Katastrophenfilme gehören zu meinen cineastischen „Guilty Pleasures“ (zugegeben, davon habe ich mehrere). Das heißt, es sind wahrlich keine künstlerisch wertvollen Filme und die Storys sind eher eine schlechte Ausrede dafür, allerlei Katastrophen-Szenarien aneinander zu reihen. Das sollte mir zwar ein bisschen peinlich sein, ist es aber nicht. Darum bin ich immer wieder gern im Kino Zeuge, wie die Welt einstürzt – oder Teile davon. Und diese Teile der Welt liegen fast ausschließlich in den USA. Letzten Sommer war es ein Kleinstädtchen, das im Film Storm Hunters von Tornados verwüstet wurde. Dieses Jahr wird in San Andreas dafür gleich ganz Kalifornien platt gemacht. Von einer Serie der gewaltigsten Film-Erdbeben, die es je gab.
Grenzen des guten Geschmacks überschritten?
Ich muss zugeben, dass mein diesjähriges „Guilty Pleasure“ mit einer Portion Schuldgefühlen einherging. Ich habe mir vor dem Kino ernsthaft überlegt, ob es der Anstand zulässt, mich daran zu ergötzen, wie Menschen ihr Leben, ihre Lieben sowie Hab und Gut in einer gewaltigen Naturkatastrophe verlieren. Immerhin ist das Erdbeben in Nepal erst wenige Wochen her. Die Menschen dort haben alles verloren und die Not nach der Katastrophe ist im ganzen Land groß. Werden sie durch die unterhaltsam-aufregenden Nervenkitzel-Schauer, die der Film bietet, beleidigt? Und eines ist auch klar: Hätte das jüngste Erdbeben nicht Nepal, sondern die USA erschüttert, wäre der Filmstart sicher verschoben worden.
Trotzdem fand ich: Filme sind Fiktion und dienen der Unterhaltung. Angesichts des Ausmaßes an Leid und menschlichen Tragödien in der ganzen Welt dürfte niemand Unterhaltung irgendwelcher Art genießen. Bedrückendes gibt es genug. Und Unterhaltungsfilme haben den Zweck, uns für eine Weile abzulenken.
… ist, wenn man trotzdem lacht
Wie ist es punkto Unterhaltung mit San Andreas bestellt? Großartig! Mehr können sich Fans von Katastrophenfilmen gar nicht wünschen. Es ist alles vorhanden: gewaltige Beben, einstürzende Wolkenkratzer, abstürzende Helikopter, Tsunamis und noch viel mehr. Ohne durch zu viel Handlung vom Wesentlichen abzulenken, bietet San Andreas eine aberwitzige Aneinanderreihung immer noch haarsträubenderer Ereignisse.
Die Handlung in Kurzform: Der Film erzählt die Mission zweier Eltern, ihre Tochter im hunderte Meilen entfernten San Francisco aus dem Erdbebenchaos zu retten. Warum sie glauben, das zu können? Ganz einfach: Der Vater [Dwayne Johnson] hat offenbar seinen Feuerwehr-Einsatzhubschrauber als Privatfluggerät zur Verfügung. Eh schon alles hinig in LA. Wen oder was soll er da bitte noch retten? So ist der Mann, der von der ersten Minute an ganz der harte Hund ist – mit weichem, fürsorglichem Kern, wenn’s die eigene Familie betrifft.
Der Film ist eine fast zweistündige Achterbahnfahrt in 3D. Man verfolgt dabei selbstverständlich nur die Ereignisse rund um die am Ende erfolgreichen Helden. Was völlig ausgeblendet ist, sind andere menschliche Schicksale. Zwar werden Menschen von Trümmern erschlagen oder verschwinden in tief klaffenden Rissen, die sich plötzlich im Boden auftun, aber sie bleiben anonym und alles passiert so schnell, dass man sie in der nächsten Sekunde schon vergessen hat. Einzig ein junger Wissenschaftler stirbt einen Tod, den das Publikum ein wenig bedauern kann. Doch seine Rolle war ohnehin recht kurz und nicht besonders groß. Ohne Identifikation mit dem armen Tropf löst sein Hinscheiden auch keine große Bestürzung aus – zumindest bei mir nicht. Dass keine der wichtigeren Nebenfiguren den Ereignissen zum Opfer fällt, ist ein wenig untypisch, denn das ist normalerweise die Gelegenheit, zwischen Katastrophenszenarien die Emotionen des Publikums anzusprechen und seine Tränendrüsen zu aktivieren.
Als unverzichtbares Element des Genres, kriegt aber wenigstens der unsympathische Kerl der Geschichte seine gerechte Strafe – und zwar in dem Teil des Films, in dem ich jedes Ereignis schon mit vergnügtem Glucksen und Klatschen begrüßte. Seinen Karl-der-Kojote-Tod (Wer kennt Karl und seinen Gegenspieler den Road Runner noch?) hätte ich gern noch ein wenig länger ausgekostet. Doch nicht einmal damit will sich San Andreas lange aufhalten.
Naiver Optimismus
Am Ende, man darf es verraten, wird alles gut. Ein Häufchen geretteter Menschen, sieht auf die Trümmer, die einmal eine Stadt waren. Millionen erschlagen und ertrunken. Die Familie umarmt sich. Die amerikanische Flagge weht. Alles ist gut. „Was jetzt?“, spricht die Mutter. „Wir bauen etwas Neues“, erwidert der Vater, ernst und wissend in die Ferne blickend. Diese Schlichtheit und Naivität gehört auch zur köstlichen Katatstrophen-Unterhaltung à la Hollywood.
Zum Abspann röhrt dann noch die australische Sängerin Sia eine Bombast-Cover-Version von California Dreamin. Es klingt wie ein Aufruf zum letzten Gefecht. Das passt zum Film, aber für den berühmten Song von The Mamas and the Papas ist es eindeutig etwas zu dick aufgetragen.
Meine Bewertung auf IMDB: 7 Punkte
Die Erwartungen an das Genre sind voll erfüllt: Alles stürzt spektakulär ein und es gibt keine anspruchsvolle Story, die von diesem Vergnügen ablenkt. Die Möglichkeiten von 3D und CGI sind vielleicht nicht voll ausgeschöpft, aber passabel.
Alle Fotos: Jason Boland