Konnten nach der sexuellen Revolution noch Tabus gebrochen werden? Ja – das Bühnen-Musical The Rocky Horror Show bewies das Anfang der 70er Jahre. Männer in Frauenkleidern gab es auf Bühnen und in Filmen zwar immer – doch nur in harmlosen Verwechslungskomödien. Ein sexuell aktiver bisexueller Transvestit war allerdings eine völlig neue Kategorie. Dennoch erreichte diese Art Provokation eine sehr breite Masse. The Rocky Horror Picture Show von 1975 ist daher sowohl für die Babyboomer-Generation sowie für die Generation X ewiger Kult. Egal wie schlecht andere Filme mit Tim Curry sind – er wird für Rocky Horror-Fans der einzig wahre laszive, anziehend-abstoßende Dr. Frank-N-Furter bleiben.
Der Fernsehsender Fox hat dieses Jahr eine Neuauflage des Klassikers gewagt. Warum auch nicht?
Transsexuell vs Transvestit
Was könnte die Neuauflage also Neues bieten? Hauptsächlich Laverne Cox – sie ist die erste offen lebende transsexuelle Darstellerin und LGBT-Aktivistin, die einem breiteren Publikum bekannt ist – und zwar aus der hocherfolgreichen Netflix-Serie Orange Is The New Black [Anm.: empfehlenswert]. Kann die Neuauflage der Rocky Horror Picture Show mit Laverne Cox in der Hauptrolle provozieren? Ich hatte mich auf den Fernsehabend gefreut. Doch schon nach den ersten Minuten stellte ich fest: Hier wirkt nichts frisch, frech oder auch nur annähernd anrüchig oder provokant. Alleine der Frank-N-Furter-Look ist nicht mit dem von Tim Curry zu vergleichen – das skurrile Make-up und das trashige Outfit haben viel zum Kult-Status der Figur beigetragen. Und, sorry, Ms Cox: I did not „shiver with antici… … … … [oh well – say it already, dammit] …pation“. Niemand wird an dieser Stelle Tim Curry je das Wasser reichen können.
Transsexualität könnte für Rocky Horror durchaus als Steigerung zu Transvestismus angesehen werden und zu einer geeigneten Adaption des Stoffs für die heutige Zeit anregen. Warum ist das nicht passiert? Seit den 70er Jahren sind viele Tabus gebrochen worden. Cross-Dresser oder Trans-Personen führen heute viel öfter kein verstecktes Leben mehr und sind längst auch in unserer alltäglichen Wahrnehmung angekommen. Das große Manko bei Laverne Cox war letztlich, dass sie durch und durch die Frau spielt, die sie heute auch tatsächlich ist. Ich meine damit, dass ihr Frank-N-Furter es an Ambivalenz fehlt. Sie setzt in der Rolle zwar auch ihre männliche Stimme ein, doch äußerlich dringt kein Fünkchen einer männlichen Ausstrahlung durch. Kostüm und Makeup lassen das nicht zu – anders als in Orange Is The New Black, wo ihr Gesicht nicht völlig hochglanzlackiert ist. Wo in Rocky Horror das Kostüm die richtigen Stellen quetscht und puscht, verrät ihr Gefängnisoutfit in Orange trotz der Brüste noch verbliebene Hinweise ihres biologischen Geschlechts, wie Taille oder Schultern. Die Kostüm- und Maskenbildner der Rocky Horror-Neuauflage haben es einfach zu gut gemeint.
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Colour Boosting vs Talent
The Rocky Horror Picture Show – Let’s Do The Time Warp Again hätte dennoch noch ein unterhaltsamer Film werden können. Woran es fehlte, war sexuelle Spannung. Das liegt nicht nur an Laverne Cox‘ Darstellung von Dr. Frank-N-Furter. Das dröge Paar Brad und Janet wird mit einer neuen Welt und einer völlig anderen Lebensart konfrontiert, die beiden machen neue, aufregende sexuelle Erfahrungen und bleiben am Ende doch farblos und uninteressant. Mehr kann ich dazu gar nicht sagen. Ach ja, von wem wurden Brad und Janet in der modernen Fassung nochmal gespielt? Egal, es werden keine Weltkarrieren daraus werden, wie seinerzeit die von Susan Sarandon.
Der Tiefpunkt bei den Besetzungen war für mich Reeve Carney als Riff Raff ohne Buckel. Ok, Buckel ist nicht notwendig, aber Riff Raff ist als Charakter ein verschlagener, abstoßender Kretin. Reeve Carney ist geschminkt und trägt Perücke, bleibt aber fade und uncharismatisch, wie immer. Er bringt nichts davon mit, wodurch er als gruseliger Widerling überzeugen könnte.
Einzige Überraschung: Adam Lambert als Eddie! Wer hätte das gedacht? Eine Rolle anzunehmen, die vor ihm Meat Loaf mit viel Körper- und Stimmvolumen ausgefüllt hat, war mutig. Doch Adam Lambert hat die Show für ein paar Minuten so richtig gerockt und zeigte außerdem, dass in ihm ein richtiger Comedian steckt.
Zu Tim Currys Rolle als Erzähler möchte ich nicht viel sagen. Nur so viel: Jeder muss sein Geld verdienen, daher verstehe ich, weshalb er sich für das Projekt zur Verfügung gestellt hat. Er soll uns allen aber lieber als Frank-N-Furter in Erinnerung bleiben.
Whatever happened to Fay Who?
Bleibt noch ein Thema. The Rocky Horror Picture Show ist auch eine nostalgische Hommage an die klassischen Horror B-Movies der 1930er bis 50er Jahre. Waren diese in den 70er und 80er Jahren noch fixer Bestandteil des Fernsehprogramms, hat ein junges Publikum von heute keinen Bezug mehr dazu. Schon allein deshalb ist die Neuauflage der Rocky Horror Picture Show völlig aus der Zeit gefallen. Und seien wir ehrlich: Bei allem Kult. Wenn man heute die Ur-Version der Rocky Horror Picture Show ansieht, dann tut man es ebenfalls aus purer Nostalgie. Eine nostalgische Hommage an diesen Klassiker aus den 1970er Jahren wäre im Jahr 2016 sicher interessanter gewesen.
The Rocky Horror Picture Show – Let’s Do The Time Warp Again (2016) lief in den USA am 20. Oktober 2016 auf Fox
Meine Bewertung auf IMDB: 4 Punkte
Insgesamt hat diese Neuauflage des kultigen Rocky Horror Musicals nicht viel mehr zu bieten als aktuell bekanntere Gesichter und sattere Farben, damit die bunten Kostüme und Make-ups gut rüberkommen. Es fehlt die Seele.