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Andreas Praher

Ein Beitrag von Andreas Praher

Barricada Brasil

Heute, um exakt 22 Uhr mitteleuropäischer Zeit wird zum größten Fußballereignis des Jahres angepfiffen. Gastgeber Brasilien empfängt Kroatien. Abseits des grünen Rasens hat Brasilien die Weltmeisterschaft schon jetzt verloren. Gesellschaftlich reißt das Mega-Event der Superlative tiefe Wunden auf. Es verdeutlicht einmal mehr die vorherrschenden sozialen Unterschiede in einem der stärksten wachsenden Märkte der Welt. Der Wirtschaftsboom der vergangenen Jahre hat die brasilianische Bevölkerung in falscher Hoffnung gewogen. Sie wird jetzt enttäuscht.Tatsächlich stieg der Mindestlohn in den vergangenen elf Jahren um inflationsbereinigte 80 Prozent. Doch eine Oligarchie bestimmt bis heute die Geschicke des Staates. Sie setzt über politischen Druck auf Kosten der Bevölkerung ihre Interessen durch und geht mit ihren Mafia-Methoden bis ans Äußerste. In den überdimensionalen Stadienbauten tritt dieses Machtgefüge zu Tage.

Um die Interessen der Bundesstaaten zu befriedigen, entschloss sich das Gastgeberland, zwölf Arenen zu errichten. Für die Austragung hätten acht gereicht. 505 Millionen Euro kostete allein das Stadion in der Hauptstadt Brasilia, doppelt so viel wie veranschlagt. Es ist damit die teuerste WM-Spielstätte, die jemals gebaut wurde. Laut Berechnungen des Online-Portals UOL sind die Baukosten auf 2,68 Milliarden Euro explodiert – mehr als Deutschland und Südafrika gemeinsam für die WM-Spielstätten ausgegeben haben.
In Sao Paolo, wo das Eröffnungsspiel stattfindet, sind die Mieten durch den Bau der WM-Arena um mehr als 100 Prozent gestiegen. Immer mehr Areale sind zu Spekulationsobjekten verkommen. Während Aber-Millionen in die Kassen von Bau-Konzernen und Immobilien-Haien flossen und immer noch fließen, wurden Tausende aus ihren eigenen vier Wänden vertrieben und bekommen nicht einmal eine Eintrittskarte für ein Spiel. Landlose haben ein Gebiet in der Nähe des Stadions besetzt. Seit Tagen wird in der U-Bahn gestreikt. „Der Mangel hält das Land zusammen“, analysiert der Schweizer Journalist, Dokumentarfilmer und Brasilien-Kenner Ruedi Leuthold. Das zeigt sich in den landesweiten Protesten.
Um das Leben von Fans, Spielern oder Funktionären muss sich die brasilianische Regierung nur bedingt Sorgen machen. Weit mehr müssen sich die politischen Verantwortlichen die Frage stellen, wie sie mit der eigenen Bevölkerung verfahren. Letztendlich sind im Herbst die brasilianischen Präsidentschaftswahlen und bei diesen braucht Präsidentin Dilma Rousseff der Welt nicht mehr beweisen, welch erstklassige Organisatorin sie in Sachen Fußball-WM ist. Dann muss sich die Staatschefin vor ihrem eigenen Volk verantworten. Denn im Unterschied zu den Besuchern und dem weit entfernten Million-Publikum, werden die 200 Millionen Brasilianer nach dem Schlusspfiff auch noch da sein. Die FIFA interessiert das bekanntlich wenig. Sie verabschiedet sich nach den Weltmeister-Feierlichkeiten in die Wüste und plant für 2022 in Katar ihren nächsten WM-Zirkus.