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Eldiven heißen Handschuhe auf Türkisch. Irgendwann in den letzten 20 Jahren habe ich dieses Wort wohl gelernt, aber nie gebraucht. Bei diesem Istanbul-Aufenthalt war es so weit. Eldiven ist nun in meinen aktiven türkischen Wortschatz eingegangen. Das erste Mal habe ich Istanbul mit einer Menge an Schnee erlebt, nicht nur für ein paar Stunden angezuckert. Und das passend zu Neujahr. Seit einigen Jahren gibt es in der Türkei den Trend das  Neue Jahr zu feiern und dekoriert wird alles mit klassischen Weihnachtsmotiven.


Da gibt es viele Weihnachtsbäume. In den westlichen Stadtvierteln wie Kadiköy oder Moda klettern auch die Weihnachtsmänner an diversen Hausfassaden hoch. Die großen Einkaufsstraßen haben Wintermotive als Beleuchtung und so manche Bar macht ihren Weihnachtsbaum aus leeren Bierflaschen, natürlich hübsch beleuchtet. Also für mich war es ein verlängertes Adventfeeling MIT Schnee. Und im riesigen Einkaufszentrum Akasya gab es nicht nur die Deko sondern auch alle Weihnachtsliedklassiker und am 1. Jänner ein Gedränge und Gekaufe als stünde das große Schenken noch bevor. Und selbst beim Warten aufs Taxi in einer langen Schlange war man umgeben von leuchtenden Bäumen, Geschenkspackerl und Lichtschnüren. Und dazu noch der Schnee!


Unvergesslich wird mir die Fahrt über den Bosporus bleiben. Erstmals mit einer der neuen Fähren. Nicht mehr die alten Dampfer, die so wunderbar getutet haben. Sondern so ein neumodisches Schiff mit Fernsehberieselung, Klimatisierung und bequemen Sitzplätzen. Da habe ich schon ein bisschen meckern müssen. Als Trost hat mein alter Freund Süleyman zwei Packungen Biskuits gekauft und mir eine Überfahrt versprochen, die mir auf dem neuen Schiff auch unvergesslich bleiben würde. Wir stellten uns im bitterkalten Schneesturm aufs Deck. Und Süleyman begann die Möwen mit kleinen Biskuitstückchen anzulocken. Bis uns ein großer Schwarm folgte und die ersten Möwen ganz ihre Angst verloren und ihm die Biskuits aus der Hand fraßen. Es war herrlich. Die Stadt, die Möwen, der Schneesturm. Das ist auch auf einem niegelnagelneuen Schiff möglich. Danke Sülo!

b2Was ich ganz spannend fand, war der Umgang mit dem Schnee auf den Gehsteigen. Das was ich über drei Tage im Stadtteil Kuzguncuk beobachtet habe war etwas seltsam. Am ersten Tag freuten sich alle über den Schnee. Jeder stapfte die Gehsteige entlang, zuerst waren noch die Spuren im Schnee. Gegen Abend dann war der Schnee niedergetreten. Niemand hatte ihn weggeschaufelt. Über Nacht wurde aus dem Schnee dann überraschenderweise stellenweise Eis. Und man konnte am Vormittag Männer beobachten, die  mit Eispickeln und Schaufeln das Eis zerschlugen und die Reste auf die Fahrbahn fegten. Schwerstarbeit. Am dritten Tag dann lag plötzlich ein großer Haufen Salz da, von dem sich jeder nehmen konnte. Ich weiß nicht, ob das die übliche Reihenfolge in Istanbul ist, um die Gehsteige begehbar zu machen. In einer Straße in Kuzguncuk war es jedenfalls so.


Wunderbar war es auf den ungeräumten Wegen entlang des Meeres zu spazieren und bis zu den Prinzeninseln zu blicken.

Strahlender Sonnenschein und der Schnee glitzerte mit dem Meer um die Wette. Auf den Bäumen saßen Unmengen an Vögeln. Schwarz mit weißen Punkten, das dürften Stare gewesen sein. Und die sangen wiederum mit den lauten Schiffshörnern um die Wette. Nicht viele Menschen waren unterwegs an diesem Neujahrstag am Ufer in Kadiköy. Aber genug, dass einer versuchte ein Geschäft zu machen. Ein älterer Mann hatte ein Netz mit Luftballons aufgespannt. Auf einem Hocker lagen ein Gewehr und eine Pistole. Ob die Waffen ganz echt waren kann ich nicht beurteilen, wundern tät es mich nicht. Und für wenig Geld konnte man sein Glück versuchen und die bunten Ballone kaputtschießen. Hat schöner ausgesehen als jede Schießbude am Jahrmarkt, war aber genau so sinnlos. Wo im Sommer unzählige Händler vom Leuchtjojo bis zu Sonnenblumenkernen alles verkaufen und sich die Massen das Meer entlang schieben, war es hier an der Küste Kadiköys  in der Millionenmetropole fast menschenleer, dafür schneereich.



Allerdings waren auch hier die Hunde und Katzen Istanbuls unterwegs. Mit dickem Winterfell. So wie in den Straßen. Viele Menschen stellen Wasser und Futter raus, damit auch die Tiere im Winter genug haben. Und für die Menschen ist jetzt Sahlep angesagt, das Wintergetränk schlechthin. Heiße Milch mit Zucker, Zimt und einem Pulver aus Sahlepkraut. Nach einem ausgedehnten Spaziergang wird einem da ganz schnell wieder warm.


Mir begegneten aber nicht nur Katzen und Hunde, sondern auch viele Schneemänner dieses Jahr. Und Menschen, alte und junge, Männlein und Weiblein, die sich Schneeballschlachten lieferten. Istanbul im Winter ist ein bisschen leiser als im Sommer. Der Schnee dämpft die Geräusche, macht auch manche hässlichen Stellen unsichtbar. Istanbul im Winter ist anders, aber genau so schön. Und natürlich eine Reise wert!

Ich bin schockiert über die Nachrichten und Bilder aus Istanbul und anderen türkischen Städten. Was als Demonstration für das letzte Stückchen Grün in Taksim begonnen hat, wächst zu einer großen gegen die Regierung an. Ich habe schon einige Demos in Istanbul erlebt. 1996 und 1997 sind mir die Mütter in Erinnerung, die jeden Samstag vor dem Galatasaray Gymnasium saßen und die Bilder ihrer in Ostanatolien vermissten Kinder hochhielten. Ein stiller aber hartnäckiger Protest, immer flankiert von schwer bewaffneten Polizisten. Anfang der 2000er Jahre erlebte ich wütende Proteste streng Gläubiger als es um die Verlängerung der Schulpflicht ging. Das Beste war immer in einer Seitenstraße zu verschwinden, denn man wusste nie, ob es eskaliert. demo in wien

Jetzt ist es eskaliert. Viele junge Menschen, auch Bekannte von mir sind darunter und Menschen, die eigentlich viel zu verlieren haben, etwa Lehrer und Anwältinnen. Es ist der Protest gegen eine demokratisch gewählte Regierung, die in den letzten Jahren trotz Reformen doch immer mehr versucht die Freiheit des Einzelnen zu beschränken. Und die Reaktion der Regierung ist nicht angemessen, trängengasgeschwängerte Luft, Knüppel auf Menschen, Wasserwerfer, zensierte Medien. Demokratie lebt auch und besonders von der freien Meinungsäußerung. Demokratie lebt davon, dass alle Menschen ihr Leben nach ihrem Willen leben können. Demokratie lebt davon, dass gewählte Regierungen auch innehalten, nachdenken und Proteste ernstnehmen. Das passiert in der Türkei gerade nicht. Weltweit haben sich Menschen spontan zu Solidaritätskundgebungen zusammengefunden. Auch in Wien sind an die 2000 Menschen auf der Straße.

Möge die blutige Auseinandersetzung bald einem vernünftigen Miteinander weichen und die Demokratie gestärkt daraus hervorgehen.

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