Ein Beitrag von Andreas Praher

Das syrische Mädchen Samira mit seiner kleinen Schwester im provisorischen Flüchtlingslager Moussa Taleb im Libanon. Bild: Caritas/Sebastian

Das syrische Mädchen Samira mit seiner kleinen Schwester im provisorischen Flüchtlingslager Moussa Taleb im Libanon. Bild: Caritas/Sebastian Philipp

Syrien kollabiert. In Aleppo ist kein Stein mehr auf dem anderen. Regierungstruppen des Assad-Regimes und Rebellen haben in jahrelangen Kämpfen die biblische Stadt und ihre Bewohner in eine dunkle Vorzeit bombardiert. Übrig ist eine Trümmerwüste aus der Tausende geflohen sind und in der die Dagebliebenen in Angst und Schrecken leben.

Als der deutsche Archäologe und Abenteurer Max von Oppenheim 1899 auf dem Tell Halaf in Nordsyrien Spuren eines aramäischen Fürstensitzes entdeckte, waren die Funde in der westlichen Welt eine Sensation. Ein Teil der Ausgrabungen landete in Berlin, wo sie in einer Bombennacht 1943 stark zerstört wurden. Erst vor ein paar Jahren wurden die Statuen mühevoll restauriert. Die Fragmente erinnern an das biblische Syrien sowie an das aramäische Königreich im Schatten des assyrischen Imperiums. Sie sind stumme Zeugen der frühen Zivilisation in Syrien. Die heutigen Bruchstücke waren einst Teil des mächtigen Palastes in der Stadt Guzana. 3000 Jahre haben sie überdauert. Stolz zeugt die wiederhergestellte Skulptur eines Skorpionvogelmannes von der Geschichte eines längst vergessenen Volkes. Die Skulpturen sind derzeit in einer Schau in Bonn ausgestellt, während Aleppo in Schutt und Asche liegt. Fassbomben haben dort zuletzt dutzende Menschenleben gefordert, abgeworfen von Regierungstruppen. Die mit Sprengstoff gefüllten Ölfässer trafen Kinder, junge Mütter und alte Männer.

150.000 Menschen sind seit Beginn des Bürgerkriegs getötet und ermordet worden. 2,9 Millionen Menschen befinden sich auf der Flucht. Allein 1,2 Millionen leben in provisorischen Zeltlagern im Nachbarland Libanon. Ihr Land ist zerstört, ihr Leben bedroht, eine Rückkehr unmöglich. Der Krieg hat ihnen alles genommen. Ihre Häuser, ihre Familien und ihre Kultur. Sie ist mit einem Bombenschlag ins Tal des Vergessens katapultiert worden.

Wegschauen hilft den syrischen Flüchtlingskindern im Libanon nicht weiter.

Wegschauen hilft den syrischen Flüchtlingskindern im Libanon nicht weiter.

Einst nahmen hier die Hochkulturen von Mesopotamien und Ägypten ihren Ursprung. Nun ist das reiche kulturelle Erbe nicht mehr als ein Trümmerhaufen – ebenso wie die syrische Gesellschaft. Diese ist zerfressen vom Krieg, unterdrückt und aufgerieben von der Machtgier eines Einzelnen. Hass und fundamentale Strömungen innerhalb der Gesellschaft machen Hoffnungen auf einen möglichen Frieden zunichte. Die Menschen in Syrien brauchen jetzt die Aufmerksamkeit, ebenso wie die antiken Funde damals. Ansonsten könnten sie in Vergessenheit geraten.

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Tagesthemen 9.7. 2014

Ja was ist Krieg eigentlich? Notwendig? Unvermeidbar? Irrsinn? Vielleicht habe ich da ja eine ganz naive Meinung, aber für mich ist Krieg wirklich das allerletzte Mittel zur Lösung von Problemen. Krieg ist erstmal nichts anderes als Leid, Angst und Tod. In Syrien geht es jetzt schon seit Jahren, im Irak flammt der Krieg gerade wieder auf, Afghanistan kommt nicht zur Ruhe und nun wieder der Gazastreifen und Israel. Es nimmt kein Ende mit dem Töten. All die Menschen, die Krieg betreiben und vom Krieg profitieren interessieren sich keinen Deut für die Menschen, die keinen Krieg wollen und trotzdem mitten drin landen. Ich erinnere mich noch gut an eine Schülerin aus dem Gazastreifen, die ein Jahr in Salzburg war, mit ihren zwei Kindern und ihrem Mann, der hier ein Doktoratstudium machte. Einmal nach dem Deutschkurs saßen wir lange zusammen und sie erzählte mir, wie es ihr hier in Salzburg geht. Eines ist mir noch heute klar in Erinnerung als sie zu mir meinte:

„Du kannst dir nicht vorstellen, was es heißt, mit den Kindern ohne Angst auf die Straße zu gehen. Einfach auf den Spielplatz und du weißt, es explodiert keine Bombe und es fällt keine Rakete vom Himmel. Du weißt einfach, es ist Frieden und du kannst ruhig schlafen. Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich das erleben darf, es ist das Paradies.“

Sie und ihre Familie sind schon  lange wieder zurück im Gazastreifen. Immer wenn ich, so wie jetzt, Nachrichten aus diesem Teil der Erde höre, muss ich an diese Familie denken und hoffe, dass sie leben. Aber ich weiß auch, dass sie wieder in der Angst, in der Unsicherheit sind. Ich wünschte alle jene, die Krieg betreiben, egal von welcher Seite, vergäßen einfach ihre Gier nach Geld und Macht. Und würden die gleiche Energie, die sie für den Krieg aufwenden, für den Frieden aufbieten. Damit Frauen, Männer und Kinder ruhig schlafen und ohne Angst auf den Spielplatz gehen können.

Ich weiß, das ist ein naiver Wunsch.

copa riscoUnabhängig vom Ausgang des Finales der WM am Sonntag, den 13. Juli in Rio de Janeiro steht der Gewinner bereist fest: Die FIFA wird rund vier Mrd. Euro eingenommen haben. Steuerbefreit, in Brasilien. Obwohl der Sitz in der Schweiz ist. Auch die WM-Sponsoren wie Adidas, Coca-Cola, Budweiser usw. zahlen keine Steuern. Brasilien wird aus diesem Titel rund 700 Millionen US-Dollar an Einnahmen verlieren und es zeichnet sich ein ähnliches Debakel wie für Südafrika bei der WM 2010 ab: Südafrika blieb auf einem Schuldenberg von fast 3 Mrd. Dollar sitzen – während die Fifa 3 Mrd. Dollar Gewinne einsackte. Und ja, die Ausgaben für Stadien & Co. hat Brasilien natürlich mit Steuergeldern bezahlt. Lassen sich angesichts leerer Staatskassen Steuervergünstigungen für sportliche Großveranstaltungen noch rechtfertigen? Noch dazu wenn Funktionäre dieser Verbände in verschiedensten Korruptionsaffären Dauergäste in den Medien und vor Gericht sind. Selbst Gian-Franco Kasper, FIS Präsident und Mitglied des IOC ist besorgt „wenn die Leute sagen, dass sie mit dieser Mafia nicht mehr zusammenarbeiten wollen.“ Veranstaltungen mit immer höheren Kosten, ohne nachhaltigen Nutzen, die so stark in das Leben der Menschen eingreifen und sie zugleich so wenig einbinden, haben keine Zukunft. Immer höhere Ausgaben und immer weniger Beteiligung der Menschen wird zu Widerstand führen. Gegen Mega-Sport-Events und gegen FIFA & Co. In Brasilien und auch anderswo. Es braucht eine Demokratisierung der Sportverbände und statt Steuerbefreiungen für sich selbst und die Multinationale Sponsor-Konzerne, eine echte Teilhabe der betroffenen Menschen. Und zwar am Entscheidungsfindungsprozess genauso wie an den Gewinnen.

Logo nosso jogoDer UN-Menschenrechtsrat stimmte letzte Woche am 27. Juni für die verbindliche Regulierung von transnationalen Konzernen. Das ist ein wichtiger Schritt in Richtung Ende der Straflosigkeit von Menschenrechtsverstößen von Unternehmen. Starker Widerstand kam von der USA und den EU-Staaten. Besonders traurig: Österreich stimmte dagegen. Ein Grund mehr, Druck zu machen und verbindliche Menschenrechtsstandards für alle zu erreichen. Auch bei Mega-Sport-Events wie der WM.

Fordern wir daher gemeinsam von FIFA, IOC, der brasilianischen Regierung, ÖFB und ÖOC: Bei der Durchführung von sportlichen Großereignissen müssen Menschenrechte – insbesondere Kinderrechte – respektiert werden! Die gesamte Bevölkerung soll profitieren, nicht nur einige wenige. Unterschreibe online auf: www.dka.at/nossojogo

Sportliche Wettkämpfe stehen für Fairness, klare Regeln und den positiven, freundschaftlichen Umgang der Wettbewerbsteilnehmer/innen miteinander. Die Regeln, die innerhalb der Austagungsstätten gelten, sollten auch im Vorfeld und Umfeld der Spielorte eine Selbstverständlichkeit sein. Internationale Wettkämpfe dürfen keine Plattform für Zwangsumsiedlungen, Ausbeutung, Diskriminierung und Gewalt bieten. Wir fordern von FIFA, dem Olympischen Komitee, der brasilianischen Regierung, ÖOC und ÖFB:

  • Einhaltung der Arbeitsrechte im Rahmen sportlicher Großevents im Gastgeberland und in den Zulieferketten.
  • Umsetzung der Rechte auf freien Zugang zum Wohnen, öffentlichen Verkehr, Bildung, Gesundheit, Spiel, öffentlichen Raum, Kultur und gesunde Umwelt.
  • Effektive Gesetze und Maßnahmen gegen Sexismus, Diskriminierung, Gewalt, sexuelle Ausbeutung und Menschenhandel sowie deren wirkungsvollen Vollzug.
  • Beendigung von rassistischen Praktiken, Gewalt, Intoleranz und Diskriminierung von gesellschaftlichen Minderheiten.
  • Recht auf Information, öffentliche Debatte und Einbeziehung der Bevölkerung in Entscheidungen mit weitreichender Folgewirkung.
  • Sicherstellung von nachhaltig positiven Effekten für das Gastgeberland durch den Aufbau langfristiger Wirtschafts- und Arbeitsbeziehungen.
  • Rücknahme und Beendigung von Steuerbefreiung für FIFA und IOC sowie deren Sponsoring-Partner/innen.
  • Aufnahme bindender internationaler Arbeitsrechts-, Menschenrechts-, Kinderrechts- und Umweltschutzbestimmungen in die Vergabekriterien und den Verhaltenskodex der FIFA und in die Olympische Charta.

FIFA go homeSpitzen-Sportfunktionäre von nationalen olympischen Komitees, vom IOC bis hin zur FIFA halten in Sonntagsreden gerne die olympischen Ideale hoch: Friede, Freude, Fairplay und dabei sein ist alles. Kritik wird mit dem Hinweis „Es geht doch um Sport und nicht um Politik“ abgewehrt. Den schwarzen Peter schieben sie den Politiker/innen zu. Und das zu recht, denn natürlich ist es eine politische Frage, wenn Millionen Steuergelder in Österreich oder Milliarden in Russland und Brasilien für Infrastrukturprojekte ausgegeben werden, die niemand braucht. Die Vergabe der Spiele an Länder in denen massive Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung stehen, liegt jedoch sehr wohl in der Verantwortung der internationalen Sportverbände. Zu Schweigen, wenn Menschen ausgebeutet, unterdrückt oder ermordet werden ist nicht a-politisch, sondern ein klares politisches Statement. Durch Wegschauen, werden die Täter unterstützt und die Opfer ignoriert. Der diesbezügliche Tiefpunkt waren zweifelsfrei die Olympischen Spiele 1936 in Nazi-Deutschland.

2008 war der Kapitelplatz in Salzburg zur Zeit der Fußball EM eine offizielle Fan-Zone. D.h. eine abgesperrte Zone mit großer Leinwand zum gemeinsamen Fußballschauen. In und rund um diese Zone war – genauso wie rund um`s Stadion – bis ins kleinste Detail geregelt, welche Biermarke in welcher Größte beworben werden durfte. Die TV- und Sponsoring-Verträge bei Sportgroßereignissen füllen Seiten und überlassen nichts dem Zufall. Red Bull Salzburg kann davon ein Lied singen: In der Europa League musste der Vereinsname auf FC Salzburg umgeändert werden und in Leipzig steht „RB“ für „Rasenballsport“. Die Vorgaben von UEFA, FIFA und Co sind, was die Stadien, die Fernsehrechte oder Werbeverträge betrifft, genauestens festgeschrieben. Die Vorgaben für Kinderrechte, Arbeitsrechte oder Menschenrechte sucht man vergeblich. Da wird seitens der Sportfunktionäre auf Absichtserklärungen, die Politik, die UNO oder einen „say no to racism“-Werbefilm verwiesen. Während zeitgleich tausende Menschen in Russland oder Brasilien vertrieben werden, Baukonzerne in Katar die Stadien-Arbeiter wie Sklaven halten oder Kinder Fußbälle nähen. Es ist höchst an der Zeit bei Mega Sport Events in den Bewerbungs- und Ausschreibungsverfahren verbindliche Menschrechts-Standards zu verankern und umzusetzen. Nur so kann verhindert werden, dass wie zur Zeit in Katar, die WM-Bauten täglich einen Toten fordern.

 

Andreas Praher

Ein Beitrag von Andreas Praher

Barricada Brasil

Heute, um exakt 22 Uhr mitteleuropäischer Zeit wird zum größten Fußballereignis des Jahres angepfiffen. Gastgeber Brasilien empfängt Kroatien. Abseits des grünen Rasens hat Brasilien die Weltmeisterschaft schon jetzt verloren. Gesellschaftlich reißt das Mega-Event der Superlative tiefe Wunden auf. Es verdeutlicht einmal mehr die vorherrschenden sozialen Unterschiede in einem der stärksten wachsenden Märkte der Welt. Der Wirtschaftsboom der vergangenen Jahre hat die brasilianische Bevölkerung in falscher Hoffnung gewogen. Sie wird jetzt enttäuscht.Tatsächlich stieg der Mindestlohn in den vergangenen elf Jahren um inflationsbereinigte 80 Prozent. Doch eine Oligarchie bestimmt bis heute die Geschicke des Staates. Sie setzt über politischen Druck auf Kosten der Bevölkerung ihre Interessen durch und geht mit ihren Mafia-Methoden bis ans Äußerste. In den überdimensionalen Stadienbauten tritt dieses Machtgefüge zu Tage.

Um die Interessen der Bundesstaaten zu befriedigen, entschloss sich das Gastgeberland, zwölf Arenen zu errichten. Für die Austragung hätten acht gereicht. 505 Millionen Euro kostete allein das Stadion in der Hauptstadt Brasilia, doppelt so viel wie veranschlagt. Es ist damit die teuerste WM-Spielstätte, die jemals gebaut wurde. Laut Berechnungen des Online-Portals UOL sind die Baukosten auf 2,68 Milliarden Euro explodiert – mehr als Deutschland und Südafrika gemeinsam für die WM-Spielstätten ausgegeben haben.
In Sao Paolo, wo das Eröffnungsspiel stattfindet, sind die Mieten durch den Bau der WM-Arena um mehr als 100 Prozent gestiegen. Immer mehr Areale sind zu Spekulationsobjekten verkommen. Während Aber-Millionen in die Kassen von Bau-Konzernen und Immobilien-Haien flossen und immer noch fließen, wurden Tausende aus ihren eigenen vier Wänden vertrieben und bekommen nicht einmal eine Eintrittskarte für ein Spiel. Landlose haben ein Gebiet in der Nähe des Stadions besetzt. Seit Tagen wird in der U-Bahn gestreikt. „Der Mangel hält das Land zusammen“, analysiert der Schweizer Journalist, Dokumentarfilmer und Brasilien-Kenner Ruedi Leuthold. Das zeigt sich in den landesweiten Protesten.
Um das Leben von Fans, Spielern oder Funktionären muss sich die brasilianische Regierung nur bedingt Sorgen machen. Weit mehr müssen sich die politischen Verantwortlichen die Frage stellen, wie sie mit der eigenen Bevölkerung verfahren. Letztendlich sind im Herbst die brasilianischen Präsidentschaftswahlen und bei diesen braucht Präsidentin Dilma Rousseff der Welt nicht mehr beweisen, welch erstklassige Organisatorin sie in Sachen Fußball-WM ist. Dann muss sich die Staatschefin vor ihrem eigenen Volk verantworten. Denn im Unterschied zu den Besuchern und dem weit entfernten Million-Publikum, werden die 200 Millionen Brasilianer nach dem Schlusspfiff auch noch da sein. Die FIFA interessiert das bekanntlich wenig. Sie verabschiedet sich nach den Weltmeister-Feierlichkeiten in die Wüste und plant für 2022 in Katar ihren nächsten WM-Zirkus.