Die Geschichte von Dornröschen kennt jeder. Ein Königspaar ist lange kinderlos. Als sie endlich Eltern werden, ist die Freude groß, und sie laden zwölf weise Frauen (Feen) ein. Das Geschirr reicht nicht, um auch die dreizehnte Fee einzuladen. Diese schäumt, taucht uneingeladen auf und spricht einen Fluch über das Kind aus. Sie soll sich mit 16 an einer Spindel stechen und sterben. Das kann eine der anderen Feen gerade noch abmildern: Dornröschen soll nur in einen todesähnlichen Schlaf fallen. 100 Jahre später küsst sie ein schöner Prinz wach.
Ein idealer Stoff für Disney
1959 bescherte der Stoff Disney bereits einen großen Erfolg. Der Zeichentrickfilm griff verschiedene Varianten der Geschichte auf und zeigte sie etwas weiter ausgeschmückt und umgemodelt. Die böse Fee konnte sich dabei sogar in einen Drachen verwandeln. Dieses Jahr dachte man sich bei Disney: Erzählen wir das Dornröschen-Märchen doch mal völlig anders. Eine Geschichte hat ja immer zwei Seiten und so bietet es sich an, das Geschehen aus der Perspektive der bösen Fee, Maleficent (zu Deutsch eigentlich Malefiz), zu betrachten. Interessant.
Die Familie als problematische Zielgruppe
Freilich soll „Maleficent“ ein Film für die ganze Familie werden, außer für die Allerkleinsten. Freigegeben ist der Film ab 10 Jahren. Für die Mädchen gibt es daher entzückende Feenwesen, Romantik zwischen 12-Jährigen, eine Teenager-Prinzessin [Elle Fanning] von liebreizendem Wesen. Den Buben bietet der Film Ritter-Armeen, die gegen wandelnde Bäume (Ents?) kämpfen und Drachen – alles ganz wie in Herr der Ringe. Der Papa kriegt Angelina Jolie zu sehen (am Schluss im hautengen Lederkostüm, fast so wie Lara Croft – wenn da nicht die Hörner wären). Und auch für die Mama ist was dabei: Mütterliche Liebe ist so stark, dass sie alles übertrumpft. Ehrlich gesagt, ist diese Erkenntnis das überraschendste Element des Films.
Disney hat die diversen Ansprüche der sehr inhomogenen Zielgruppe „Familie“ mit Kindern über 10 sicher richtig eingeschätzt. Letztlich wirkt der Film wie ein Versuch, es einfach allen recht zu machen – mit ganz gezielt ausgesuchten Elementen. Doch diese schlecht zusammenpassenden Elemente richtig zusammenzusetzen ist eine dornige Angelegenheit. Details wie Nachvollziehbarkeit der Handlung und Glaubwürdigkeit der Personen sind dabei aus dem Blickfeld geraten.
Verirrt im Bilderrausch
Das ist ein gravierender Fehler, wenn ein Film psychologisch zu erklären versucht, wie die Fee Maleficent, ein süßes, liebes und zu vertrauensvolles Wesen, zum fiesesten Miststück seit Glenn Close in „Eine verhängnisvolle Affäre“ wird und es gleichzeitig irgendwie doch nicht ist. Ich habe mich auch gefragt: Und warum hintergeht Maleficents große Liebe sie so? Oder warum greift der alte König überhaupt den Zauberwald an? Irgendwie lautet die Rechtfertigung immer, dass Menschen halt habgierig und neidisch sind. So wird das jedenfalls von der weiblichen Erzählstimme in einem zuckersüßen und etwas herablassenden Tonfall erklärt, der jedes über 5-jährige Kind beleidigt. Sorry, aber dass alle Menschen einfach schlecht sind, ist als alleinige Motivation für alles Mögliche ein wenig dürftig. Man wiegt sich hier etwas zu sehr in der Hoffnung, dass im Rausch der überwältigenden Bilder schon keiner was bemerken wird.
Und das Blendwerk ist tatsächlich ganz toll anzusehen. Kein Wunder, denn es ist das Regie-Erstlingswerk von Robert Stromberg, der bisher bei vielen Filmen für visuelle Effekte zuständig war, z.B. in „Oz“, „Pan’s Labyrinth“, „Der Goldene Kompass“. Diese reiche Erfahrung ist dem Film auch anzusehen. Doch ein Regisseur, der im Geschichtenerzählen versierter ist und sich mehr für die handelnden Personen interessiert, hätte vielleicht mehr aus dem Drehbuch herausgeholt.
Alles auf den Kopf gestellt
So interessant der Ansatz war, Dornröschen aus der Perspektive von Malefix zu erzählen, als gelungen kann man das Resultat nicht bezeichnen. Das wird an dem Punkt klar, an dem überhaupt nichts mehr zusammenstimmt. Das Märchen wurde nämlich völlig umgekrempelt und umgeschrieben. Nichts stimmt überein, wenn man es mit der weithin bekannten Geschichte aus der bekannten Perspektive vergleicht. Alle noch so aufwändigen 3D-Fantasy-Szenen sind keine angemessene Entschädigung dafür. Dabei sind diese düster, packend und wirklich gut gelungen; ein Augenschmaus für Erwachsene – einigen Kindern dürften sie eher Alpträume verursachen. Der Versuch, ein Märchen völlig in ein Fantasy-Spektakel umzumodeln, hat aber schon bei „Snow-White and the Huntsman“ (2012) die Geschichte verdorben – meiner Meinung nach jedenfalls. „Snow-White“ stammt zwar nicht von Disney, aber man hätte trotzdem daraus lernen können.
Ein Star richtig eingesetzt?
Angelina Jolie als Maleficent läuft im Film zur Höchstform auf, wenn sie so böse ist, wie man nur böse sein kann. Sie wirft den Kopf zurück und lacht ein grausames „Ha-ha-haaa“, bevor sie uns einen stechenden, bösen Blick zuwirft … brrrr gruselig. Es ist, als hätte die bisher gute Fee Maleficent ihre eigentliche Bestimmung gefunden und wäre sich endlich der dunklen Energie bewusst geworden, die schon immer in ihr geschlummert hat. Die Teufelshörner und die mächtigen behornten Adlerflügel ließen ja ohnehin vermuten, dass es sich hier um eine Böse Fee handeln muss. Ebenso wie der Name: Maleficent. Das so viel bedeutet wie „Eine, die Böses tut“. Doch letztlich war Maleficent nur zeitweilig verstimmt. Und Jolie, bekannt als böses Mädchen, bringt die gute, sanftmütige Seite bei weitem nicht so glaubwürdig rüber.
Nach einigen Jahren Pause, teils durch ihre Brustkrebserkrankung bedingt, hätte Angelina Jolie sich eine besser geschriebene Rolle verdient. Ihr Name und ihr Charisma besitzen eine große Anziehungskraft, so wird sie genug Publikum in die Kinos locken und den Film erfolgreich machen.
Meine Bewertung auf IMDB: 7 Punkte
Es ist alles zu sehr darauf ausgerichtet, allen Altergruppen ab 10 genügend zu bieten. Das schadet der Geschichte und der Glaubwürdigkeit der Charaktere. Angelina Jolie ist aber ein Grund, den Film anzusehen.
Und hier der Link zum Trailer von Maleficent