Ihr kennt das sicher auch. Da hat man ein Ritual. Es begleitet einen schon ganz lange Zeit. Und ohne das Ritual fehlt an einem bestimmten Tag einfach etwas. Bei mir ist der Sonntag so ein Ritualtag. Nicht was ihr jetzt glaubt. Nein, es geht diesmal nicht um die Lindenstraße, wo sonntags zwischen 18.50 und 19.20 für mich nichts anderes existiert. Ich gestehe jetzt, ich habe da noch ein Ritual. Es dauert 2 Stunden. Das liegt an der Größe und Fülle des Objekts, das da im Mittelpunkt steht. Ich lese die ZEIT jeden Sonntag. Ich beginne immer mit den Österreichseiten und arbeite mich dann erst Mal vor bis zu den Titelkommentaren. Das ist meist schon harte Kost. Dann nehme ich mir den Reiseteil vor, alles immer ganz spannende Reiseziele, wo ich niemals hinkomme. Dann wird es wieder ernst. Das Feuilleton beginne ich auch hinten mit „Glauben und Zweifel“ und lese mich nach vorn. Wirtschaft und Wissen haben oft spannende Artikel. Und von der großen Zeit genieße ich dann zum Schluss das Dossier und die Artikel zur Geschichte. Nach dieser Lektüre weiß ich wahrscheinlich mehr als der durchschnittliche Mensch im Jahre 1635, schätz ich mal. Da ist man dann schon satt. Aber es geht weiter mit dem Zeitmagazin. Und spätestens da brauche ich die dritte Tasse Kaffee. Nein, nicht weil es fad wird im Magazin. Das Gegenteil ist der Fall. Den Kaffee brauche ich für den Genuss. Den Genuss die Kolumne von Harald Martenstein zu lesen. Ganz selten nervt er mich. Meist spricht er Sachen aus, die man schon mal irgendwie so im Hinterkopf hatte oder fühlte, aber sie niemals in Worte fassen könnte. Er behandelt viele ernste Themen, aber sie liegen einem nicht schwer im Magen, weil er sie mit so einer Nonchalance aufs Papier wirft. Dafür bewundere ich ihn.
Ihr kennt das sicher auch. Ein Mensch begleitet einem in einem Ritual über lange Zeit. Eine Sängerin, die man nur beim Keksebacken hört. Ein Film, den man in einer bestimmten Stimmung immer wieder gerne sieht. Eine Schriftstellerin, die man nur im Urlaub lesen kann, weil da die Zeit endlos scheint und das Buch gewürdigt werden muss. Oder die Kolumne von Harald Martenstein, die mit einer dritten Tasse Kaffee genossen wird. Und man denkt sich: Das wär doch mal schön diesen Menschen zu treffen. Und dann hat man die einmalige Chance!
Heute begann das Literaturfest in Salzburg. Ich musste für die Stadt Salzburg die Begrüßung machen. Ich habe normal kein großes Lampenfieber, wenn ich vor großem Publikum sprechen muss. Liegt wahrscheinlich an zwanzig Jahren Unterricht, da stand ich auch immer vorn. Aber diesmal war es anders. Harald Martenstein war da, um zur Eröffnung zu lesen. Das machte mich zugegebenermaßen doch ein kleines bisserl nervös. Der Mensch, dessen Kolumne zu meinem Sonntag gehört, saß neben mir. Man denkt sich dann, ja kann ich jetzt wie ein 14 Jähriges Groupie um ein Selfie bitten? Was denkt sich der? Er ist doch ein seriöser Mensch, ein Autor, kein Volksmusiksänger oder Hip Hopper. Egal, dachte ich mir, fragen kostet nichts. Und was soll ich sagen, natürlich haben wir ein Selfie gemacht, wir haben geplaudert, ich durfte ihm ein bisschen von Salzburg erzählen und toll gelesen hat er obendrein!