Beiträge

Manchmal gibt es Zufälle, die keine sein können. Es ist Abend auf Burgazada, nach einer Kartenrunde plaudern wir über unsere Urlaubslektüre, kommen über Umwege auf Elias Canetti zu sprechen. Auf seine Bücher, auf seine Herkunft und sein Leben. Canetti war sephardischer Jude. Seine Vorfahren waren Juden, die nach der Rückeroberung Spaniens im 15. Jahrhundert durch die Katholiken, gemeinsam mit den Muslimen flüchten mussten. Die tolerante Politik der Sultane ermöglichte vielen Juden die Ansiedelung im damaligen Osmanischen Reich, von Nordafrika bis auf den Balkan. Bewahrt haben sich die sephardischen Juden über die Jahrhunderte ihre jüdisch-spaniolische Sprache, auch Ladino genannt, die  Muttersprache Canettis. Im 20. und 21. Jahrhundert ging und geht diese Sprache aus dem Mittelalter verloren. Viele sephardische Juden wanderten aus dem ehemaligen Osmanischen Reich und der heutigen Türkei nach Israel und andere Länder aus. Nur mehr wenige Juden in Istanbul sprechen Ladino. Ihre Geschichte hat mich schon während meines Studiums stark beschäftigt und beeindruckt.FotoSartorius

Am nächsten Morgen schmökere ich in dem Buch „Die Prinzeninseln“ von Joachim Sartorius. Auf Seite 118 stoße ich auf eine Stelle, in der es heißt:“Hier (Büyük Ada) sitzen in der nächsten Nische nicht drei junge, sondern drei ältere Damen. Ich traue meinen Ohren nicht. Sie sprechen Ladino, die Sprache der Sephardim, die Ende des 15. Jahrhunderts hierhergekommen sind. … Jetzt im Jahre 2008, diesen alten Frauen zuzuhören, elektrisiert mich.“

Spannend, wir sprachen über Canetti, Ladino und jetzt die Stelle in Sartorius Buch. Beim Frühstück bilde ich mir dann ein, von der Straße spanische Wortfetzen zu hören, so nimmt mich das gefangen. Untertags am Strand dann Ablenkung mit einem guten Krimi von Joy Fielding. Die Sepharden sind wieder aus meinem Kopf verschwunden. Am Abend wollen wir es uns in einem Cafe am Hafen gemütlich machen und ein gutes Iskender Kebap genießen. Wir streifen herum und entdecken in einem Cafe einen Tisch direkt am Wasser. Wir nehmen Platz, scherzen mit dem Kellner und geben unsere Bestellung auf. Gegenüber sitzt eine amerikanische Familie, die eine Riesenportion Pommes Frites verdrückt. Daneben zwei ältere Damen, die sich auf Türkisch über das Geschehen am Hafen unterhalten. Auch wir genießen es, dem Treiben zuzusehen und es zu kommentieren. Plötzlich höre ich Spanisch vom Nebentisch. Ich blicke hinüber, höre konzentriert hin, nein die Damen sprechen Türkisch. Wir lachen über meine kleine aktuelle Besessenheit. Unsere Getränke kommen, eine Zigarette verkürzt das Warten auf das Essen. Schon wieder, ich höre schon wieder Spanisch. Auch auf die Gefahr hin mich bis auf die Knochen zu blamieren, ich muss die Damen ansprechen. Ich fasse mir ein Herz und packe mein höflichstes Türkisch aus und unterbreche das Gespräch der beiden. Auf meine Frage, ob es sein hätte können, dass sie zwischendurch eine andere Sprache als Türkisch sprächen, schenken sie mir ein warmes Lächeln und antworten mit „Ja! Wir sprechen Ladino, wir sind sephardische Jüdinnen.“ Damen

Fast hätte es mich aus dem Sessel gekippt, das Iskender Kebap  kommt. Wir sprechen weiter und sie erzählen ein wenig über sich und fragen auch mich aus. Ein Foto wird gemacht und sie verabschieden sich, um sich auf den Heimweg zu machen. Und ich bin glücklich, dass etwas, was mich immer schon interessiert hat, nicht nur Geschichte ist. Sondern etwas, das auch noch gegenwärtig ist nach über 500 Jahren- die Sepharden und der Ladino.

Wieder mal Deutschkurs. Wieder mal ein Wort, das die Schülerinnen nachfragen: Rummelplatz! Und dann passiert es wieder mal. Ich komme vom Hundertsten ins Tausendste. Als erstes fällt mir bei Rummelplatz natürlich das tolle Lied von Simply Red ein- Fairground. Das hilft aber nicht, denn wir haben ja Deutsch- und nicht Englischkurs. Also muss einnäherliegendes Beispiel her.geschichte

Es ist kurz vor Pfingsten, da ist es ein Leichtes mit Hilfe der Salzburger Dult das Wort Rummelplatz zu erklären. Hier könnte jetzt Schluss sein mit dem ganzen Worterklärungsrummel. Aber ich werfe eine Frage in den Raum: Was ist denn der meistbesuchte Rummelplatz der Welt? Meine Schülerinnen antworten prompt mit „Oktoberfest“. Jetzt könnten wir dann weitermachen mit der Grammatikübung.

Aber jetzt geht es mit mir durch. Da muss ich doch von der Gründung des Oktoberfestes erzählen, von der bayrischen Prinzessin Theresia, nach der auch die Theresienwiese benannt ist. Und diese Theresia hat mit ihrem Ehemann zur Zeit der bayrischen Herrschaft in Salzburg vor 200 Jahren im Schloss Mirabell gewohnt. Ihr Sohn Otto ist hier zur Welt gekommen. Nicht der Rehagel Otto, sondern der Otto, der der erste griechische König war. Damals als die Griechen nach der Befreiung von den Osmanen unbedingt einen König brauchten. Und der König Otto hat den Griechen die weißblauen Nationalfarben und das Wissen ums richtige Bierbrauen hinterlassen. Und dann meinte eine Schülerin: „Jetzt kennen wir den ersten griechischen König Otto. Den letzten griechischen König deutscher Herkunft kennen wir sowieso, den Otto Rehagel!“

So ist das im Deutschkurs, wenn man das Wort Rummelplatz erklärt.