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ein Beitrag von Heinz Schoibl

Notreisender in Salzburg zartbitterGanz pragmatisch denke ich mir zur Frage der Notreisenden, die in Ermangelung von Angeboten der Notversorgung unter Brücken, in Parks oder im Hotel Abbruch (wild) kampieren, dass hier keinesfalls die Kampierverordnung der Stadt Salzburg zur Anwendung kommen darf und dass Vertreibung total unsinnig ist. Schutz vor Unbill und Gefahr (z.B. durch Hochwasser) ja! Aber doch nicht in Form einer Vertreibung ohne Ziel, Herz oder Verstand. Damit kommt es bestenfalls zu einer Verlagerung des Problems an einen anderen mehr oder minder öffentlichen Ort, an dem innerhalb kürzester Zeit wieder eine „Gefährdung der öffentlichen Ordnung“ festgestellt werden kann, erneut Klagen der AnrainerInnen auftreten und aufs Neue der Ruf nach – ja, wonach wohl! – ach ja: Vertreibung ertönt, dem die Stadt im Auftrag zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung nachkommen muss.

Vor dem Hintergrund der x-fachen Vertreibungserfahrung (ist das eigentlich in irgendeiner Form dokumentiert?) sollten wir wohl einmal so weit sein und uns wirklich eingehendere Gedanken über die zugrundeliegende Sachlage sowie über adäquatere Strategien und Handlungsoptionen machen.

Die Ausgangslage
Faktum ist, dass es keine bedarfsdeckenden Vorsorgen für die Basisversorgung der anwesenden Notreisenden gibt. Die 14-Tage-Regel in der Arche Nord / Süd ist bestenfalls eine Notlösung, aber eigentlich eben keine Lösung. Die Notreisenden können es sich schlicht nicht leisten, bereits nach zwei Wochen – ohne auch nur halbwegs reguläre Verdienstmöglichkeiten während dieser Zeit – wieder zurück in die Herkunftsregionen zu fahren. Bis dahin haben sie bestenfalls die Fahrtkosten zusammengebettelt! So oder so wird den meisten nichts anderes übrig bleiben, als über einen längeren Zeitraum in Salzburg zu bleiben, zumal sich ihre Notreise sonst schlichtweg nicht rechnet. Unabhängig davon, ob sie hier Angebote der Basisversorgung vorfinden, letztlich auch ungeachtet der Beeinträchtigungen und Gefährdungen, denen sie hier aufgrund von Kälte, Nässe, Frost und Unwirtlichkeit ausgesetzt sind, wird die Dauer ihres Aufenthalts in Salzburg in keinem Verhältnis dazu stehen, wie lange sie auf Not- und Basisversorgung zählen und diese nützen können. Für sie steht im Vordergrund, finanzielle Mittel zu lukrieren. Für ihr Überleben, um ihre Angehörigen versorgen und pflegen zu können, um es sich leisten zu können, wieder nach Hause zu fahren, sind sie darauf angewiesen, in Salzburg zu bleiben und – so gut es eben geht – mit dieser belastenden Situation umzugehen.

Zwangsweise werden sie sich nach der Zeit, in der sie im Notquartier unterschlüpfen und Basisversorgung nützen konnten, einen Unterschlupf suchen: unter Brücken, im Hotel Abbruch, im Gebüsch und unter Bäumen mit den bekannten Folgen:

Sie stören die öffentliche Ordnung, sie verdrecken das Umfeld, sie verschrecken (nicht nur) Minderjährige, die auf ihrem Schulweg an diesen „Horden“ vorbei müssen, und provozieren damit (ob sie dies wollen oder nicht) den Unmut bis Zorn von AnrainerInnen.

  • Bis sie eben vertrieben werden
  • bis sie erneut mit Gittern ferngehalten werden
  • und ganz einfach eben wieder woanders unterschlüpfen.

 

Strategischer Rahmen
Option I:    „Muddling through!“ (oder: the same procedure than every month)
Aktuell wird aus der Not des Nicht-Besser-Wissens heraus die Option eingeschlagen, jeweils zu warten, bis es zu AnrainerInnen-Protesten kommt. Nach einer Phase des Nicht-Hinschauens und der Nicht-Intervention folgt eine kleine Vertreibung ins Nirgendwohin. Und die Notreisenden werden in der Folge zwangläufig, weil sie gar nicht anders können, woanders ihren Unterschlupf aufschlagen und – bestenfalls etwas zeitversetzt – beginnt alles wieder von vorne. Das ist unbefriedigend, mühsam und belastend für alle Beteiligten!

 

Option II:   „Modell Favela“
Die naheliegende aber meines Erachtens äußerst gefährliche Option, wie zum Beispiel zuletzt in Salzburg-Süd modellhaft vorgestellt: Wir lassen zu, dass sich die Notreisenden irgendwo am Stadtrand eine illegale Siedlung aus Baracken, Zelten, Kartons etc. zusammenbasteln. Wir schauen zu, wie ein Slum oder eine Favela am Stadtrand entsteht und warten, bis es wuchert – mit oder ohne Mobil-Toilette ist das letztlich eine Kopie davon, was in den vergangenen Jahrzehnten in Brasov, Arges oder anderen Bezirken Rumäniens, in vielen Städten Süd-Ost-Europas (vgl. etwa Stolipinowo / Bulgarien) passiert ist bzw. immer noch passiert. Diese Vorstellung ist nicht nur unvorstellbar, sondern höchst unbefriedigend, weil sich unter diesen Vorzeichen Armut, Elend und Ausgrenzung nachhaltig verfestigen.

 

Option III: „Aktiv begleitete und unterstützte Duldung von Selbstorganisation inkl. Infrastruktur“
Solange die Angebote der Basisversorgung nicht in Deckung mit dem tatsächlichen Bedarf (so viele wie da sind, so lange, wie sie da sein müssen, damit es sich rechnet) stehen, oder gebracht werden können, sehe ich nur die Chance einer konzertierten Aktion und in einer prekaristischen und zeitlich jeweils befristeten Duldung des Aufenthalts einer Gruppe von Notreisenden an Örtlichkeiten, die ihren Bedürfnissen nach Schutz vor der Witterung zumindest halbwegs entsprechen. Das kann z.B. im Kontext eines leerstehenden Gebäudes oder eines Verschlages sein, der mit einer mobilen Hygieneeinheit (Toilette und Waschraum), sowie eventuell mit einem kleinen Kiosk mit Kochgelegenheit ausgestattet ist.

Ergänzend dazu benötigt diese Lösung eine Begleitung durch StreetworkerInnen, deren wesentliche Funktion darin liegt, zum einen Modelle und Strukturen der Selbstorganisation zu fördern und zu unterstützen und zum anderen eine konzertierte Gemeinwesenarbeit und die Unterstützung der AnrainerInnen im Wohnumfeld zu gewährleisten.

Im Interesse öffentlicher Ordnung und subjektiver Sicherheitsgefühle steht hier natürlich im Raum, dass AnrainerInnen eben nicht auf sich gestellt bleiben und sie keine Angst haben sollten. Sondern dass ihnen – zumindest indirekt – auch ein konkreter Nutzen daraus entstehen kann und dass sie sich mit dieser etwas auffälligen Nachbarschaft, wenn schon nicht anfreunden, dann zumindest arrangieren können.

 


Anfangs war es mir unangenehm. Die bittende Haltung, die Unterwürfigkeit, das zur Schau Stellen einer massiven körperlichen Beeinträchtigung. Wie sollte ich damit umgehen? Wenn ich etwas gebe, so hilft es ihnen auch nicht weiter. Will ich sie hier haben in meiner Stadt? Kommen da nicht noch mehr, wenn ich etwas gebe? Ich wandte mein Gesicht ab.

Dann schaue ich aber hin und mein Blick wandelt sich: Menschen, die im Grunde die gleichen Bedürfnisse haben wie du und ich. Menschen, die ein Geschichte haben und vom Schicksal geschlagen werden. Sie zeigen mir, dass Armut bitter schmeckt und auch in einer der reichsten Städte der Welt Realität ist. Der Großteil des Elends spielt sich im Verborgenen hinter den Kulissen ab. Meine (Groß-) Elterngeneration hat diese grausame Armut noch selbst am eigenen Leib gespürt.

Wenn ich heute morgens durch die Innenstadt zur Arbeit gehe, treffe ich bekannte und unbekannte Gesichter. Ich werde freundlich gegrüßt. Ich nicke und lächle respektvoll zurück. Manchmal gebe ich etwas, manchmal nicht. Mein Leistungsdenken macht mich nicht zu einem besseren Menschen. Ich bin der Meinung, dass die Bettelmigranten Salzburg vielfältiger und solidarischer machen. Das zeigen auch die unterschiedlichen Beiträge hier auf Zartbitter u.a. von Alexandra Schmid und Astrid Steindl. Mich bereichern sie auf jeden Fall.

Deshalb unterstütze ich die Kampagne www.hinschauen-statt-verurteilen.at.

Wichtige Basisinfos finde ich bei Josef P. Mautner und natürlich in der Studie über Bettelmigration von Heinz Schoibl. Sie liefern Grundlagen für eine menschenwürdige Diskussion, den Abbau von Ängsten und die Basis für politisches Handeln, das nicht auf dem Rücken der Schwächeren ausgetragen wird.