von Elisabeth Kaplan
Auweia. Onkel Bob hat Überreste vom Weihnachtsstollen aus dem Vorjahr – warte, nein, aus dem Jahr 1984! – hervorgekramt und gemeint, er kann ihn uns noch einmal vorsetzen, wenn er neue Rosinen hineinstopft und ordentlich viel Staubzucker drüberstreut …
„Do They Know It’s Christmas?“ wurde 1984 von Bob Geldof und Midge Ure geschrieben und vor kurzem bereits zum vierten Mal aufgenommen. Allerdings ist der Song bestenfalls durchschnittlich. Natürlich haben wir alle ihn über die Jahrzehnte schon so oft gehört, dass wir ohne weiteres mitsummen können und gar nicht mehr darüber nachdenken, aber: Die Melodie ist in Wirklichkeit ziemlich patschert konstruiert.
Nicht sängerfreundlich
Außerdem gibt die Melodie den Sängern nicht viel, womit sie arbeiten können. Darum können sie nur schwer den richtigen Ton treffen. Entweder sie streben eine schlichte, „ehrliche“ Interpretation an, die aber dann eher langweilig und gefühllos rüberkommt; oder sie wollen die Sache „emotional“ angehen, mit dem Ergebnis, dass ihre Performance total übertrieben und gekünstelt wirkt.
Zum Vergleich: Nur wenige Monate nach der Veröffentlichung von „Do They Know It’s Christmas?“ folgte USA for Africa mit „We Are The World“. Dieser Song mag kitschig sein, aber der Kitsch ist perfekt. Geschrieben von Michael Jackson und Lionel Ritchie, hat er die deutlich bessere Melodie. Dank ihr konnten die vielen illustren Gäste legendäre Performances hinzulegen.
Qual der Wahl
Nun gut. Zurück zu Band Aid. Die folgenden vier Versionen gibt es (wobei die Version aus 1989 gefloppt und meines Wissens auch nicht mehr erhältlich ist):
Scrollt hinunter und erfahrt, welche Awards ich den Künstlern in den verschiedenen Kategorien verleihen würde
Band Aid (1984) zur Linderung der Hungersnot in Äthiopien:
Band Aid II (1989) wieder für Äthiopien:
Band Aid 20 (2004) Hungersnot im Sudan:
Band Aid 30 (2014) zur Bekämpfung des Ebola-Virus:
DIE ULTIMATIVEN BAND AID AWARDS
Um euch die Wahl eures Favoriten zu erleichtern, sind hier meine persönlichen Awards in sechs Kategorien:
Beste Vokal-Performance
Chris Rea in Band Aid II: Seine Stimme klingt einfach nach einem Glühwein vorm Kamin. Er braucht sich nicht mal anzustrengen um grandios zu klingen.
Übertriebenste Vokal-Performance
Eindeutig Sinéad O’Connor in der 2014 Version. Sie scheint beim Singen eine Art von Anfall zu erleiden. Vielleicht weil sie sich so extrem geniert für den Text, den sie da singen muss. Zum Glück ist die Textverständlichkeit an dieser Stelle so schlecht, dass zumindest wir uns darüber nicht ärgern müssen.
Genervteste Stars
Obwohl er es mit seinem heutigen Image nie zugeben würde, schaut der 33-jährige Sting aus, als würde ihm die ganze Aktion so was von auf den Keks gehen.
Auf Platz 2 in dieser Kategorie: Angélique Kidjo, afrikanische Diva, in der diesjährigen Version. Was würde ich dafür geben, um Gedankenblasen über ihrem Kopf sehen zu können. Sie wollte ja angeblich den Text ändern und hat auch verschiedene Varianten eingesungen – offenbar hat es keine davon an Sir Bob vorbeigeschafft.
Langweiligste Vokal-Performance
1984: Paul Weller. Tut mir Leid, aber auch wenn man lieber woanders wäre, sollte man zumindest so tun, als würde man sich bemühen.
1989: Big Fun. Wer ist das, fragt ihr euch jetzt vermutlich. Dieses Trio war einer der weniger erfolgreichen Acts aus der Stock Aitken Waterman Hit-Fabrik. Von Big Fun schaffte es nur eine halbe Zeile in die Endfassung: „… we can spread a smile of joy“. Lieber nicht darüber nachdenken, dass das dann wohl der beste Take von ihnen war …
2004: Sugababes. Oje, oje. Haben diese Mädls wirklich kein bisschen Persönlichkeit? Gähn.
2014: One Direction. Vielleicht sind sie ja direkt von einer wilden Party ins Studio gefahren, jedenfalls wirken sie wie im Halbschlaf, wenn sie die kritische allererste Zeile singen.
Beste Produktion
Aus produktionstechnischer Sicht ist für mich die stimmigste und schlüssigste Version tatsächlich die von Stock Aitken Waterman – jawohl, die am wenigsten erfolgreiche. Sie war mit ihrer leichten, seichten, unbeschwerten Stimmung leider vollkommen unpassend, und außerdem waren die Hitproduzenten Stock Aitken Waterman zu dieser Zeit bereits am Ende ihrer phänomenalen Erfolgssträhne.
(Un)peinlichste Textstelle
Diese Kategorie ist echt schwierig. Am besten, ich beginne mit der peinlichsten Zeile. Für mich ist das „The greatest gift they’ll get this year is life”. Autsch. Dieses Jahr haben sie diese Zeile rausgenommen und durch „A song of hope where there’s no hope tonight” ersetzt. Entscheidet selbst, ob das besser ist oder nicht.
Unpeinlichste Textstelle … na ja, vielleicht „At Christmas time, we let in light and we banish shade“. Auch wenn die Zeile klischeehaft ist, zumindest ist sie nicht wie alle anderen entweder anstößig oder unsinnig oder einfach schwach konstruiert.
Die Zeile, die über die Jahrzehnte am meisten Aufregung verursacht hat – nämlich „Well, tonight thank God it’s them instead of you“ – wurde diesmal gestrichen. Ich denke, dass sich Bono hier endlich durchsetzen konnte. Er wollte diese fragwürdige Zeile angeblich schon vor 30 Jahren nicht singen.
So, das waren sie, meine persönlichen Ultimativen Band Aid Awards. Vielleicht seid ihr jetzt neugierig geworden und kauft euch online gleich alle Versionen! Oder spendet doch einfach. Zum Beispiel an Ärzte Ohne Grenzen: www.aerzte-ohne-grenzen.at
Die englische Originalversion dieses Blogeintrags gibt’s hier zu lesen: www.elisabethkaplan.blogspot.co.at