährt. Ohne mich. Unser IT-Mann macht zwischenzeitlich ein paar Screen-Shots, um den Morgenausflug meines IPads mitzudokumentieren.

Das IPad fährt Taxi

Die Geschichte interessiert jetzt auch die Polizei. Während ich auf eine Einsatzstreife warte, schießt es mir ein: Ich bin doch vorgestern Taxi gefahren. Könnte mir mein lausiges IPad da aus meinem Rucksack gesprungen sein? Ich rufe in der Taxizentrale an. „Ich suche mein IPad. Vielleicht ist es in einem ihrer Taxis unterwegs!“. „Ein was….?“ „Na, so eine Art digitales Jausenbrett, dünn, schwarz und mit Bildschirm“. Die Dame findet rasch heraus, mit welchem Taxi ich gefahren bin. Sie funkt das Auto an, während ich mit ihr telefoniere. Zeitgleich löst unser IT-Mann einen Alarm bei meinem IPad aus. Schöne neue digitale Welt. Gleich kriegen wir dich. Die Dame in der Zentrale hört durchs Telefon das vibrierende IPad. „Ja, Ihr Ixxxxx ist in diesem Taxi. Wir bringen es vorbei.“

Findet das IPad zurück?

Zwei Stunden später. Ich komme aus einem Meeting. Mein IPad ist noch immer nicht von seinem Ausreißversuch zurück. Erneut rufe ich in der Taxizentrale an. Nochmalige Rückfrage beim betreffenden Taxifahrer. „Nein, Ihr I…. ist da nicht.“. Mein IPad will also noch immer nicht zurück zu mir. Aber jetzt reichts mir. Nochmals hole ich unseren IT-Mann. Klick.klick.klick. Mein IPad ist nun in der Sterneckstraße unterwegs. Jetzt muss ich zu härterem Toback greifen. „Schauen Sie, wir verfolgen mein IPad hier am Bildschirm. Jetzt gerade fährt es durch die Sterneckstraße. Und wenn es nicht sofort zurückgebracht wird, dann werden wir es wohl mit Blaulicht zurückbringen lassen. Und siehe da. Das hat gewirkt. 20 min später kommt mein IPad schuldbewusst in seiner Gastlimosine von seinem 48-Stundenausflug zurück.

Mein IPad und ich, wir haben uns nach all der Aufregung  ausgesprochen. Ich werde mit heutigem Tag seine Suchfunktion deaktivieren. Mein IPad darf sich künftig verloren gehen und hat mir im Gegenzug versprochen, mir nie mehr aus meinem Rucksack zu springen. Dieser Ausflug hat wirklich außer Stress nichts gebracht. Doch. Er hat mich um eine Erkenntnis reicher gemacht. Meine diversen elektronischen Begleiter funken Tag und Nacht meine digitalen Spuren in diverse Clouds und auf irgendwelche Server. Ständig. Pausenlos. Theoretisch weiß ich das natürlich nicht erst seit dem Ausreißversuch meines IPad.

Die Fastenzeit ist ein gute Zeit, diese üppigen Spuren zu reduzieren. Ich erinnere mich: Vor einiger Zeit nahm ich im Zuge einer Diskussion über die sogenannten „elektronischen Fußbänder“ für an Demenz erkrankte Menschen den Standpunkt ein: So was würde ich für mich nie haben wollen. Das Recht, verloren gehen zu dürfen, lass ich mir nicht nehmen. Auch nicht im Alter. Und erst recht nicht in meinem ganz normalen, aktuellen Leben. Ich werde mich selbst ernstnehmen. Ich will mich im ganz normalen Leben nicht wie auf einer Intensivstation fühlen, wo ein ständiger Datentropf meine Lebensspuren aufzeichnet. Diskutiere ich diese Geschichte mit Menschen der Generation Y, ernte ich nur ein Schulterzucken. Es scheint ihnen egal zu sein, wer in ihrem Leben mitliest. Tatsächlich oder potentiell. Mir ist es nicht egal. Vielleicht definieren die Menschen der Y-Generation Freiheit anders als ich. Mag sein.

Ich und mein IPad, wir sind jedenfalls um eine Erfahrung reicher. Und wir sind froh, wieder zusammen zu sein.